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Spirituelle Anamnese

Im Zusammenhang mit der Profilierung diakonischer Arbeit gibt es immer wieder die Forderung, Religion/Spiritualität/Glaube stärker zu thematisieren. Man kann dabei grob zwei Ansätze unterscheiden: Verkündigung und Coping. Das muss sich nicht ausschließen, aber es sind halt zwei verschiedene Intentionen.

Bleiben wir beim Coping: Der Glaube kann eine wirksame gesundheitsförderliche (oder sagen wir besser: eine lebensförderliche) Ressource sein. In diesem Sinne kann Spiritualität gerade in Beratungskontexten sinnvoll zum Thema gemacht werden.

Nun gibt es immer den Einwand, dass Religion nicht verzweckt werden dürfe, und Copingansätze sind natürlich sehr funktional gedacht. Ja, wichtiger Hinweis, aber man sollte das auch nicht überbewerten. Um nun zu ergründen, ob und inwiefern spirituelle Ressourcen genutzt werden können, bietet sich eine „spirituelle Anamnese“ an. Dazu braucht es gute Fragen.

Harald G. Koenig, amerikanischer Psychiater und Leiter eines universitären Zentrums für Spiritualität, Theologie und Gesundheit, schlägt vier Fragen vor. Man muss sie für die Soziale Arbeit etwas umformulieren, da sie aus dem medizinischen Kontext stammen, aber das dürfte ja kein Problem sein.

„1. Geben Ihnen Ihre religiösen bzw. spirituellen Überzeugungen Trost (Comfort), oder verursachen sie Stress?

2. Haben Sie Überzeugungen, die einen Einfluss (Influence) auf ihre medizinischen Entscheidungen haben könnten?

3. Sind Sie Mitglied (MEMber) einer religiösen oder spirituellen Gemeinschaft? Wenn ja, erhalten Sie von ihr Unterstützung?

4. Haben Sie weitere (Other) spirituellen Bedürfnisse, um die sich hier jemand kümmern sollte?“ (Harald G. Koenig: Spiritualität in den Gesundheitsberufen. Ein praxisorientierter Leitfaden, Stuttgart 2012, S. 48).

Das Instrument nennt Koenig dann CSI-MEMO-Schema. (Unter (amerikanischen) Medizinern und Psychologen gibt es halt dieses krampfhafte Bemühen, lustige Abkürzungen für die eigenen Tools zu entwickeln, sei’s drum…).

Und Koenig setzt noch einen drauf, er bietet auch noch eine „Ein-Frage-Methode“ an:

„Haben Sie spirituelle Bedürfnisse oder Sorgen im Zusammenhang mit Ihrer Gesundheit?“ (ebd., S. 50).

Wenn man ein bisschen sucht, findet man einige solcher Tools zur „spirituellen Anamnese“. Ich halte davon recht viel.

Was macht dich glücklich?

Man nehme: Eine einfache Frage, eine Kamera und Interesse am Anderen.

Man erhält:

Amen.

Was macht dich glücklich? Was eine solch einfache Frage so alles hervorrufen kann – und welche Tiefenschichten sie erreicht.

Was mir auffällt: Wie intim dieses Thema ist.

Was ich nicht so ganz verstehe: Warum beschäftigt sich die Theologie (vor allem die protestantische Variante) so wenig mit der Frage nach dem Glück? Ist die Frage zu trivial? Ich finde die Antworten im Video jedenfalls alles andere als banal. Ist Glück ein theologisch zu schlichtes Konzept? Für mich nicht. Soweit ich weiß (man möge mich bitte korrigieren, wenn ich da falsch liege), hat Glück zudem eine inhaltliche Nähe zu Segen und Fülle. Worum geht’s denn eigentlich im Leben? Um so existenzielle Dinge wie glücklich sein, erfüllt sein, gesegnet sein. Ganz einfach, und doch so schwer.

Was mich nachdenken lässt: Stellen wir diese Frage zu selten? Uns selbst? Unseren Menschenbrüdern und -schwestern? Und vor allem: Stellen wir als Professionelle in Diakonie und Sozialer Arbeit diese Frage zu selten? Weil sie zu pathetisch ist, weil sie uns peinlich ist, weil sie unprofessionell wirkt? Ich habe zweieinhalb Jahre in der Glücksspielsuchthilfe gearbeitet und nie jemanden gefragt, was ihn eigentlich glücklich macht. Mann.

Killerphrasen zur Klärungshilfe nutzen

Christine Schrappe, Fortbildungsreferentin in der Diözese Würzburg, hat einmal die gängigen Einwände gegen pfarreiübergreifende Sozialraumprojekte gesammelt (im evangelischen Kontext entspricht dies in etwa der Gemeinwesendiakonie). In dem Artikel mit dem schönen Titel Einsprüche gegen pastorale „Killerphrasen“ und „Klagepsalmen“ geht sie diesen oft gehörten Äußerungen nach. Hier eine Auswahl aus ihrer Top 10:

  • „Echte Not gibt es bei uns nicht“
  • „Was sollen Pfarrer denn noch alles machen?“
  • „Unbezahlte Lückenbüßer für fehlendes Personal“
  • „Deswegen kommen auch nicht mehr Leute in die Kirche“

Kennt man alles. Mir fehlt da ja auch noch der Einwand: „Und was ist daran nun christlich?“

Die grundlegenden Muster hinter diesen Anfragen sind wohl an vielen Orten ähnlich. Daher ist die Auflistung solcher Anti-Argumente hilfreich, denn sie bietet eine gute Grundlage für die Klärung des eigenen Standpunktes.

Wer lieber eine ordentliche Druckfassung möchte, kann sich den Artikel als PDF aus der Lebendigen Seelsorge (6/2011, S. 447-451) herunterladen.

Vier kleine Fragen zu einer großartigen Idee

„Weshalb die Netzwerk-Idee großartig ist (und wieso sie so häufig scheitert)“ – so lautet ein Artikel (auf Grund des Umfangs müsste man eigentlich von einem Artikelchen sprechen) von Hans-Christian Blunk in einer alten brand eins-Ausgabe:

„Die Idee des Netzwerkes ist eine großartige, vielleicht sogar die erfolgversprechendste, was die Zusammenarbeit von Menschen mit unterschiedlichen Talenten, Ideen, Kompetenzen betrifft. […] Leider haben Netzwerke einen kleinen Fehler: Sie funktionieren nur in den seltensten Fällen. Vieles, was sich Netzwerk nennt, ist bei Lichte betrachtet nichts anderes als Subunternehmertum oder verschleierte Akquisition; das meiste bricht früher oder später auseinander oder endet als leere Hülse.“

Als mir dieser Text nun nach Jahren wieder untergekommen ist, war ich überrascht, wie sehr Blunks Hinweise auch auf Vernetzungen in der Diakonie zutreffen zu scheinen. Ich fasse hier einmal die wichtigsten Aussagen von Blunk zusammen (sofern man bei diesem kurzen und knackigen Text überhaupt noch etwas zusammenfassen kann):

  • Oft vernetzen sich die Akteure aufgrund ihrer eigenen Defizitsituation. Man verbündet sich, um den eigenen Mangel zu kompensieren. Aber das reicht nicht. „Weil sich zwei Lahme zusammentun, wird daraus noch kein Fitnessstudio“.
  • Vernetzung muss die Arbeit der Partner transformieren, nicht bloß ergänzen. Durch die Vernetzung entsteht etwas Neues.
  • Vernetzung gelingt nur, wenn die verschiedenen Akteure ein eigenständiges und klares Profil haben. „Deswegen funktionieren Legosteine so wunderbar: Die haben alle ein klares Profil, und wenn man sie zusammensetzt, entsteht etwas ganz Neues daraus“.
  • Vernetzung setzt Respekt vor der Leistung des Anderen voraus – und nicht zu vergessen: auch vor der eigenen! Ansonsten kann es keine gleichberechtigte Partnerschaft geben. Eine ganz entscheidende Voraussetzung für die Arbeit in Netwzerken!
  • Vernetzung bedeutet auch immer, ein Stück der eigenen Souveränität abzugeben. Aber will man das wirklich? Vernetzung widerspricht damit in gewisser Weise einem Entrepreneur-Geist.

Für gemeinwesendiakonisches Engagement können die vier Reflexionsfragen von Hans-Christian Blunk hilfreich sein, mit denen er seinen Zwischenruf zur Netzwerk-Idee beschließt:

  • “ Wer bin ich? Was kann ich? (Mit anderen Worten: Bin ich ein Legostein?)
  • Wer sind die anderen? Was können sie?
  • Was wollen wir mit unserem Netzwerk erreichen? Reagieren wir nur auf Marktgegebenheiten, oder sind wir wirklich auf dem Weg zu etwas Neuem?
  • Was können wir zusammen erreichen? Addieren wir nur unsere Kompetenzen – oder generieren wir echten Mehrwert?“

Hans-Christian Blunk: Weshalb die Netzwerk-Idee großartig ist (und wieso sie so häufig scheitert), brand eins, Jg. 2003, Heft 3. Leider ist der Text nicht mehr im Volltextarchiv von brand eins aufgeführt, man muss also zur Printausgabe greifen.

Drei Fragen zur diakonischen Kultur

Ich mag einfache Fragen, mit denen man schnell auf den Punkt kommen kann. Das Salutogenese-Konzept von Aron Antonovsky kann für Fragen dieser Art inspirierend sein. Zum Beispiel, um der Kultur in einer diakonischen Einrichtung nahe zu kommen.

Antonovsky will wissen, aus welchen Gründen Menschen gesund bleiben (und damit unterscheidet sich sein Konzept von denen, die nach den Gründen forschen, warum Menschen krank werden). Von zentraler Bedeutung sind für ihn die Dimensionen Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit, sie zusammen bilden das Koheränz-Gefühl eines Menschen (etwas verkürzt gesagt, eine gute Einführung zur Salutogenese gibt es hier, S. 28-31).

In genau diesem Sinne lassen sich drei einfache Fragen formulieren, mit denen man einer (diakonischen) Kultur auf die Spur kommen kann:

  • Gefühl der Verstehbarkeit: Verstehe ich diese mich umgebende diakonische Kultur? Kann ich sie mir erklären, oder erlebe ich sie als willkürlich, zufällig, unverständlich?
  • Gefühl der Handhabbarkeit: Kann ich den Anforderungen, die diese Kultur an mich stellt, gerecht werden? Bin ich weder über- noch unterfordert? Kann ich diese Kultur handhaben, bewältigen und (mit)gestalten?
  • Gefühl der Sinnhaftigkeit: Empfinde ich diese diakonische Kultur als bedeutsam? Ist diese vorherrschende Kultur sinnvoll, hat sie ihren Sinn in sich?

Keine der drei Fragen zielt darauf, ob ich etwas „gut finde“ – sondern ob  ich es verstehe, ob ich dabei handlungsfähig bin und ob ich darin einen Sinn sehe – gerade daher sind die Fragen gut.

Nicht können, nicht wollen, nicht gefragt sein

Wie kann gesellschaftliche Teilhabe gelingen? In dem man sich einbringt, mitmacht, dabei ist, engagiert ist… Soviel ist klar. Interessant ist es, die Frage umzudrehen: Warum beteiligen sich Menschen nicht? Eine bekannte (nicht mehr ganz neue) amerikanische Studie zur Frage politischer Partizipation bringt die mögliche Antwort gut auf den Punkt:

„We focus on three factors to account for political activity. We suggested earlier that one helpful way to understand the three factors is to invert the usual question and ask instead why people do not become political activists. Three answers come to mind: because they can’t; because they don’t want to; or because nobody asked. In other words, people may be inactive because they lack resources, beacause the lack psychological engagement with politics, or because they are outside of the recruitment networks that brings people into politics. Our analysis of the sources of political participation will focus on all three factors – resources, engagement, and recruitment – which we combine into what we label the Civic Voluntarism Model“ (Verba/Schlozman/Brady: Voice and Equality 1995: 269).

Warum engagieren sich Menschen nicht? Weil sie’s nicht können, weil sie’s nicht wollen, weil sie niemand gefragt hat. Wenn dies stimmt (und empirisch spricht Einiges dafür), liegt hier der Schlüssel zur Teilhabeförderung:

  • Menschen befähigen, partizipieren zu können (siehe hierzu auch ein Essay des Politikwissenschaftlers Frank Walter auf SPIEGELonline),
  • in Menschen die Idee wecken, dass Partizipation eine Bedeutung hat (für sie selbst, für ihr eigenes Leben)
  • und Menschen (schlicht und einfach) bitten, fragen oder bedrängen, sich zu beteiligen.

Das sind verhältnismäßig unaufregende Möglichkeiten, aber ich denke, sie treffen es sehr genau. Diese Gedanken habe ich kürzlich in einem Vortrag zum Thema „Sozialkapital“ aufgegriffen.

Mittlerweile bin ich im Blog von Brigitte Reiser auf ein Modell gestoßen, das fünf Dimensionen aufweist, die stark an die drei genannten Aspekte erinnern, nun aber aus der Sicht von Organisationen gesehen, die Beteiligungsmöglichkeiten bieten (möchten): das CLEAR-Modell von Pratchett/Durose/Lowndes.

Partizipation kann gelingen, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:

  • Can do: Man muss fähig sein, partizipieren zu können
  • Like to: Man muss ein eigenes Anliegen haben, warum man partizipieren will
  • Enable to: Organisationen müssen Beteiligungsmöglichkeiten bieten
  • Asked to: Man muss aktiv um Beteiligung gebeten werden
  • Responded to: Die Beteiligungsmöglichkeiten bietende Organisation muss auch auf die Beteiligung reagieren.

Sieben Leitfragen zur Profilierung diakonischer Gemeinden

Viele Kirchengemeinden sind diakonisch aktiv. Schön (und) anspruchsvoll. Daher tut es gut, immer einmal wieder innezuhalten und sich gemeinsam zu fragen: Wie und warum machen wir eigentlich das, was wir tun?

Mit den folgenden sieben Fragen lässt sich das diakonische Engagement in Kirchengemeinden gut reflektieren. Jede Frage zielt dabei auf eine wichtige Leitunterscheidung, um den Charakter des diakonischen Engagements zu klären und zu verdeutlichen. Es geht darum zu prüfen: Was verstehen wir eigentlich unter diakonischem Engagement, was wollen wir damit – und wie stellt es sich tatsächlich bei uns dar?

Diakonie als Ausdruck des Evangeliums oder als Abholer zum Evangelium? Als erstes die wohl klassischste aller Fragen in diesem Zusammenhang: Was ist das Christliche an dem diakonischen Engagement? Zeigt es sich gerade darin, dass es dieses diakonische Engagement gibt oder gibt es dieses diakonische Engagement, weil damit für den Glauben geworben werden soll?

Hilfsangebote machen oder Beteiligungsmöglichkeiten bieten? Geht es darum, konkrete Hilfen anzubieten (Tafel, Kleiderkammer, Besuchsdienst, Hausaufgabenhilfe etc.) oder sollen Beteiligungsmöglichkeiten geschaffen werden (beispielsweise die Mitarbeit beim Tafelprojekt oder der Lektorendienst mit vorausgegangenem Sprechtraining)?

Armuts-Angebote oder „Armuts-Mainstreaming“? Eine ähnliche Frage wie die vorherige, aber etwas anders akzentuiert. Diakonie wird oft als „Aktion“ verstanden. Die Gemeinde macht dann Angebote für „die Armen“. Die entsprechende Grundfrage lautet aus dieser Perspektive: Welche Hilfen können wir für Bedürftige in unserer Gemeinde oder unserem Stadtteil anbieten? Diakonie kann aber auch als die Ermöglichung von Teilhabe verstanden werden. Dann geht es weniger um „Aktionen“ und es stehen nicht so sehr die einzelnen Hilfsangebote im Fokus. Ähnlich wie beim Gender-Mainstreaming müsste es dann so etwas wie ein „Armuts-Mainstreaming“ geben: Wie sehen unsere (bestehenden) Angebote in den Augen von Menschen mit wenig Geld aus? Wie müssen sie gestaltet werden, dass diese Menschen daran möglichst „barrierefrei“ teilnehmen können? (Zum Beispiel: Warum kostet das Stückchen Kuchen beim Gemeindefest eigentlich etwas, wenn der Kuchen doch von Gemeindemitgliedern gespendet worden ist?!)

Zielgruppenspezifische oder zielgruppenübergreifende Ansätze? Viele Angebote in der Kirchengemeinde richten sich an konkrete Zielgruppen. Das gilt beim diakonischen Engagement erst recht. Aber auch zielgruppenübergreifende Ansätze sind möglich. Ersteres ist oft besser zu managen (und manchmal auch wesentlich effektiver), aber leider auch schnell stigmatisierend. Letzters ist oft gewollt, aber schwieriger zu realisieren.

Sind die Hilfeempfänger bedürftige Menschen im Stadtteil oder Menschen in einem bedürftigen Stadtteil? Bei dieser Frage geht es darum, wie die „Nutzer“ von diakonischen Angeboten in der Gemeinde gesehen werden: Sind es die „Marginalisierten“ und „Mangelwesen“ des Stadtteils? Oder sind es Stadtteilbewohner, wie die anderen Gemeinedemitglieder auch (dies ist eine der wenigen, aber bedeutsamen Gemeinsamkeiten zwischen den „Kerngemeinde-Mitgliedern“ und „den Anderen“!)?

Eigene Kenntnis der Not oder Konfrontation mit bisher nicht wahrgenommener Not? Wie kommt eine Kirchengemeinde zu ihrem diakonischen Engagement? In den meisten Fällen möchte sie Notlagen begegnen, mit denen sie konfrontiert wird (manchmal sind diese Notlagen nicht zu übersehen und liegen direkt vor der Tür, manchmal müssen sie auch erst bewusst gesucht werden). Ein anderer Ansatz geht von den eigenen Nöten in der Kirchenegemeinde aus, die dazu führen, dass die Kirchengemeinde sich diakonisch engagiert (zum Beispiel eine Depressions-Selbsthilfegruppe von Gemeindemitgliedern, ein bestehender Senioren-Besuchsdienst, der im Laufe der Zeit über die Grenzen der Gemeindemitglieder ausgeweitet wird etc.).

Engagement nach innen oder nach außen diakonisch? Abschließend noch eine Leitfrage, die in der Praxis diakonischer Kirchengemeinden wahrscheinlich eher unüblich ist: Ist mit Diakonie eine Außen- oder vielleicht auch eine Innendimension der Gemeinde gemeint? Grundsätzlich wird unter Diakonie immer das verstanden, was die Gemeinde nach „Außen“ hin tut. Ein anderes Verständnis geht davon aus, dass Diakonie das ist, wie sich eine Gemeinde in ihrem Inneren selbst verhält. Das erste ist nach außen gerichtete Aktivität, das zweite ist ein innergemeindliches Gestaltungsprinzip.

Die jeweiligen beschrieben Alternativen der sieben Fragen sind nicht „richtig“ oder „falsch“. Sie können aber – im ganz konkreten Kontext vor Ort – mal besser und mal schlechter sein. Dies gilt es herauszufinden. Und das ist sehr viel wert.

Wirst du mich vermissen, wenn es mich nicht mehr gibt?

Die Frage nach der Unverwechselbarkeit der Diakonie geht mir immer wieder auf den Keks. Diese Frage führt zu nichts und die möglichen Antworten stellen in den seltesten Fällen einen Erkenntnisgewinn dar. Die Frage nach „dem Unverwechselbaren“ sollte ausgetauscht werden gegen eine andere Frage: „Wirst du mich vermissen, wenn es mich nicht mehr gibt?“

Was wäre zum Beispiel, wenn es diese eine bestimmte diakonische Einrichtung (die sich diese Frage stellt) nicht mehr geben würde? Würde etwas fehlen? Wenn diese Frage ehrlicher Weise mit „nein“ beantwortet werden muss, braucht man auch gar nicht weiter zu fragen – es kann dann gar nichts geben, was Unternehmensberater als „Alleinstellungsmerkmal“ bezeichnen.

Aber gehen wir mal davon aus, dass diese Frage mit „ja“ beantwortet wird. Dann ergeben sich zwei weitere Fragen: Wer würde etwas vermissen und was würde er/sie vermissen? Die Antwort hierauf wird wohl in den allerseltesten Fällen zu einem Katalog von Alleinstellungsmerkmalen führen, aber in den allermeisten Fällen zu verdammt guten Gründen, was diese Einrichtung ausmacht. Wäre das nicht ein wirklicher Erkenntnisgewinn?

Die Idee habe ich von hier via hier. Dort geht es zwar auch wieder um das unvermeintlich Unverwechselbare (das ich ja kritisch beurteile), aber die Frage finde ich wirklich gut!

Fragebogen

Ich weiß nicht, ob Max Frisch an diesem Fragebogen zur Diakonie seine Freude gehabt hätte. Aber ich habe immer wieder Freude an Max Frischs Fragebögen.

1. Für welches Problem ist Diakonie die Lösung?

2. Ist Dienen eine Tugend?

3. Von wem würden Sie sich selbst am liebsten helfen lassen?
a. Von einem sympathischen Buddhisten.
b. Von einem unsympathischen Christen.
c. Von einem unsympathischen Buddhisten.
d. Von einem sympathischen Christen.

4. Warum bereitet die vorherige Frage Unbehagen? Stichworte genügen.

5. Mit welcher Rolle aus dem Gleichnis vom Barmherzigen Samariter können Sie sich am ehesten identifizieren?
a. Mit dem Opfer.
b. Mit dem Priester.
c. Mit dem Leviten.
d. Mit dem Samariter.
e. Mit dem Esel.
f. Mit dem Wirt.
g. Ich habe Bibliodrama noch nie gemocht.

6. Wenn es in Ihrem Einflussbereich läge, würden Sie dafür sorgen, dass der Fußwaschung (Joh. 13) im Protestantismus der Rang eines Sakraments zugesprochen wird? Warum (nicht)? Stichworte genügen.

7. Die Mehrheit der Bevölkerung unterscheidet nicht zwischen Kirche und Diakonie. Beruhigt Sie das?

8. Die Mehrheit der Bevölkerung unterscheidet nicht zwischen evangelisch und katholisch. Beunruhigt Sie das?

9. Wer hat Ihrer Meinung nach am meisten zu einer Kultur des Helfens beigetragen?
a. Die Diakonie.
b. Die Bertelsmann-Stiftung.
c. Die Bundesregierung.

10. Diakonie ist der Ort, an dem
a. Nächstenliebe und Selbstliebe in einem angemessenen Verhältnis stehen.
b. Fürsorge und Assistenz in einem angemessenen Verhältnis stehen.
c. Gerechtigkeit und Liebe in einem angemessenen Verhältnis stehen.

11. Was ist das kleinere Übel?
a. Eine profilorientierte Diakonie.
b. Eine profitorientierte Diakonie.

12. Welches Phänomen ist Ihnen in diakonischen Einrichtungen am häufigsten begegnet?
a. Leid.
b. Mitleid.
c. Leidenschaft.

13. Sie möchten gerne Ihren Lebensabend in einem Altenheim der Diakonie verbringen. Leider ist gerade alles belegt. Was wäre Ihre zweite Wahl?
a. eine Einrichtung der Caritas.
b. eine anthroposophische Einrichtung.
c. eine kommunale Einrichtung.
d. eine kommerzielle Einrichtung.

(wird fortgesetzt…!)

Make Mantra!

Ich mag Leitbilder nicht. Und das ist fast noch untertrieben. Natürlich ist mir klar, dass Leitbilder bewusst normativ sind, dass sie eben nicht die Wirklichkeit beschreiben, sondern ein andere, eine gewünschte, eine zukünftige Wirklichkeit. Aber müssen deshalb Leitbilder und mission statements immer so schrecklich… leitbildhaft sein? Man merkt, dass Leitbildschöpfung in der Regel den Apologetikabteilungen der diakonischen Unternehmen entspringt.

Das Problem bei Leitbildern in der Diakonie ist, dass sie einerseits oft lasch formuliert sind, so dass jeder zustimmen kann – und damit ist jede scharfe Spitze abgebrochen, sie sind letztlich ein stumpfes Schwert. Hejo Manderscheid hat einmal gesagt, Leitbilder kranken daran, dass sie „hoffnungslos richtig“ seien. Und andererseits wirken sie oft überzogen, ohne Kontakt zur Realität des diakonischen Alltags. Der formulierte Anspruch ist kaum erfüllbar – aber die Mitarbeiter möchten ihn meist doch irgendwie erfüllen. Denn sie trifft ja genau diese Sehnsucht des Leitbildes. Gleichzeitig wird immer wieder erlebt, dass Leitbilder als Marketinginstrument, als Identifikationsinstrument oder als Belehrungsinstrument eingesetzt werden. Ich habe mich also entschlossen, nicht viel Leitbildern zu halten und fahre recht gut damit.

Vor einiger Zeit stieß ich nun auf ein Video von Guy Kawasaki. Guy Kawasaki war bei Apple chief evangelist, so eine Mischung aus Vordenker, Sprachrohr und Kommunikator. Guy Kawasaki hält einen ca. 40-minütigen Vortrag vor jungen Unternehmensgründern und gibt sein Erfahrungswissen in geballter Form wieder: Alles worauf man achten muss, wenn man unternehmerisch tätig sein will. Er verdichtet das Ganze zu 10 einfachen Regeln und powerpointet sich recht charmant durch die 40 Minuten.

An zweiter Stelle (ab 6’20) gibt es dann einen Hinweis, der etwas mit Leitbildern zu tun hat. Auch er scheint Leitbilder nicht zu mögen. Und einem Seelenverwandten hört man natürlich gerne zu. Kawasaki unterscheidet zwischen einem Slogan für die Kunden (also nach außen gerichtet) und einem Mantra für die Mitarbeiter (also nach innen gerichtet). „Make Mantra!“ ist seine Aufforderung. Erschaffe ein Mantra.

Ein Mantra? Ich weiß wohl, was ein Mantra ist, aber dieser Begriff an dieser Stelle? Gerade weil dieses Wort für uns im christlichen Bereich so exotisch erscheint, horche ich auf. Wobei natürlich erwähnt werden muss, dass auch das Christentum Mantren kennt und betet (das Herzensgebet ist nichts anderes als ein Mantra). Und genau das ist es: Mantren werden gebetet. Das Credo des Unternehmens muss ich – als Mitarbeiter, nicht als Kunde! – beten können. Mantren müssen benennen, warum ich dort arbeite. Für die Mitarbeiter muss etwas anderes gelten als für die Kunden. Und noch eins ist wichtig: Mantren sind kurz. Guy Kawasaki empfiehlt maximal drei bis vier Wörter. Besser finde ich jedoch folgende Regel: maximal sieben Silben.

Mir fallen sofort zwei „Mantren“ aus dem Bereich der Diakonie ein. Das klassischste aller Diakonie-Mantren ist natürlich die Kurzform des Löhe-Zitats: Mein Lohn ist, dass ich [dienen] darf (6 bzw. 8 Silben). Und dies wurde ja auch tatsächlich gebetsmühlenartig von Diakonissen in der Mutterhaustradition rezitiert. Theologisch finde ich es allerdings problematisch.

Das zweite Mantra, gewiss auch nicht unproblematisch: Stark für andere (5 Silben). Mit einem etwas anderen Akzent als stark für andere wäre das Mantra der französischen Diakonie zu nennen: Une minorité pour les autres (fast schon zu lang, 9 Silben).

Im Nachkriegsdeutschland entstand das Evangelische Hilfswerk, dessen Gründer und Kopf Eugen Gerstenmaier die programmatische Formel „Wichern zwei“ ausgerufen hat. Damit war die gestaltende Liebe im Gegensatz zu Wicherns rettender Liebe gemeint. Beide Formeln könnten durchaus mantrafähig sein.

Im Moment entdecke ich in der Diakonie eine Menge hoffnungslos richtiger Leitbilder. Wäre ein Mantra nicht einmal eine gute Alternative zu einem Leitbild? Könnte man den Grund, hier zu arbeiten, sprachlich zu einem Mantra verdichten? Wie könnte es lauten?

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