Die Wirtschaft, dein Freund und Helfer

Einer der wichtigsten Akteure im Stadtteil ist die Wirtschaft: Handel, Dienstleistung, Gastronomie, Handwerk, Wohnungswirtschaft. Doch zwischen „der Zivilgesellschaft“ und „der Wirtschaft“ gibt es oft Berührungsängste. Um diese abzubauen hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Soziale Stadtentwicklung und Gemeinwesenarbeit (kurz BAG) Ende letzten Jahres zu einer Fachkonferenz eingeladen: Wirtschaft für das Gemeinwesen gewinnen.

Wie kann man nun Wirtschaft stärker als Partner für die soziale Stadtentwicklung gewinnen? Es geht dabei gerade nicht um pro bono-Aktionen oder um Charity der Wirtschaft für das Gemeinwesen. Es geht um wirtschaftiche und soziale Vorteile für Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Und dass das über eine lapidare Win-Win-Rhetorik hinausgeht, zeigt die Dokumentation dieser BAG-Tagung.

Neben vier Grundsatzreferaten werden acht Projekt dokumentiert (5 mit Soziale-Stadt-Förderung, 3 ohne), bei denen es gelungen ist, die Wirtschaft als Freund und Helfer in der Stadtentwicklung zu gewinnen. Besonders hilfreich ist die konzentrierte Zusammenfassung von Förderlichem und Hinderlichem. Natürlich wird betont, dass nicht alles „eins zu eins“ übertragbar ist, aber die komprimierten Impulse sind ausgesprochen anregend und führen dazu, bekannte Ideen zu erden und unbekannte Möglichkeiten zu entdecken. So erging es zumindest mir beim Lesen.

Abschließend werden drei Workshops dokumentiert, in denen die  Kooperation von Zivilgesellschaft mit drei besonderen Wirtschaftsakteuren herausgearbeitet werden: mit dem Handel, der Wohnungswirtschaft und den Sozialunternehmen.

Und natürlich gehört dieses fundierte Erfahungswissen ins Dossier Gemeinwesendiakonie.

Liebe deinen Nächsten wie dich selbst

Ab und an muss ich meine Diakonie-Materialsammlung durchsortieren, sonst wächst sie mir über den Kopf. Und beim Aufräumen bin ich nun auf dieses Schätzchen gestoßen:

Dazu lässt sich eine ganze Menge sagen. Vor allem natürlich zum Verhältnis von Selbst- und Nächstenliebe in der Diakonie. Aber das lass‘ ich mal lieber. Stattdessen ein schönes Zitat, das in diesem Zusammenhang noch eine ganz andere Facette hervorhebt:

„Diakonie entgrenzt das Näheverständnis, in dem sie jeden zum Nächsten erklärt, dem sie nahekommt“

Das Zitat ist von Joachim Weber, der kritisch anmerkt, dass das traditionelle Diakonieverständnis „Du-zentriert“ ist (Joachim Weber: Zwischen Diakoniekritik und kritischer Diakonie, DWI-INFO Sonderausgabe 12, Heidelberg 2010, 154-167; S. 165).

Nur eins noch: Das Poster ist aus dem Jahr 1998, dem Diakonie-Jubiläumsjahr. Ich weiß noch, dass ich vor einigen Jahren nachgeforscht habe, woher es eigentlich stammt. Das DW Westfalen und das DW-EKD haben mir beide versichert, dass es nicht aus ihrem Hause kommt.

In uns allen ist Diakonie

Beim Recherchieren im Netz bin ich über eben diesen Slogan gestolpert: In uns allen ist Diakonie. Dieser Satz kommt vielleicht unscheinbar daher, aber er hat es in sich.

Er gehört zur Jahreskampagne 2011/2012 der Diakonie Bayern. Der Hintergrund ist recht nüchtern: Es geht natürlich um den kommenden Fachkräftemangel, und hier setzt man mit der Aussage an, dass eben in jedem Diakonie ist. Ganz pragmatisch gedacht.

Aber das ist es nicht nur. Denn der Satz ist wirklich gut, ob nun mit oder ohne Fachkräftemangel. Mir gefällt die Aussage. Und sie ist im Bereich der Diakonie auch recht untypisch, denn in der Regel werden Botschaften zu Hilfefeldern oder Betroffenengruppen kundgetan. Hier wagt man sich mit dieser Aussage zu einer der Kernfragen diakonischer Identität vor.

Wo ist denn nun Diakonie? Wo entsteht Diakonie? In uns, sie steckt in uns drin. Sicherlich nicht nur, aber auch.

Es gibt eine Postkartenserie zu dieser Kampagne, die weitere Facetten von dem benennt, was in uns steckt: In uns allen ist – und dann folgen: Freude, Gerechtigkeit, Glaube, Hoffnung, Humor, Kreativität, Leidenschaft, Liebe, Mitgefühl, Mut, Nächstenliebe, Tatendrang, Vertrauen oder Zorn. Ist auch in uns allen drin, wie Diakonie. Oder andersrum formuliert: Diakonie ist vielleicht eben gerade dieses Gemisch in uns aus – zum Beispiel – Tatendrang, Zorn und Hoffnung.

Handbuch „Gemeinde & Diakonie“

Es ist ein Dauerbrenner in der Diakonie-Praxis und -Wissenschaft: Wie kann Diakonie in der Gemeinde erlebt und gestaltet werden? Wie kann das Zusammenspiel von Kirchengemeinden und Einrichtungsdiakonie verbessert oder überhaupt erst begonnen werden?

Hans Höroldt, Diakoniepfarrer in Leverkusen, und Volker König, verantwortlich für diakonisches Profil im Diakonie-Landesverband Rheinland-Westfalen-Lippe, haben zu diesem Thema ein Handbuch herausgegeben: Gemeinde & Diakonie: erleben – verstehen – gestalten. Knapp zwanzig Texte hält der anprechend gestaltete Band bereit, von biblischen Grundlagen über praktische Anknüpfungsmöglichkeiten im Gemeindealltag bis hin zu strategischen Überlegungen.

Einige inhaltliche Stichpunkte möchte ich kurz benennen: Die konkreten Gestaltungsmöglichkeiten setzen oft bei den Unterschiedlichkeiten von Kirchengemeinden und diakonischen Einrichtungen an, gerade dadurch können sich die jeweiligen Stärken entfalten. Auch stößt man in dem Handbuch immer wieder auf die Grundhaltung, dass Kirchengemeinden mit ihrem diakonischen Engagement nicht nur etwas für andere leisten, sondern auch für sich selbst: Das Erleben und das Gestalten von Diakonie bietet gute Ansatzmöglichkeiten für die Gemeindeentwicklung. Und schließlich zieht sich wie ein roter Faden der Gedanke durch die verschiedenen Texte des Handbuchs, dass Kirchengemeinden mit ihrem diakonischen Engagement ein Sozialraum-Akteur sind. Ihr Handeln bezieht sich damit auch immer auf den Ort, den Raum, das Viertel.

Das Handbuch richtet sich an Preysbyter und engagierte Gemeindemitglieder, wie auch an Mitarbeitende in den Einrichtungen der organisierten Diakonie. Das Buch ist theoretisch fundiert und hat gleichzeitig praktischen Nutzwert, ohne sich in der Beschreibung von Einzelprojekten zu verlieren. Begleitend zum Handbuch soll im Internet eine Material-Fundgrube aufgebaut werden, die die einzelnen Themen und Texte unterstützt (auf die drei Katgeorien erleben, verstehen und gestalten unter Bereichsmenü Dossiers klicken!).

Den Herausgebern ist ein fundiertes wie pragmatisches Handbuch gelungen, das man gern zur Hand nimmt. Das Handbuch kann beim Medienverband Rheinland bestellt werden – oder in jeder Buchhandlung. Es kostet 16,80€.

Die sieben Diakonien

Das Wort Diakonie gibt es natürlich nicht im Plural. Aber mit dieser nicht ganz korrekten Überschrift möchte ich auf die Vielfalt der unterschiedlichen Diakonie-Formen hinweisen. Diakonie ist eben nicht gleich Diakonie. Beispielsweise sind die Gemeinsamkeiten zwischen einer diakonisch orientierten Gemeinde und einem diakonischen Unternehmen recht gering. Beides ist aber Diakonie. Natürlich kann man einen gemeinsamen Nenner formulieren, die Frage ist nur, wie hilfreich dies für Diakoniewissenschaft wie -praxis ist. Die Gefahr liegt darin, dass entweder diesem gemeinsamen Nenner Gewalt angetan wird (um ihn überhaupt formulieren zu können) oder dass die Besonderheiten und Eigenarten der unterschiedlichen Diakonie-Typen vernachlässigt werden (zu Gunsten eines allgemeingültigen Diakonieverständnisses).

Bei der Frage nach dem diakonischen Selbstverständnis hat sich die folgende kleine Diakonie-Typologie als sehr hilfreich erwiesen, mit der ich in letzter Zeit oft gearbeitet habe. Sie ist rein beschreibender Natur, folgt also keinem normativen Ansatz, und ist leicht verständlich. Diese Typologie beschreibt die Organisationsformen, nicht die Aufgaben von Diakonie. All das, was als Diakonie bezeichnet wird, kann man einem der folgenden Akteurstypen zurechnen. Sicherlich kann man dies auch noch feiner unterteilen.

Diakonische Einrichtungen. Dies ist der Diakonietyp, der die öffentliche Wahrnehmung von Diakonie am stärksten prägt. Viele reichen geschichtlich bis in die Gründerzeit der Inneren Mission zurück. Einige entwickelten sich zu „diakonischen Anstalten“, die heute meist als Komplexeinrichtungen bezeichnet werden (es gibt meines Wissens mittlerweile keine diakonische Einrichtung mehr, die in ihrem Namen noch die Bezeichnung „Anstalt“ trägt). Neben den großen Komplexeinrichtungen gibt es eine Vielzahl von diakonischen (Einzel-)Einrichtungen, in der Regel sind sie als e.V., Stiftung oder GmbH organisiert.

Diakonische Gemeinden. Im Gegensatz zum Begriff „Gemeindediakonie“ (der eher normativ ist) wähle ich an dieser Stelle die Bezeichnung „diakonische Gemeinde“. Das diakonische Grundprogramm von Kirchengemeinden ist zwar sehr gering: Fürbitte („diakonisches Gebet“), Kollekte und (Pfarrer-)Diakoniekasse. Aber es gibt eine wachsende Anzahl diakonisch orientierter Gemeinden, die in ihrer ambitionierten Arbeit von den anderen Diakonieformen manchmal unterschätzt werden.

Regionale Diakonische Werke (DWs). Sie bilden die flächendeckende diakonische Grundstruktur. Kernbestandteil sind meist Beratungsstellen. Wesentlich für diesen Diakonie-Typ ist der kommunalpolitische Bezug und die Brückenfunktion zwischen den „organisiert diakonischen“ und „verfasst kirchlichen“ Systmen. Die regionalen Diakonischen Werke unterscheiden sich von Landeskirche zu Landeskirche zum Teil deutlich.

Diakonische Social Business-Organisationen. Zugegeben, der Begriff ist nicht schön, aber ich kenne derzeit keinen besseren. Hierbei handelt es sich um Einzelorganisationen, die von der Initiative von social entrepreneurs leben, also von Menschen mit „Macher-Qualitäten“, die ein soziales Problem mit unternehmerischen Mitteln angehen wollen. Es sind durch und durch unternehmerische Projekte, aber weniger im Sinne von „durchökonomisiert“, sondern im Sinne der eigentlichen Wortbedeutung: etwas unternehmen. Social Business-Organisationen  entwickeln sich oft in zwei Richtungen: Es werden neue Standorte eröffnet und sie vergrößern ihren politischen Einfluss. Sie bleiben dabei ihrem Schwerpunkt treu, etwickeln sich also nicht zu neuen Komplexeinrichtungen. Im freikirchlichen Bereich sind Social Business-Organisationen wesentlich verbreiteter, im „Mainline-Protestantismus“ in Deutschland ist man hier sehr zurückhaltend mit dieser Diakonieform. Meines Erachtens wird dieser Diakonie-Typ aber stark zunehmen, insofern wird sich irgendwann auch die Begriffsfrage klären. Und noch eine letzte Bemerkung: Die in der Gründerzeit der Inneren Mission entstandenen Anstalten und Werke haben aus heutiger Sicht als Social Business-Organisationen begonnen.

Diakonische Fachverbände. Auch Verbände zur politischen Einflussnahme und fachlichen Weiterentwicklung können als  eigenständige Diakonieform gelten. Das Besondere an dieser Diakonie-Form ist, dass sie selbst nicht Träger von konkreten diakonischen Dienstleistungen und Angeboten sind. Aber da die strukturelle Bekämpfung von Not und die Gestaltung von Strukturen durch politische Einflussnahme eine urdiakonische Aufgabe ist, ist das, was diese Verbände machen, selbst auch Diakonie.

Kommunitäre Basisgemeinschaften sind eine nicht zu vergessene Diakonieform. Hier sind es Einzelpersonen oder Familien, die nach alternativen Lebensentwürfen und Sozialformen suchen und sich gemeinschaftlich zusammenschließen. Auch viele Evangelische Kommunitäten haben ein starkes diakonisches Engagement.

Und schließlich stellen die Werke der diakonischen Entwicklungsarbeit eine eigenständige Diakonieform dar, wie Diakonie Katastrophenhilfe, Brot für die Welt, Hoffnung für Osteuropa oder Evangelischer Entwicklungsdienst.

Es gibt vielfache Überschneidungen. In manchen diakonisch engagierten Kirchengemeinden sind Beratungsstellen entstanden, die mittlerweile an die Ausmaße eines kleinen Diakonischen Werkes heranreichen. Einige Diakonische Werke entwickeln sich zu diakonischen Unternehmen und übernehmen auch deren Handlungslogik. Aus kommunitär geprägten Basisgemeinschaften entwickeln sich zum Teil Social Business-Organisationen. Und so weiter, und so weiter…

Die Unterscheidung dieser Typen und die Wertschätzung ihrer Unterschiede helfen falsche Erwartungen zu klären und Missverständnisse auszuräumen. Fragt man nach den Möglichkeiten und Grenzen dieser sieben Typen, sollten vor allem die unterschiedlichen Rollen, Motive und Handlungslogiken reflektiert werden. Anhand dieser Unterschiede werden dann auch die Schwierigkeiten zwischen den einzelnen Diakonieformen, die es zuweilen gibt, deutlich und verständlich. Das bedeutet aber auch, dass jede dieser Diakonieform ein eigenes Selbstverständnis hat. Denn es gibt eben nicht das diakonische Selbstverständnis, sondern ausschließlich kontextbezogene Diakonieverständnisse. Und diese können durchaus in Konkurrenz zu anderen Selbstverständnissen stehen.

UPDATE 2012-01-07: Ich habe in letzter Zeit an mehreren Stellen wieder mit dieser Typologie gearbeitet und merke immer mehr, dass tatsächlich eine Form fehlt – wie im Kommentar (s.u.) ja bereits angedeutet: Initiativen und Projektgruppen. Oft entstehen sie in Gemeinden (oder deren Umfeld), sind aber nicht mit diesen gleichzusetzen. Sie sind flüchtiger als die anderen Formen, aber ihre Stärke liegt darin, dass sie oft schneller und flexibler sind und vor allem monothematisch ausgerichtet sind (was sich ja auch gegenseitig bedingt). Umso länger ich darüber nachdenke, desto mehr frage ich mich, wie ich sie eigentlich vergessen konnte! Vielleicht lag es an der Siebenerzahl…

Diakonische Kompetenz

Oft ist in der Diakonie vom „diakonischen Handeln“ die Rede. Ich finde diesen Begriff missverständlich, weil er nämlich suggeriert, dass es neben sozialarbeiterischem, therapeutischem, pflegerischem oder pädagogischem Handeln auch ein spezifisches diakonisches Handeln gebe. Der Begriff „diakonische Kompetenz“ trifft es in meinen Augen viel besser. In dem Artikel „Was ist diakonische Kompetenz?“ habe ich meine Überlegungen zusammengefasst.

„Kompetenz meint die Fähigkeit, sich in offenen und dynamischen Situationen selbstorganisiert zurechtzufinden (Erpenbeck/von Rosenstiel). Diakonische Kompetenz bedeutet demnach, mündig und fundiert Diakonie zu gestalten und beizutragen, sie zu ermöglichen. Diakonische Kompetenz setzt beim Kern des Diakonischen an. Sie beschreibt den „Tiefengrund“ von Werten, Motivationen, Wissen und Fertigkeiten des Tätigseins in der Diakonie – und zwar grundsätzlich, also „fachlichkeitsübergreifend“. Die unterschiedlichen diakonierelevanten Fachlichkeiten stellen daher keine Alternative zur diakonischen Kompetenz dar, im Gegenteil: die Handelnden können ihr berufliches Handeln auf der Grundlage diakonischer Kompetenz ausüben.“ (Martin Horstmann: „Was ist diakonische Kompetenz?“ Ein Beitrag zu einem hoffentlich nützlichen Konstrukt, 2011, S. 5).

Kurz ein paar Eckpunkte, die mir wichtig sind:

  • Diakonische Kompetenz meint also nicht kon­krete liturgische, homiletische oder katechetische Tätigkeiten (wie Rituale gestal­ten, Andachten halten oder Glaubensinhalte kommunizieren), denn diese wären eben Bestandteil liturgischer, homiletischer oder katechetischer Kompetenz.
  • Diakonische Kompetenz leistet die Anschlussfähigkeit an sozialberufliche Diskurse. Sie kann sich auf die unterschiedlichen Verständnisse von Professionalität und Fachlichkeit beziehen, in erster Linie natürlich auf die ver­schiedenen Sozialberufe, letztlich aber auch darüber hinaus.
  • Diakonische Kompetenz stellt die Verbindung zwischen dem inhaltlichen Gehalt des Diakonischen und dem Handeln der diakonisch Tätigen her. Dadurch besteht die Chan­ce, dass die eher diffusen Beschreibungsversuche eines „diakonischen Profils“ überwunden werden können.

Die Aufgabe eines diakonischen Kompetenzmodells besteht also darin, zwischen dem in­haltlichen Gehalt des Diakonischen und dem konkreten Tätigsein im diakonischen All­tag zu vermitteln. Gleichzeitig soll diakonische Kompetenz eine Brücke schlagen zwischen individuellem Wissen, Können und Haltung des Diakoniemitarbeiters auf der einen Seite und den organisationalen Anforderungen diakonischer Einrichtungen auf der anderen Seite. Diakonische Kompetenz bezieht sich auf die grund­legende Struktur des Diakonischen und lässt sich eben nicht über einzelne „oberflächliche“ Profilelemente bestimmen.

Mögen diese konzeptionellen Überlegungen hilfreich sein. Vor zwei Jahren hatte ich eine erste Skizze zur diakonischen Kompetenz vorgelegt (Martin Horstmann: Diakonische Kompetenz, in: Volker Herrmann (Hg.): Soziales Leben gestalten. DWI-Jahrbuch 40, Heidelberg 2009, 245-261). Im Zuge meiner Dissertation habe ich nun einige Aspekte präzisiert. Das Modell hat sich nicht verändert, nur benenne ich jetzt keine konkreten Kompetenzelemente, sondern beschreibe einen Ansatz, wie man zu eben solchen Einzelkompetenzen gelangt.

Kampagnen- und Teilhabefähigkeit

Die Caritas haut eine geniale Kampagne nach der anderen raus, Respekt! Seit Jahresanfang läuft nun mit „Kein Mensch ist perfekt“ die dritte Caritas-Kampagne der Teilhabeinitiative.

Der Deutsche Caritasverband (DCV) widmet sich von 2009 bis 2011 verstärkt dem Thema Teilhabe-Gerechtigkeit. Dazu gibt es drei Jahreskampagnen: Menschen am Rande (2009), Menschen im Alter (2010) und Menschen mit Behinderungen (2011). Aber anstatt nun betroffenheitsheischend die Benachteiligungen in den Vordergrund zu rücken, werden Teilhabemöglichkeiten und -schwierigkeiten zum Thema gemacht. Es geht dann nicht mehr um Obdachlose, sondern um die „sozialen Manieren“ in der Gesellschaft. Es geht dann nicht mehr um alte Menschen, sondern um die „Experten fürs Leben“. Es geht nicht mehr um behinderte Menschen, sondern um die Frage nach einem perfekten Leben.

Die Kampagnen wollen natürlich in die Gesellschaft hinein wirken, aber auch in die eigenen Einrichtungen:

„Die Caritas möchte sowohl die Öffentlichkeit als auch den eigenen Verband für das Teilhabe-Thema gewinnen. […] Es gilt, Teilhabe als strategisches Ziel in allen Einrichtungen und Diensten der Caritas zu verankern – und sie auf vielfältige Art zu verwirklichen.“

Und damit überwindet die Caritas den bei Wohlfahrtsverbänden oft zu hörenden Doppelansatz von „individueller Notlinderung“ und „struktureller Notbekämpfung“, von „Therapie“ und „Politik“, von Verhaltensänderung auf der einen und Verhältnisänderung auf der anderen Seite. Es kommt nämlich eine dritte Dimension hinzu: die Änderung der eigenen Organisationen. Um Teilhabe-Förderer zu werden, müssen sich die Wohlfahrtsorganisationen selbst verändern, sie müssen sich zu Teilhabe-Agenturen entwickeln.

Dazu gehört es bei der Caritas, jede Kampagne mit einem eigenen Blog zu unterstützen. Einfach mal ein bisschen Zeit nehmen und zum Beispiel hier stöbern. Gut, dass es sie gibt, die Caritas.

edit 2011-11-27: Nach dem Relaunch der Caritas-Seiten habe ich die Links wieder aktualisiert…

Gemeinsam für den Stadtteil

Ich bin von Udo Schmälzle auf eine Studie aus NRW aufmerksam gemacht worden, die für die Gemeinwesendiakonie eine Menge brauchbares Erfahrungswissen bereithält: „Gemeinsam für den Stadtteil – Kooperationen von Freier Wohlfahrtspflege und Kommunen zur Stabilisierung benachteiligter Quartiere“ (2004). Die Studie bietet gutes und reichhaltiges Material, auf das die Akteure in der Gemeinwesendiakonie unbedingt einen Blick werfen sollten. Ich habe sie ins Dossier Gemeinwesendiakonie mit aufgenommen.

In der Studie geht es um „Stadtteilprävention“, das meint „einen sozialräumlichen Arbeitsansatz mit dem Ziel, sozialen Entmischungstendenzen in Stadtteilen und der Entstehung benachteiligter Quartiere entgegenzuwirken“ (S. 183). Mehrere Ansätze werden in der Studie näher beschrieben (S. 145-150; 155-156; 190-192):

  • Erhalt und Ausbau von preisgünstigen Wohnungen im Stadtgebiet
  • Verhinderung von Anreizen für den Wegzug einkommensstärkerer und statushöherer Haushalte
  • Verhinderung der konzentrierten Zuweisung von benachteiligten Haushalten
  • Abbau räumlicher Disparitäten zwischen einzelnen Stadtteilen
  • Verbesserung der ökonomischen bzw. materiellen Situation der Bewohner/innen
  • Verbesserung der sozialen Lage der Quartiersbevölkerung
  • Förderung der Partizipation und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
  • Verbesserung der Wohnraumversorgung und Wohnungsnotfallprävention
  • Sensibilisierung von Akteuren aus der sozialen Arbeit und Stadtteilbewohner
  • Aktivierung der relevanten Akteure im Stadtteil

Das alles ist nicht deckungsgleich mit der Gemeinwesendiakonie, aber es gibt viele Schnittmengen und Berührungspunkte.

Auch solche Kleinigkeiten wie die Arbeitsblätter (Kapitel 9.7) gefallen mir, z.B. ein Bogen zur Erfassung der vier verschiedenen Haupttätigkeiten: Einzelfallhilfe, Vernetzung auf Bewohnerebene im Stadtteil, Vernetzung auf institutioneller Ebene im Stadtteil und interne Strukturarbeit. Schlicht und einfach, aber gut (S. 197).

Abschließend noch ein Hinweis aus der Studie, der für Kirche und Diakonie interessant sein dürfte: „Zumindest die kirchlichen Wohlfahrtsverbände haben mit ihren ortsansässigen Gemeinden ein theoretisches Potenzial für ein dauerhaftes Engagement; das Engagement der Gemeinden könnte als dauerhafte ‚selbsttragende Strukturen‘ begriffen werden“ (S. 144). Dies entspricht ja genau meinem Hinweis zur Präsenz im Stadtteil (kritisch dazu siehe S. 186!).

Mahlzeit!

Es gibt immer wieder gute Projekte, bei denen man gar nicht so genau sagen kann, ob es sich um „kirchliche“ oder „diakonische“ Ansätze handelt (wobei natürlich diese Unterscheidung selbst schon fraglich ist). Zum Beispiel Ansätze, die an die Wurzeln urchristlicher Mahltraditionen anschließen und gleichzeitig „seelsorgerliche, diakonische und liturgische Dimensionen“ eröffnen (S. 2).

Es geht also ums Essen. Die Zeitschrift Für den Gottesdienst beschreibt drei solcher Projekte.Und da diese Zeitschrift im Bereich der Diakonie wohl eher weniger gelesen wird, möchte ich hier auf diese Mahl-Ausgabe hinweisen. Drei Mahlprojekte werden vorgestellt – eine Mittagstafel, eine Vesperkirche und ein Tischabendmahl –, die in unterschiedlicher Weise das gemeinsame Essen im Kirchenraum in den Mittelpunkt stellen. Es handelt sich um folgende Projekte:

  • die monatliche Mittagstafel „Leib und Seele“, Hannover Gethsemanekirche (S. 26-31),
  • die Vesperkirche in Wasseralfingen (Württemberg) (S. 32-36),
  • das Tischabendmahl am Gründonnerstag, Michaeliskirche Hildesheim (S. 37-42).

Dreierlei macht diese Ausgabe für diakonisch Interessierte interessant: Zunächst einmal die Auswahl von drei ganz unterschiedlichen Mahl-Ideen. Dann die ausführliche Darstellung dieser drei Projekte, mitsamt detaillierten Ablaufplänen. Und schließlich werden in dem ganzen Erfahrungswissen deutlich diakonische Dimensionen reflektiert. Hier nur einige Beispiele:

Zum Beispiel der Versuch, Bedürftigkeit nicht erkennbar werden zu lassen:

„Ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Multiplikatoren und verkaufen Essensbons in der Nachbarschaft, in ihrer Straße. Darüber hinaus ist ein Kontingent für spontan entschlossene Menschen eigeplant. Bedürftige Menschen haben über die Diakonin im Vorfeld die Möglichkeit, einen kostenlosen Gutschein zu erhalten. So ist für Außenstehende nicht erkennbar, welcher Gast kostenlos am Mittagstisch teilnimmt. Etwa ein Drittel aller Gäste nehmen diese diakonischen Essensgutscheine in Anspruch“ (Hannover Gethsemane, S. 27).

Oder der Gedanke, dass es nicht darum geht, Arme zu nähren, sondern Würde:

„Die Vesperkirche ist keine Armenspeisung, vielmehr eine zeichenhafte Aktion für die Würde aller Menschen. Wohltätigkeit von oben herab ist nicht die Sache Jesu und wird auch der Würde des Menschen nicht wirklich gerecht“ (Vesperkirche Wasseralfingen, S. 34).

Und natürlich auch die Verbindung von liturgischer und nährender Funktion des Essens:

„Wir können davon ausgehen, dass in den frühchristlichen Gemeinden das rituelle Abendmahl selbstverständlich mit einem gemeinsamen Essen verbunden war. Das wollen wir heute erlebbar machen und damit das Abendmahl stärker hereinholen in die einfachen Vollzüge unseres Lebens, Essen und Trinken. Nach dem Teilen des Brotes werden wir wirklich essen und trinken, bevor wir den Wein teilen“ (Michaeliskirche Hildesheim, S. 41).

Es gibt viele solcher diakonischen Dimensionen in den Texten zu entdecken. Eine gelungene Zusammenstellung.

Das Heft 71 der Zeitschrift Für den Gottesdienst kann hier bestellt werden.

Symbolfotos

Symbolfotos nennt man im print- und online-Journalismus Fotos, die einen Beitrag visuell unterstützen sollen, ohne dass das Foto direkt aus dem Zusammenhang des Beitrags stammt. Gut gewählte Symbolfotos sind ein wunderbarer Anker beim Lesen (und Wiederfinden) des Beitrags. Und es gibt immer wieder richtig skurile Symbolfotos. Dazu hat der Medienjournalist Stefan Niggemeier in seinem Blog eine wunderbare Sammlung angelegt.

Nun habe ich auf der Seite kirchenfinanzen.de ein schönes Foto entdeckt. Das Bild zeigt eine Reihe Diakonissen am Bahnsteig in Neuendettelsau. Mir ist es in der Diakonie schon häufiger begegnet und ich muss bei dem Foto immer wieder schmunzeln. Auf der betreffenden Seite wird es nun als Symbolfoto für „die Diakonie“ benutzt. Das Foto ist ausdrucksstark, der visuelle Anker ist deutlich. Doch genau das ist auch problematisch. Denn so sympathisch mir dieses Bild ist, und so naheliegend auch die Verknüpfung „Diakonissen“ und „Diakonie“ ist, als Symbolfoto für „Diakonie“ finde ich es unpassend.

Natürlich, Diakonissen gehören zur Diakonie. Zu Kaisers Zeiten haben sie die Diakonie nicht nur stark geprägt, sie waren die Diakonie. Und auch in der ersten Hälfte der Bonner Republik waren sie noch stilbildend für die diakonische Kultur. Nur: Das ist lange her. Die Gleichung Diakonie = Diakonissen stimmt nicht mehr. Schon lange nicht mehr. Die Handlungslogiken, die Rahmenbedingungen, die Fachlichkeiten, die Motive zur Mitarbeit, die Beschäftigten, das Diakoniemanagement, die Aufgaben der gegenwärtigen Diakonie sind mittlerweile so grundverschieden von der Tradition der Mutterhaus-Diakonie, dass ich die transportierte Ineinssetzung von Diakonissen und Diakonie problematisch finde.

Die Schwierigkeit liegt darin, dass Bilder von den Tätigkeiten in der Diakonie (erziehen, pflegen, beraten,…) eben so gut auf die Arbeiterwohlfahrt, das Rote Kreuz oder einen kommerziellen Anbieter hindeuten können. Also greift man auf eindeutig Erkennbares zurück. Und etwas Erkennbareres als Diakonissen wird man wohl kaum finden. Aber diese Erkennbarkeit steht mittlerweile nur noch für die Diakonissen selbst, nicht mehr für die Diakonie.

Es geht mir nun nicht um die besagte Internetseite, die dieses Foto als Symbolisierung für „die Diakonie“ nutzt (die Seite ist übrigens einen Besuch wert!). Es geht mir hier um die grundsätzliche Schwierigkeit, dass „die Diakonie“ so schlecht mit Symbolfotos zu packen ist. Auf welche Ideen kommt man sonst so? Pro Diako nutzt hauptsächlich Naturaufnahmen. Das Diakonische Werk der EKD verwendet gerne Aufnahmen des Dienstsitzes in Berlin-Dahlem. Und viele diakonische Einrichtungen greifen auf eigene Bilder aus den einzelnen Arbeitsbereichen zurück (wenn die Persönlichkeitsrechte der Abgebildeten geklärt sind).

Wirkungsdimensionen

„Entscheidend ist, was hinten rauskommt“, hat mal ein deutscher Kanzler gesagt. Durchaus richtig (auch wenn ich dem Urheber dieses Zitats ansonsten wenig abgewinnen kann). Soziale Arbeit und Diakonie haben sich lange Zeit recht schwer damit getan, die Frage nach ihrer Wirkung ernsthaft zuzulassen. Nach dem zu fragen, was tatsächlich dabei herauskommt, war verpönt und rückte einen sogleich in die Schmuddelecke des Verwertbarkeits- und Funktionalitätsdenkens. Man sprach dem Prozess höhere Bedeutung zu als dem Ergebnis.

Nun ist man mittlerweile der Frage nach den Wirkungen der eigenen Maßnahmen wesentlich aufgeschlossener. Nach wie vor ist es aber eine heikle Frage, denn sie ist schwierig zu handhaben. Zum Beispiel: Wer beurteilt eigentlich die Wirkung? Und etwas deutlicher: Wer hat die Definitionsmacht, wenn sich Wirkungsurteile widersprechen? Oder: Wo sollen sich die Wirkungen überhaupt einstellen und an welchen Stellen wird nach den möglichen Wirkungen gesucht?

In der Zeitschrift SOZIALwirtschaft (5/2009, S. 6-8) habe ich einen Artikel von Bernd Halfar entdeckt, der für mich einiges Licht in das Dunkel der Wirkungssuche gebracht hat. Halfar bezieht sich auf ein Modell der International Group of Controlling und unterscheidet neben der klassischen Ergebnisgröße des output drei weiter Dimensionen, die sich auf die Wirkungen beziehen: effect, impact und outcome:

  • „Output: quantitative Leistungsmenge, die letztlich die Basis für qualitative Wirkungseffekte (Impact, Outcome, Effect) darstellt. Der Output ist das mengenmäßige Produktionsergebnis der Non-Profit-Organisation.“
  • „Effect: unmittelbare, objektiv ersichtliche und nachweisbare Wirkung (objektive Effektivität) für einzelne Stakeholder.“
  • „Impact: subjektiv erlebte Wirkung des Leistungsempfängers oder der Stakeholder (subjektive Effektivität).“
  • „Outcome: gesellschaftliche Wirkungen und Nutzen (objektive kollektive Effektivität).“ (alle Zitate S. 8).

Outputs sind die konkreten Leistungen des Anbieters, effects sind alle sich dadurch unmittelbar ergebenden Effekte, impacts sind die subjektiv erlebten Auswirkungen und der outcome ist der gesellschaftliche Nutzen.

Wer diese Begriffe mal googlet oder bingt, wird schnell merken, dass es keine einheitliche Definitionen gibt. Mal erscheint der eine Begriff als Oberbegriff der anderen, oft werden auch impact und outcome anders verwendet als es Halfar tut, usw… Wie dem auch sei, die Unterscheidung der vier Dimensionen in dieser Weise scheint mir doch sehr sinnvoll und nützlich zu sein.

Nun stellt sich natürlich die spannende Frage: wie messen? Das Repertoire ist groß: Klienten-Feedback, Expertenbefragungen, standardisierte Berichtssysteme, Katamnesen, Panel-Befragungen, Befragungen mit Kontrollgruppen usw. usw. Das alles ist nicht gerade unaufwendig. Aber die Unterscheidung der genannten Wirkungsdimensionen hat nicht erst dann einen Wert, wenn sie mit „harten Fakten“ unterlegt wird. Neben empirisch-evaluativen Untersuchungen haben auch rein konzeptionelle Überlegungen ihren Wert: Was wollen wir eigentlich mit wem auf welcher Ebene an Wirkung erzielen? Auch dafür ist die analytische Unterscheidung dieser Dimensionen hilfreich.

Dazu abschließend ein Gedanke aus dem Blog von Sean Stannard-Stockton: „I also like the phrase “It’s better to be vaguely right than precisely wrong” in this context; which means it’s better to have a proper attempt to measure the difficult, softer, intangible stuff (and be transparent about how you’ve gone about it), than ignore it altogether and be “correct”.“

Ein wirksames und wirkungsvolles Frohes Neues Jahr!

Was ist Diakonie? (#1)

Diakonie ist nicht einfach „helfen“ (wenngleich Diakonie natürlich eine Menge mit Helfen zu tun hat), Diakonie ist nicht einfach „Sozialarbeit in kirchlicher Trägerschaft“ (wenngleich sich Diakonie natürlich sehr häufig in dieser Form manifestiert). Aber was ist denn nun Diakonie? Ich beginne hiermit eine Serie an Beiträgen, in denen diese Frage immer wieder gestellt und immer wieder neu beantwortet wird.

Wenn man Diakonie mit theologischen Größen „zu packen kriegen“ will, werden meist Nächstenliebe und Dienst (bzw. Dienen) als erstes genannt. Beides ist nicht falsch – Diakonie ist Dienst am Nächsten – aber erklärt das wirklich etwas? Es braucht meines Erachtens andere theologische Begriffe, um zu beschreiben, was Diakonie meint. Begriffe, die sowohl eingängiger als auch sperriger sind als Nächstenliebe. Begriffe, die besser zum tieferen Kern des Diakoniegeschehens vordringen können.

Hier ein Vorschlag: Diakonie ist Versöhnung, Verwandlung, Bevollmächtigung. Alle drei Begriffe sind Prozess-Begriffe. Und das passt, denn Diakonie ist viel mehr ein Geschehen als ein Ergebnis oder eine konkrete Tat. Diakonie ist die Art von Geschehen, in dem Versöhnung geschieht, in dem sich Wandel vollzieht, in dem Menschen bevollmächtig werden.

Verwandlung, Versöhnung, Bevollmächtigung – dies ist der Untertitel einer aktuellen Diakonie-Publikation des Lutherischen Weltbundes (LWB). Und diese drei Begriffe beschreiben eben genau das, was Diakonie meint:

„Als integraler Teil der Mission der Kirche sind diese drei Dimensionen folglich auch Schlüsselbegriffe für die Diakonie: sie sind grundlegende Wegweiser für die diakonische Arbeit. Gleichzeitig sind Verwandlung, Versöhnung und Bevollmächtigung Indikatoren dafür, wie die Arbeit geleistet wird und an welchen Werten sie sich orientiert (…) Wir müssen alle verwandelt, versöhnt und bevollmächtigt werden. Aus diesem Grund benötigen wir alle Diakonie; zuerst Gottes Diakonie, wie sie in Jesus Christus offenbart wurde, und dann auch Diakonie im Sinne der gegenseitigen Fürsorge und Weggemeinschaft“ (S. 43; S. 44).

Die Reflexionen zu diesen drei theologischen Größen sind lesenswert, genau wie die ganze Publikation. „Diakonie im Kontext – Verwandlung, Versöhnung, Bevollmächtigung“ ist der komplette Titel. Er spielt auf eine einige Jahre zuvor erschienene LWB-Publikation an: Mission im Kontext (2005), mit eben demselben Untertitel. Der Text hat mich aufgrund seines grundlegenden Charakters immer wieder an die Diakonie-Denkschrift Herz und Mund und Tat und Leben (1998) der EKD erinnert. Allerdings wurde mir durch diese Lektüre deutlich, an welchen Stellen die Denkschrift begrenzt ist. Denn dort wird Diakonie in erster Linie als organisierte Diakonie verstanden und über die verschiedenen Arbeitsfelder beschrieben. Das LWB-Papier geht von den ökumenischen Kontexten aus (dadurch ist nicht alles auf die deutsche Situation übertragbar) und versucht wesentlich stärker mit theologischen Reflexionen die diakonische Identität zu beschreiben.

Was ist Diakonie? Diakonie ist ein versöhnendes, verwandelndes und bevollmächtigendes Geschehen.

Frohe Weihnachten!

Auf den Seite des LWB ist der Text leider nicht zu finden. Er kann für 4€ bestellt werden beim Deutschen Nationalkomitee des LWB.

UPDATE 2015-02-13: Die Publikation ist mittlerweile als PDF frei erhältlich. (Danke, Thomas!)

UPDATE 2011-12-18: Ich sehe jetzt (erst), dass es die Publiaktion als PDF gibt (auf englisch)!

Diakoniekirchen in Deutschland

Neben den vielen diakonischen Gemeinden – Kirchengemeinden, die sich eine diakonische Grundausrichtung geben – gibt es mittlerweile einzelne Kirchen(gebäude), die als Diakoniekirchen profiliert werden. Dies ist natürlich oft eng an die Gemeinden gebunden, aber die Idee der Diakoniekirchen setzt in erster Linien bei den Gebäuden an. Diakoniekirchen erfüllen meist folgende vier Kriterien:

  • Bezeichnung: es wird explizit die Bezeichnung „Diakoniekirche“ gewählt,
  • Kirchengebäude: Diakoniekirchen weisen ein besonderes Architekturkonzept auf,
  • Angebote: diakonische Angebote werden unmittelbar in die Kirche integriert,
  • Bezug zu diakonischen Trägern: Diakonische Werke oder Einrichtungen des Ortes nutzen die Kirche für Gottesdienste und Veranstaltungen (z.B. Einführungsgottesdienste für neue Mitarbeiter).

Hier einmal eine Liste aller mir bekannten Diakoniekirchen (in alphabetischer Reihenfolge):

Düsseldorf: Diakoniekirche Bergerkirche. Mehr Hintergründe hier (update 2011-11-24)

Frankfurt: Weißfrauen Diakoniekirche Frankfurt

Heidelberg: Evangelische Kappelengemeinde – Diakoniekirche

Mannheim: DiakoniePunkt Luther. Mehr Hintergründe hier, hier und hier.

Offenbach: Diakoniekirche Schlosskirche Offenbach

Wuppertal: Diakoniekirche Wuppertal. Mehr Hintergründe hier.

Ich freue mich über Hinweise auf weitere Diakoniekirchen!

Lokale Ökonomie

„Local work for local people using local resources“ (James Robertson).

So kann man das Schlagwort „lokale Ökonomie“ wohl am prägnantesten zusammenfassen. Lokale Ökonomie ist ein Samelbegriff für unterschiedliche Ansätze wie Soziale Ökonomie, Nachbarschaftsökonomie, solidarische Ökonomie oder Gemeinwesenökonomie. Lokale Ökonomie will die lokalen Wirtschaftskreisläufe stärken, neue Arbeitsmöglichkeiten im Gemeinwesen schaffen und die Versorgung mit den Dingen des täglichen Bedarfs im Stadtviertel verbessern. Das Ganze soll gelingen, indem die Potenziale innerhalb des Gemeinwesens mobilisiert werden – also Vorrang der endogenen vor den exogenen Ressourcen. Genutzt werden insbesondere die „brachliegenden Fähigkeiten und Kenntnisse in der Bevölkerung – nicht zuletzt unter den Arbeitslosen oder aus sonstigen Gründen für überflüssig Erklärten“ (Karl Birkhölzer).

„Der Begriff Lokale Ökonomie ist die Übersetzung des englischen „local economy“ und meint zunächst die Gesamtheit ökonomischen Handelns innerhalb eines geographisch begrenzten Gebiets oder einer Gebietskörperschaft, wie z.B. Städte, Stadtbezirke, Gemeinden. „Lokal“ (lat. locus = Ort) betont in diesem Zusammenhang die Handlung vor Ort, wobei der Ort als Wirtschaftseinheit, als Reproduktionsmöglichkeit und als Ort der Existenzsicherung gesehen wird. Das Gemeinwesen, also ein überschaubarer Raum mit historisch gewachsener Struktur und kultureller Identität , wird nicht als beliebiger Standort gesehen. Das Gemeinwesen ist die „Keimzelle“ einer alternativen Wirtschaftsform im Sinne der Lokalen Ökonomie“ (Judith Knabe).

Eine allgemeine Definition gibt es bisher nicht. Die Diskussion begann in den 1980er Jahren in Großbritannien „und zwar im Zusammenhang der Entwicklung eigenständiger wirtschaftspolitischer Strategien auf kommunaler Ebene („local economic strategies“), getragen von den Stadträten („Metropolitan Councils“) englischer Großstädte (Greater London, Manchester, Merseyside, South and West Yorkshire, West Midlands) als Reaktion auf die zunehmende Arbeitslosigkeit, Verarmung und den Verfall der Innenstädte im Gefolge einer extrem neoliberalen bzw. marktradikalen Wirtschaftspolitik der Thatcher-Ära“ (Karl Birkhölzer). In Deutschland setzte die Diskussion erst später ein, gewinnt aber zunehmend an Fahrt. „Lokale Ökonomie“ erfährt nicht nur in den Ansätzen zur „Sozialen Stadt“ Beachtung, sondern auch grundsätzlich in der Sozialen Arbeit.

Die Redaktion der Internetseite stadtteilarbeit.de hat ihr Material rund um das Thema „lokale Ökonomie“ nun unter einer eigenen Domain zusammengestellt: lokale-oekonomie.de. Die Seite ist absolut empfehlenswert, die Artikel und Materialen sind interessant, instruktiv und inspirierend. Lokale Ökonomie kann der Gemeinwesendiakonie und dem Community Organizing noch einmal neue und kräftige Impulse geben. Besonders spannend finde ich die Verbindung von bürgerschaftlichem und unternehmerischem Handeln. Nun kann man sagen: „Alles nichts Neues, kennen wir doch schon“. Ja, viele Einzelaspekte sind sicherlich nicht neu. Aber manchmal bietet ein Begriff eine neue Blickrichtung. Und mit dieser „lokalen Ökonomie“ lassen sich viele Entdeckungen machen. Allein die Dursicht der verschiedenen Traditionsströme lokaler Ökonomien ist bereits äußerst anregend. Da geht noch was.

unverwechselbar, erkennbar, unterscheidbar

In der Diakonie wird gern die eigene Unverwechselbarkeit kundgetan. Aber sind die Dienstleistungen der organisierten Diakonie wirklich „unverwechselbar“? Verfügt die Diakonie tatsächlich über ein Alleinstellungsmerkmal?

Es gibt natürlich Alleinstellungsmerkmale bei diakonischen Diensten und Einrichtungen. In manchen Städten gibt es zum Beispiel nur eine Suchtberatungsstelle, und wenn diese dann in der Trägerschaft der Diakonie ist, ist dies eben das Alleinstellungsmerkmal dieser Einrichtung. Aber Alleinstellungsmerkmale dieser Art sind in der Regel gar nicht gemeint, wenn vom „Unverwechselbaren in der Diakonie“ gesprochen wird.

Gemeint ist natürlich die Frage nach dem „Eigentlichen“ der Diakonie, der diakonischen Identität. Doch die Betonung von Alleinstellungsmerkmalen führt meiner Beobachtung nach gerade nicht dazu, der eigenen Identität näher zu kommen. Wer nach der „Unverwechselbarkeit“ diakonischen Profils fragt, hat oft mehr Interesse an der Außendarstellung („Marketing“) als an der eigenen Substanz („Identität“).

Damit möchte ich aber nicht die Frage nach dem diakonischen Profil ad acta legen. Ich möchte nur den Ball etwas flacher halten und auf eine wichtige Unterscheidung hinweisen. Meine Idee: Das Wort „Unverwechselbarkeit“ streichen und dafür mehr mit den Begriffen „Unterscheidbarkeit“ und „Erkennbarkeit“ experimentieren.

Diakonie muss erlebbar, spürbar, erkennbar sein – eben als Diakonie. Ob sie sich damit gleich unverwechselbar macht, ist nicht wirklich relevant. Nun gibt es aber auch Situationen, in denen man „Diakonie“ nicht genau erkennen kann, aber man trotzdem merkt, dass sie sich irgendwie unterscheidet. Manchmal passt Erkennbarkeit besser, manchmal Unterscheidbarkeit. Den Begriff Unverwechselbarkeit stellen wir hingegen besser in den Floskelfolklore-Mottenschrank.

Um der Frage nach dem Erkennbaren/Unterscheidbaren besser auf die Spur kommen zu können, ist zu überlegen, in welchen Dimensionen sich Unterscheidbares oder Erkennbares finden lässt. Ich schlage folgende Suchrichtungen vor:

  • Motivation: Gibt es bestimmte Motivationen in der Diakonie? Welche sind es?
  • Haltungen/Einstellungen: Gibt es bestimmte Haltungen in der diakonischen Arbeit? Welche – und wie zeigen sie sich?
  • Sinndeutungen/Reflexion: Gibt es eine bestimmte Art und Weise der Reflexion? Gibt es bestimmte Sinndeutungen, denen man besonders zuneigt?
  • Handlungskonzepte und Methodenwahl: Gibt es Vorlieben oder Abneigungen gegenüber bestimmten Handlungskonzepten und Methoden?
  • Institution: Welche besondere institutionelle bzw. strukturelle (Rahmen-)Bedingungen sind in der Diakonie bedeutsam?
  • Atmosphäre: Kann man von einer bestimmten Atmospähre in diakonischen Einrichtungen sprechen? Worin zeigt sie sich?
  • Auftrag/Ausrichtung: Gibt es – unabhängig von den in Leistungsverträgen bzw. Gesetzesleistungen genannten Zielen – einen besonderen Auftrag bzw. eine „tieferliegende“ Ausrichtung diakonischer Arbeit? Inwiefern?

Diese Dimensionen sollen als Zugänge zum Diakonischen verstanden werden. Ich sage damit nicht, dass es in allen diesen sieben Dimensionen immer zwingend etwas erkennbar/unterscheidbar Diakonisches geben muss. Es sind lediglich Suchrichtungen, dafür sind sie aber durchaus brauchbar.

Paradoxe Profilierung

Worüber ich mich immer wieder wundere, ist ein merkwürdiger Widerspruch bei der Forderung nach „diakonischem Profil“.

Auf der einen Seite wird unablässlich hervorgehoben, wie wichtig ein klares, eindeutiges, unterscheidbares und konfessionell geprägtes diakonisches Profil ist. Gerade in Zeiten einer schärferen Konkurrenz auf dem Sozialmarkt, sei ein solches Profil wichig. Gerade im Zusammenhang mit einer interkulturellen Öffnung in der Diakonie (die unausweichlich kommen wird), sei ein solches Profil wichtig. Gerade vor dem Hintergrund einer angeblichen oder faktischen Abnahme der „Christlichkeit“ oder „Kirchlichkeit“ der Mitarbeitenden, sei ein solches Profil wichtig. Und so weiter. Man hat den Eindruck, diakonische Profile müssen – frei nach dem Kölner Kirchentagsmotto 2007 – lebendig, kräftig und scharf sein. Und da ist ja auch was dran.

Doch jetzt kommt das „Aber“: Schaut man sich die Leitbilder diakonischer Unternehmen an oder liest Konzeptpapiere diakonischer Fachverbände, dann ist da ein klares, eindeutiges, unterscheidbares, konfessionell geprägtes Profil nur selten zu entdecken. Diakonische Profile scheinen dann genau das Gegenteil zu sein: allgemeingültig und konsensfähig. Kleinster gemeinsamer Nenner.

Für beide Tendenzen gibt es (gute) Gründe, das will ich gar nicht bestreiten. Aber auffällig ist dieser Widerspruch schon. Wie mag das wohl auf die Menschen in der Diakonie – Mitarbeitende wie Betreute – wirken? Ständig kommt irgendwo ein „diakonisches Profil“ aus dem Gebüsch gesprungen. Und packt man es denn mal am Schopfe (sofern man es zu packen kriegt), sieht es meist so aus: empathisch, menschlich, zuwendend. Man könnte auch sagen: einfach nett und freundlich. Schon etwas paradox.

Gute Nachrichten für Sozialarbeiter

„Erneute Expansion der Sozialen Arbeit nach dem Ende des Wohlfahrtsstaates?“ heißt ein gerade erschienener Artikel im Nachrichtendienst des Deutschen Vereins von Konrad Maier und Christian Spatscheck.

Die These der beiden Autoren: Der Arbeitsmarkt für Sozialarbeiter ist besser als sein Ruf. Denn in den letzten zehn Jahren ist die Zahl der erwerbstätigen Sozialarbeiter/innen und Sozialpädagog/inn/en kontinuierlich gestiegen. Dies widerspricht deutlich dem gefühlten Sozialabbau.

„Die Berufsgruppe der Sozialarbeiter/innen hat inzwischen eine Größenordnung erreicht, die vergleichbar ist mit der der niedergelassenen Ärzt/innen aller Fachrichtungen (bei 140.000). […] Wir vermuten, dass einerseits immer neue Bedarfe entstehen, die offensichtlich bedient werden müssen, und zum anderen, dass sich sich das komplexe System der Sozialen Arbeit einem radikalen Sozialabbau mit viel Geschick und Flexibilität nachhaltig widersetzt“ (S. 431)

131.000 Erwerbstätige sind es, werden dabei die Teilzeitstellen auf Vollzeitäquivalente umgerechnet, entspricht das immer noch über 115.000. Es handelt sich dabei um eigene Berechnungen der beiden Autoren anhand zweier Quellen: der amtlichen Berufsstatistik der Arbeitsverwaltung und der Erwerbspersonenstatistik des Statistischen Bundesamtes. Detailliertes Material stellen die Autoren über den Artikel hinaus auch noch bereit.

Und woran liegt das nun? Drei mögliche Erklärungen werden angeboten:

  • Möglichkeit 1: Die Zunahme an Stellen geht zurück auf das Wirtschaftswachstum in den Jahren 2005-2008.

Das würde bedeuten: Wichtiger als die (partei-)politische Großwetterlage (Bundes- und Landesregierungen) ist die wirtschaftliche Lage. Umso wohlhabender eine Gesellschaft ist, desto mehr Sozialarbeiter leistet sie sich.

  • Möglichkeit 2: Die Zunahme an Stellen geht zurück auf die Erosion der tariflichen Bezahlung.

Das würde bedeuten, dass „die Expansion der Stellen von Beschäftigten durch deren Verdiensteinbußen mitgetragen werden“ (S. 432). Ein Pyrrhussieg.

  • Möglichkeit 3: Die Zunahme an Stellen geht zurück auf einen Wandel im Selbstverständnis der Sozialen Arbeit.

Das Stichwort ist hier natürlich: „Vom Wohlfahrtsstaat zum aktivierenden Staat“. Zunehmend werden „skills“ zum Überleben in der Marktwirtschaft benötigt, deren Entwicklung und Befähigung besonders von der Sozialarbeit geleistet wird.

Ich habe immer wieder den Eindruck, dass es in der Diakonie die Tendenz gibt, das Berufsniveau abzusenken. Der Mitarbeiter der Zukunft sollte ein bisschen mehr mitbringen als ein Sozialhelfer, aber ein studierter Sozialarbeiter braucht es nun wirklich nicht zu sein. Schließlich sieht die unternehmerisch ausgerichtete Diakonie ihr Credo zunehmend in Assistenz-Tätigkeiten. Und „richtige“ Sozialarbeiter sind eh zu teuer – das müssten nur die Sozialarbeiter endlich mal verstehen. So zumindest mein Eindruck. Die Auswertung von Maier und Spatscheck zeigt, dass es einen ordentlichen Arbeitsmarkt für Sozialarbeiter gibt. Das sind doch wohl gute Nachrichten.

Konrad Maier/Christian Spatscheck: Erneute Expansion der Sozialen Arbeit nach dem Ende des Wohlfahrtsstaates? Nachrichtendienst des Deutschen Vereins, Oktober 2010, 428-433.

Wir sind da

Der ADAC wirbt um neue Mitglieder mit dem einfachen Satz: „Wir sind da“. Schön (und) schlicht.  Das könnte doch auch ein Diakonie-Motto sein (vielleicht sogar ein Mantra?). Es ist nicht aufdringlich und gleichzeitig genau auf den Punkt. Es stellt nicht das Tätigsein in den Vordergrund, sondern das Da-sein.

Im Seminaren zur diakonischen Bildung mache ich gerne Übungen zum Verständnis der eigenen Fachlichkeit. Auf einer Liste mit hundert verschiedenen Umschreibungen für helfendes Handeln findet sich auch das „da sein“. Eine Teilnehmerin dieser Übung hatte „da sein“ als besonders wichtig für ihr eigenes Verständnis von Professionalität ausgewählt und anschließend gesagt: „Das ist ganz schön anstrengend, einfach da zu sein.“ Das ist es. Und meiner Meinung nach ist es auch eine besondere Qualität diakonischer Kompetenz. Also: Präsenz als Kompetenz. Dies führt dann zu der Frage, inwiefern „da sein“ Bestandteil sozialberuflicher Professionalität ist, ob es darüber hinaus geht oder dahinter zurückbleibt. Im Wichern drei-Band von Volker Herrmann und mir entfaltet Andries Baart einige grundlegenden Gedanken zur Präsenz. Ich finde präsenzorientierte Diakonieverständnisse sehr anregend. Die Passgenauedienstleistungsdiakonie ist eine andere Art von Diakonie.

Es gibt aber noch ein weiteres Verständnis von Präsenz, nämlich das der (evtl. flächendeckenden) Versorgungsstruktur. Also: Präsenz als Struktur. Auch diesen Aspekt finde ich bedenkenswert: Wer ist in Deutschland eigentlich flächendeckend „da“? Ich interessiere mich erst einmal für die sichtbaren und ortsgebundenen Strukturen (also die physischen, nicht die virtuellen): Wer ist vor Ort, am besten in allen Stadtteilen, tatsächlich präsent? Paul-Hermann Zellfelder hat den alten Sparkassen-Slogan „Keiner hat mehr: die meisten Filialen“ auf die Kirchengemeinden übertragen. Bleibt zu fragen, welche flächendeckenden Filialstrukturen es noch so gibt in Deutschland. Ich komme auf die folgenden „Wir-sind-da“-Strukturen:

  • Bäckereigeschäfte (45.000; baeckerhandwerk.de)
  • Büdchen, Trinkhallen und Wasserhäuschen (leider finde ich hierzu keine Zahlen, es werden aber wohl weniger als Bäckereien sein)
  • Sparkassen-Filialen (15.685; dsgv.de; allerdings werden hier auch SB-Geschäftsstellen mitgerechnet)
  • Kirchengemeinden (15.471; ekd.de/statistik)
  • Tankstellen (14.410; mwv.de)
  • Postfilialen (14.000; dp-dhl.com)
  • Kindergärten (keine Zahlen gefunden)
  • Grundschulen (keine Zahlen gefunden)

Diese „Versorgungssysteme“ haben einen  flächendeckenden Charakter. Und im Grunde sind sie alle, in ihrer Art und Weise, wichtig für diakonische Arbeit im Sozialraum. Wir sind dann mal da.

Sieben Leitfragen zur Profilierung diakonischer Gemeinden

Viele Kirchengemeinden sind diakonisch aktiv. Schön (und) anspruchsvoll. Daher tut es gut, immer einmal wieder innezuhalten und sich gemeinsam zu fragen: Wie und warum machen wir eigentlich das, was wir tun?

Mit den folgenden sieben Fragen lässt sich das diakonische Engagement in Kirchengemeinden gut reflektieren. Jede Frage zielt dabei auf eine wichtige Leitunterscheidung, um den Charakter des diakonischen Engagements zu klären und zu verdeutlichen. Es geht darum zu prüfen: Was verstehen wir eigentlich unter diakonischem Engagement, was wollen wir damit – und wie stellt es sich tatsächlich bei uns dar?

Diakonie als Ausdruck des Evangeliums oder als Abholer zum Evangelium? Als erstes die wohl klassischste aller Fragen in diesem Zusammenhang: Was ist das Christliche an dem diakonischen Engagement? Zeigt es sich gerade darin, dass es dieses diakonische Engagement gibt oder gibt es dieses diakonische Engagement, weil damit für den Glauben geworben werden soll?

Hilfsangebote machen oder Beteiligungsmöglichkeiten bieten? Geht es darum, konkrete Hilfen anzubieten (Tafel, Kleiderkammer, Besuchsdienst, Hausaufgabenhilfe etc.) oder sollen Beteiligungsmöglichkeiten geschaffen werden (beispielsweise die Mitarbeit beim Tafelprojekt oder der Lektorendienst mit vorausgegangenem Sprechtraining)?

Armuts-Angebote oder „Armuts-Mainstreaming“? Eine ähnliche Frage wie die vorherige, aber etwas anders akzentuiert. Diakonie wird oft als „Aktion“ verstanden. Die Gemeinde macht dann Angebote für „die Armen“. Die entsprechende Grundfrage lautet aus dieser Perspektive: Welche Hilfen können wir für Bedürftige in unserer Gemeinde oder unserem Stadtteil anbieten? Diakonie kann aber auch als die Ermöglichung von Teilhabe verstanden werden. Dann geht es weniger um „Aktionen“ und es stehen nicht so sehr die einzelnen Hilfsangebote im Fokus. Ähnlich wie beim Gender-Mainstreaming müsste es dann so etwas wie ein „Armuts-Mainstreaming“ geben: Wie sehen unsere (bestehenden) Angebote in den Augen von Menschen mit wenig Geld aus? Wie müssen sie gestaltet werden, dass diese Menschen daran möglichst „barrierefrei“ teilnehmen können? (Zum Beispiel: Warum kostet das Stückchen Kuchen beim Gemeindefest eigentlich etwas, wenn der Kuchen doch von Gemeindemitgliedern gespendet worden ist?!)

Zielgruppenspezifische oder zielgruppenübergreifende Ansätze? Viele Angebote in der Kirchengemeinde richten sich an konkrete Zielgruppen. Das gilt beim diakonischen Engagement erst recht. Aber auch zielgruppenübergreifende Ansätze sind möglich. Ersteres ist oft besser zu managen (und manchmal auch wesentlich effektiver), aber leider auch schnell stigmatisierend. Letzters ist oft gewollt, aber schwieriger zu realisieren.

Sind die Hilfeempfänger bedürftige Menschen im Stadtteil oder Menschen in einem bedürftigen Stadtteil? Bei dieser Frage geht es darum, wie die „Nutzer“ von diakonischen Angeboten in der Gemeinde gesehen werden: Sind es die „Marginalisierten“ und „Mangelwesen“ des Stadtteils? Oder sind es Stadtteilbewohner, wie die anderen Gemeinedemitglieder auch (dies ist eine der wenigen, aber bedeutsamen Gemeinsamkeiten zwischen den „Kerngemeinde-Mitgliedern“ und „den Anderen“!)?

Eigene Kenntnis der Not oder Konfrontation mit bisher nicht wahrgenommener Not? Wie kommt eine Kirchengemeinde zu ihrem diakonischen Engagement? In den meisten Fällen möchte sie Notlagen begegnen, mit denen sie konfrontiert wird (manchmal sind diese Notlagen nicht zu übersehen und liegen direkt vor der Tür, manchmal müssen sie auch erst bewusst gesucht werden). Ein anderer Ansatz geht von den eigenen Nöten in der Kirchenegemeinde aus, die dazu führen, dass die Kirchengemeinde sich diakonisch engagiert (zum Beispiel eine Depressions-Selbsthilfegruppe von Gemeindemitgliedern, ein bestehender Senioren-Besuchsdienst, der im Laufe der Zeit über die Grenzen der Gemeindemitglieder ausgeweitet wird etc.).

Engagement nach innen oder nach außen diakonisch? Abschließend noch eine Leitfrage, die in der Praxis diakonischer Kirchengemeinden wahrscheinlich eher unüblich ist: Ist mit Diakonie eine Außen- oder vielleicht auch eine Innendimension der Gemeinde gemeint? Grundsätzlich wird unter Diakonie immer das verstanden, was die Gemeinde nach „Außen“ hin tut. Ein anderes Verständnis geht davon aus, dass Diakonie das ist, wie sich eine Gemeinde in ihrem Inneren selbst verhält. Das erste ist nach außen gerichtete Aktivität, das zweite ist ein innergemeindliches Gestaltungsprinzip.

Die jeweiligen beschrieben Alternativen der sieben Fragen sind nicht „richtig“ oder „falsch“. Sie können aber – im ganz konkreten Kontext vor Ort – mal besser und mal schlechter sein. Dies gilt es herauszufinden. Und das ist sehr viel wert.

Social-Spots

An dieser Stelle einmal alle (mir bekannten) Social-Spots von Diakonie und Caritas hintereinander. Pardon: untereinander. Ohne Kommentar – es kann sich ja jeder selbst ein Bild machen…

Armut trifft vor allem Kinder (DW-EKD) Benachteiligung durch Armut

Ein Wintermärchen (Diakonie Düsseldorf) Obdachlosigkeit

Krystina (DW-EKD) Menschenhandel und Zwangsprostitution

Et voilà… die Spots aus dem Hause Caritas

Sprechende Wohnung (Caritas Deutschland) Alte Menschen

Urwissen / Soziale Manieren (Caritas Deutschland) Obdachlosigkeit

Achten statt ächten (Caritas Deutschland) Jugendliche

Armut kann man abschaffen (Caritas Österreich) Armut

Kälte ist kein Kinderspiel (Caritas Österreich) Nothilfe Osteuropa

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