Profilschärfung von unten

Profilbildung ist grundsätzlich eine strategische Aufgabe. Aber gleichzeitig muss man auch eingestehen, dass Profilschärfung „von oben“ so seine Tücken hat: wenig nachhaltig und oft als Marketing missbraucht. Matthias Nauerth und Michael Lindenberg, Professoren an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie in Hamburg (Rauhes Haus), plädieren für eine „Profilschärfung von unten“, ausgehend von denjenigen Mitarbeitern, denen diakonische Profil selbst ein Anliegen ist.

Nauerth und Lindenberg gehen davon aus, dass die organisierte Diakonie durch die Ökonomisierung ununterscheidbar geworden ist. Gemeinhin wird das Gegenteil behauptet: Die Marktorientierung zwinge zu einer eindeutigeren Unterscheidbarkeit. Irrtum, denn

„die betriebswirtschaftliche Rationalität innerhalb der Träger und Einrichtungen wirkt wie ein Windkanal, in dem alles ähnlich geformt wird und sich tendenziell angleicht. Als Betriebe auf Sozialmärkten kämpfen diakonische Träger und Einrichtungen in Konkurrenz mit anderen Anbietern  um schwarze Zahlen. Sie haben seitens der Kostenträger enge Vorgaben und  für ihre eigensinnige Gestaltung von Hilfen geringere Handlungsspielräume. Diese Handlungsspielräume werden auch nicht nachgefragt, und wenn, dann  ausschließlich in der marktförmigen Qualität eines ‚Alleinstellungsmerkmals‘. Daher sind sie gefordert, sich den wirtschaftlich zweckrationalen Strukturen anzupassen. Hierbei stehen sie in der Gefahr, dem Ziel, als Anbieter Sozialer Dienste auf dem Markt zu überleben, in  zunehmendem Maße jene Profile zu opfern, die sie unterscheidbar sein ließen“ (S. 3).

Daher liegt die Gefahr auf der Hand, dass alle gegensteurernden Profilierungsbestrebungen oberflächlich bleiben, dass sie nur zu Reklamezwecken dienen (S. 4), wie zum Beispiel eine „Markensicherung des Unternehmens im Wettbewerb“ oder die „fatale Inszenierung einer Glaubensgemeinschaft, die es so nicht gibt“ (S. 6). Deshalb plädieren Nauerth und Lindenberg eben für eine Profilschärfung von unten.

„Was folgt daraus für diakonisch orientierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Diakonie, die diese Verstrickungszusammenhänge sehen können, aber nicht passiv und fatalistisch werden wollen? Der Vorschlag lautet: Profilschärfung von unten. Dies meint, die Debatten um diakonische Identitäten und Profile in persönlich interessierten und verantwortlichen Kreisen zu forcieren, gleichzeitig aber zu verhindern, dass deren Ergebnisse lediglich als ‚Schmieröl in die Maschinerie der Sozialunternehmen‘ eingespeist werden.“ […] Es geht darum, „sich im ersten Schritt des eigenen diakonischenAuftrags zu vergewissern, um dann, ausgehend von dieser Gewissheit, erneut zu erarbeiten, wie fachlich und menschlich gearbeitet werden müsste, welche Bedingungen, Strukturen und Ressourcen hierfür benötigt werden und was einer solchen Arbeitsausrichtung im Weg steht. Auf dieser Basis können dann die Verbindungen (bzw. Koalitionen) mit all jenen  Kolleginnen und Kollegen gestärkt werden, die solche Ziele und Prinzipien teilen, nicht aber notwendig deren christliche Verankerung. Schließlich könnte im letzten Schritt gemeinsam  darum gerungen werden, entsprechend diesem eigensinnigen Auftrag arbeiten zu können“ (S. 5).

Das ist doch ein interessanter Ansatz. Es werden diakonische Prinzipien und Arbeitsziele entwickelt, und zwar prozessual, induktiv (diakonische Identität kann eben nicht deduktiv abgeleitet werden – woher auch?) und wahrscheinlich nachhaltiger als bei „von oben“-Ansätzen.

Und damit das Ganze auch die Bodenhaftung behält, steuern die beiden Autoren noch eine ganz vernünftige Frage bei, die immer wieder an das „Diakonische“ gestellt werden muss: „Geht das bei uns, und wenn es geht, wollen wir das?“.

Dossier Mitarbeiter-Bildung

Über „diakonische Bildung“ ist in den letzten zehn Jahren viel geschrieben (und geforscht) worden. Es gibt mittlerweile umfangreiche Literatur hierzu. Der deutliche Schwerpunkt liegt dabei auf dem „diakonischen Lernen“, einer Verbindung von Praktika und (Schul-)Unterricht. Schüler an allgemeinbildenden Schulen machen in diakonischen Einrichtungen ein mehrwöchiges Praktikum, das im Diakonie- oder Religionsunterricht der Schule vor- und nachbereitet wird. Ein weiterer Schwerpunkt der Literatur zur diakonischen Bildung liegt auf einem diakonischen Bildungsverständnis, das vom Gedanken der Teilhabeförderung geleitet ist. Diakonische Bildung wird dann als Befähigungsbildung verstanden.

Beides sind lohnenswerte Diskurse. Allerdings kommt mir ein weiteres Thema in der Debatte um diakonische Bildung oft etwas zu kurz: die (theologisch-)diakonischen Bildungsangebote für die ca. 400.000 Mitarbeitenden in der Diakonie. Jede (größere) diakonische Einrichtung schlägt sich mit dem Thema herum. Es gibt gute Ideen und Hinweise in der diakoniewissenschaftlichen Literatur, aber sie bleiben oft fragmentarisch. In meiner Dissertation habe ich den Versuch einer ersten Gesamtdarstellung unternommen. An dieser Stelle möchte ich nun einmal mit einigen wenigen, aber wichtigen und wesentlichen Texten kurz und kompakt in das Thema einführen: Das neue Dossier zur Mitarbeiter Bildung.

Social Fighters

Was kann man tun, um im sozialen/diakonischen Bereich genügend Nachwuchs zu bekommen? Am Image dieses Berufsfeldes arbeiten, ist eine Antwort, auf die man gegenwärtig immer häufiger stößt. Die Diakonie hat zum Beispiel letztes Jahr Vidoes zu „Berufen in der Diakonie“ produzieren lassen.

Bei der Diskussion von Berufsbildern finde ich zwei Aspekte besonders interessant. Zum einen: Was für ein Berufs-„Bild“ liegt den Vorstellungen zugrunde? Von welchen Bildern, Images, Klischees oder Idealen lässt man sich selbst – bewusst oder unbewusst – leiten? Und die zweite Frage: Wie wird dabei mit weiblichen und männlichen Rollenbildern umgegangen? Das ist ja gerade für den sozialen Bereich eine spannende und nicht unwichtige Frage. Was wird also diesbezüglich bei sozialen Berufen kommuniziert?

Beim österreichischen Boys Day habe ich nun folgendes Video gefunden: Die Social Fighters. Okay, klingt etwas martialisch, aber ich finde das irgendwie gut. Schaut selbst:

Europäischer Diakonie-Kongress in Heidelberg

Der Europäische Diakonie-Kongress, gleichzeitig die dritte Konferenz des European Network for the Study of Diaconia, ist heute Mittag zu Ende gegangen. Gastgeber war das DWI in Heidelberg, in Kooperation mit dem DW-EKD. Ein paar Eindrücke möchte ich an dieser Stelle wiedergeben.

  • Ein durch und durch internationales Publikum.

Ich finde es immer wieder interessant zu beobachten, wie man sich an Begegnung und Austausch herantastet, wenn man nicht die Muttersprache nutzt. Ich muss ja zugeben, dass ich das viel zu wenig gewohnt bin. Deutschland ist nun einmal das größte Land Europas, da kann man sich sein ganzes (Berufs-)Leben lang auf Tagungen im eigenen Land herumtreiben, ohne auf eine gemeinsame Ausweichsprache angewiesen zu sein. Das ist freilich keine gute Haltung. Ich brauche für so etwas immer den äußeren Zwang, englisch sprechen zu müssen. Ging.

  • Trotzdem war es irgendwie sehr deutsch – nur halt auf englisch.

Wenn sich nach den ersten Vorträgen gleich ein Diskurs um Mindestlöhne entspannt, dann ist das schon eine sehr deutsche Diskussion. Nur eben nicht auf deutsch. Alle Hauptvorträge waren zudem westeuropäisch. Was ich/wir wohl immer mal wieder lernen müssen: Die Mitte Europas liegt in dem, was wir „Osteuropa“ nennen: in Litauen. Diakoniewissenschaft ist immer sehr deutsch und sehr skandinavisch geprägt (gewesen). Ich freu mich auf die zunehmenden osteuropäischen Diskurse.

  • Was ist eigentlich Diakonie?

Genau in diesem Zusammenhang fiel auch auf, dass wir zwar alle den Begriff „Diakonie“ nutzen, aber doch recht unterschiedliche Inhalte damit verbinden. Eine deutsche Diakonie, die subsidiär mit dem Sozialstaat verflochten ist und in hohem Maße institutionell ausgeprägt ist, ist eben etwas ganz (ganz, ganz,…) anderes als diakonische Einrichtungen, wie sie sich in Osteuropa etablieren. Die entscheidende Frage ist für mich dabei: Können wir einen theoretischen Rahmen finden, der diese unterschiedlichen Kontexte von Diakonie klärt und systematisiert, um in unseren Diskussionen und Forschungen mit den verschiedenen Verständnissen angemessen umgehen zu können? Wenn das nicht gelingt, dann ist nämlich irgendwie alles und nichts „Diakonie“. Und dann macht gemeinsame Forschung auch keinen wirklichen Sinn.

  • Es besteht ein deutliches Interesse an theologischer Reflexion.

Interessant war, dass sich die wahrscheinlich größte Arbeitsgruppe zur Frage nach dem Nutzen der theologischen Grundlagen diakonischer Identität zusammengfunden hat. Ninni Smedberg nutzte dazu die 5 Dimensionen Creation, Fellowship, Praise, Justice und Care aus dem Eurodiakonia-Papier „Faith in Social Care“. Ich muss zugeben, dass mich nicht alle theologischen Überlegungen überzeugt haben (und es auch Manches gab, was ich so nicht teile), aber es war deutlich erkennbar, dass es ein Verlangen nach expliziter theologischer Fundierung gibt – und nicht nach einer nacheilenden Legitimation oder einer christliche Soße, die noch schnell über die Diakonie gekippt wird.

  • Diakoniker-Nachwuchs und Diakonie-Szene

Besonders interessiert hat mich die „Sektion für eingereichte Beiträge von Nachwuchswissenschaftlern“ – nur: sie fiel aus. Der Call for Paper stieß auf keine Resonanz. Schade. Richtig schade. Und dabei musste ich noch einmal darüber nachdenken, wie „groß“ eigentlich diese „Diakonie-Szene“ ist. Wenn man alle Mitarbeitenden, Funktionäre und Wissenschaftler dazuzählt, die sich im Kontext der Diakonie bewegen, dann müsste sie riesig sein. Aber wenn man nur diejenigen zählt, die sich auch irgendwie als „Diakoniker“ verstehen, ist sie anscheinend doch wieder recht übersichtlich.

  • Zur zukünftigen Agenda.

Zum Abschluss hat Tony Addy (von Diak in Finland) noch einmal seine persönlichen Eindrücke zusamengefasst. Im Grunde war das eine Art Forschungsprogramm für die künftigen Jahre. Ich fand seine Gedanken richtig gut. Es ging nur alles so schnell. Ich hoffe, dass er seine stichwortbasierte Rede noch einmal niederschreibt.

UPDATE (2011-03-17): Tony Addys Schlussbemerkungen sind schon längst online, ich hab’s nur nicht bemerkt. Hier sind sie!

Drei Herausforderungen

Im letzen Frühjahr veranstaltete die Evangelische Akademie Loccum eine Tagung zur „Diakonie zwischen Anspruch und Systemzwängen“. Soeben ist die Dokumentation erschienen. Die verschiedenen Vorträge fragten in unterschiedlichen Facetten nach dem „diakonischen Mehrwert“ (diese Formulierung scheint den leidlichen Begriff des „diakonischen Profils“ abzulösen – dem gehe ich demnächst noch etwas genauer nach). Eine konkrete Beschreibung dieses Mehrwerts konnte ich dann aber nicht finden. Dies deckt sich anscheinend mit den Eindrücken der Tagungsteilnehmer: „Aber an dem Punkt, was der Markenkern sein könnte, was die Wertorientierung, das Alleinstellungsmerkmal für die Diakonie ist, sind wir nicht wirklich zu Ergebnissen gekommen“ (Ingo Dreyer/Johannes Goldenstein, S. 112).

Diese Aussage ist insofern erfreulich, da sie ehrlich ist. Die bloße Behauptung eines „diakonischen Profils“ ist intellektuell unterfordernder als das Eingeständnis, wie schwierig es ist, das „Eigentliche“ der diakonischen Einrichtungen konkret zu beschreiben und zu benennen. Und vor allem: Wenn das „diakonische Profil“ oder der „diakonische Mehrwert“ behauptet, aber nicht erlebt wird, hat dies bei den Mitarbeitenden verherrende Folgen. Dass es tatsächlich etwas „Diakonisches“ in der organisierten Diakonie gibt, wird von vielen Mitarbeitenden bereits nicht mehr geglaubt.

Was ich an den Diskussionsergebnissen in der besagten Dokumentation aber für beachtenswert halte – neben der Ehrlichkeit der Aussage – , ist die Formulierung von drei konkreten Herausforderungen. Diese sind nicht neu, aber sie bringen es genau auf den Punkt. Ich möchte jeweils einige Anregungen beisteuern.

  • Die erste Herausforderung ist die „authentische interdisziplinäre Selbstbeschreibung der christlichen Motive für diakonisches Handeln“ (S. 112).

Dies spricht mir aus dem Herzen. Gelingen kann dies eben nur interdisziplinär. Die Theologie hat hier einen wichtigen Beitrag zu leisten – aber eben auch nur einen Beitrag. Es wird zu recht darauf hingewiesen, dass es nicht darum gehen kann, einen theologischen Selbstvergewisswerungsdiskurs zu führen. Dies bedeutet zweierlei: Einmal muss sich die Thelogie in der Diakonie interdisziplinär anschlussfähig machen. Dies kann natürlich am besten durch theologisch qualifizierte Sozialarbeiter und sozialwissenschaftlich qualifizierte Theologen gelingen. Zum anderen muss sich die Theologie in die Diakonie aber auch tatsächlich einbringen. Dass kann sie nur, wenn sie relevant ist. Sie muss nützlich sein.

Mir ist ein weiterer Aspekt wichtig: Ich unterscheide zwischen der Motivation zum diakonischen Handeln und den diakonischen Motiven im Handeln. Zum Ersteren wird ständig etwas gesagt und ist eigentlich schon alles gesagt worden. Belassen wir es also dabei. Interessanter finde ich Letzteres: Gibt es innerhalb des sozialarbeiterischen, pflegerischen, pädagogischen Handeln bestimmte Motive (Essentials?, Prinzipien?), die man als „diakonisch“ bezeichnen kann? Oft wird an dieser Stelle von diakonischen oder christlichen Werten gespochen, aber das trifft es nicht ganz. Einen der wenigen Versuche, solchen „diakonischen Motiven“ auf die Spur zu kommen, bietet das Handbuch „Theologie und soziale Arbeit“. Und in meiner Dissertation versuche ich mich an einer ersten Skizze solcher „diakonischen Motive“ innerhalb der sozialberuflichen Fachlichkeit. Ich werde hieran weiterarbeiten und sie später einmal zur Diskussion stellen.

  • Die zweite Herausforderung: Das Bemühen um die spirituelle Dimension in der Diakonie (S. 113).

Das klingt recht vertraut. Aber dann kommt nicht – wie so oft, zu oft – der Hinweis auf „christliche Rituale“ oder „religiöse Angebote“. Die spirituelle Dimension meint hier – schlicht und einfach, aber äußerst wesentlich – das Gottesverständnis. Am Gottesverständnis entscheidet sich das Wirklichkeitsverständnis des Menschen. Und am Wirklichkeitsverständnis entscheidet sich das Gottesbild. Kurz: Hieran entscheidet sich alles Weitere. Und die Gottesfrage/ Wirklichkeitsverständnisfrage wird (meiner Beobachtung nach) in der Diakonie viel zu selten gestellt. Fragt die Mitarbeitenden ebenso wie die Betreuten nach ihren Gottesverständnissen! Und wie diese mit sozialer Arbeit, mit Fachlichkeit, mit Helfen, mit Geholfenwerden, mit Heilung, mit Verantwortung, mit Weltgestaltung zu tun haben. Das wären wohl die besten „religiösen Angebote“, die man machen kann.

  • Die dritte Herausforderung ist die „permanente Artikulation des gesellschaftlichspolitischen Gestaltungsanspruchs“ (S. 113).

Auch das gefällt mir. Und „Gestaltungsanspruch“ besagt doch, dass die organisierte Diakonie gestalten will. Und nicht bloß „versorgen“. Oder „passgenaue Dienstleistungen“ anbieten. Oder „assistieren“. Oder?

Die drei genannten Herausforderungen mögen vielleicht recht selbstverständlich erscheinen, aber sie treffen genau ins Schwarze. Und zudem stellen sie in meinen Augen drei gute Ansätze dar, den Identitätskern freizulegen.

Interkulturelle Öffnung

Das Thema interkulturelle Öffnung beschäftigt die Diakonie zunehmend. Und zwar als grundlegendes diakonisches Querschnittthema, nicht nur als  Arbeitsfeld (wie z.B. in der Migrationsarbeit). Anfang des Jahres ist ein Diakonie-Text (02/2010) erschienen, der einen Überblick über die Vielzahl von Arbeitshilfen und Stellungnahmen zur interkulturellen Öffnung gibt. Ca. 75 Publikationen werden gut sortiert nach Arbeitsbereichen vorgestellt. Eine ordentliche Fleißarbeit. Und so kann man nur hoffen, dass von diesem Diakonie-Text reichlich Gebrauch gemacht wird.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch auf zwei weitere Diakonie-Texte zum Thema Interkulturelle Öffnung (in) der Diakonie hinweisen. In dem Papier Interkulturelle Öffnung in den Arbeitsfeldern der Diakonie (Diakonie-Text 13/2008) finden sich „12 Thesen zur interkulturellen Öffnung der Diakonie“ (S. 8). Die Thesen sind kurz und knackig, eigenen sich hervorragend zur Einführung in das Thema und regen zur Diskussion an. Daneben wird in dem Papier zwischen interkultureller Bildung, interkultureller Kompetenz und interkultureller Öffnung (S. 5-6) differenziert, was ich als Beitrag zur Begriffsklarheit hilfreich finde. Und die Prüfsteine (S. 9-10) bieten konkrete Fragen, mit denen der Stand der interkulturellen Öffnung in einer diakonischen Einrichtungen reflektiert werden kann; das Ganze in vier kleinen Abschnitten zu OE, PE, QM und PR.

Bei der theologischen Reflexion zur interkulturellen Öffnung wird oft das „Universalitäts-Argument“ angeführt: Der Auftrag der Diakonie bezieht sich auf alle Menschen, ist universalistisch. Diakonie ist kein rein christlicher Club. Eine  lesenswerte theologische Reflexion zum universalen Auftrag der Diakonie gibt es in einem weiteren Diakonie-Text (17/2007) (S. 6-8). Es handelt sich dabei um die „Rahmenkonzeption Migration, Integration und Flucht“. Hier steht also das Arbeitsfeld Migration im Vordergrund, nicht die interkulturelle Öffnung als Querschnittthema. Für die theologischen Überlegungen macht das natürlich keinen Unterschied.

Wichern drei

Soeben erschienen: Wichern drei – gemeinwesendiakonische Impulse, herausgegeben von Volker Herrmann und mir, verlegt bei Neukirchener.

„Wichern drei“ – dieses Schlagwort von Theodor Strohm markiert eine neue Phase diakonischen Selbstverständnisses. Es spielt dabei auf einen Ausspruch von Eugen Gerstenmaier an: Mit „Wichern zwei“ bezeichnete Gerstenmaier das diakonische Programm des Evangelischen Hilfswerks in der Nachkriegszeit. Neben dem Wichernschen Gedanken der „rettenden Liebe“ (quasi „Wichern eins“) sollte mit „Wichern zwei“ die „gestaltende Liebe“ stärker in den Blick gerückt werden. 50 Jahre später skizziert Theodor Strohm die Idee von „Wichern drei“, ein Diakonieverständnis, das den Sozialraum in den Mittelpunkt der Reflexion rückt. Auch Wolfgang Huber hat den Begriff „Wichern III“ genutzt (mit einer etwas anderen Ausrichtung – und mit der „drei“ als römischer Ziffer).

Es geht dabei um die stärkere Berücksichtigung der lebensweltlichen Kontexte, den Einbezug von informellen Netzwerken, von Selbsthilfe und bürgerschaftlichem Engagement und die Suche nach neuen Kooperationspartnern, die auch über die Grenzen der kirchlichen und diakonischen Institutionen hinausreichen.

Solch ein diakonisches Grundverständnis stellt nun keine völlig neue Erfindung dar. Allerdings muss man zugestehen, dass die von Theodor Strohm Ende der 1990er Jahre beschriebene Kultur organisierter Diakonie sich de fato erst allmählich durchsetzt. Und so haben Volker Herrmann und ich zehn Jahre nach Theodor Strohms Aufsatz „Wichern drei – auf dem Weg zu einer neuen Kultur des Sozialen“ (1998) in der diakoniewissenschaftlichen Literatur nach Ansätzen und Gedanken gesucht, die unserer Meinung nach genau die Essentials der Wichern drei-Idee beschreiben.

Hinzu kommt ein Weiteres: Wichern drei entspricht inhaltlich in weiten Teilen der Idee der Gemeinwesendiakonie. Der Diakonie-Text Handlungsoption Gemeinwesendiakonie bezieht sich dann auch explizit hierauf (S. 26). Mit dem Buch „Wichern drei – gemeinwesendiakonische Impulse“ möchten wir nun diese beiden Linien in Beziehung setzen. Wichern drei verstehen wir dabei als diakoniewissenschaftliche Programmatik, die Gemeinwesendiakonie als diakoniepolitische Strategie. Wer sich gerne einen Überblick über die verschiedenen Artikel verschaffen möchte, kann hier das Inhaltsverzeichnis einsehen.

Ambient Assisted Living

Zum ersten Mal habe ich vom „Ambient Assisted Living“ (AAL) in einem Vortrag von Hanns-Stephan Haas gehört. Ich hatte nur eine vage Ahnung, mit dem Begriff selbst konnte ich zunächst nichts anfangen. Später flatterte dann ein Verteilmagazin zum AAL über meinen Schreibtisch:

„AAL steht für Ambient Assisted Living. Das klingt abstrakt, meint aber etwas sehr Konkretes: den Einsatz intelligenter Technik, die das Leben einfacher, sicherer und gesünder macht – und die dazu beiträgt, dass Menschen so lange und so selbstbestimmt wie möglich in ihrem vertrauten zu Hause leben können, besonders, wenn sie bereits auf Unterstützung oder Pflege angewiesen sind. Schon heute gibt es eine wachsende Zahl überzeugender AAL-Anwendungen.“

AAL kann vor allem bei älteren Menschen und bei Menschen mit Behinderung zum Einsatz kommen. Wenn man sich die quantitativ beeindruckende Liste der AAL-Anbieter anschaut, die mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung kooperieren, stellt man schnell fest, wie groß dieses Segment wohl ist.

Hanns-Stephan Haas sieht für die Zukunft der sozialen Dienste einen Dreier-Mix aus bürgerschaftlichem Engagement, Profi-Diensten und Techniklösungen (eben AAL). Er spricht von einem „neuen Technik-Bürger-Profi Mix“:

„Wo immer technische Innovationen möglich sind, müssen sie in die Lebensgestaltung einbezogen werden. Die aal-Technologie wird weiter enorme Sprünge erleben und gerade auch in strukturschwachen Regionen einen wesentlichen Beitrag liefern. Haushaltsnahe Dienstleistungen müssen intelligent vernetzt und möglichst effizient gesteuert werden. Ein standardisiertes Casemanagement muss für bestimmte Lebenssituationen entwickelt und ortsnah vorgehalten werden. Ziel muss dabei die Stärkung, Aufrechterhaltung und der Wiedererwerb der Selbsthilfepotenziale sein. So weit möglich und in ganz anderem Maße als bisher müssen Assistenzbedarfe durch bürgerschaftliche Netzwerke abgedeckt werden. Bürgertelefone, Nachbarschaftsassistenz, niederschwellige pflegerische und Versorgungsdienstleistungen sind nicht nur ‚billige Substitute’ der an sich wünschenswerteren professionellen Dienstleistung, sondern die angemessene ortsnahe Assistenz, die die Einbindung in den eigenen Sozialraum stärkt und soziale Entwurzelungsprozesse verhindert“  (Hanns-Stephan Haas: Kirchengemeinden und diakonische Unternehmen als Player in einem inklusionsorientierten Sozialraum – Perspektiven eines neuen Miteinanders von Kirche und Diakonie, epd-Dokumentation 29/2010, S. 16).

Meine bisherigere Vermutung war ja immer, dass in der Diakonie high tech-Trends eher kritisch gesehen werden. Man will schließlich in erster Linie viel high touch anbieten – zumindest vom Anspruch her. Daher ist es interessant zu fragen, wie das Thema innerhalb der Diakonie aufgegriffen wird. Ganz genau kann ich diesen „Trend“ noch nicht einordnen: Einerseits bringt eine Suchabfrage auf der Seite diakonie.de ganze null Treffer. Andererseits sind einige diakonische und caritative Unternehmen längst dabei, AAL voranzutreiben. Siehe hier oder hier.

AAL berührt nicht nur technische Fragen (was ja auf der Hand liegt), sondern auch ethische Fragen (was hoffentlicht nicht ausgeblendet wird). Und darüber hinaus trifft es die Frage nach dem Selbstverständnis der Diakonie im Mark. Hanns-Stephan Haas sieht die Rolle der Diakonie vor allem in der eines Service-Intermediärs und eines Sozialraum-Enablers (S. 16). Das hat mit den traditionellen Hilfeverständnissen der organisierten Diakonie nun wirklich gar nichts mehr zu tun. Gerade das ist spannend. Ich will mir darüber keine vorschnellen Urteile erlauben – ahne aber, dass es genau die richtige Debatte ist.

Fachkarriere

Fast noch druckfrisch ist der neue Diakonie-Text zur Mitarbeitergewinnung in der Diakonie (Diakonie-Text 05/2010). Das Thema Mitarbeitergewinnung (und -pflege!) wird die Diakonie die nächsten Jahre vollauf beschäftigen. Denn die Belegschaft wird älter, die Anforderungen werden komplexer und genügend Fachkräfte zu finden, wird schwieriger. Das Papier listet gut sortiert elf personalpolitische Herausforderungen auf, samt Beispielen und weiterführenden Hinweisen (es ist eins der wenigen Papiere, bei denen ich selbst jede Fußnote gelesen habe). Deutlich wird in diesem Papier, dass der anstehende Fachkräftemangel der Diakonie wirklich Sorgen bereitet.

Im Bereich der for profit-Unternehmen wird seit einigen Jahren die so genannte „Fachkarriere“ diskutiert, um fachliche Experten ohne Führungsverantwortung das Gewicht zu geben, das ihnen gebührt. Neben der klassischen Führungskarriere soll also eine gleichwertige Fachkarriere möglich sein. Gleichwertig heißt: gleicher Status und gleiche Bezahlung wie bei den entsprechenden Führungspositionen. Guter Ansatz, wenn auch sicherlich mit einigen praktischen Problemen verbunden (siehe hierzu den Artikel „Der andere Weg nach oben“ in der managerSeminare Mai 2010; H. 146, S. 70-75). Auch wenn dieser Ansatz bei den Personalentwicklern nicht gerade das vorherrschende Top-Thema zu sein scheint, wird er zumindest diskutiert und hier und da erprobt.

Wie sieht es diesbezüglich in der Diakonie aus? Das Entscheidende in der Diakonie ist die Fachlichkeit der Mitarbeitenden. Wenn die Fachlichkeit nachlässt, geht es an die Substanz der Diakonie. Die Diakonie müsste daher ebenso Fachkarrieren ermöglichen. Gute Mitarbeiter müssen in der Hierarchie, im Status, in der Bezahlung und im Verantwortungsbereich genau wie Führungskräfte aufsteigen können, ohne automatisch Leitungspositionen einzunehmen.

Der Trend scheint in der Diakonie aber gerade gegenläufig zu sein. Die Diakonie setzt vor allem auf zwei Mitarbeiter- Gruppen: auf die billigen Basisarbeiter ohne Fachausbildung (nennen wir sie „Bibas“) und die „Potenzialträger“, die zu Führungskräften entwickelt werden sollen (Diakonie-Text 05/2010, S. 13). Aber nicht jeder Potenzialträger ist eine gute Führungskraft.

Was ist mit dem „Mittelfeld“ der sozialberuflichen Fachkräfte? Sie machen den Großteil der Mitarbeiter aus. Laut einer in dem Diakonie-Text zitierten Umfrage zur Personalentwicklung in der Diakonie aus dem Jahr 2006 zählen ca. Zweidrittel zu dieser Gruppe (64%; S. 8). Da kann nicht jeder Manager werden. Und irgendwer muss ja auch noch für die Fachlichkeit stehen. Die Mitarbeiter brauchen nicht in erster Linie Programme zur Burnoutvermeidung und Stressreduktion (S. 16) – diese Mitarbeiter brauchen Entwicklungsmöglichkeiten. Sie müssen mit ihrer Fachlichkeit auch etwas werden können. Fachlichkeit darf nicht die Sackgasse in der Diakonie sein.

Die Potenzialträger, aus denen Führungskräfte werden, haben in erster Linie den Auftrag, den Laden am Laufen zu halten. Das ist der Job von Sozialmanagern. Die Potenzialträger der Zweidrittel-Gruppe haben die Aufgabe, die Fachlichkeit mit Leben zu füllen – und vor allem weiter zu entwickeln. Dies muss stärker in den Mittelpunkt der Diskussion um die Mitarbeitergewinnung und -pflege. In dem Diakonie-Text schwingt dieser Gedanke durchgängig mit. Aber vielleicht könnte er noch etwas pointierter ausgeführt werden – vielleicht schon allein dadurch, dass man einen passenden Begriff auf die Tagesordnung setzt, der genau dies transportiert. Dazu eignet sich meines Erachtens eben die „Fachkarriere“.

Die „Diaconia“ erblickt das Licht der Welt

Die erste Ausgabe der wissenschaftlichen Zeitschrift Diaconia ist erschienen.

The ambition of the new journal is to contribute to new research and interpretations of Christian Social Practice with and among the marginalised. To hear, interpret and communicate the voices in the field and to analyze its social and political context there is both a need for a strong academic collaboration and a qualified discussion of methodology. The journal looks forward to have contributions elaborating such topics. Because of the complexity of the practice field, we are especially interested in interdisciplinary research. We also welcome contributions on biblical, ethical, dogmatic and contextual theologies, historical, social scientific and practical aspects of the diaconia and Christian social practice. The journal has the European origin but global interest to invite all interested parties to study the field. Studies in diaconia and Christian social practice are done in many countries within different kinds of institutions. We therefore think it is time to start and hope for a positive response both from research and from practice. Young scholars and doctoral students are invited to present their research. The new journal will be referee-based. We will accept traditional academic articles, but there will also be a section related to specific practice reports (S. 4).

Das klingt doch wirklich gut. Wissenschaftlicher Anspruch durch peer-review. Betonung der Interdisziplinarität. Internationalität (die gerade uns Deutschen sicherlich gut tun wird). Und eine Rubrik für „Essays and Reports from Practice“. Dazu heißt es:

This section aims to provide an opportunity to hear, interpret and  communicate the different new and emerging voices in the field of research on Christian social practice and to share fresh analysis of the social and political, cultural and religious context with a Diaconal perspective. The essays in this section should shortly put forward a particular viewpoint on a topic, make a creative proposal or share new insight. These contributions need not be fully formed as scientific articles and so will provide an opportunity for testing new approaches and sharing innovation at an early stage. The editorial team hope that this will be a lively space for the exchange of ideas and practice, so comment on previous contributions to this or other journal sections are also welcome. It is hoped that these different contributions will enable researchers to find new collaborators and build new research teams (S. 113).

Möge die neue Diaconia spannende und erkenntnisreiche Debatten auslösen! Die erste Ausgabe gibt es sogar als kostenloses PDF.

Wir können alles – sogar Jahresberichte!

Jahresberichte stellen meist keinen sonderlichen Lesegenuss dar. Sowohl das Schreiben als auch das Zur-Kenntnis-Nehmen von Jahresberichten gehört wohl eher in den Bereich der Pflichtaufgaben der Schreiber bzw. der Funktionäre und Fachjournalisten, die sich dafür beruflich interessieren müssen. Jahresberichte sind immer ein bisschen geschönt und ein bisschen langweilig. Wäre da nicht das Diakonische Werk Baden. Dort ist es gute Tradition, das Thema Jahresbericht ein wenig anders anzugehen. Etliche Jahre als „alternativer Jahresbericht“, nun unter dem Etikett „Diakonie Magazin“. Das Konzept geht so: Der Bericht wird zweigeteilt, Geschäftsbericht und Bilanzen werden in eine kleine A5-Beilage ausgelagert, dafür wird einem zentralen diakonischen Thema in der „Hauptpublikation“ breiter Raum gegeben. Dieses Jahr ist es das Thema zuhause sein (Heimat).

Die Texte sind interessant und ansprechend. Natürlich geht es auch hier darum, die Diakonie in ein gutes Licht zu rücken. Aber das Ganze ist so gut gemacht, dass ich nicht das Gefühl habe, in einer Dauerwerbesendung gelandet zu sein. Die Jahresberichte widmen sich immer einem zentralen diakonischen Thema. Dieses Mal halt „zuhause sein“ (Heimat), davor „Lebensräume“ (Wohnen/Zusammenleben) oder „Übermorgen“ (Vorstellungen, wie wir leben wollen). Die Themensetzung und -auswahl ist gelungen. Das Hauptthema wird in den einzelnen Artikeln entfaltet und die Texte bieten Neues und Anregendes. Und es gibt Artikel, die man nicht in einem Diakonie-Jahresbericht vermutet, die mutig sind. Eine Prostituierte, die mit der Diakonie zusammengerbeitet hat, beschreibt passend zum Thema, wie sie sich in ihrem Körper zuhause fühlt.

Der einzige Nachteil: Die Jahresberichte gibt es nicht im Abo.

Wirst du mich vermissen, wenn es mich nicht mehr gibt?

Die Frage nach der Unverwechselbarkeit der Diakonie geht mir immer wieder auf den Keks. Diese Frage führt zu nichts und die möglichen Antworten stellen in den seltesten Fällen einen Erkenntnisgewinn dar. Die Frage nach „dem Unverwechselbaren“ sollte ausgetauscht werden gegen eine andere Frage: „Wirst du mich vermissen, wenn es mich nicht mehr gibt?“

Was wäre zum Beispiel, wenn es diese eine bestimmte diakonische Einrichtung (die sich diese Frage stellt) nicht mehr geben würde? Würde etwas fehlen? Wenn diese Frage ehrlicher Weise mit „nein“ beantwortet werden muss, braucht man auch gar nicht weiter zu fragen – es kann dann gar nichts geben, was Unternehmensberater als „Alleinstellungsmerkmal“ bezeichnen.

Aber gehen wir mal davon aus, dass diese Frage mit „ja“ beantwortet wird. Dann ergeben sich zwei weitere Fragen: Wer würde etwas vermissen und was würde er/sie vermissen? Die Antwort hierauf wird wohl in den allerseltesten Fällen zu einem Katalog von Alleinstellungsmerkmalen führen, aber in den allermeisten Fällen zu verdammt guten Gründen, was diese Einrichtung ausmacht. Wäre das nicht ein wirklicher Erkenntnisgewinn?

Die Idee habe ich von hier via hier. Dort geht es zwar auch wieder um das unvermeintlich Unverwechselbare (das ich ja kritisch beurteile), aber die Frage finde ich wirklich gut!

Werbung und Kampagnen

Jeden Morgen geht’s mit dem ICE nach Hannover. Und fast jeden Morgen sehe ich eines dieser beiden Plakate.

Um mal ganz ehrlich zu sein: Ich möchte gar nicht so gern an die linke Dame denken. Nicht weil ich saure Drops nicht mag (und sie davon gleich mehrere im Mund hat), sondern weil ich einfach nicht gern an Leute denke, die mich mit einem Vorwurf garniert zum an sie denken auffordern.Und wie gehe ich mit dem Appell der rechten Dame um? So schnell geht das mit Freundschaften nicht. Während die erste Dame vorwurfsvoll dreinschaut, blickt mich die zweite devot an. Die Intention ist bei beiden Plakaten billig: Ich soll mich betroffen fühlen. Auch der Slogan „Menschlichkeit braucht Unterstützung“ ist weitestgehend gehaltfrei.

Ich will auf Plakaten nicht immer lustige Leute sehen und es müssen auch nicht immer positive Botschaften sein. Aber vielleicht ist das auch gar keine richtige Kampagne. Vielleicht ist das schlicht und einfach „Werbung“: „Die Diakonie kümmert sich um Alte und Behinderte – bitte spenden Sie hier: …“

Auch die Caritas hat Flächen im ICE gebucht. Einige Zeit vor den Diakonie-Plakaten entdeckte ich zwei Caritas-Kampagnen: Zuerst „achten statt ächten“, dann „Soziale Manieren“. Und jetzt habe ich gemerkt: Die Caritas macht Kampagnen (zu gesellschaftlichen Themen). Die Diakonie macht Werbung (für ihre Arbeitsbereiche).

edit 2011-11-27: Nach dem Relaunch der Caritas-Seiten Link aktualisiert…

Fragebogen

Ich weiß nicht, ob Max Frisch an diesem Fragebogen zur Diakonie seine Freude gehabt hätte. Aber ich habe immer wieder Freude an Max Frischs Fragebögen.

1. Für welches Problem ist Diakonie die Lösung?

2. Ist Dienen eine Tugend?

3. Von wem würden Sie sich selbst am liebsten helfen lassen?
a. Von einem sympathischen Buddhisten.
b. Von einem unsympathischen Christen.
c. Von einem unsympathischen Buddhisten.
d. Von einem sympathischen Christen.

4. Warum bereitet die vorherige Frage Unbehagen? Stichworte genügen.

5. Mit welcher Rolle aus dem Gleichnis vom Barmherzigen Samariter können Sie sich am ehesten identifizieren?
a. Mit dem Opfer.
b. Mit dem Priester.
c. Mit dem Leviten.
d. Mit dem Samariter.
e. Mit dem Esel.
f. Mit dem Wirt.
g. Ich habe Bibliodrama noch nie gemocht.

6. Wenn es in Ihrem Einflussbereich läge, würden Sie dafür sorgen, dass der Fußwaschung (Joh. 13) im Protestantismus der Rang eines Sakraments zugesprochen wird? Warum (nicht)? Stichworte genügen.

7. Die Mehrheit der Bevölkerung unterscheidet nicht zwischen Kirche und Diakonie. Beruhigt Sie das?

8. Die Mehrheit der Bevölkerung unterscheidet nicht zwischen evangelisch und katholisch. Beunruhigt Sie das?

9. Wer hat Ihrer Meinung nach am meisten zu einer Kultur des Helfens beigetragen?
a. Die Diakonie.
b. Die Bertelsmann-Stiftung.
c. Die Bundesregierung.

10. Diakonie ist der Ort, an dem
a. Nächstenliebe und Selbstliebe in einem angemessenen Verhältnis stehen.
b. Fürsorge und Assistenz in einem angemessenen Verhältnis stehen.
c. Gerechtigkeit und Liebe in einem angemessenen Verhältnis stehen.

11. Was ist das kleinere Übel?
a. Eine profilorientierte Diakonie.
b. Eine profitorientierte Diakonie.

12. Welches Phänomen ist Ihnen in diakonischen Einrichtungen am häufigsten begegnet?
a. Leid.
b. Mitleid.
c. Leidenschaft.

13. Sie möchten gerne Ihren Lebensabend in einem Altenheim der Diakonie verbringen. Leider ist gerade alles belegt. Was wäre Ihre zweite Wahl?
a. eine Einrichtung der Caritas.
b. eine anthroposophische Einrichtung.
c. eine kommunale Einrichtung.
d. eine kommerzielle Einrichtung.

(wird fortgesetzt…!)

Make Mantra!

Ich mag Leitbilder nicht. Und das ist fast noch untertrieben. Natürlich ist mir klar, dass Leitbilder bewusst normativ sind, dass sie eben nicht die Wirklichkeit beschreiben, sondern ein andere, eine gewünschte, eine zukünftige Wirklichkeit. Aber müssen deshalb Leitbilder und mission statements immer so schrecklich… leitbildhaft sein? Man merkt, dass Leitbildschöpfung in der Regel den Apologetikabteilungen der diakonischen Unternehmen entspringt.

Das Problem bei Leitbildern in der Diakonie ist, dass sie einerseits oft lasch formuliert sind, so dass jeder zustimmen kann – und damit ist jede scharfe Spitze abgebrochen, sie sind letztlich ein stumpfes Schwert. Hejo Manderscheid hat einmal gesagt, Leitbilder kranken daran, dass sie „hoffnungslos richtig“ seien. Und andererseits wirken sie oft überzogen, ohne Kontakt zur Realität des diakonischen Alltags. Der formulierte Anspruch ist kaum erfüllbar – aber die Mitarbeiter möchten ihn meist doch irgendwie erfüllen. Denn sie trifft ja genau diese Sehnsucht des Leitbildes. Gleichzeitig wird immer wieder erlebt, dass Leitbilder als Marketinginstrument, als Identifikationsinstrument oder als Belehrungsinstrument eingesetzt werden. Ich habe mich also entschlossen, nicht viel Leitbildern zu halten und fahre recht gut damit.

Vor einiger Zeit stieß ich nun auf ein Video von Guy Kawasaki. Guy Kawasaki war bei Apple chief evangelist, so eine Mischung aus Vordenker, Sprachrohr und Kommunikator. Guy Kawasaki hält einen ca. 40-minütigen Vortrag vor jungen Unternehmensgründern und gibt sein Erfahrungswissen in geballter Form wieder: Alles worauf man achten muss, wenn man unternehmerisch tätig sein will. Er verdichtet das Ganze zu 10 einfachen Regeln und powerpointet sich recht charmant durch die 40 Minuten.

An zweiter Stelle (ab 6’20) gibt es dann einen Hinweis, der etwas mit Leitbildern zu tun hat. Auch er scheint Leitbilder nicht zu mögen. Und einem Seelenverwandten hört man natürlich gerne zu. Kawasaki unterscheidet zwischen einem Slogan für die Kunden (also nach außen gerichtet) und einem Mantra für die Mitarbeiter (also nach innen gerichtet). „Make Mantra!“ ist seine Aufforderung. Erschaffe ein Mantra.

Ein Mantra? Ich weiß wohl, was ein Mantra ist, aber dieser Begriff an dieser Stelle? Gerade weil dieses Wort für uns im christlichen Bereich so exotisch erscheint, horche ich auf. Wobei natürlich erwähnt werden muss, dass auch das Christentum Mantren kennt und betet (das Herzensgebet ist nichts anderes als ein Mantra). Und genau das ist es: Mantren werden gebetet. Das Credo des Unternehmens muss ich – als Mitarbeiter, nicht als Kunde! – beten können. Mantren müssen benennen, warum ich dort arbeite. Für die Mitarbeiter muss etwas anderes gelten als für die Kunden. Und noch eins ist wichtig: Mantren sind kurz. Guy Kawasaki empfiehlt maximal drei bis vier Wörter. Besser finde ich jedoch folgende Regel: maximal sieben Silben.

Mir fallen sofort zwei „Mantren“ aus dem Bereich der Diakonie ein. Das klassischste aller Diakonie-Mantren ist natürlich die Kurzform des Löhe-Zitats: Mein Lohn ist, dass ich [dienen] darf (6 bzw. 8 Silben). Und dies wurde ja auch tatsächlich gebetsmühlenartig von Diakonissen in der Mutterhaustradition rezitiert. Theologisch finde ich es allerdings problematisch.

Das zweite Mantra, gewiss auch nicht unproblematisch: Stark für andere (5 Silben). Mit einem etwas anderen Akzent als stark für andere wäre das Mantra der französischen Diakonie zu nennen: Une minorité pour les autres (fast schon zu lang, 9 Silben).

Im Nachkriegsdeutschland entstand das Evangelische Hilfswerk, dessen Gründer und Kopf Eugen Gerstenmaier die programmatische Formel „Wichern zwei“ ausgerufen hat. Damit war die gestaltende Liebe im Gegensatz zu Wicherns rettender Liebe gemeint. Beide Formeln könnten durchaus mantrafähig sein.

Im Moment entdecke ich in der Diakonie eine Menge hoffnungslos richtiger Leitbilder. Wäre ein Mantra nicht einmal eine gute Alternative zu einem Leitbild? Könnte man den Grund, hier zu arbeiten, sprachlich zu einem Mantra verdichten? Wie könnte es lauten?

Siehe auch meinen Beitrag Profil-Bild zu diesem Thema.

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