Archiv der Kategorie: Social Media

Herzlich Willkommen, Kollege!

Es ist natürlich (sehr) vermessen, einen Präsidenten als Kollegen zu bezeichnen. Aber da der Diakonie-Präsident Ulrich Lilie in der letzten Woche das Bloggen begonnen hat, konnte ich mir das als dienstältester Diakonie-Blogger nicht verkneifen.

Also: Ulrich Lilie bloggt. Und so heißt auch das Diakonie-Präsidenten-Blog.

Zwei Vorteile hat solch ein Blog-Auftritt: Natürlich steht dem Präseidenten das ganze Potpourri der Diakonie-Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung, aber der Präsident kann so unmittelbarer und persönlicher kommunizieren. Darüber hinaus gibt es über die Kommentarfunktion einen direkten Rückkanal zum Präsidenten, und zwar grundsätzlich für jedermann/frau. Beides ist begrüßenswert, und so kann man den Präsidenten und die Diakonieöffentlichkeitsarbeitsleute nur beglückwunschen und ihnen aus vollem Herzen viel Erfolg wünschen. Solch eine Art von Kommunikation – direkter, persönlicher, responsiver – brauchen wir!

Inwiefern das gelingt – wir werden es sehen.

Herzlich Willkommen!

tl;dr
Der Diakonie-Präsident hat das Bloggen begonnen. Gute Sache.

Und wie surfst du so?

Fabian Maysenhölder (von theopop.de) hat die Blogparade „Und wo surfst du so?“ gestartet. Es geht um den eigenen Medienkonsum in Bezug auf die Frage, ob man sich nur zu Seinesgleichen durchklickt oder ob man sich auch bewusst von anderen Meinungen herausfordern lässt.

Ich habe ziemlich lange an diesem Blogartikel herumgeschrieben – bis ich gemerkt habe, dass es wenig Sinn macht, darzustellen, wo ich mich im Netz bewege und was ich dort alles lese. Das ging dann doch zu sehr in die Richtung „Mein Haus. Mein Auto. Mein Boot“ und trug nichts aus. Ich beschränke mich jetzt auf die Essenz und versuche einige Phänomene zu benennen, die mir wichtig erscheinen. Aus dem „wo surfst du denn?“ wurde damit ein „wie surfst du denn?“.

Vier Dinge sind wichtig:

  • Ein ganz wesentlicher Teil meines Online-Lesepensums besteht aus Blogbeiträgen. Ich glaube, dass sich mein Wahrnehmungshorizont in den letzten Jahren in erster Linien durch Blogs geweitet hat. Private Blogs sind für mich ein unverzichtbares Gegengewicht zur Vierten Gewalt geworden. Ich lese Nischenblogs daher mit gleicher Aufmerksamkeit, wie die Artikel und Beiträge klassischer Verlagshäuser – wenn mich denn das jeweilige Thema interessiert.
  • Es gibt einige Seiten im Netz, die ich selbst recht regelmäßig ansteuere und mehr oder weniger flächendeckend abgrase. Bei allen anderen Artikeln, die ich lese, lande ich direkt über Empfehlungen – und das sind zum größte Teil die Empfehlungen meiner Twitter-Timeline. Daneben spielen auch noch ein paar abonnierte Newsletter eine Rolle. Die Kombination aus Empfehlendem und Empfohlenem entscheidet zu einem großen Teil darüber, was ich dann tatsächlich lese.  Und ich bin manchmal erstaunt, wo ich da so lande…
  • Neben den genannten Lese-Empfehlungen meiner Timeline sind Agenturen bzw. Aggregatoren wichtig. Auch hier ist Twitter wieder eine große Hilfe: Für den kirchlichen Bereich bin ich beispielsweise mit dem European Protestant News Network (#epnn bzw. @leuenberg) und Relinews (@Relinews) gut bedient. Das EPNN bringt Agenturmeldungen aus dem (europäischen) ökumenischen Kontext – und das sind fast alles Sachen, die ich über andere Kanäle nicht mitbekomme (Danke, Thomas!). Relinews bündelt etliche Pressedienste (Danke, Fabian!) wie evangelisch.de, epd-Pressemitteilungen oder idea.de. Idea mag ich natürlich nicht (das wundert jetzt keinen, oder?), aber so laufen trotzdem idea-Meldungen in meine Timeline.
  • Wer nicht twittert oder wer nicht via Twitter verlinkt wird, rutscht bei mir schnell aus dem Aufmerksamkeitshorizont heraus. Das ist doof. Trotzdem will ich jetzt keinen kulturpessimistischen Einwand hören („Siehst du, so gefährlich ist das Leben in deiner Blase! Verlässt dich nur auf Twitter, wenn du selbst recherchieren würdest, würde dir das nicht passieren!“ – so in der Art), denn das ist Quatsch. Genau das Gegenteil ist der Fall: Durch die praktische Mischung von dem Vertrauen auf Empfehlungen gefolgt von dem Minimalaufwand eines enziges Klicks ist ganz schön viel in meine Aufmerksamkeit hineingerutscht – mein (Wahrnehmungs-)Horizont hat sich also enorm geweitet. Das gilt natürlich nur für Inhalte, die online verfügbar sind und die über Twitter vernehmbar sind.

Bei der Zusammenstellung von Internetseiten, Newslettern, Blogs und Twitteraccounts sind mir zwei Kriterien wichtig:

  • Informationsbreite: Ich möchte Kanäle dabei haben, über die ich Informationen bekommen, an die ich selbst eher nicht gekommen wäre. Ich will gut informiert sein, was bei mir in erster Linie bedeutet: Ich will breit informiert sein, will einen möglichst umfassenden Überblick über die Debatten und Diskurse haben, die für mich relevant sind. Breite ist mir dabei wichtiger als Tiefe. In den Bereichen, wo mir Informationstiefe wichtig ist, kenne ich mich selbst so gut aus, dass ich weiß, wie und wo ich an die Details komme.
  • Inspirationsquelle: Ich freue mich über inspirierende Dinge, Ansichten, Ideen. Inspiration bedeutet dabei aber nicht zwangsläufig Innovatives und Progressives, das kann auch Traditionelles und Konservatives sein. Wichtig dabei ist, dass ich mich überraschen lassen können muss. Was erwartbar ist, bietet wenig Inspiration. Ein kleines Beispiel dazu: Eigentlich ist Publik Forum eine Zeitschrift, die mir inhaltlich recht nahe steht. Aber Duktus und Sound der Beiträge sind für mich mittlerweile zu erwartbar geworden. Ich muss nur die Überschrift lesen und weiß, was im Artikel steht. Das unterscheidet sich dann auch nicht mehr so doll von der Men’s Health. Da kennt man nach dem Durchlauf eines Probeabos ja auch sämtliche Inhalte.

Soviel zu meinem Surfverhalten. Die spannende dahinterliegende Frage – und so verstehe ich Fabians Intention der Blogparade – ist ja nun, ob ich mich von „andersartigen“ Meinungen im positiven Sinne beeinflussen lasse. Oder ob ich mich selbstgewählt abschotte und nur meine eigenen Ansichten perpetuiere.

Ich finde schon, dass ich recht häufig bei Quellen lande, die ganz und gar nicht zu „Meinesgleichen“ zählen. Die Verweildauer ist dort natürlich nicht immer sehr hoch – und wenn doch, dann aufgrund der schon erwähnten Empfehlungen. Doch nur weil ich „woanders lande“, dort, wo ich nicht unbedingt meine Meinung wiederfinde, heißt das ja noch lange nicht, dass mich die dortigen Argumente überzeugen (oder dass sie langsam, peu à peu, bei mir einsickern). Wenn man ehrlich ist, wird wohl eher das Gegenteil der Fall sein: Umso mehr ich auf Andersartiges stoße, desto mehr fühle ich mich in meiner Sicht der Dinge bestätigt – inklusive der Erkenntnis, dass ich eben von lauter Deppen umgeben bin.

Denn neben der mir oft nicht bewussten algorithmengesteuerten Filterblase und meiner sehr bewusst selbstkonstruierten Netzwelt (Twitter-Timeline etc.) gibt es ein noch ein weit wichtigeres Phänomen: Interesse leitet Wahrnehmung. Das, was mich interessiert, nehme ich wahr. Was nicht, nicht. Wenn man frisch verliebt ist in jemanden, der, sagen wir, ein rotes Auto hat, sieht man doch tatsächlich überall rote Autos. Wer Homosexuelle für den Untergang des Abendlandes hält, fixiert seine Aufmerksamkeit darauf und entdeckt gleichzeitig unentwegt Indizien für den Untergang des Abendlandes.

Die Kombination aus (meist unbewusster) Filterblase und (ebenfalls meist unbewusster) interessengeleiteter Wahrnehmung führt leicht zu Engstirnigkeit und Rechthaberei. Zudem haben sich in jeder Szene bestimmte Lieblingsnarrative (bzw. bestimmte Tabus) etabliert. Im diakonisch-sozialen Bereich hört man zum Beispiel gerne die Position „Hartz IV ist schlecht“, Indizien dafür finden sich daher auch zuhauf. Ich konstruiere meine Wahrnehmung so, dass sie am Ende genau das liefert, worin ich bestätigt werden will.

Und wodurch kann sich mein leitendes Wahrnehmungsinteresse ändern? Einfach mal andere Seiten im Netz anklicken – dadurch ändert sich nix. Genausowenig funktioniert es, jemand anderen von etwas überzeugen zu wollen, was seine Wahrnehmungseinstellung komplett in Frage stellen würde. Da nützen auch „wissenschaftliche Studien“ oder „Evidenzbasierung“ nicht viel.

Ich glaube, eine Veränderung kann nur durch zweierlei eintreten: Zum einen durch intensive Diskussionen mit engagierten und trotzdem gelassenen Leuten, die eine andere Position vertreten als ich. Der „Sokratische Dialog“ scheint mir hier ein geeignetes Instrument zu sein, kombiniert mit einer ordentlichen Portion Herzenswärme. Zum anderen dadurch, dass ich irgendwann/irgendwie merke, dass meine Karte von der Welt und die Welt doch nicht so recht zusammenpassen. Dass meine Position weniger austrägt, als ich bisher glaubte, dass sie nicht mehr so nützlich ist – für mich. Hierfür ist eins wichtig: Ehrlichkeit mit sich selbst. Aber sich selbst ernstnehmen ist auch nicht immer einfach…

Ob diese Überlegungen hilfreich sind?

tl;dr
Durch die Digitalisierung war es noch nie so einfach, einen weiten (Informations-)Horizont zu bekommen. Doch was ich sehen will, liegt weiterhin an mir selbst.

Diakonische Verbände auf Facebook

Vor zwei Monten hat Alexander Ebel von der Pfälzischen Landeskirche einen interessanten Beitrag über Evangelische Landeskirchen auf Facebook geschrieben. Somerpausenbedingt habe ich den etwas später zur Kenntnis genommen, mich dann aber gleich gefragt, wie dies wohl bei den Diakonie-Landesverbänden aussieht. Hier nun meine Recherche-Ergebnisse…

Sieben Landesverbände haben eine Facebook-Präsenz:

Und dann natürlich der Bundesverband:

Der erste Eindruck: Gute Facebook-Auftritte gibt es im Süden (Baden, Bayern und Württemberg) und beim Diakonischen Werk der EKBO. Auch der Bundesverband hat eine solide Facebook-Präsenz.

Bei den Titelbildern zeigt sich wieder, dass “diakonische” Symbolfotos eine schwierige Sache sind. Und bei den Profilbildern gibt es bei manchen Facebook-Auftritten nur ein Kronenkreuz. Besser wäre es, wenn ich am Profilbild sofort erkennen kann, welcher Verband es ist.

Bei keinem der Landesverbände kann ich erkennen, wer dort eigentlich postet. Wahrscheinlich ist es die Öffentlichkeitsabteilung. Es gibt aber kein Team, keine Namen, nix in dieser Hinsicht. Schade. Einzige Ausnahme: der Diakonie-Bundesverband. Und bei den Landeskirchen ist das zumindest bei der rheinischen und der pfälzischen der Fall.

Eine (klitze)kleine, aber feine Sache: Die Diakonie Baden nutzt die Möglichkeit der “Meilensteine”. Da steht zwar noch sehr wenig, aber die Idee ist gut.

Nach diesen Details nun zum Wichtigsten: Es fällt auf, dass sehr wenig geliket, noch weniger kommentiert und fast gar nichts geteilt wird. Dafür dass die Diakonie zu den bedeutendensten gesellschaftlichen/gesellschaftspolitischen Akteure zählt, ist das ziemlich mau. Dies bestätigt wieder einmal meine These, dass es keine wirkliche “diakonische Community” gibt (das hatte ich bereits beim Thema Bloggen erwähnt).

Der Diakonie Bundesverband hatte ja Anfang des Jahres eine Online-Diskussion gestartet. Die Beiträge hatten inhaltlich Substanz, und es wurde dort auch nicht rumgetrollt – also wirklich ein guter Anfang! Allerdings: Die Gesamtzahl der Diskutanten war nicht sehr hoch, dafür der Anteil der “beruflichen” Diskussionsteilnehmer unter ihnen (also Funktionäre im weitesten Sinne). Auch hier auf dem Blog wird nicht so viel diskutiert – ich bekomme mehr private Mails und Anrufe (!) und dabei bin ich über die Besucherzahlen keineswegs unzufrieden.

Also: eine richtige Debattierlust scheint es nicht zu geben.

Eigentlich stellen die Mitarbeitenden in der Diakonie doch schon mal eine große Masse, sozusagen eine riesige Homebase, dar. Ich habe aber grundsätzlich den Eindruck, dass es bei vielen Mitarbeitenden keine große Lust gibt, sich über das Ausmaß der beruflichen Tätigkeit “diakonisch” zu engagieren. Ich kann es ihnen nicht verdenken – eine Image- und Commitment-Katastrophe ist das allerdings schon. Für mich ist die Zukuftsaufgabe der Diakonie daher, eine Art diakonisches Community-Buildung zu forcieren, die eigene Szene aufzubauen und zu pflegen. Genau hier mus die Energie hin – und nicht in diese unerträglichen Dienstgemeinschaftsüberbaudiskurse.

Es ist wirklich schade, welche Chancen da auch die Mitarbeitenden und diakonisch Engagierten vergeben, Diakoniepolitisches kritisch zu kommentieren. Das bedeutet aber auch, dass ein PR-Desaster wie bei KitKat kein diakonischer Verband zu befürchten hat.

Man könnte aber auch noch ganz anders fragen, nämlich: Ist Diakonie überhaupt ein Thema? Ist “Diakonie” nicht viel zu breit – und daher thematisch diffus? Der eine interessiert sich für Obachloseninitiativen in Hessen, der nächste für ein Kinderhospiz und wieder ein anderer für die Diakonie-Katastrophenhilfe. Das kann man alles unter einer “diakonischen” Klammer zusammenbinden – muss man aber nicht. Wo suchen diese Menschen im Internet (und auf Facebook) nach entsprechenden Diskussionen und Informationen? Unter der “Dachmarke Diakonie”?

Sicherlich (auch) aus diesem Grund gibt es mehrere eigene Facebook-Seiten der Diakonie-Landesverbände zum Freiwilligen Sozialen Jahr bzw. zum Bufdi. Auch hier einmal schnell die Übersicht:

Dass es diese Seiten gibt, ist gut. Dass es bei einigen Verbänden nur diese Auftritte gibt, könnte darauf schließen lassen, dass die Meinung vorherrscht, dass Facebook “halt etwas für junge Leute ist…”!?

Abschließend einige Fragen zum Weiterdenken:

  • Was ist das Ziel solcher Facebook-Seiten? Das Absetzen von Pressemeldungen oder das Anstoßen von Debatten? Beides hat seinen Wert – wenn es aber um Diskurse geht, könnte man vielleicht darüber nachdenken, die Auftritte der Landeskirchen zu stärken und diakonisch zu bespielen? Denn momentan läuft da – zumindest von der Masse her – mehr.
  • Während mich als kirchlicher Mitarbeiter die protestantische Vielfalt (nicht die inhaltliche Vielfalt, sondern die Doppel-, Dreifach-, Neben- und Durcheinanderstrukturen) manchmal fast an den Rande des Wahnsinns treibt, sehe ich dies bei den Möglichkeiten, die social media bietet, genau anders: Hier liebe ich Vielfalt, die sich untereinander verknüpft und vernetzt, Bezug aufeinander nimmt und sich voneinander abgrenzt, sich hoch- und runterschaukelt. Auch kleine Klitschen können großartige social media-Dinger hochziehen (vielleicht gerade?). Allerdings sollte man sich hier den Hinweis von Ralf Peter Reimann von der Internetarbeit der rheinischen Kirche zu Herzen nehmen: Wir sind nur Gast auf Facebook!
  • Eine weitere Frage: Welchen Sinn macht es (und wie kann es gelingen), stärker zu personalisieren? Viele Stellungsnahmen im diakonischen/kirchlichen/sozialen/politischen Bereich sind Konsensformulierungen bzw. diplomatischen Gepflogenheiten geschuldet (was auch okay ist). Debatten brauchen aber Personen, die diese Debatten führen. Hier bin ich noch etwas ratlos, wie das gelingen kann…
  • Den mittel- bis langfristigen Aufbau einer diakonisch interessierten und engagierten Community (nicht nur der Mitarbeitenden, aber eben auch) habe ich ja bereits erwähnt.
  • Und schließlich muss dringend darüber nachgedacht werden, wie “Betroffene” bzw. “Klienten” (ja, blöde Begriffe…) in die Diskurse reinkommen. Die Caritas hatte da mal einen guten Vorstoß gemacht (hauptsächlich aufs Bloggen bezogen), hier muss man weiter dran arbeiten.

Soziale Medien in sozialen Organisationen. Einige Erkenntnisse aus der Blogparade

Durch die CCCD-Blogparade (siehe dazu meinen vorherigen Beitrag) konnte ich einige Entdeckungen machen: mir bisher nicht bekannte Blogs und neue Erkenntnisse über das Verhältnis von sozialen Medien und sozialen Organisationen. Hier einnmal ein subjektiver Ausschnitt, immer mit der Frage im Hinterkopf, was dies alles für die Diakonie bedeuten kann.

Marcel Gluschak beschreibt eine oft anzutreffende Haltung von Nonprofit-Organisationen gegenüber den sozialen Medien, die meiner Meinung nach auch für Kirche und Diakonie zutrifft:

„Bis vor wenigen Jahren war es selbstverständlich, dass eine Organisation ihre gesamte Kommunikation zentral steuern konnte. Wann welches Thema wichtig war, entschieden die Experten, nicht die Unterstützer. Seit Social Media haben NPOs diese Steuerung nicht mehr komplett in ihrer Hand. Das ist irgendwie unheimlich – doch auf der anderen Seite will man auch bloß keinen Trend verpassen oder neue Zielgruppen ausgrenzen. Das Resultat ist oft ein Social Media-Aktionismus, bei dem es eher darum geht, die Effekte von Social Media zu nutzen, als ihre strukturelle Wirkungskraft.“

Daher ist es ganz interessant, einmal einen Blick darauf zu werfen, welche social media-Kanäle denn in sozialen Organisationen überhaupt genutzt werden. Katrin Kiefer führt seit 2009 eine jährliche Erhebung zu den social media-Kanälen von NGOs durch. Interessanter Weise zählt zu ihrer Stichprobe (jeweils 20 Organisationen aus den Bereichen Naturschutz, Internationales und Soziale Dienste) auch der Diakonie-Bundesverband. Pi mal Daumen zwei Drittel dieser 60 Organisationen haben einen Youtube-Kanal, Facebook-Profile und Twitter-Accounts, und ein Drittel betreibt Blogs. Interssant wäre es sicherlich, solch eine Untersuchung speziell für die Diakonie durchzuführen. Und dann auch zu fragen, wozu diese Formate eingesetzt und was mit ihnen erreicht werden soll.

Beim Einsatz von social media geht es sozialen Organisationen vorrangig um Information und Marketing, dialogische oder stärker politische Intentionen stehen dahinter zurück, bemängelt Julia Russau. Den Grund dafür sieht sie darin, dass die sozialen Medien vor allem als Reaktionsmöglichkeit auf die drängenden (ökonomischen) Herausforderungen sozialer Organisationen eingesetzt werden:

„Die großen Themen, mit denen sich soziale Organisationen zurzeit beschäftigen, scheinen vor allem drei: Finanzen, Image und Fachkräftemangel. So ist es kaum verwunderlich, das diese Ausrichtung auch in den Social Media-Aktivitäten deutlich wird, die vornehmlich auf Fundraising, Öffentlichkeitsarbeit oder Personalrekrutierung zielen.“

Marc Boos betreut die social media-Initiativen der Caritas und bringt ein Beispiel an, das die Schwierigkeiten beim Einsatz sozialer Medien gut illustriert: Beim Zukunftsdialog der Bundeskanzlerin hat sich auch die Caritas mit einem Vorschlag zur Abschaffung der Praxisgebühr beteiligt. Gute Sache, doch der Vorschlag zur Legalisierung von Cannabis konnte sich über das Zweihundertfache an Unterstützern freuen – und brachte es damit auf den Tisch von Frau Merkel.

Die (konfessionellen) Wohlfahrtsverbände müssen sich daher wohl noch stärker mit der Frage beschäftigen, wie es gelingen kann, sich effektiv für und mit anderen einzusetzen. Hier haben diese Verbände auch etliches an Erfahrung vorzuweisen – neu sind hingegen die Herausforderungen  digitaler Beteiligungsprozesse.

„Um dem gerecht zu werden, muss die Caritas in der Bürgergesellschaft aktiv und präsent sein. Das gilt vor Ort, wo sich Caritasvertreter an Bürgerplattformen beteiligen, in sozialraumorientierten Projekten auf die Eigeninitiative und Selbsthilfe der Bevölkerung setzen oder die Freiwilligenzentren des Verbandes mit unterschiedlichen Partnern kooperieren. Und es gilt für das Internet, in dem soziale Medien und soziale Netzwerke neue Formen der Beteiligung und des Dialogs möglich machen“ (Marc Boos).

Dies führt dann auch direkt zu einer weiteren Frage: Wie kann man beim Thema Beteiligung die „Offliner“ ins Netz bringen?

Genau hier bringt Brigitte Reiser es sehr gut auf den Punkt, wenn sie für die digitale Inklusion als essentielles Thema sozialer Organisationen plädiert:

„Für manche Organisationen im Dritten Sektor ist die digitale Inklusion ihrer Mitglieder und Klienten aber kein Thema, für das sie sich verantwortlich halten. Viele bleiben ganz eng ihrem Dienstleistungszweck verhaftet, und der hat in der Regel nichts mit dem Internet zu tun. Aber eine gemeinnützige Organisation ist mehr als nur ein Dienstleister. Sie ist Teil unseres demokratischen Gemeinwesens und spielt eine wichtige Rolle als zivilgesellschaftlicher Akteur. Dazu gehört auch, dass sie ihre Arbeit für und mit den Stakeholdern um eine digitale Dimension erweitert und jene mit nimmt, die bisher von den Online-Beteiligungsmöglichkeiten ausgeschlossen sind.“

An dieser Stelle noch einmal zur Caritas: Dass eine digitale Inklusion nicht nur eine akademische Idee ist, sondern ein umsetzbares Projekt mit vielfältigen Effekten, hat die Caritas schon 2009 mit dem Blog-Projekt Mitten am Rand beeindruckend unter Beweis gestellt.

Der Begriff „digitale Inklusion“ gefällt mir gut. Teilhabe- und Inklusionsprozesse müssen die Möglichkeiten digitaler Beteiligung viel stärker in den Mittelpunkt rücken. Allerdings darf hier auch nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden. Marcel Gluschak warnt deshalb auch davor, dass der Einsatz von social media nicht als Alternative zu klassischen Engagementformen verstanden werden darf.

„Konventionelle Instrumente, nicht zuletzt im Offline-Bereich, behalten ihre Bedeutung und funktionieren im Idealfall in der Wechselwirkung mit Social Media. Das soziale Netz bietet großartige Möglichkeiten für die Aktivierung der Zivilgesellschaft – es sollte ebenso wenig unterschätzt wie überschätzt werden.“

Denn sonst leistet man einem neuen Problem Vorschub: dem Slacktivism (die Ausgabe #21 des Enter-Magazins widmet sich genau diesem Phänomen).

Den Analogien von diakonischem Selbstverständnis und sozialen Medien auf der Spur

„Wie steht es um die Nutzung sozialer Medien in gemeinnützigen Organisationen?“ Das ist eine der Leitfragen der gerade laufenden Blogparade „Social Media in der Bürgergesellschaft“ des Centrum für Corporate Citizenship Deutschland (CCCD).

Immer mehr diakonische Einrichtungen und Werke nutzen soziale Medien. In der Regel werden die klassischen Formate genutzt: Facebook-Seite, Twitter-Account, Sharing-Buttons auf der Internetseite, hin und wieder mal ein Youtube-Kanal. Ist das nun eine positive Entwicklung?

Wenn man sich die überschwenglich optimistischen Einschätzungen bezüglich social media zu eigen macht, dann sicherlich. Soziale Medien sind im Trend, und die Diakonie macht mit. Doch mir scheint, dass vor allem die technischen Möglichkeiten im Vordergrund stehen. Dabei ist das Innovative von social media nicht, dass es nun neue mediale Formen gibt, sondern dass diese Formen „sozial“ sind: Weg vom reinen Sender-Modell hin zu ganz neuen Formen der Partizipation und Teilhabe.

Daher interessiert mich auch vor allem die soziale Bedeutung von social media, weniger die technischen Möglichkeiten. Und gerade die soziale Seite der sozialen Medien ist für die Diakonie ein spannendes Thema. Die entscheidende Frage für diakonische Einrichtungen und Werke ist daher auch nicht, ob sie eine facebook-Seite (oder was auch immer) vorweisen können, sondern ob sie verstanden haben, was social media im Kern bedeutet. Und was dies mit ihrem Auftrag, ihrem Selbstverständnis zu tun hat.

Auch wenn sich im Bereich von Kirche und Diakonie viel tut in Sachen soziale Medien, ist Einiges doch recht ernüchternd. Denn hinter so manchen Web 2.0-Projekten verbergen sich eher Einbahnstraßen-Kanäle, über die man Infos absetzen will. Das hat mit dem „Sozialen“ der sozialen Medien wenig zu tun. Wenn die Twitter- oder Facebook-Accounts hauptsächlich auf rundgelutschte PR-Informationen verlinken, werden zwar hits und clicks erzeugt, aber keine Teilhabeprozesse ermöglicht.

Deshalb ist die Gretchen-Frage bezüglich social media: „Wie hältst du es mit der Beteiligung?“ (und eben nicht: „Twitterst du auch?“). Ist tatsächlich Beteiligung erwünscht? Wenn ja, in welcher Form? Und was ist mit „Beteiligung“ eigentlich gemeint? Stellt ein Link oder ein Like schon eine Beteiligung dar? Was passiert, wenn Beteiligung in eine andere Richtung läuft als erwartet oder gewünscht – wird das social media-Format dann wieder eingestellt? Inwiefern Sind social media-einsetzende Organisationen eigentlich fähig zur Responsivität?

Meine These ist, dass der Grundgedanke der Diakonie und der Kern von social media eigentlich wunderbar zusammen passen. Um was geht es in der Diakonie, was will die Diakonie? Leider werden die möglichen Antworten zu oft und zu schnell auf „Helfen“ oder „soziale Dienstleistungen anbieten“ eingedampft. Aber Diakonie ist mehr. In meinem Beitrag Was ist Diakonie? (#4) hatte ich ja in Rückgriff auf die Bratislava-Erklärung auf fünf Dimensionen hingewiesen: Dienstleistungsfunktion, kulturelle Dimension, gemeinschaftsbildende Dimension, aktivierende Dimension und gesellschaftspolitische Dimension (ich bin immer noch nicht ganz zufrieden mit dieser Aufzählung, aber belassen wir es für den Moment einmal dabei).

Soziale Medien können Werbung (Spendenakquise, Imagepflege, Mitarbeitergewinnung,…) für die diakonischen Dienstleistungen machen und diesbezüglich zum Markenaufbau und zur Markenpflege beitragen. Okay, nichts dagegen einzuwenden, aber dies allein ist schon eine ziemliche Banalisierung. Spannend wird es doch gerade erst bei den anderen genannten Dimensionen: Soziale Medien können gemeinschaftsbildend sein, sie können einen kulturellen Beitrag leisten (die technische und soziale Beherrschung von sozialen Medien ist ja selbst schon ein kulturelles Gut), sie könen aktivieren (und wie!), sie können gesellschaftspolitischen Einfluss generieren.

Alle fünf Dimensionen kann man nun detailliert betrachten, da steckt eine ganze Menge drin. Ich möchte an dieser Stelle nur einen Hinweis zur gemeinschaftsbildenden Dimension geben.

Diakonie und Gemeinschaft gehören eng zusammen. Gemeinschaftsbildung ist in sich schon diakonisch. Und auch umgekehrt: Wenn ich diakonisch handeln will, ist es eine Möglichkeit, Gemeinschaften zu bilden (irgendwie mag ich ja die englische „Community“ lieber als die „Gemeinschaft“, sie hat mehr Facetten). Communities zu bilden ist urdiakonisch. Ob zielgruppenspezifische Communities (wie zum Beispiel diese hier), zielgruppenübergreifende Ansätze wie in der Gemeinwesendiakonie, Mitarbeitenden-Communities oder die Community von christlich engagierten Weltverbesseren – und es gibt noch zig Gemeinschaftsformen mehr… Aufgabe der Diakonie ist das Communitybuilding. Und ein Kern von social media ist, genau: das Communitybuildung.

Wie gesagt, man kann nun alle Aufgaben/Funktionen/Dimensionen der Diakonie nacheinander abklopfen und die Analogien zu social media suchen. In einem zweiten Schritt kann man dann schauen, welches technische Format der sich ständige entwickelnden sozialen Medien geeignet ist, den diakonischen Auftrag innovativ umzusetzen. Aber das ist tatsächlich erst der zweite Schritt.

Ist social media nun eine gute Entwicklung für die Diakonie? Voll und ganz. Denn die soziale Dimension der sozialen Medien hat eine Menge gemeinsam mit dem, was Diakonie will. Und sie kann ein Katalysator für die Frage nach dem Selbstverständis der Diakonie sein.

Das ist doch mal was.

Leseempfehlungen: Das CCCD hat eine Publikation zu neuen Chancen internetgestützer Beteiligung herausgebracht, darin gibt es eine Abschnitt zur Caritas (S. 19-20), der auch für die Diakonie erkenntnisreich ist. Stefan Zollondz (Gruß nach Bielefeld!) bloggt Beobachtungen zum Einsatz von social media in der AWO. Und mein Beitrag über Gunter Duecks Vortrag auf der re:publica 11 könnte auch ganz interessant sein.

Feine Blogs

Eine diakonische Blogszene ist irgendwie nicht so recht existend. Seit dem ich blogge suche immer nach ähnlichen Projekten im Netz. Aber ich werde kaum fündig. Das ist schade, weil Blogs ein wunderbares Format sind. Ein Blogbeitrag breitet einen Gedanken aus, nicht mehr. Dies aber pointiert, personalisiert und – durch Verweise und Bezüge – in eine Debatte eingebettet. Viel mehr als bei anderen Formaten kann so eine gute Diskurskultur entstehen, in die man sich auch selbst aktiv einbringen kann.

Dass im diakonischen Bereich kaum gebloggt wird, ist allerdings merkwürdig, wenn man bedenkt, wie groß dieser Sektor ist: 28.000 diakonische Einrichtungen, 450.000 hautptamtliche und 700.000 ehrenamtliche Mitarbeitende. Meine Vermutung: Es gibt zwar über eine Million diakonisch Tätige, aber es gibt eben keine diakonische Community, keine entsprechende Szene. Deshalb wohl auch keine nennenswerte diakonische Blogszene. Das, was man findet, sind meist Corporate Blogs. Ich habe nichts gegen Unternehmen, die bloggen, aber im Grunde wird da einfach nur das technische Format des Blogs genutzt, um einen weiteren Kanal für die Organisationskommunikation zu haben. Streng genommen sind das kein Blogs im eigentlichen Sinne. Es werden lediglich Unternehmensinfos abgesetzt, ohne einen wirklichen Debattenbeitrag zu leisten.

Auffallend ist auch, dass es zwar eine Vielzahl theologischer wie sozialwissenschaftlicher/-politischer Blogs gibt, dass es aber wenig gegenseitige Bezüge gibt. Theologische Blogs, die aus ihrer Sicht Soziales kommentieren wie auch „soziale“ Blogs, die eine irgendwie geartete theologische Dimension aufweisen, sind Mangelware. Es sind – so zumindest meine Beobachtung – zwei Sphären. Und genau das ist auch ein klassisches Phänomen (nein: Problem!) der Diakonie: Das, was Diakonie gerade interessant macht, ist die gegenseitige Verwrungenheit von Sozialem und Theologischem (mal ganz platt gesagt). Und das, was in der Diakonie immer wieder zu kurz kommt, ist eben genau dies.

Wenn es denn schon keine explizit diakonischen Blogs gibt, so gibt es doch eine Menge an diakonisch relevanten Blogs. Daher möchte ich nun einige der Blogs empfehlen, die ich gerne lese und die mich – über Bande gespielt – immer wieder diakonisch inspirieren. Ab heute hat diakonisch.de also (endlich!) eine anständige Blogroll. Ich habe erst überlegt, die einzelnen Blogs zu kommentieren, aber ich habe schnell gemerkt, dass ich ihnen damit nicht gerecht würde. Außerdem macht unvoreingenommenes Selbststöbern ja auch viel mehr Spaß… Bitte schwenken Sie rüber auf die rechte Seite zur Blogroll, fahren Sie nicht zu schnell weiter, denn es gibt viel zu sehen! Et volià: Feine Blogs.