Archiv der Kategorie: Organisation

Weiter auf der Wolke

Mir geht die Sache mit der Diakonie-Kampagne immer noch nach. Und ich überlege, was es genau ist, das mich so beschäftigt.

Die Kommentare des Diakonie-Campaigners im ersten Blogbeitrag und der Text vom Diakonie-Präsidenten auf dessen Blog lassen bei mir sehr viele Fragen offen. Aber ich will jetzt kein Rechthabenwollen-Pingpong in den Kommentaren hier oder dort spielen. Das bringt nix. Deshalb dieser zweite Artikel, bei dem es mir ausschließlich ums Grundsätzliche geht.

Eine Vorbemerkung: Ich bin kein Campaigner, kein Fundraiser, kein Öffentlichkeitsarbeiter. Ich bin diesbezüglich nicht vom Fach. Aber seitdem ich als kleiner Junge Werbung guckte, liebe ich sie. Und später im Kino war ich nicht nur ein Abspannsitzenbleiber, sondern auch ein Werbungsvorspanngenießer. Will sagen: Rezeptionsästhetisch bin ich sehr wohl vom Fach.

Man kann (eigentlich) nicht nicht politisch sein.

Erschrocken bin ich über den Ansatz, dass der Diakonie Bundesverband seit Jahren völlig unpolitische Jahreskampagnen fährt. Denn eigentlich kann man nicht nicht politisch sein – jedenfalls nicht als großer Sozialverband. Unpolitisch zu sein ist somit – ungewollt – auch eine politische Aussage.

Gerade das Care-Thema ist ein hochpolitisches: Die Neudefinition des Pflegebegriffs. Die Finanzierbarkeit der Sozialsysteme und die damit verbundenen Fragen der Generationengerechtigkeit und der Geschlechtergerechtigkeit. Die Entlohnung des Pflegepersonals. Die gesellschaftliche Anerkennung von Pflegearbeit. Die völlig ungeklärte Frage, was mit den steigenden Zahlen an demenzerkrankter Menschen auf uns alle zukommen wird.

Es gibt wohl kaum ein Thema, das politisch so (auf)geladen ist wie die Pflege. Das heißt nicht, dass immer jede Aussage zu dem Thema ein politisches Statement sein muss. Nein, muss es nicht. Aber wenn eine Jahres(!)kampagne(!) eines der größten (!) Sozial(!)verbände des Landes eine Botschaft hat, die ungefähr in die Richtig geht wie „Natürlich ist es hart, aber das wird durch ein Lächeln entloht“, dann ist das eben nicht nicht politisch. Denn es ist nicht die Aussage der Mitarbeiterin XY (die selbstverständlich diese Meinung vertreten kann!), sondern es ist die Aussage der Diakonie-Kampagne.

Das Thema der Diakonie ist sie selbst

Was zum Kuckuck ist die Botschaft der Kampagne? Dass eine Hebamme den Job macht, wie eine Hebamme ihren Job macht? Dass ein Erzieher in einer Kita so arbeitet, wie man sich die Arbeit eines Erziehers in der Kita vorstellt? Dass man einen Einblick bekommt, wie eine Werkstatt für behinderte Menschen aussieht, egal welchen Trägers?

Ich erkenne folgende Botschaft: Die Diakonie hat verschiedene Arbeitsfelder, dort arbeiten Diakonie-Mitarbeitende und die machen einen tollen Job. Ja, das stimmt alles drei. Und?

Was ist das Thema der Diakonie-Kampagne? Die Diakonie selbst.

Thema sind nicht die Klienten, Nutzer oder Patienten. Sie sind Staffage (und stören zum Glück auch nicht großartig). Thema ist auch nicht ein gängiges Hilfeverständnis (Ermöglichung von Teilhabe, Kampf für eine inklusive Gesellschaft etc.). Und Thema ist schon gar nicht, strukturell oder gesellschaftspolitisch etwas voranzubringen.

Stattdessen sollen die Mitarbeitenden gewürdigt und in den Mittelpunkt gerückt werden. Ich bin der Letzte, der das nicht will! Aber dafür wäre wohl ein Rudigramm passender. Und in einer Image-Kampagne wünsche ich mir Aussagen, die nicht ausschließlich auf die Helfer fokussieren (jedenfalls nicht jahrelang!), sondern auf den Sinn, warum es diesen Verband gibt.

Die Sache mit der AuthentizitätTM

Authentizität ergibt sich für mich nicht automatisch dadurch, dass „echte Mitarbeiter“ in der Kampagne vorkommen. Sondern einzig und allein, ob die Botschaft authentisch ist. Der in dem Kampagnenvideo vorgeführte Pflegealltag ist beispielsweise völlig unauthentisch – auch wenn es von einer „echten“ Mitarbeiterin, in einer „echten“ Einrichtung mit „echten“ Klienten „in echt“ so gemacht wurde.

Eines ist wichtig: Mir geht es überhaupt nicht um die in den Kampagnenvideos gezeigten Mitarbeiter. Deren Arbeit kann und will ich nicht beurteilen. Ich habe schließlich nur ein Werbefilmchen gesehen, nicht deren Arbeit. Aber die Botschaft dieses Videos kann ich sehr wohl beurteilen. Ich kritisiere an dem Pflege-Video, wie die diakonische Arbeit dargestellt wird, welche Art von Fachlichkeit durch die Gesamtkomposition des Videos vermittelt wird. Ich sage nicht, dass die Pflege-Mitarbeiterin kitschige Arbeit macht. Ich sage aber sehr wohl, dass die Diakonie mit dem Video ganz großen Kitsch abliefert. Das hat mit den Mitarbeitern nur bedingt etwas zu tun. Doch sie hängen jetzt mit drin, mit Klarnamen.

Und wenn zum Beispiel der Mitarbeiter aus dem Spot von der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen zum Schluss des Videos zwischen behinderten und normalen Menschen unterscheidet (wenn auch „in Anführungszeichen“), dann wäre es falsch, diesen Mitarbeiter darauf festzulegen. Niemand redet druckreif. Es ist einzig und allein die Verantwortung der Diakonie, dass dies so über den Äther geht. Es ist ihre Absicht, dies so darzustellen und solche Aussagen zu prägen.

Was sie über die „Authentizität“ hinaus damit beabsichtigt, weiß ich nicht. Aber ich sagte ja bereits, dass sich mir der Sinn der Kampagne nicht erschließt.

Imagekampagnen eines Wohlfahrtsverbands: Was soll das?

Mein größtes Unverständnis bei den Diakonie-Kampagnen ist, wie man die Chancen, die eine Jahreskampagne bietet, damit verspielt, sie als Imagekampagne aufzuziehen. Und das seit Jahren! Wie bereits angedeutet, gefällt mir sehr gut, dass die Caritas Jahr für Jahr thematische Kampagnen fährt (und immer drei davon haben sogar noch ein Meta-Thema, hach!).

Dass einzelne diakonische Einrichtungen Werbefilme drehen und Imagekampagnen machen, ist nachvollziehbar. Genau dort gehört das auch hin. Sie bieten soziale Dienstleistungen an und können sich überlegen, ob sie Werbung machen wollen oder nicht. Jede einzelne Einrichtung kann sich überlegen, welches Image sie beförden möchte, ob sie sich eher altbacken oder progressiv geben möchte, was sie nach vorne und was sie nach hinten rücken möchte. Das kann niemand anderes als sie selbst. Sie sind sogar frei in der Entscheidung, ob sie gute oder schlechte Werbung machen wollen.

Der Bundesverband hat aber eine ganz andere Aufgabe, er ist ja gerade nicht Anbieter von sozialen Dienstleistungen. Er ist gesellschaftlicher und politischer Akteur – im Gegensatz zu den einzelnen Einrichtungen, die – mehr oder weniger – Marktakteure sind. Vielleicht bin ich jung und naiv, aber ich sehe die Existenzberechtigung des Diakonie-Bundesverbandes darin begründet, dass er Themen setzt, politisch interveniert, Druck macht, zivilgesellschaftlich mobilisiert und aktiviert, brennende Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens nach vorne treibt. Das sind alles Aufgaben, die wunderbar mit tollen Kampagnen begleitet werden könnten. Aber vielleicht bin ich ja wirklich naiv. Vielleicht ist es ja eine Satzungsaufgabe, Werbung für verschiedene Arbeitsfelder von Mitgliedsorganisationen zu machen.

Nun macht die Diakonie Deutschland anscheinend nicht nur Image-Jahreskampagnen, sondern auch thematische Kampagnen. Ich habe extra nicht gegooglet, sondern ein paar Tage nachgedacht: Ich kann mich an keine einzige erinnern. Sie scheinen nicht sehr auffällig gewesen zu sein. Und das liegt nicht an meinem Gedächtnis. Ich weiß ja sogar noch, wer Ulricke Jokiel ist. Und so etwas bräuchte ich mir wirklich nicht zu merken.

Okay, die Diakonie spielt nicht in derselben Liga wie beispielsweise ein Zentrum für politische Schönheit, das ist mir schon klar. Andererseits: Warum eigentlich nicht?

tl;dr
ach

UPDATE 2015-01-31 Holger Pyka hat sich auf meinen Beitrag „Alles Wölkchen“ bezogen und ist der Frage nach kirchlichen Image-Kampagnen nachgegangen. Sehr lesenswert! Ich verlinke ihn in diesem Beitrag von mir, weil ich hier (wie Holger dort) etwas ausführlicher über Kampagnen-Arbeit nachdenke.

Alles wölkchen

Mannomannomann, ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll.

Vielleicht hier: Warum rege ich mich eigentlich auf? Ich glaube, weil mir die Diakonie irgendwie am Herzen liegt und ich schon eine gewisse Identifikation mit diakonischer Arbeit habe. Mit dem, was das Ganze soll.

Worum es geht? Um die neue Image-Kampagne der Diakonie.

Mit ihren Kampagnen hat die Diakonie selten ein glückliches Händchen bewiesen. Aber jetzt übertrifft sie sich noch einmal selbst. Drei Videos der Kampagne sind online. Sie stellen den Arbeitsalltag in einer Kita, einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen und einem Nagelstudio Pflegezentrum dar.

Hier einmal das Video zum Pflegezentrum:

Das Bild, was ich von Pflege habe, unterscheidet sich fundamental von dem Kitsch, der in dem Imagefilm serviert wird. Ich habe gerlernt: Die Hauptaufgabe einer Pflegefachkraft ist Fotos anschauen und Nägel lackieren. Vor allem Nägel lackieren! Das ist so wesentlich, dass in dem Dreiminüter acht Sequenzen damit gefüllt werden: 0:01; 0:19; 0:30; 0:39; 1:03; 1:59; 2:21; 2:40.

An dieser Stelle muss die Diakonie doch auch ihre Mitarbeitenden schützen. Es ist zwar schön, dass die Protagonistin viel lacht, aber das, was fachlich rüberkommt, ist an Naivität kaum zu überbieten. Die junge Frau wird völlig vorgeführt.

Die anderen beiden Spots sind ganz okay. Okay im Sinne von nicht peinlich. Aber reicht okaysein für Kampagnenarbeit?

Ich frage mich, warum seit Jahren immer das gleiche Kampagnenschema gefahren wird: Die Diakonie hat verschiedene Arbeitsfelder und die Leute da sind nett. Das ist die Botschaft.

Warum gibt es keine thematischen Kampagnen (wie bei der Caritas)? Warum gibt es keine Fokussierung auf aktuelle gesellschaftliche Probleme (wie bei der Caritas)? Und warum gibt es einfach keine guten Kampagnen (wie bei der Caritas)?

Eine Antwort habe ich auf diese Fragen: Die Diakonie nennt das Ganze richtiger Weise ja eine Imagekampagne der Diakonie. Es soll also gar nicht um Agenda Setting, Themenmanegement, politische Positionierung, inhaltliche Substanz und gesellschaftlichen Diskurs gehen. Es soll einfach das Image der Diakonie aufgehübscht werden.

So kann man natürlich auch den gesellschaftlichen und kirchlichen Auftrag verstehen, den man hat.

Ich geh dann mal zur Diakonie rüber und lass mir die Nägel machen.

tl;dr
Alles wölkchen in der Diakonie.

P.S.: Hintergrund zu den Caritas-Kampagnen gibt es hier.

UPDATE 2015-01-28: Ich habe noch ausführlicher zur Kampagne gebloogt.

Geschichten erzählen

In der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal – eine der vier Bethel-Stiftungen – entstand der Fortbildungskurs „Glaube verstehen – diakonisch handeln“. Dieses diakonische Bildungsangebot wurde strukturell in dem Diakonieunternehmen verankert, so dass insgesamt 1.200 (in Worten: eintausendzweihundert!) Mitarbeitende und Leitende daran teilgenommen haben. Das Konzept wurde nun veröffentlicht und steht zum kostenlosen Download bereit.

Im Mittelpunkt steht das Geschichten-Erzählen. In einer festen Gruppe trifft man sich acht mal, bei jedem Treffen werden „Glaubensgeschichten“ und „Arbeits-Alltags-Geschichten“ erzählt. Beides wird aufeinander bezogen („verknüpft“).

Die Kurse boten und bieten ein Forum zum Geschichtenerzählen an. Geschichten als ein Mittel, biblisch/theologische Werteorientierung und Alltagserfahrung der Arbeit zu kommunizieren und zu verknüpfen. Experten aus der Arbeit (Mitarbeitende) trafen sich mit Experten der biblischen Überlieferung (Theologen). Sie verbanden ihre Geschichten, gewannen neue Einsichten und Impulse und entwickelten weiterführende Perspektiven. Die Anregung für dieses Vorgehen stammt aus den Basisgemeinden in Lateinamerika. Aufgrund des Priestermangels dort entstand seinerzeit eine Laienbewegung, die die Bibel unmittelbar aus dem von Armut und Ausgrenzung gekennzeichneten Lebensalltag heraus gelesen und verstanden hat. Sie verknüpften beides, ihren Lebensalltag und biblische Geschichten, fühlten sich gestärkt und ermutigt, gewannen so Impulse für sich selbst und im gesellschaftlichen Umfeld (S. 6).

Das Konzept ist so unspektakulär wie es gut ist: Narrative Theologie meets Korrelationsdidaktik. Es wird also genau das vermieden, woran solche Bildungsangebote immer wieder kranken: Diakonie „vermitteln“ zu wollen. Wer aufmerksam liest, kann entdecken, wie angemessen und bedacht das Konzept entwickelt wurde.

Die Auswahl der acht biblischen Geschichten wird kurz erklärt, sie orientierte sich an zwei Kriterien:

Die Geschichten sind so ausgewählt worden , dass darin Aspekte enthalten sind, die auch in einer weitgehend von kirchlichen Bezügen entfremdeten Gesellschaft mindestens als Begriff eine Rolle spielen (10 Gebote, Nächstenliebe, kirchliche Feste: Weihnachten, Ostern usw.) Oder sie können als gelebte oder gewünschte/ersehnte Erfahrung im Arbeitsalltag der Teilnehmenden auftauchen: Heilung, Integration von Außenseitern, Nächstenliebe, Hilfe und Begleitung in der Begegnung mit Tod bzw. Sterben (S. 11).

Das „Verknüpfen“ der Glaubens- mit den Alltagsgeschichten geschieht mit Hilfe von sieben vorgegebenen Kategorien: Ängste, Hoffnungen, Wünsche, Enttäuschungen, Begegnungen, Erfolge, Erfahrungen. Allerdings erfährt man wenig darüber, wie dieses Verknüpfens konkret geschieht (ja, ja, das alte Problem der Korrelationsdidaktik). Mich würde interessieren, welche Rolle die genannten Kategorien genau spielen und inwiefern sie sich bewährt haben.

Das Besondere an dem Kurs ist in meinen Augen zum einen der Mut, didaktisch alles auf eine Karte zu setzen: auf das Erzählen von Geschichten, den biblischen wie den eigenen. Und zum anderen ist es die organisatorische Konsequenz, mit der es im Unternehmen umgesetzt wurde.

Jörg Passoth: ,Glauben verstehen – diakonisch handeln‘. Christliche Tradition im Arbeitsalltag der Diakonie. Ein Qualifizierungskurs der
Hoffnungstaler Stiftung Lobetal, Ev. Bildungsstätte für Diakonie und Gemeinde, Bielefeld 2014.

Der Diakonie-Workshop auf dem EKD-Zukunftsforum

Vom 15. bis 17. Mai tagte das EKD-Zukunftsforum in Wuppertal und dem halben Ruhrgebiet. Es richtete sich an die mittlere kirchliche Leitungsebene (also die Superintendent/innen). Es war ein Beitrag zur Vorbereitung des Reformationsjubiläums 2017, sollte ein bisschen Incentive sein und außerdem wollte das EKD-Reformbüro auch gerne mal einen Kirchentag organisieren.

Zusammen mit Klaus-Joachim Börnke vom Diakonischen Werk Leverkusen, Stabstelle Gemeinde- und Gemeinwesendiakonie, und Cornelia Coenen-Marx vom EKD-Kirchenamt, habe ich einen der 28 Workshops am Freitag geleitet. Es war natürlich kein „Diakonie“-Workshop, wie es in der Blogüberschrift heißt, sondern ein „Kirchengemeinden & diakonische Einrichtungen“-Workshop.

Anstelle eines Recaps über das Zukunftsforum oder über unseren Workshop möchte ich einfach vier kleine Beobachtungen beisteuern, an denen ich hängengeblieben bin.

Der Gemeinwesendiakonie-Diskurs fördert den Gemeindediakonie-Diskurs

Der Workshop hatte seinen Ausgangspunkt bei der Gemeinwesendiakonie-Debatte. Deshalb wurde ich ja auch als Referent angefragt. Im Vorfeld haben wir dann den Workshop auf ein zentrales Thema der Gemeinwesendiakonie zugespitzt, nämlich der Kooperation von Kirchengemeinden und diakonischen Einrichtungen. Und das war eine gute Entscheidung, denn das Thema stieß auf Interesse.

Mir fällt aber eine grundsätzliche Sache auf: Die Debatte zur Gemeinwesendiakonie – egal wie intensiv und wie flächendeckend sie geführt wird – fördert erstmal die Debatte um Gemeindediakonie. Nicht alles, was sich Gemeinwesendiakonie nennt, ist es auch. Bei nicht wenigen Projekten, bei denen eine Gemeinwesenorientierung behauptet wird, gibt es de facto keine solche. Aber das muss auch gar nicht sein, es ist ja nur eine Debatten-Angebot. Dass diese Debatte dazu führt, dass Gemeinden ihre diakonischen Position um Gemeinwesen klären (das allein ist noch nichts Gemeinwesendiakonisches!), ist sehr gut.  Hervorragend sogar.

Nach dem echten Alleinstellungsmerkmal in der Gemeindediakonie suchen!

Bleiben wir bei Thema Gemeindediakonie. Ich habe in den letzten Jahren zunehmend von tollen diakonische Ideen und Initiativen in Gemeinden gehört. Wer Lust hat, diakonisch gestalterisch tätig zu werden, kann hier wirklich einiges machen. Was mich dann aber immer wieder überrascht, ist, dass sich die Gemeindediakonie oft an der Einrichtungsdiakonie („Unternehmensdiakonie“, „organisierte Diakonie“ etc.) abarbeitet – und sich dann selbst als defizitär erlebt. Um es einmal ganz klar zu sagen: An Refinanzierungen oder sozialberufliche Fachstandards, wie sie in der Einrichtungsdiakonie üblich sind, kommt die Gemeindediakonie nicht heran. Punkt. Deshalb darf man das aber auch gerade nicht vergleichen! Die Gemeindediakonie muss viel selbstbewusster ihre möglichen Alleinstellungsmerkmale ausspielen. Okay, dazu muss man sie natürlich erst einmal kennen.

Welches Alleinstellungsmerkmal bieten gemeindediakonische Initiativen und Projekte? Jetzt bitte nicht sagen, dass in der Gemeinde alles empathischer, näher, wärmer oder zuwendender (kurz: nächstenliebenderer) sei. Das ist Quatsch. Das Besondere an der Gemeindediakonie ist auch nicht das ehrenamtliche Element. Denn wenn man das betont, begibt man sich schnell wieder auf die schiefe Ebene der Abgrenzung zur „hauptamtlichen“ Einrichtungsdiakonie – und definiert sich schon wieder über bzw. gegen diese.

Das, was die Gemeindediakonie meines Erachtens wirklich ausmacht, ist ihre (potenzielle) Subversivität. Kirchengemeinden sind (mit einigen landeskirchlichen Unterschieden) unglaublich autonom. Kirchengemeinden können machen was sie wollen – zumindest in einem gewissen Rahmen. Und dieser Rahmen ist viel größer, als es den meisten Kirchenvorstehern bewusst ist (das ist zumindest meine Beobachtung). Gemeinden können anbieten, wozu anderen Organisationen der Mut fehlt. Sie sind schließlich nicht von Fördermitteln abhängig.

Doch wenn ich ehrlich bin, fällt mir beim Stichwort „Subversivität in der Kirchengemeinde“ nur das mancherorts wirklich mutige Auftreten in Sachen Kirchenasyl ein. Aber sonst? Die Gemeindediakonie sollte eine subversive Diakonie sein. Denn genau das ist ihr Alleinstellungsmerkmal.

„Nicht Häuser erhalten, sondern füllen!“

Kommen wir nun – leider – zu einem recht unsubverisven Thema: die kirchliche Gebäudenutzung. „Nicht Häuser erhalten, sondern füllen!“ Das sagte eine Teilnehmerin und mir gefiel diese Parole. Der Hintergrund ist altbekannt. Es ging darum, dass bestimmte diakonische Angebote nur nach hartem Kampf (oder gar nicht) im Gemeindehaus (bzw. in der Kirche) gemacht werden können, weil die Kerntruppe, die sich im Gemeindehaus eingerichtet hat, das Haus und die Einrichtung verteidigt, als wäre es ihr Eigentum. Ja, leider immer wieder ein Dauerbrenner. Im weiteren Verlauf wurde noch einmal darauf hingewiesen, dass sämtliche gemeindliche Ressourcen (von den Häusern bis zur Bestuhlung) aus Kirchensteuermitteln stammen und sie damit im Grunde allen Kirchenmitgliedern gehören.

Mir fiel wieder ein, dass das Wort „Parochie“ eigentlich Aufenthalt in der Fremde ohne Bürgerrechte (!) bedeutet. Man hat Gastrecht, aber kein Heimrecht. Das Grundthema der Gemeinde müsste daher Gastfreundschaft sein – und nicht Beheimatung. Gemeindehäuser – oder überhaupt kirchliche Häuser – sollten nicht heimelich gemacht werden sondern gastfreundlich. Und das bedeutet: multifunktional, barrierefrei, zielgruppenübergreifend (im besten Falle zielgruppenverbindend, aber wir wollen ja nicht gleich mit dem schwierigsten anfangen…).

Vielleicht sollte man eine Art Nichtbelegungsabgabe einführen: Für jede Stunde Leerstand eines Gemeindehauses muss die Gemeinde eine Zwangsabgabe an die Landeskirche zahlen. Das Geld kommt dann den Gemeinden zugute, die Geld für innovative Nutzungsformen benötigen.

„Das Ganze mal systemisch betrachten!“

Ein letzter Gedanke, etwas ganz anderes: Ein weiteres Statement, an dem ich hängengeblieben bin, war der Hinweis, dass man das Verhältnis von Kirche und Diakonie (im weitesten Sinne) systemisch betrachten müsste. Stimmt. In der Diskussion war damit eine ganzheitliche Sicht gemeint (was jetzt noch nicht sehr spannend ist), aber das löste bei mir folgende Frage aus (die ich durchaus sehr spannend finde):

Warum nutzt man in der Kirche nicht viel stärker System-Aufstellungen? Warum stellt man Gebäudenutzungen, kirchlich-diakonische Verhältnisbestimmungen, Alleinstellunsgmerkmale, Konflikte, Ideen und Inspirationen nicht auf? In vielen Bereichen gehören System-Aufstellungen zum Standard, in der Kirche nicht. Stattdessen clustern wir in der Gemeindeberatung immer noch Moderatorenkärtchen, bitte!

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Hintergründe von bestimmten systemischen Schulen/Traditionen durchaus mit christlicher Theologie vereinbar sind. Und ich kenne da eine gute Systemaufstellerin mit theologischem Background. Wer etwas damit anfangen kann: Anfragen gerne an mich!

 

Followerpower

Es gibt gerade einen interessanten Diskurs im Netz zur Frage nach dem Verhältnis von Social Media und dem Selbstverständnis der Wohlfahrstverbände – dabei geht es hauptsächlich um die Caritas, aber der gesamte Diskurs ist gut auf die Diakonie übertragbar. Markus Lahrmann, Chefredakteur der Zeitschrift „Caritas in NRW“ hat einen Beitrag verfasst mit dem Titel: „Social Media verändern Struktur und Selbstverständnis von Verbänden“. Ein wichtiger Aspekt in dem Artikel ist die geringe Followerpower der Caritas. Darauf reagierte Robert Schedding – Social Media- und Caritas-Insider – mit einer Replik und beschreibt, dass es um die Followerpower der Caritas gar nicht so schlecht bestellt ist.

Ich empfehle diese lesenswerten Artikel jetzt nicht den Social-Media-Experten bei der Diakonie oder den anderen Wohlfahrstverbänden, denn die wissen das ja schon. Die Debatte greift meines Erachtens tiefer, sie macht etwas deutlich, was über digitale Vernetzung hinausgeht: Es geht um die Identifikation der Mitarbeitenden mit den großen Verbänden. Und es geht um die Frage, wie man Macht aufbauen, pflegen und nutzen kann. Das, was ich in diesen Texten lese und worüber immer wieder nachdenke – jenseits von Social Media – will ich hier kurz skizzieren.

Mir fällt schon seit längerer Zeit auf – ich spreche jetzt nur für den diakonischen Bereich, aber ich bin mir sicher, dass meine Überlegungen auch auf andere Verbände übertragbar sind – dass es wenig Identifikation der Mitarbeitenden mit „der Diakonie“ gibt. Man ist Mitarbeiter in der Diakonie, aber nicht Diakonie-Mitarbeiter. Gleichzeitig kann man diesen Mitarbeitern aber gerade nicht fehlende Identifikation mit der Sache, ihrer Arbeit oder ihrem Beruf vorwerfen. Und ich kenne viele Mitarbeitende, die eine hohe Identifikation mit „ihrer“ Einrichtung haben. Etliche würden sich auch für ihren Chef/ihre Chefin teeren und federn lassen. Auch wenn meine Einschätzungen recht verallgemeinernd sind, sind sie glaube ich nicht ganz falsch. Kurz gesagt: Es mangelt nicht an Identifikation mit der diakonischen Arbeit oder Einrichtung, sondern mit „der Diakonie an sich“.

Streng genommen kann das „der Diakonie“ (und hier meine ich jetzt die Diakonie als Verband – also Bundesverband, Landes- und Fachverbände) auch egal sind, denn die Diakonie ist eben kein klassischer Mitgliederverband, so wie beispielsweise der ADAC. Die Diakonie ist der Dachverband und die Lobbyorganisation der Einrichtungen – das sind ihre Mitglieder. Die Mitarbeitenden sind in dieser Logik ja „nur“ die „Mitgliedsmitglieder“ (und selbst das ist ja nicht ganz richtig…).

Aber genau das ist das Problem.

Wie gewinnt man gesellschaftlichen Einfluss und Macht? Mittels dreier Dinge: Masse, Geld, Know How. Am besten ist natürlich, wenn man über alles drei gleichermaßen verfügt, aber das ist unrealistisch. Jedes dieser drei Elemente ist (zumindest theoretisch) in der Lage, die anderen zu kompensieren. Man kann aber auch zwei kombinieren, also Standbein hier, Spielbein dort.

Das, was die Diakonie ausmacht und ihr auch zu politischem Gewicht verhilft, ist ihr Know How (Expertise, Fachlichkkeit) und ihre Masse (28.000 selbständige diakonische Einrichtungen, 988.000 Plätze/Betten; siehe Einrichtungsstatistik 2012). Aber gerade der Faktor „Masse“ ist meines Erachtens noch erheblich ausbaufähig. Nämlich in dem aus Mitarbeitenden in der Diakonie Diakonie-Mitarbeitende werden.

Ein einfaches Beispiel, das die Größenordnung und damit die mögliche Power der Mitarbeitenden deutlich macht: Die drei erfolgreichsten Petitionen beim Deutschen Bundestag waren „Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten“ (134.015 Unterzeichner), die Petition gegen die steigenden Haftpflichtprämien von Hebammen (186.356 Unterzeichner) und die Petition gegen die geplante Tarifreform der GEMA (305.117 Unterzeichner) [Quelle hier]. Die Gesamtmitarbeitendenzahl der diakonischen Beschäftigten liegt bei round about 450.000. Hinzu kommt noch einmal eine Masse an Ehrenamtlichen (Hier gehen die Zahlen auseinander. Die Diakonie-Erhebung geht von 700.000 Ehrenamtlichen aus, die Sonderauswertung des 3. Freiwilligensurveys von 200.000).

Solch eine Masse wird sich niemals auf Knopfdruck ativieren lassen, das ist völlig klar. Mir geht es nur darum, festzustellen, was hier eigentlich für ein unglaubliches Potenzial an purer Masse steckt – und zwar ausschließlich als eigener Homebase! Vielleicht müssten sich die Diakonie-Verbände nicht nur als Vertreter ihrer Mitgliedseinrichtungen verstehen, sondern als Organisationen, die über eine gewaltige Basis verfügen. Und diese Basis muss gepflegt werden.

Deshalb einfach einmal drei Ideen, die dazu beitragen können, die eigene Homebase stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Alle Ideen sind bewusst aus dem „analogen“ Bereich, um zu zeigen, dass es hier nicht ausschließlich um eine digitale Community geht:

  • Der Diakoniepräsident/die Diakoniepräsidentin wird künftig nicht vom Funktionärsproporz (Einrichtungsdiakonie vs. Landesverbandsdiakonie) bestimmt, sondern von den Diakonie-Mitarbeitenden gewählt. Die Wahlbeteiligung wird sicherlich nicht sehr hoch sein, das ist mir auch klar, aber es wäre ein guter symbolischer Schritt, ein neues Selbstverständnis zu kommunizieren.
  • Die Fachverbände wandeln sich zu Mitgliederverbänden. Diakonie-Mitarbeitende können dann in „ihren“ Fachverband eintreten. Der jeweilige Verband vertritt ja die Anliegen des eigenen Arbeitsfeldes, eine gegenseitige Identifikation wäre also durchaus gegeben. Außerdem würde dies die Fachverbände stärken – die momentan eher einen schwierigen Stand im Diakonie-Gefüge haben, die aber meiner Meinung nach die tragende Identifikations- und KnowHow-Macht darstellen (könnten)!
  • Es gibt eine journalistisch hochwertige Zeitschrift, die automatisch alle Diakonie-Mitarbeitende zugestellt bekommen. Eine (neue) Zeitschrift zu lancieren ist sicherlich das Verrückteste, was man machen kann, das weiß ich auch. Aber es hatte ja auch niemand mit dem Erfolg von LandLust gerechnet. Warum also nicht?

Weiterhin geht es natürlich darum, die Social-Media- Kanäle und –Ansätze auszubauen und digitale Community-Pflege zu betreiben. Aber ich glaube nicht, dass das alleine ausreichen wird.

tl;dr
Die Diakonie hat eine gewaltige Homebase: ihre Mitarbeitenden. Die Mitarbeitenden in der Diakonie müssen stärker in den Mittelpunkt der Verbandsselbstverständnisse gerückt werden. Dann kann es auch gelingen, dass sie zu Diakonie-Mitarbeitenden werden und die Followerpower zunimmt. Und die wird mehr denn je gebraucht.

Diakonie operationalisieren

Welche Kriterien müssen eigentlich erfüllt sein, damit Diakonie Diakonie ist? Eine spannende Frage, hinter der sich eine noch grundsätzlichere Frage verbirgt: Kann man Diakonie überhaupt operationalisieren?

Um es kurz zu machen: nein, kann man nicht. Das liegt einfach daran, dass es keine „harte“ Diakonie-Theorie gibt, von der aus man deduzieren könnte. Trotzdem ist die Frage natürlich wichtig und berechtigt, unter welchen Voraussetzungen Diakonie nun auch „wirklich“ als „diakonisch“ gelten kann. Strukturell gesehen ist das noch recht einfach: Wenn eine Einrichtung Mitglied im entsprechenden Landesverband (oder auch im Bundesverband) ist, dann ist sie formaljuristisch „diakonisch“. Interessanter ist natürlich eine inhaltliche Antwort auf diese Frage. Mit einem etwas anderen Akzent – aber mit dem gleichen Grundanliegen – kann man auch fragen, wann eine Einrichtung „christlich“ ist. Und das gilt natürlich ebenso für die Caritas.

Vor zwei Jahren haben Diakonie und Caritas die „Rahmenbedingungen einer christlichen Unternehmenskultur in Caritas und Diakonie“ veröffentlicht. Darin werden die Qualitätsanforderungen zur „Herausstellung des christlichen Identitätsprofils eines Trägers und seiner Einrichtung“ beschrieben:

„Die Rahmenbedingungen einer christlichen Unternehmenskultur beschreiben das spezifisch christliche beziehungsweise kirchliche Profil eines Trägers und seiner Einrichtungen und unterstützen bei der Weiterentwicklung einer christlichen Unternehmenskultur.“ (Diakonie-Fachinformationsdienst vom 18.07.2011)

Der Leitfaden (PDF) und die Audit-Checkliste (PDF) können auf der Seite des Diakonie-Fachinformationsdienstes kostenlos heruntergeladen werden. Inhaltlich entsprechen sie sich natürlich, deshalb sollte man sich gleich der Checkliste zuwenden. Hier sind die einzelnen Qualitätsanforderungen als kurze Statements formuliert, inklusive Kästchen zum Ankreuzen in altbewährter ja-nein-vielleicht-Manier.

Ich mag solche Ansätze. Ich meine jetzt nicht Audits, sondern die Versuche, konkret auf den Punkt zu bringen, worum es inhaltlich geht. Um sich dann auch tatsächlich der schwierigen Frage auszusetzen, ob die Praxis dieser Anforderung standhält.

Wer sich mit der Frage nach dem diakonischen Profil schon einmal beschäftigt hat, wird in der Checkliste nichts aufregend Neues finden – aber darum geht es ja auch nicht. Viele wichtige Aspekte werden benannt, auch wenn das Ganze sprachlich schon recht hölzern daher kommt. Doch bei aller grundsätzlichen Zustimmung finde ich eine Sache etwas schwierig – oder vielleicht sollte ich eher sagen: etwas schade. Denn der konkreten inhaltlichen Frage, was denn nun „diakonisch“ ist oder nicht, kommen auch Leitfaden und Checkliste nicht wirklich viel näher.

Das sollte man sich einmal an einem konkreten Beispiel anschauen: Im Abschnitt 2.1 wird gefragt: „Ist die Gestaltung der Räume, insbesondere der Wohnräume der Kund(inn)en, an den christlichen Werten orientiert und zielt darauf ab, ein wohnliches Ambiente und eine angenehme Atmosphäre zu schaffen?“Ja, was heißt das denn nun? Würde es christlichen Werten entsprechen, wenn nur Naturmaterialen verwendet wurden (Bewahrung der Schöpfung, you know)? Wenn es viel Platz und Freiraum gibt – oder doch eher eine heimelig-enge Gemütlichkeit? Haben Kawohl-Poster eine höhere christliche Wertigkeit als ästhetisch ansprechende Bilder eines säkularen Verlages? Schwierige Fragen. Und ich meine diese Fragen wirklich ernst. Um welche „christlichen Werte“ geht es und wie schlagen sich diese konkret in der Ästhetik nieder? Ästhetik und Raumgestaltung sind in der Tat sehr wichtige Faktoren – gerade auch für christliches Profil! Nur wie beschreibe und operationalisiere ich dies angemessen? Hier helfen die „Rahmenbedingen“ dann doch nicht weiter. Und so ich habe den Verdacht, dass de facto wohl alles, was irgendwie ordentlich, freundlich, sauber und nett aussieht, als an christlichen Werten orientiert interpretiert werden kann.

Die Bezugnahme auf „christliche Werte“ taucht öfter auf. Doch so gängig dieser Begriff ist, er ist und bleibt unkonkret. In den „Rahmenbedingungen“ werden die „christlichen Werte“ gerade nicht expliziert, es gibt keine Aussagen dazu, was sie substanziell bedeuten. Die „Rahmenbedingungen“ bedienen sich stattdessen eines kleinen Tricks: Die Audit-Checkliste beginnt mit der Frage, ob im Leitbild der Einrichtung „christliche Grundsätze und Wertvorstellungen“ beschrieben werden. Wenn dann im Folgenden von christlichen Werten die Rede ist, geht es also immer um die Werte, die in dem jeweiligen Leitbild genannt sind. Die Einrichtung wird also an dem eigenen Maßstab gemessen – das ist natürlich gut! – aber damit kann im Grunde alles als „christlicher Wert“ gelten, wenn es der Träger in seinem Leitbild eben so definiert hat, von „missionarisch“ bis „humanistisch“ (um einmal zwei ideologische Schlagwörter zu gebrauchen).

Trotzdem finde ich es gut, der Profil-Frage nach zu gehen, in dem man nach konkreten Operationalisierungen sucht. Wohlwissend, dass es eine „richtige“ Operationalsierung des Diakonischen nicht gibt. Aber der Versuch, diakonische Essentials so konkret wie möglich zu formulieren, ist durchaus lohnend. Vor einigen Jahren haben Lars Charbonnier und ich eine Checkliste (oder genauer gesagt: einen „Test“) für den Einsatz in Seminaren entwickelt, mit dem Mitarbeitende ihre Arbeit beurteilen sollen – unter der Frage, ob auch Diakonie drin ist, wo Diakonie drauf steht.

Der Fokus ist ein ganz anderer als bei den „Rahmenbedingungen einer christlichen Unternehmenskultur“: Die Mitarbeitenden bewerten ihre eigene Arbeit aus subjektiver Sicht – und nicht ein Auditor eine Organisation. Und es gibt nachher auch kein „hop“ oder „top“ wie bei einer Zertifizierung, sondern es geht ausschließlich um den Bildungsgewinn, wenn man gemeinsam im Seminar über die Frage nach dem „Diakonischen“ streitet. Der „Test“ wurde in etlichen Semninaren eingesetzt und kam in der Regel gut an. Damit meine ich nicht, dass die inhaltlichen Aussagen, die unserem Vorschlag zugrunde liegen, durchweg positiv beurteilt wurden, sondern dass der „Test“ immer eine engagierte Diskussion ausgelöst hat. Gerade auch, weil wir mit den einzelnen Items ja durchblicken lassen, was wir unter „diakonisch“ verstehen – und wir nichts gegen Widerspruch oder Bessermachen haben!

Solche Operationalisierungen beruhen letztlich immer auf subjektivem Geschmack – davon können und wollen wir uns überhaupt nicht frei machen. Aber wir werfen einfach einen Vorschlag in den Ring, um zügig in die inhaltlich Diskussion einsteigen zu können. Für die Auswertung hat sich folgendes Verfahren bewährt: Jeder Teilnehmer kreuzt die entsprechende Zustimmung oder Ablehnung an. Dann

  • können Punkte vergeben (0 = trifft nicht zu, 1 = trifft eher nicht zu , 2 = trifft eher zu, 3 = trifft zu) und die Frage diskutiert werden, ob es einen „Mindest-Score“ geben muss, um „diakonisch“ zu sein;
  • kann diskutiert werden, welche Items wichtiger oder weniger wichtig sind;
  • können neue, eigene, bessere Items gesucht und ergänzt oder ausgetauscht werden.

tl;dr
Eine Operationalisierung des inhaltlichen Kerns der Diakonie ist nicht möglich. Aber trotzdem ist es sinnvoll, sich der Anstrengung zu unterziehen, es zu versuchen. Das ist eine gute Klärungsarbeit, durchaus mit einem Bildungsgewinn.

Neues Dossier zum ehrenamtlichen Engagement

Das vierte diakonisch.de-Dossier ist nun online. Ich habe einmal alles zusammengestellt, was mir an Netz-Ressourcen zum diakonischen und kirchlichen ehrenamtlichen Engagement in die Hände gefallen ist (nun ja, manches musste ich auch mühsam suchen…).

Hier geht’s zum Dossier Ehrenamtliches Engagament!

Bis auf den Freiwilligensurvey, dem Flaggschiff der deutschen Engagementforschung, habe ich nur Materialien aufgenommen, die einen spezifischen diakonischen und/oder kirchlichen Bezug haben bzw. die von Kirche und/oder Diakonie herausgegeben wurden. Das soll die Debatte nicht verengen. Ich musste das Dossier einfach begrenzen, und eine spezielle Engagement-Linksammlung von Kirche/Diakonie gab es bisher noch nicht (oder?).

Für den Titel des Dossiers habe ich den klassischen Begriff „ehrenamtliches Engagement“ genommen. Im kirchlichen Bereich ist es nach wie vor der gängige Terminus (Seidelmann 2012, S. 10). Im diakonischen Kontext findet man zunehmend Formulierungen, die die „Freiwilligkeit“ in den Vordergrund stellen. Hier gibt es aber auch einen fließenden Übergang zu den Freiwilligendiensten, die ich im Dossier nicht berücksichtigt habe (das wäre noch einmal eine ganz neue Linkliste). Auch deshalb bin ich einfach beim Klassiker „Ehrenamt“ geblieben. Die Wahl des Begriffs ist also keine politische, sondern eine pragmatische.

Ich hoffe, dass der Service gefällt!

Eine Blaupause fürs diakonische Profil

Hoffnung_LebenVor kurzem ist die überarbeitete Neuauflage von Hoffnung leben – Evangelische Anstöße zur Qualitätsentwicklung erschienen. Herausgeber ist der evangelische Kita-Fachverband im Rheinland. Und bei den dort zu findenden Anstößen geht es logischer Weise um die Profilentwicklung in evangelischen Kindergärten.

Doch das Buch ist so gut, dass es nicht nur für Kita-Mitarbeiternde, -Leitungen und -Fachberater/innen interessant ist, sondern für alle, die sich mit diakonischem Profil beschäftigen. Man muss dann ein bisschen um die Ecke denken, aber das sollte ja eigentlich keine Schwierigkeit darstellen.

Das Buch beginnt mit einer biblisch-theologischen Grundorientierung. Es wird dargestellt, was die Bibel von Gott, vom Menschen, vom Zusammenleben und vom Sinn des Lebens erzählt. Dazu gibt es jeweils biblische Impulse, Anregungen zur Weiterarbeit und pädagogische Zuspitzungen. Das Ganze macht 30 Seiten aus und ist damit sowohl fundierter als auch konkreter als so manche andere diakonische Materialhilfe.

Der zweite Teil ist der Hauptteil des Buches, hier wird die konzeptionelle Grundlage für die Profilentwicklung gelegt. Diese besteht in „fünf Ebenen – vier Aspekten – acht Grundmerkmalen“. Auch wenn man jetzt noch nicht weiß, was sich dahinter genau verbirgt, wird zumindest schon klar: Hier wird sehr strukturiert vorgegangen. Um diese Struktur geht es mir, gleich mehr dazu.

Im dritten Kapitel bietet das Autoren-Team noch einen weiteren Reflexionsschritt. Religiöse Erziehung/Bildung kann sich in verschiedenen Gestaltformen zeigen. Kunst, Raum, Zeit, Beziehungen, Körper/Sinne, Feste/Rituale, Erzählen, Stille/Gebet werden hier genannt und noch einmal konkretisiert.

Zurück zum Hauptteil des Buches mit den Ebenen, Aspekten und Merkmalen. Folgendes ist damit gemeint:

  • Die Ebenen: Hier geht es um fünf verschiedene Handlungssebenen: (1) die der Kinder untereinander, (2) die der Kooperation mit den Eltern, (3) die Ebene der Mitarbeitenden untereienander, (4) die Träger-Ebene und schließlich (5) die Ebene der Gesellschaft.
  • Die Aspekte: Aspekte beschreiben den“Sitz im Leben“ des Inhaltlich-Religiösen: (1) die religiöse Dimension in der Erziehung, (2) die Begegnung mit christlichen Inhalten, (3) die Kooperation von Kirchenegmeinde und Kita und (4) das interreligiöse Miteinander.
  • Die Grundmerkmale: Grundmerkmale sind die theologischen Essentials, die in dem Arbeistfeld eine besondere Relevanz haben. Während die theologische Grundorientierung im ersten Kapitel biblisch-theologisch angelegt war, stellen die Grundmerkmale quasi den systematisch-theologischem Kern dar. Für das Arbeitsfeld der Kitas nennen die Autoren acht solcher Essentials/Grundmerkmale: (1) Grundvertrauen, (2) Selbständigkeit, (3) Verantwortungsbewusstsein, (4) Grenzen, Schuld, Vergebung, (5) Neugier, (6) Sinn für Geheimnisvolles, (7) Phantasie und Kreativität und (8) Hoffnung.

Und jetzt beginnt das mühsame, aber lohnende Geschäft. In der Handreichung wird nun Ebene für Ebene, Aspekt für Aspekt, Merkmal für Merkmal durchgegangen. Mitgerechnet? Richtig, 160 (5 x 4 x 8) „Qualitätsfragen“ werden formuliert und mit jeweils ein, zwei Beispielantworten ergänzt.

Genau dieses Vorgehen gefällt mir – und es ist auf andere diakonische Arbeitsfelder übertragbar. Diese Struktur kann daher durchaus als eine Profil-Blaupause für andere Handlungsfelder dienen – nicht in den Inhalten, aber in der Herangehensweise. Dreierlei muss dann geklärt werden (ich weiche etwas von den verwendeten Begrifflichkeiten ab):

  • Die verschiedenen Bezugsebenen des Handelns: Das geht recht schnell, weil diese sich in den einzelnen Arbeitsfeldern mehr oder weniger von selbst ergeben.
  • Die religiösen Anschlussstellen: Diese sind in den verschiedenen Handlungsfeldern sehr unterschiedlich. Hier muss man schon mehr Reflexionsanstrengung hineinstecken, vielleicht zeigt sich nachher auch, dass manche Aspekte eher schwierig oder auch nicht angemessen sind. An dieser Stelle muss man vielleicht auch einfach eingestehen, dass dies bei Kitas verhältnismäßig einfach ist.
  • Die spirituellen Grundthemen oder -dynamiken des Arbeitsfeldes: Auch das ist nicht ganz so leicht, hier bedarf es solider Erfahrungen des Feldes. Die Kunst – ich sage es immer und immer wieder! – liegt darin, dass diese Essentials gleichermaßen eine „theologische“ wie „fachliche“ Würde habe. Für die theologische Durchdringungen könnten die folgenden beiden Bücher hilfreich sein: Krockauer/Bohlen/Lehner (Hg.): Theologie und Soziale Arbeit, München 2006 (Teil C) und meine Dissertation (Abschnitt 10.3).

Nach dieser Vorarbeit setzt dann die eigentliche Arbeit ein: Alles gegenseitig aufeinander beziehen und sich immer fragen: Was leitet sich hieraus konkret für das diakonische (bzw. christliche) Profil des Handlungsfeldes ab? Für mich ist „Hoffnung leben“ die beste Handreichung, die ich kenne, um diakonisches Profil zu entwickeln. Uneingeschränkte Kaufempfehlung – unabhängig vom Handlungsfeld!

Rheinischer Verband Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder e.V. (Hg.): Hoffnung leben. Evangelische Anstöße zur Qualitätsentwicklung, Moers 2013, 16,95€

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Auch wenn die konkreten Fragen und Beispiele nicht auf andere Handlungsfelder übertragbar sind, die Herangehensweise ist es: Die Handreichung „Hoffnung leben“ gehört daher auf jeden Profilentwickler-Schreibtisch.

 

Was ist Diakonie? (#10)

Im diakonischen Bereich wird oft erwähnt, dass die Diakonie zwei wichtige Funktionen erbringe, nämlich Dienstleistung und Anwaltschaft – also das Anbieten sozialer Dienstleistungen und das anwaltschaftliche Eintreten für die Rechte Marginalisierter. Doch beschreibt diese Doppelfunktion wirklich hinreichend das Spektrum diakonischen Handelns? Fehlt da nicht was?

Das Funktionen-Doppel von Dientsleistung und Anwaltschaft trifft es in meinen Augen nicht so richtig. Dabei geht es mir gar nicht darum, dass beide Funktionen gerne und oft kritisiert werden – das Erbringen diakonischer Dienstleistungen führt unweigerlich zu der Kritik, dass die Diakonie eh nur das tue, was sie bezahlt bekomme und der Anwaltschaftlichkeit wird vorgeworfen, dass sie vor allem Eigeninteressen des Trägers diene; zudem müsse man fragen, woher eigentlich das Mandat zum anwaltlichen Tätigsein komme, es handele sich viel eher um ein „angemaßtes Mandat“.

Ich finde an dieser Doppelfunktion vor allem schwierig, dass sie de facto zu einem Dualismus wird: einerseits gibt es da die durchökonomisierte Dienstleistungserbringung, andererseits das gesellschaftspolitische „anwaltschaftliche“ Engagement der Diakonie, das gern als die „eigentliche“ diakonische Aufgabe angesehen wird. Die Anwaltsfunktion wird so zu einer Chiffre für all das Gute, Wahre und Schöne der Diakonie – bleibt damit allerdings auch diffus. Die (gesellschafts-)politische Funktion der Diakonie ist aber breiter und facettenreicher, als es der Begriff „Anwaltschaftlichkeit“ hergibt.

Anwaltschaftlichkeit muss daher meines Erachtens präzisiert werden. Zum einen spreche ich lieber von Interessenvertretung, das kommt mit etwas weniger Pathos daher. Und zum anderen braucht es über das Eintreten für die Interessen bestimmter Gruppen hinaus auch noch eine gesamtgesellschaftliche Funktion: das Bemühen um eine solidarische und gerechte Gesellschaft im Ganzen. Daher gefällt mir auch die Trias gut, die die Caritas immer wieder nutzt, um ihr Selbstverständnis zu beschreiben: Dienstleister, Anwalt und Solidaritätsstifter.

Die Solidaritätsstiftung explizit als dritte Funktion zu bennen, finde ich sehr einleuchtend. Zum einen schon allein deshalb, weil Dreiermodelle grundsätzlich mehr Eleganz haben als Zweiermodelle (bzw. de facto-Dualismen). Zum anderen aber auch, weil es eben einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Anwaltschaftlichkeit/Interessenvertretung und Solidaritätsstiftung gibt. Er liegt in dem, worauf sich diese beiden Funktionen beziehen: Bei Anwaltschaft/Interessenvertretung geht es immer um die Durchsetzung von Partikularinteressen, bei der Solidaritätsstiftung um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Es sind zwei verschiedene Bezugspunkte.

Doch in meinen Augen fehlt da immer noch etwas. Es gibt es noch eine weitere, vierte Funktion, die bisher in der Reflexion über die Diakonie bisher kaum auftaucht: die Funktion des Gemeinschaftsbilders.

Der Begriff der Gemeinschaft ist manchmal etwas romantisch aufgeladen und gerade in kirchlichen und diakonischen Szenen hat er hin und wieder etwas merkwürdige Konnotationen – mir ist daher eigentlich der englische Begriff der Community etwas lieber, denn es geht um die ganze Breite dessen, was „Community“ sein kann: Gemeinschaften, Gemeinden, Gemeinwesen, aber auch Szenen oder Netze.

Die Funktion des Gemeinschaftsbilders / des Community-Buildings ist noch nicht durch die anderen drei Funktionen abgedeckt. Und in meinen Augen ist sie auch gerade für die Diakonie wesentlich. Die Diakonie hat eben auch die Funktion, zu verbinden und zu vernetzen, Sozialkapital aufzubauen und Zugehörigkeiten zu ermöglichen. Es geht um angemessene und gelingende Formen von Vergemeinschaftung, es geht darum, „Communities“ (mit) zu ermöglichen, (mit) zu pflegen, und (mit) zu entwickeln. Die Zugehörigkeiten zu „Communities“ und das Eingebundensein in ihnen ist eben nicht nur ein Mittel zum Zweck, sondern hat einen Wert in sich – sowohl für den Einzelnen, wie für die Gesellschaft im Ganzen.

Interessant finde ich, dass ich auf die Funktion des Communty-Buildungs ja bereits in der Bratislava-Erklärung gestoßen bin (…wenn ich es recht sehe, ist diese auf osteuropäischen Erfahrungen aufbauende Erklärung bei uns völlig unbekannt – was schade ist!). Und in einem Blogbeitrag von Brigitte Reiser habe ich den Hinweis auf eine etwas anders formulierte Funktionen-Trias von Nonprofitorganisationen gefunden, die ebenfalls die Community-Dimension als grundlegend ansieht. Auch in Reisers erweitertem Modell (sie führt Beteiligung/Partizipation als vierte Dimension ein), bleibt die Community-Funktion selbstverständlich bestehen.

Gerade für die Diakonie ist die Gemeinschaftsfunktion im Grunde nicht neu (man denke nur an die Anstalten, Häuser und Wohngruppen, an Kommunitäten, Basisgemeinschaften und diakonische Gemeinschaften, aber auch an das (zaghafte) Experimentieren mit Genossenschaften. Als das war schon immer nicht nur ein Mittel zum Zweck, sondern ein Grundanliegen der Diakonie, deshalb erstaunt es mich ein wenig, dass ein Community-Buildung bisher nicht als eigenständige Grundfunktion von Diakonie diskutiert wird.

Man könnte auch einmal darüber nachdenken, ob nicht gerade die konfessionellen Wohlfartsverbände ein besonderes Interesse an der Community-Funktion haben müssten. Zum einen ist das Christentum keine individuelle Erlösungsreligion, sondern eine auf Gemeinschaft angelegte Religion, und zum anderen ist die ganze Kirchen- und Diakoniegeschichte ja voll von Erfahrungen und Experimenten mit Sozialformen – erfolgreichen und gescheiterten.

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Diakonie ist nicht nur Dienstleister, Anwalt und (nicht zu vergessen!) Solidaritätsstifter, sondern auch Gemeinschaftsbilder.

„Neue Gemeindeformen“ und ihre Bedeutung für die Diakonie

Die aktuelle Ausgabe 1/2013 der Zeitschrift “Praktische Theologie” hat den Schwerpunkt “Neue Formen von Gemeinde”. Ich zähle nun nicht zu den Insidern der Gemeinde-Entwicklung, aber mir scheint es doch gegenwärtig ein gewisses Interesse daran zu geben, wie und was Gemeinde sein kann. Also ein sehr aktuelles Thema. Und – ist das nun erstaunlich oder ist es das nicht? – ein äußerst ergiebiges Thema für diakonische Entdeckungen.

Lange Zeit schien das Thema “Gemeinde” vom Tisch zu sein. Kirche organisiert sich halt in Gemeinden, aber wer innovativ sein will, der sollte sich dann doch lieber von der Gemeinde fernhalten. Innovation ist woanders. Das fordert natürlich auch eine Gegenbewegung heraus, bei der alles daran gesetzt wird, dass Gemeinde so innovativ wie möglich daherkommt. Bevorzugte Vokal ist dabei “frisch” (und weil das so altbacken klingt, nennt man es lieber “fresh”).

Das Positive an dem Schwerpunktheft der Praktischen Theologie ist in meinen Augen, dass man sich nicht von den euphemistischen, aber letztlich doch inhaltlich unbestimmten Schlagworten “alternativer” oder “fresh”er Ansätze leiten lässt. Sondern es geht um die nüchtern klingende, aber äußerst spannende Grundfrage: Wie funktioniert eigentliche (christliche) Vergemeinschaftung? Dazu werden sieben Gemeinden vorgestellt. Diese sind:

Die Schilderungen der Gemeinde(forme)n sind anregend zu lesen und es lohnt sich, über die anschließenden systematisierenden Überlegungen von Ralph Kunz und Uta Pohl-Patalong nachzusinnen. Zwei Gedanken gingen mir dabei immer wieder durch den Kopf:

Die Frage nach der diakonischen Dimension der (neuen) Gemeindeformen

Kunz und Pohl-Patalong betonen, dass die vorgestellten Gemeinden deutliche diakonische Bezüge haben – seien sie explizit oder implizit:

“Auffallend häufig finden sich bei den vorgestellten Gemeindemodellen ein gesellschaftliches Engagement in Solidarität mit benachteiligten Menschen. Die St. Lukas-Kirche in Gelsenkirchen und die Mitenand-Arbeit in Basel leben von diesem Motiv, aber es findet sich bei allen anderen in unterschiedlicher Weise, sei es als sozialdiakonisches Arbeitsfeld ‘Haltestelle LUX’, das sozial benachteiligte Jugendliche fördert, sei es als Auseinandersetung mit gesellschaftlichen Fragen wie in der Stadtkirche Dortmund oder als Forum für die aktuellen Fragen im Stadtteil wie im Ökumenischen Forum HafenCity, sei es als konkrete diakonische Arbeit im Quartier in der Gellertkirche Basel” (Kunz/Pohl-Patalong, S. 34).

Für Kunz und Pohl-Patalong weisen diese neuen Gemeindeformen “neue Mischungen von Sozialität, Spiritualität und Solidarität” auf (S. 35). Das Mischungsverhältnis der sozialen, spirituellen und solidarischen Dimension macht dann den Charakter der Gemeinde aus. Und ich mag mich täuschen, aber mir scheint, dass sich bei den Diskursen rund um das Diakonische der Kirche im Laufe der Jahre der Klang geändert hat. Ein gewisses Pathos, das oft mit diakonischer Arbeit einherging (etwa: Diakonie als Gerechtigkeitsarbeit, die nicht nur gegen den Kapitalismus, sondern auch noch gegen die Kirche kämpfen muss), verebbt zunehmend. Ein neues Interesse an Spiritualität, Kontemplation oder Liturgie scheint gerade nicht – wie in der diakonischen Szene oft befürchtet – die Diakonie zu verdrängen. Sie wird im Gegenteil neu entdeckt; etwas unaufgeregter, aber mit durchaus radikalem Potenzial.

Vielleicht ist das aber auch eine etwas überschießende Interpretation von mir, mag sein…

Und andersrum: Die Frage nach der Gemeinschaftsdimension in der Diakonie

Es ging mir aber noch etwas Zweites durch den Kopf. Die Frage nach angemessenen Sozialformen und die Erkenntnisse der beschriebenen Vergemeinschaftungsprozesse sind auch für die Diakonie in ihrer institutionalisierten Variante spannend.

Meine These – die ich in Vorträgen schon gelegentlich betont, aber hier im Blog noch nicht dargestellt habe (wird nachgeholt!) – ist, dass Diakonie vier Grundfunktionen hat. Und damit eine mehr als das gängige Dreier-Modell mit Dienstleistung, Interessensvertretung (oft als „Anwaltschaftlichkeit“ bezeichnet) und Solidaritätsstiftung. Die vierte Funktion ist die der Gemeinschaftsbildung. Für mich ist auch die Pflege von Sozialkapital, die Beheimatung in kleineren und größeren Kollektiven, das Bemühen ums Dazuzugehören oder das Aufbauen von Netzwerken eine Grundfunktion der Diakonie.

Dazu gehört auch das Suchen und Ausprobieren von immer wieder neuen, angemessenen Sozialformen und das Wahrnehmen und Reflektieren von Vergemeinschaftungsprozessen. Auch deshalb sind die 7 + 1 Artikel dieser PrTh-Ausgabeauch für die Diakonie interessant.

Um die Dortmunder Stadtkirche St. Petri bildet sich eine eigene Szene, in der es immer wieder zur der überraschend-irritierenden Erkenntnis kommt, dass man in St. Petri gar nicht eintreten kann – denn rechtlich ist sie eben gar keine eigenständige Gemeinde. Weil man aber gerne irgendwo eintreten möchte, gründet man halt einen Förderverein. Auch um die Hamburger Kirche der Stille gruppiert sich eine Szene. Gemeinschaft wird gesucht, aber der Begriff „Gemeinde“ wird vermieden – zu viele negative Konnotationen schwingen mit. Die Alternative lautet dann „spirituelles Zuhause“. Bei der Jugendkirche LUX geht es um Beziehungen in Teams und Kleingruppen, die zusammen ein Netzwerk bilden. Dies führt zur Nutzung des „Community“-Begriffs, der sowohl das soziale Phänomen als auch dessen theologische Deutung aufnimmt. Die gemeinwesendiakonisch ausgerichtete Lukas-Gemeinde in Gelsenkirchen orientiert sich an „gelebter Nachbarschaft“; das Verhältnis der Sozialformen „Gemeinde“ und „Gemeinwesen“ wird mit „Nachbarschaft“ auf den Punkt gebracht. Auch das Ökumenische Forum HafenCity knüpft an die Idee eines Nachbarschafts- bzw. Begegnungsortes an, gemeinschaftliche Dynamik entfaltet sich zudem durch eine Kommunität und eine Hausgemeinschaft. Die missionarisch ausgerichtet und von Willow Creek geprägte Gellertkirche in Basel besteht aus einem Geflecht von über hundert (!) verschiedenen Kleingruppen; die zwei zentralen Gottesdiensten haben für landeskirchliche Verhältnisse Großveranstaltungscharakter. Und wiederum ganz andere Sozialformen bilden sich in der vor allem von Migrant/innen getragenen Mitenand-Bewegung in Basel. Eine Arbeit, die entdeckt hat, dass inklusive Ideen unter erschwerten Bedingungen möglich werden können, wo integrative Ansätze eben nicht möglich sind. Besondere Formate sind ein babel-artiger Gottesdienst ohne gemeinsame Sprache, ein sonntäglicher Begegnungsraum und eine eigene Art von Gemeindefreizeit.

Diakonie war immer wieder dann innovativ, wenn sie das Potenzial bestimmter Community-Arten entdeckt hat und zum wesentlichen Bestandteil ihrer Arbeit gemacht hat: Kommunität, Verein, Anstalt, Haus(-Familie), Wohngruppe, vereinzelt auch die Genossenschaft oder die Hausgemeinschaft, neuerdings die Nachbarschaft. Unter diesem Gesichtsprunkt birgt eine Debatte um neue Gemeindeformen durchaus auch noch Einiges an Potenzial für die Diakonie.

Gemeinwensenorientierte Ansätze werden hierbei eine wichtige Rolle spielen, das liegt ja bereits auf der Hand. Das Geflecht aus Zellen, Clustern und Netzen (wie in missionarischen oder in jugendkulturellen Gemeinden) könnte gerade für das Gelingen von Teilhabeprozesse eine entscheidende Bedeutung haben (wird meines Wissens aber unter „diakonischer“ Perspektive noch nicht bedacht). Das Phänomen, dass sich sogar in eher losen Szenen Wünsche nach formaler Zugehörigkeit entwickeln, ist vor allem für diakonische Gemeinschaften interessant. Die meines Erachtens wichtigste Brutstätte diakonisch relevanter Sozialformen sind die Migrantengemeinden. Nicht aus einer falsch verstandenen naiven Romantik heraus, sondern weil sie Integrations- und Inklusionsbemühungen noch einmal gegen den Strich bürsten.

tl;dr
Neue Gemeindeformen haben deutlich diakonische Dimensionen. Und die Diakonie braucht als Gemeinschafts-Bilder den Diskurs um neue Sozialformen.

Diakonisches Profil: Neues Dossier und einige Notizen

So, das dritte Dossier auf diakonisch.de ist online. Es dreht sich rund um das Thema „diakonisches Profil“. Dazu ist natürlich schon sehr viel publiziert worden, deshalb steht bei diesem Dossier eine qualitative Reduktion im Vordergrund. Es ist eine kleine, aber umso feinere Auswahl geworden. Damit man nicht alles lesen muss, sondern nur das Gute.

Zur Einstimmung hier noch vier Punkte, die mir bei der Beschäftigung mit dem Thema über die Jahre hinweg wichtig geworden sind. Wenn man diesen Ausführungen folgt, umgeht man die gängigsten Kurzschlüsse der Profil-Debatte (zumindest meiner Meinung nach…).

Diakonie ist nicht gleich Diakonie – diakonisches Profil ist immer kontextabhängig

Die verschiedenen diakonischen Akteure unterscheiden sich sehr deutlich. Ein regionales Diakonisches Werk auf Kirchenkreisebene und ein Krankenhaus eines diakonischen Trägers haben auf den ersten Blick – und auch noch auf den zweiten und dritten – nicht viel gemeinsam, wenn man einmal von der Tatsache absieht, dass beide formaljuristisch Mitglied der Diakonie sind. Von Kirchengemeinden und anderen diakonischen Akteuren ganz zu schwiegen. Doch nicht nur die Akteure in der Diakonie-Landschaft unterscheiden sich, auch die Arbeitsfelder sind von völlig verschiedenen Rahmenbedingungen und inhaltlichen Dynamiken geprägt.

Man kann nun nicht einfach für die verschiedenen Akteure und für die verschiedenen Bereiche ein allgemeingültiges diakonisches Profil formulieren. Es gibt kein diakonisches Profil an und für sich. Oder aber man bleibt äußerst allgemein und abstrakt, dann aber um den Preis, dass das diakonische Profil wenig Berührung zum diakonischen Alltag und zu den konkreten Tätigkeiten hat. Und genau das sollte vermieden werden!

Diakonie entsteht im Handeln und im Deuten. Diakonie ergibt sich nicht aus einer Diakonie-Theorie

Der erste Satz klingt vielleicht unspektakulär, führt aber zu der wichtigen Konsequenz, dass diakonisches Profil nicht aus einer Theorie „abgeleitet“ werden kann. Deduktion ist kaum möglich, oder treffender gesagt: wenig sinnvoll. Diakonische Identität gibt es nicht an und für sich. Erst im Tätigsein, in der Auseinandersetzung und der Vergewisserung kann sich das zeigen, was Diakonie ist. Für das diakonische Profil bedeutet dies: Es geht nicht um eine deduktive Profilableitung sondern um eine induktive Profilvergewisserung (vgl. H.-G. Ziebertz, Sozialarbeit und Diakonie, Weinheim 1993, 152). Diakonische Bildung hat daher nicht die Aufgabe, zuvor definierte Profilaussagen zu vermitteln, die dann im diakonischen Alltag nur noch umgesetzt werden müssten, sondern immer wieder neu zum Prozess eigener Profilvergewisserung anzuregen. Diakonische Identitätsentwicklung und Profilbildung ist keine einmalige, abgeschlossene Aufgabe. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass beispielsweise der Bildungswert eines formulierten Einrichtungsleitbildes äußerst gering ist. Unter Nachhaltigkeits-Gesichtspunkten ist ein „fertig“ formuliertes Leitbild nicht viel mehr als dies: nice to have. Etwas ganz anderes ist die gemeinsame Erarbeitung eines Leitbilds.

Wichtig für diakonisches Profil ist das Konstitutive, nicht das Spezifische

Wenn man nach dem Wesentlichen der Diakonie sucht, ist die Unterscheidung von Konstitutivem und Spezifischem sehr hilfreich. Man kann auch von inklusiven und exklusiven Merkmalen des diakonischen Profils sprechen, das meint in etwa das Gleiche.

Es geht um Folgendes: Das Eigentliche der Diakonie darf nicht mit dem Einzigartigen der Diakonie verwechselt werden. Es ist fraglich, ob mit einem Bündel von Besonderheiten das Wesen der Diakonie zutreffend beschrieben werden kann. Das Spezifische fragt nach dem Besonderen, dem Einzigartigen; es entsteht aus der Abgrenzung gegenüber Anderem. Das Konstitutive fragt nach dem Wesentlichen, dem Bedeutsamen – egal, wie und ob dies auch bei Anderen so ist.

Ein hilfreiches Beispiel diesbezüglich stammt von Herbert Haslinger: Wenn man fragt, was das Spezifische am Katholizismus ist, würden sicherlich Papsttum oder Marienfrömmigkeit als erstes genannt werden. Würde man nun eine Liste mit all diesen Spezifika aufstellen, hätte man damit trotzdem in keinster Weise das Wesen des Katholizismus erfasst. Denn dazu zählen ganz besonders auch Elemente, die es in anderen Konfessionen (der Glaube an Jesus Christus), teilweise auch in anderen Religionen (Gebet, religiöse Gesänge, etc.) gibt. Dieses Beispiel ist leicht zu übertragen auf die Frage nach dem spezifischen bzw. konstitutiven Profil der Diakonie.

Das Spezifische beschreibt damit also gerade nicht das Eigentliche, sondern nur Sonder- und Spezialaspekte – und lenkt dadurch von der Sache ab. Eine Gegenprofilierung ist „keine gute Möglichkeit der diakonischen Profilentwicklung“ (H.-St. Haas, Diakoie Profil, Gütersloh 2004, 240), sie ist auch kaum in der Lage, überhaupt zum Wesentlichen vorzudringen, da sie sich immer an Spezifika verausgaben wird. Die Frage nach den Spezifika muss dabei nicht völlig aufgegeben werden: Sie kann nützlich sein, wenn man sie als Prüf-Kriterium einsetzt (um zu schauen, ob man nicht bestimmte Aspekte völlig übersehen hat), aber eben nicht als Such-Kriterium.

Diakonisches Profil meint weder etwas „Zusätzliches“ noch eine eigene „diakonische Fachlichkeit“

Diakonisches Profil wird oft als etwas „Zusätzliches“ wahrgenommen. Viele Mitarbeitende empfinden, dass das Diakonische etwas Zusätzliches ist, dass ein irgendwie geartetes „Mehr“ erwartet wird – und dass dieses „Mehr“ gerade an ihnen hängt: „Jetzt müssen wir nicht nur fachlich gut sein und den Alltag hier irgendwie überstehen – jetzt müssen wir auch noch besonders diakonisch sein!“ Oft ist es auch ein unterschwelliger Druck, was die Sache nur noch subtiler macht. Natürlich gibt es auch „zusätzliche“ Aspekte rund um das Thema „diakonisches Profil“. Aber meiner Meinung nach liegen diese dann eher auf Seiten des Trägers und nicht beim Mitarbeitenden. Beispielsweise eine Vernetzung mit anderen kirchlichen Institutionen, ein Augenmerk auf eine besondere Ästhetik in der Einrichtung oder die Einrichtung eines Andachtsraums – dies sind alles Sachen, die für den Träger etwas Zusätzliches bedeuten, aber nicht für das Handeln der Mitarbeitenden.

Es geht in der Diakonie wie in der Sozialen Arbeit allgemein um eine gute Fachlichkeit und um eine möglichst hohe Professionalität. Deshalb stellt sich die Frage, wie sich denn nun die Fachlichkeit und das Diakonische zueinander verhalten. Es taucht immer mal wieder der Begriff einer „diakonischen Fachlichkeit“ auf. Dies ist in meinen Augen aber ein problematischer Begriff, denn er suggeriert, dass es neben pädagogischer, sozialarbeiterischer, therapeutischer oder pflegerischer Fachlichkeit eben auch noch eine eigene diakonische Fachlichkeit gäbe. Man kann dem kurz und prägnant entgegenhalten: „Es gibt kein evangelisches Poabwischen“ (E. Hauschildt: Wider die Identifikation von Diakonie und Kiche, PTh 89 (2000), 415). Es bringt daher wenig, von einem diakonischen Handeln auszugehen, dem eine andere Fachlichkeit innewohne. Es lohnt sich nicht, sich an dieser Front zu verkämpfen. Stattdessen geht es um eine gute Fachlichkeit. Heinz Rüegger und Christoph Sigrist, die eine äußerst empfehlenswerte Einführung in die Diakonie vorgelegt haben, betonen: „Wollen sich diakonische Dienstleistungsangebote profilieren, können sie es nur, indem sie nach allgemeingültigen Standards möglichst exzellent werden: fachlich qualifiziert, sozial und kommunikativ kompetent, innovativ, ethisch sensibel, kostenbewusst und kundenfreundlich“. (Rüegger/Sigrist: Diakonie – eine Einführung, Zürich 2011, 145).

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Diakonisches Profil gibt es nur konkret, nicht an und für sich. Es entsteht im Handeln und Deuten. Das Eigentliche muss nicht einzigartig sein

Die Beteiligungsdimension stärken

Nun geht’s weiter mit meiner These: Kirche und Diakonie sollten sich stärker als Beteiliger verstehen und sich nicht ausschließlich auf ihre Rollen als Anbieter oder Dienstleister beschränken. Im letzten Beitrag ging es um Kirchengemeinden, nun stehen die diakonischen Einrichtungen im Vordergrund. Da diese beiden Organisationen doch recht unterschiedlich sind – gerade was Teilhabe und Beteiligung betrifft – kann man beide nicht in über einen Kamm scheren.

Wenn ich betone, dass die Diakonie die Beteiligungsdimension stärken soll, heißt das natürlich nicht, dass dies bisher in der Diakonie nicht vorkäme. Es geht mir einfach darum, diesen Aspekt deutlicher in den Vordergrund zu rücken. Denn die Rolle des Dienstleistungsanbieters oder Maßnahmendurchführers ist aufgrund der öffentlichen Refinanzierung doch wesentlich dominanter als die des Beteiligungsermöglicher. Und gerade die Finanzierungsfrage führt ja auch zu dem springenden Punkt: Haben diakonischen Träger überhaupt entsprechende Handlungsmöglichkeiten?

Das lässt sich pauschal kaum beantworten, aber nicht vergessen werden sollte: Wenn die Diakonie bei der  Beteiligungsdimension zur Ideenlosigkeit neigt, wird dies über kurz oder lang zur Identitätslosigkeit führen. Im Folgenden will ich drei ganz verschiedene Ansätze anreißen, was Beteiligung in der Diakonie bedeuten kann:

Beteiligung von vorne bis hinten: Co-Design diakonischer Handlungsansätze

Im ersten Semester Sozialarbeit lernt man: Die Kunden (Klienten, Nutzer, Betroffene – oder welchen Begriff man auch immer wählen mag) sind bei der Erbringung der Dienstleistung (Unterstützung, Beratung, Zuwendung – oder worum es auch immer gehen mag) zu beteiligen. Die Produktion sozialer Dienstleistungen geht nur gemeinsam mit dem Gegenüber, deshalb spricht man auch von Ko-Produktion. Das ist leicht nachvollziehbar, denn wenn der Andere nicht mitmacht, geht’s einfach nicht. Auch wenn das banal erscheint, neben dem uno-actu-Prinzip zählt dies zu den Grundlagen profesionellen sozialen Handelns.

Wenn man Beteiligung allerdings weiter fasst und als eine grundsätzliche Frage der Kultur und der Haltung versteht, kommt man über kurz oder lang zu der Erkenntnis, dass sich Beteiligung auf den gesamten Unterstützungsprozes beziehen sollte, von vorne bis hinten, inklusive Zieldefinitionen. Statt von Ko-Produktion im oben erwähnten Sinne könnte man dann gar von Co-Design sprechen. Auf diesen Begriff bin ich im Blog von Brigitte Reiser gestoßen – und er bringt diesen ersten Beteiligungs-Ansatz wunderbar auf den Punkt: Das gesamte Unterstützungs“design“ wird ko-produziert. Anspruchsvoll und herausfordernd! Allerdings wird sich dies wohl nicht selten an den (gesetzlich) definierten Vorgaben zur Erbringung der Sozialleistungen stoßen.

Befähigen zur Beteiligung: Eine diakonische Querschnittaufgabe

Die zweite Möglichkeit, die Beteiligunsgdimension zu stärken, setzt ganz anders an. Ausgangspunkt ist, dass Beteiligung bei Lichte betrachtet sehr voraussetzungsreich ist. Es braucht (mindestens) dreierlei: eine Idee davon, dass Beteiligung etwas Sinnvolles ist, die Fähigkeit, sich beteiligen zu können und schließlich die Chance, sich auch tatsächlich konkret einbringen zu können. Andersrum gesagt: Ich beteilige mich nicht, wenn ich überhaupt nicht weiß, was (mir) das bringen soll; ich beteilige mich nicht, wenn ich das Gefühl habe, es nicht zu können; ich beteilige mich nicht, wenn es keine Gelegenheiten gibt, dies zu tun.

Bei allem drei können diakonische Einrichtungen Unterstützung leisten: die Motivation zur Beteiligung wecken, Möglichkeiten bieten, Beteiligung zu „üben“ und helfen, die eigene Beteiligungsform (oder manchmal auch -nische) zu entdecken. Dies wäre die Querschnittaufgabe in sämtlichen diakonischen Handlungsfeldern, sie ist – mehr oder weniger – unabhängig von der „eigentlichen“ Maßnahme selbst.

Die Reflexion der Beteiligungsdimension als standardisiertes Verfahren: Beteiligungs-Mainstreaming

Und schließlich möchte ich noch einen dritten Ansatz nennen, wie mit der Beteiligungsfrage aus der Sicht der Organisation konstruktiv umgegangen werden kann. Die Idee ist simpel, aber gut (wenn sie konsequent umgesetzt wird): Diakonische Träger können eine Art „Beteiligungs-Mainstreaming“ in ihrer Organisation einzuführen. Wie beim Gender-Mainstreaming könnte man bei allem, was man tut, immer die Frage stellen: Welche Konsequenzen hat dies in puncto Beteiligungsmöglichkeiten?

Okay, vielleicht nicht bei allem, was man tut, aber an den entscheidenden Stellen: Bei der Reflexion der Unternehmensstrategie, bei der Entwicklung neuer Unterstützungsmaßnahmen, in Supervision und Teambesprechung. Der Knackpunkt ist also, dass man Beteiligungsprinzipien nicht einfach im Leitbild behauptet, sondern jede einzelne Maßnahme diakonischer Einrichtungen tatsächlich daraufhin überprüft, wie sehr sie Mitgestaltung und Mitentscheidung ermöglichen – oder auch verunmöglichen.

Worum es inhaltlich beim Beteiligungs-Mainstreaming geht, hängt einerseits vom Arbeitsfeld ab und andererseits – freilich – vom eigenen Verständnis, was Beteiligung meint, wie weit sie reicht und wie ernst man sie nimmt. Entscheidend ist nur, hieraus wirklich ein standardisiertes Verfahren in der Organisation zu machen.

Drei sehr unterschiedliche Ansätze, diakonische Einrichtungen stärker als Beteiliger zu entwickeln. Vielleicht ist ja etwas dabei…

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Teilhabebefähigung, Beteiligungsmainstreaming und Co-Design – die Diakonie hat viele Möglichkeiten, die Beteiligung zu stärken

Diakonische Verbände auf Facebook

Vor zwei Monten hat Alexander Ebel von der Pfälzischen Landeskirche einen interessanten Beitrag über Evangelische Landeskirchen auf Facebook geschrieben. Somerpausenbedingt habe ich den etwas später zur Kenntnis genommen, mich dann aber gleich gefragt, wie dies wohl bei den Diakonie-Landesverbänden aussieht. Hier nun meine Recherche-Ergebnisse…

Sieben Landesverbände haben eine Facebook-Präsenz:

Und dann natürlich der Bundesverband:

Der erste Eindruck: Gute Facebook-Auftritte gibt es im Süden (Baden, Bayern und Württemberg) und beim Diakonischen Werk der EKBO. Auch der Bundesverband hat eine solide Facebook-Präsenz.

Bei den Titelbildern zeigt sich wieder, dass “diakonische” Symbolfotos eine schwierige Sache sind. Und bei den Profilbildern gibt es bei manchen Facebook-Auftritten nur ein Kronenkreuz. Besser wäre es, wenn ich am Profilbild sofort erkennen kann, welcher Verband es ist.

Bei keinem der Landesverbände kann ich erkennen, wer dort eigentlich postet. Wahrscheinlich ist es die Öffentlichkeitsabteilung. Es gibt aber kein Team, keine Namen, nix in dieser Hinsicht. Schade. Einzige Ausnahme: der Diakonie-Bundesverband. Und bei den Landeskirchen ist das zumindest bei der rheinischen und der pfälzischen der Fall.

Eine (klitze)kleine, aber feine Sache: Die Diakonie Baden nutzt die Möglichkeit der “Meilensteine”. Da steht zwar noch sehr wenig, aber die Idee ist gut.

Nach diesen Details nun zum Wichtigsten: Es fällt auf, dass sehr wenig geliket, noch weniger kommentiert und fast gar nichts geteilt wird. Dafür dass die Diakonie zu den bedeutendensten gesellschaftlichen/gesellschaftspolitischen Akteure zählt, ist das ziemlich mau. Dies bestätigt wieder einmal meine These, dass es keine wirkliche “diakonische Community” gibt (das hatte ich bereits beim Thema Bloggen erwähnt).

Der Diakonie Bundesverband hatte ja Anfang des Jahres eine Online-Diskussion gestartet. Die Beiträge hatten inhaltlich Substanz, und es wurde dort auch nicht rumgetrollt – also wirklich ein guter Anfang! Allerdings: Die Gesamtzahl der Diskutanten war nicht sehr hoch, dafür der Anteil der “beruflichen” Diskussionsteilnehmer unter ihnen (also Funktionäre im weitesten Sinne). Auch hier auf dem Blog wird nicht so viel diskutiert – ich bekomme mehr private Mails und Anrufe (!) und dabei bin ich über die Besucherzahlen keineswegs unzufrieden.

Also: eine richtige Debattierlust scheint es nicht zu geben.

Eigentlich stellen die Mitarbeitenden in der Diakonie doch schon mal eine große Masse, sozusagen eine riesige Homebase, dar. Ich habe aber grundsätzlich den Eindruck, dass es bei vielen Mitarbeitenden keine große Lust gibt, sich über das Ausmaß der beruflichen Tätigkeit “diakonisch” zu engagieren. Ich kann es ihnen nicht verdenken – eine Image- und Commitment-Katastrophe ist das allerdings schon. Für mich ist die Zukuftsaufgabe der Diakonie daher, eine Art diakonisches Community-Buildung zu forcieren, die eigene Szene aufzubauen und zu pflegen. Genau hier mus die Energie hin – und nicht in diese unerträglichen Dienstgemeinschaftsüberbaudiskurse.

Es ist wirklich schade, welche Chancen da auch die Mitarbeitenden und diakonisch Engagierten vergeben, Diakoniepolitisches kritisch zu kommentieren. Das bedeutet aber auch, dass ein PR-Desaster wie bei KitKat kein diakonischer Verband zu befürchten hat.

Man könnte aber auch noch ganz anders fragen, nämlich: Ist Diakonie überhaupt ein Thema? Ist “Diakonie” nicht viel zu breit – und daher thematisch diffus? Der eine interessiert sich für Obachloseninitiativen in Hessen, der nächste für ein Kinderhospiz und wieder ein anderer für die Diakonie-Katastrophenhilfe. Das kann man alles unter einer “diakonischen” Klammer zusammenbinden – muss man aber nicht. Wo suchen diese Menschen im Internet (und auf Facebook) nach entsprechenden Diskussionen und Informationen? Unter der “Dachmarke Diakonie”?

Sicherlich (auch) aus diesem Grund gibt es mehrere eigene Facebook-Seiten der Diakonie-Landesverbände zum Freiwilligen Sozialen Jahr bzw. zum Bufdi. Auch hier einmal schnell die Übersicht:

Dass es diese Seiten gibt, ist gut. Dass es bei einigen Verbänden nur diese Auftritte gibt, könnte darauf schließen lassen, dass die Meinung vorherrscht, dass Facebook “halt etwas für junge Leute ist…”!?

Abschließend einige Fragen zum Weiterdenken:

  • Was ist das Ziel solcher Facebook-Seiten? Das Absetzen von Pressemeldungen oder das Anstoßen von Debatten? Beides hat seinen Wert – wenn es aber um Diskurse geht, könnte man vielleicht darüber nachdenken, die Auftritte der Landeskirchen zu stärken und diakonisch zu bespielen? Denn momentan läuft da – zumindest von der Masse her – mehr.
  • Während mich als kirchlicher Mitarbeiter die protestantische Vielfalt (nicht die inhaltliche Vielfalt, sondern die Doppel-, Dreifach-, Neben- und Durcheinanderstrukturen) manchmal fast an den Rande des Wahnsinns treibt, sehe ich dies bei den Möglichkeiten, die social media bietet, genau anders: Hier liebe ich Vielfalt, die sich untereinander verknüpft und vernetzt, Bezug aufeinander nimmt und sich voneinander abgrenzt, sich hoch- und runterschaukelt. Auch kleine Klitschen können großartige social media-Dinger hochziehen (vielleicht gerade?). Allerdings sollte man sich hier den Hinweis von Ralf Peter Reimann von der Internetarbeit der rheinischen Kirche zu Herzen nehmen: Wir sind nur Gast auf Facebook!
  • Eine weitere Frage: Welchen Sinn macht es (und wie kann es gelingen), stärker zu personalisieren? Viele Stellungsnahmen im diakonischen/kirchlichen/sozialen/politischen Bereich sind Konsensformulierungen bzw. diplomatischen Gepflogenheiten geschuldet (was auch okay ist). Debatten brauchen aber Personen, die diese Debatten führen. Hier bin ich noch etwas ratlos, wie das gelingen kann…
  • Den mittel- bis langfristigen Aufbau einer diakonisch interessierten und engagierten Community (nicht nur der Mitarbeitenden, aber eben auch) habe ich ja bereits erwähnt.
  • Und schließlich muss dringend darüber nachgedacht werden, wie “Betroffene” bzw. “Klienten” (ja, blöde Begriffe…) in die Diskurse reinkommen. Die Caritas hatte da mal einen guten Vorstoß gemacht (hauptsächlich aufs Bloggen bezogen), hier muss man weiter dran arbeiten.

Zivilgesellschaftsfähig werden

Der Diakonie-Bundesverband hat einen neuen „Diakonie Text“ veröffentlicht zur Rolle der Diakonie in der kommunalen Daseinsversorgung (Diakonie Texte 06/2012):

„Mit dem vorliegenden Papier will die Diakonie einen Beitrag zur Diskussion liefern, wie trotz dieser engen Rahmensetzungen Sozialpolitik in den Kommunen nachhaltig gestaltet werden kann und welche Rolle und Gestaltungsmöglichkeiten der Diakonie zukommen. […] Auch wenn der finanzielle Rahmen oft als einschränkend erlebt wird, kann er kein Argument dafür sein, auf eine engagierte Mitgestaltung der kommunalen Daseinsfürsorge
zu verzichten“ (S. 3).

Im Mittelpunkt stehen die Perspektiven, wie sich diakonische Träger vor Ort kommunalpolitisch und zivilgesellschaftlich positionieren können (Kapitel 5). Für die örtlichen diakonischen Träger werden ein knappes Dutzend Vorschläge gemacht (es folgen dann noch Vorschläge für die Landes- und Bundesverbandsebene), die mit konkreten Praxisbeispielen untermauert werden. Die Grundbotschaft lautet, dass Diakonische Werke durchaus gesellschaftspolitische Handlungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene haben.

Beim Lesen des Textes hatte ich den Eindruck, dass dieses Papier einen deutlich programmatischen Charakter hat: Hier geht es nicht nur um good practice-Beispiele, hier wird der Weg zu einem zivilgesellschaftlich verankerten Diakonieverständnis beschrieben. Schließlich ist die Diakonie nicht nur Träger von (mehr oder weniger refinanzierten) sozialen Dienstleistungen, sondern ganz besonders auch ein zivilgesellschaftlicher Akteur, der gesellschaftspolitisch Einfluss nehmen und Debatten vorantreiben will, sich als relevante Größe im Sozialraum und als verlässlicher Kooperationspartner der jeweiligen Gebietskörperschaften erweisen möchte.

Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Diakonische Einrichtungen und Verbände sind einerseits wichtige Akteure in der Zivilgesellschaft – müssen andererseits diese Rolle aber auch immer wieder unter Beweis stellen. Dass diakonische Träger Sozialdiensleistungen professionalisieren und unternehmerisch ausrichten können, wird wohl niemand mehr ernsthaft bezweifeln. Aber beim virtuosen Spielen auf der zivilgesellschaftlichen Klaviatur haben diakonische Träger durchaus noch Nachholbedarf. Dabei darf man Zivilgesellschaft nicht bloß als abzuschöpfendes  Ehrenamtsreservoir missverstehen. Für die Diakonie geht es ganz grundsätzlich darum, ihre eigene „Zivilgesellschaftsfähigkeit zu erhöhen“, wie es das Papier formuliert (S. 15).

Was ist Diakonie? (#8)

Also, ein bisschen skurril ist das Video ja schon. Aber irgendwie gefällt es mir auch. Es geht darum, was denn eigentlich „Diakonie“ bedeutet. Und so etwas muss hier natürlich gepostet werden!

Schöne Antworten. Und auch den Kern getroffen: Der Begriff Diakonie erschließt sich für viele Menschen nicht so recht. Natürlich nicht unter den Bloglesern hier, aber grundsätzlich.

Über zwei Aspekte lohnt es sich, nachzudenken.

Zunächst einmal: Der Begriff Diakonie ist verhältnismäßig unbekannt. Im Jahr 2006 (aktuellere Zahlen habe ich leider nicht), hat nur ein Zehntel der Deutschen auf die Frage, welche Wohlfahrstverbände es gibt, die Diakonie genannt. Es ging dabei um die „ungestützte Bekanntheit“, d.h. es wurden keine  Auswahlmöglichkeiten vorgegeben. Die katholische Schwesterorganisation kann die dreifache Bekanntheit für sich verbuchen, das Deutsche Rote Kreuz kennt jeder zweite – Spitzenwerte! (Quelle: Bekanntheit und Image der Diakonie, Diakonie Texte 13/2006). – Nun gut, man kann entgegenhalten, dass Bekanntheit noch kein Wert an und für sich ist (ein Fundraiser würde das sicherlich anders sehen). Es geht um gute fachliche Arbeit, es geht um christliche Werte. Deshalb finde ich die deutlich geringere Bekanntheit gegenüber der Caritas zwar sehr bedauerlich – grundsätzlich aber undramatisch.

Zum Zweiten: Auch in diesem Video zeigt sich wieder, dass der Begriff Diakonie zwei verschiedene Sachen bezeichnet: nämlich einerseits die Diakonie als Verband (bzw. als Einrichtung), andererseits Diakonie als christliches Konzept. Beim einen geht’s um Organisationen, beim anderen um Theologie. Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob diese Doppelnutzung des Begriffs eher ein Vor- oder eher ein Nachteil ist. In Frankreich wird beispielsweise der Diakonie-Verband Fédération de l’Entraide Protestante genannt, la diaconie ist der theologische (und recht unbekannte) Fachbegriff. Im Englischen spricht man von „christian social services“, diaconia kommt so gut wie nicht vor. Auch in Deutschland war Diakonie zunächst der theologische Fachbegriff. Erst als sich die beiden evangelischen Verbände „Evangelisches Hilfswerk“ und „Innere Mission“ zum „Diakonischen Werk“ zusammengeschlossen hatten, erhielt der Begriff „Diakonie“ Einzug in die breite Öffentlichkeit.

Mir ist es wichtig, Diakonie in erster Linie als theolgischen Begriff zu verstehen. Denn wenn Diakonie ausschließlich mit Verbänden und Unternehmen assoziiert wird, erschwert dies den Zugang zu dem, was die diakonische Dimension der Kirche inhaltlich ausmacht. Deshalb finde ich es auch nicht ungeschickt, wie (zunehmend) auf katholischer Seite verfahren wird: Diakonie bezeichnet das theologische Konzept, Caritas den Verband.

Zurück zum Video: Ich weiß nicht genau, woher es stammt und wer dahinter steckt, aber 2:04 gibt zumindest einen Hinweis. Also: Viele Grüße nach Hagen! (?)

Spirituelle Anamnese

Im Zusammenhang mit der Profilierung diakonischer Arbeit gibt es immer wieder die Forderung, Religion/Spiritualität/Glaube stärker zu thematisieren. Man kann dabei grob zwei Ansätze unterscheiden: Verkündigung und Coping. Das muss sich nicht ausschließen, aber es sind halt zwei verschiedene Intentionen.

Bleiben wir beim Coping: Der Glaube kann eine wirksame gesundheitsförderliche (oder sagen wir besser: eine lebensförderliche) Ressource sein. In diesem Sinne kann Spiritualität gerade in Beratungskontexten sinnvoll zum Thema gemacht werden.

Nun gibt es immer den Einwand, dass Religion nicht verzweckt werden dürfe, und Copingansätze sind natürlich sehr funktional gedacht. Ja, wichtiger Hinweis, aber man sollte das auch nicht überbewerten. Um nun zu ergründen, ob und inwiefern spirituelle Ressourcen genutzt werden können, bietet sich eine „spirituelle Anamnese“ an. Dazu braucht es gute Fragen.

Harald G. Koenig, amerikanischer Psychiater und Leiter eines universitären Zentrums für Spiritualität, Theologie und Gesundheit, schlägt vier Fragen vor. Man muss sie für die Soziale Arbeit etwas umformulieren, da sie aus dem medizinischen Kontext stammen, aber das dürfte ja kein Problem sein.

„1. Geben Ihnen Ihre religiösen bzw. spirituellen Überzeugungen Trost (Comfort), oder verursachen sie Stress?

2. Haben Sie Überzeugungen, die einen Einfluss (Influence) auf ihre medizinischen Entscheidungen haben könnten?

3. Sind Sie Mitglied (MEMber) einer religiösen oder spirituellen Gemeinschaft? Wenn ja, erhalten Sie von ihr Unterstützung?

4. Haben Sie weitere (Other) spirituellen Bedürfnisse, um die sich hier jemand kümmern sollte?“ (Harald G. Koenig: Spiritualität in den Gesundheitsberufen. Ein praxisorientierter Leitfaden, Stuttgart 2012, S. 48).

Das Instrument nennt Koenig dann CSI-MEMO-Schema. (Unter (amerikanischen) Medizinern und Psychologen gibt es halt dieses krampfhafte Bemühen, lustige Abkürzungen für die eigenen Tools zu entwickeln, sei’s drum…).

Und Koenig setzt noch einen drauf, er bietet auch noch eine „Ein-Frage-Methode“ an:

„Haben Sie spirituelle Bedürfnisse oder Sorgen im Zusammenhang mit Ihrer Gesundheit?“ (ebd., S. 50).

Wenn man ein bisschen sucht, findet man einige solcher Tools zur „spirituellen Anamnese“. Ich halte davon recht viel.

Glaubenssätze

Seit einigen Tagen ist die neue Image-Kampagne der Diakonie am Start. Sie hat den Titel In der Nächsten Nähe und läuft in diesem und im kommenden Jahr.

„Sie zeigt, was Diakonie glaubwürdig und wesenhaft ausmacht und zwar jenseits aller tagespolitischen Bezüge und Diskussionen. Dazu wurden die Menschen befragt, die Diakonie im Alltag in den vielen bundesweiten Einrichtungen, Diensten, Verbänden und Unternehmen verkörpern: die Mitarbeitenden.“

Damit hebt sie sich deutlich von der Kampagne Mitten im Leben (2007/2008) ab, in der die Mitarbeitenden schematisch und schemenhaft im Hintergund blieben. Dass die Mitarbeitenden nun in dieser Deutlichkeit nach vorn rücken, ist gut und angemessen. Gleichzeitig stehen sie aber nicht im Vordergrund, die fünf Motive stellen die Beziehung zwischen den abgebildeten Menschen dar. Das ist stimmig.

„Glaubwürdigkeit ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Stichwort für die neue Kampagne: Die Kampagne gewährt reportageartige Einblicke in Arbeitsfelder der Diakonie, sie zeigt tatsächliche Mitarbeitende, wirkliche betreute Menschen, wahre Beziehungen, reale Örtlichkeiten und echte Gefühle. Teilweise arbeiten die abgebildeten Menschen auf den Plakaten seit Jahren zusammen. Nichts an dieser Kampagne ist in irgendeiner Weise künstlich, beschönigt oder gestellt, nicht einmal die Zitate, die nur sprachlich geglättet wurden.“

Und die fünf Zitate gefallen mir wirklich gut. Sie lauten:

„Ich glaube, kein Lebensabend sollte dunkel sein.“

„Ich glaube, dass Glück keine Behinderung kennt.“

„Ich glaube, dass Heimat im Herzen beginnt.“

„Ich glaube an die Stärken der Schwächsten.“

„Ich glaube, dass Menschlichkeit das wertvollste Medikament ist.“

Komplexes einfach rüberbringen ist eine hohe Kunst. Und wie will man deutlich machen, dass Diakonie etwas mit Glauben zu tun hat, ohne ein Kreuz aufzuhängen oder eine Bibel ins Bild zu rücken? Schwierig. Hier gelingt es auf subtile Art. Es gibt keine religiösen Symbole auf den Motiven (um nicht falsch verstanden zu werden: Ich mag religiöse Symbole, sehr sogar, aber auf inszenierten Motiven wirken sie oft deplaziert und aufdringlich). Stattdessen Glaubensaussagen: Jedes Statement beginnt mit „Ich glaube…“.

Die Glaubensaussagen beziehen sich auf den konkreten Kontext der diakonischen Arbeit. Auch das ist gut, denn es gibt kein allgemeingültiges, auf alle Arbeitsfelder zutreffendes diakonisches Profil. Diakonisches Profil ist immer kontextabhängig, Diakonie entsteht im Handeln und Deuten, also konkret. Schaut man sich die Sätze genauer an, merkt man, wie gehaltvoll sie sind (und dass sie gut formuliert sind). Induktive Theologie – das ist in meinen Augen genau der richtige Ansatz, „diakonisch“ Theologie zu treiben.

Woran glaube ich eigentlich in meinem diakonischen Handeln? Von welchen Glaubenssätzen lasse ich mich leiten? Was wirkt da tief in mir drin, das letztlich meine Fachlichkeit bestimmt? Mentale Modelle sind immer stärker und wirkmächtiger als Fachkonzepte und Einrichtungsleitbilder. Das Ganze ist daher für mich nicht nur eine Plakatkampagne, sondern stellt auch eine didaktisch gute Idee dar, die man leicht aufgreifen kann: Einfach mal die Mitarbeitenden fragen, woran sie glauben und welche Bedeutung dies für ihre Arbeit hat.

Daher finde ich es schade, dass man diese fünf Aussagen rahmt, sie wieder einfangen will mit dem doch recht pastoral anmutenden Vers „In der Nächsten Nähe“. Ich verstehe, dass eine Kampagne einen Claim braucht. Aber die zitierten Glaubensaussagen der Mitarbeitenden gehen über das Motiv der Nähe weit hinaus. Da haben wir dann doch wieder ein deduktives Theologietreiben. Und das geht so: Diakonie ist Nächstenliebe – und deshalb suchen wir jetzt mal Aussagen, die zu Nächstenliebe passen. Das, was man dann gefunden hat, ist komplexer und tiefgründiger als „Nähe“ und „Zuwendung“. Man tütet es dann aber theologisch („Nächstenliebe“) bzw. marketingmäßig („In der Nächsten Nähe“) wieder ein.

Und noch eine Sache sollte man überdenken: Warum hat man für die Plakatreihe vier weibliche und einen männlichen Mitarbeitenden gewählt? Nun, man könnte darauf antworten, dass dieses quantitative Verhältnis exakt der Situation in der Diakonie entspricht (siehe hier, S. 10). Ungeschickt finde ich das trotzdem. Und was sagen wir dazu, dass der männliche Mitarbeiter – natürlich – über den höchsten Bildungsabschluss verfügt? Irgendwie nicht so richtig durchgegendert…

Trotzdem ist es eine gute Kampagne.

Siehe auch meinen Kommentar Endlich mehr Männer und meine Beiträge in der Rubrik „Kampagnen“.

Soziale Medien in sozialen Organisationen. Einige Erkenntnisse aus der Blogparade

Durch die CCCD-Blogparade (siehe dazu meinen vorherigen Beitrag) konnte ich einige Entdeckungen machen: mir bisher nicht bekannte Blogs und neue Erkenntnisse über das Verhältnis von sozialen Medien und sozialen Organisationen. Hier einnmal ein subjektiver Ausschnitt, immer mit der Frage im Hinterkopf, was dies alles für die Diakonie bedeuten kann.

Marcel Gluschak beschreibt eine oft anzutreffende Haltung von Nonprofit-Organisationen gegenüber den sozialen Medien, die meiner Meinung nach auch für Kirche und Diakonie zutrifft:

„Bis vor wenigen Jahren war es selbstverständlich, dass eine Organisation ihre gesamte Kommunikation zentral steuern konnte. Wann welches Thema wichtig war, entschieden die Experten, nicht die Unterstützer. Seit Social Media haben NPOs diese Steuerung nicht mehr komplett in ihrer Hand. Das ist irgendwie unheimlich – doch auf der anderen Seite will man auch bloß keinen Trend verpassen oder neue Zielgruppen ausgrenzen. Das Resultat ist oft ein Social Media-Aktionismus, bei dem es eher darum geht, die Effekte von Social Media zu nutzen, als ihre strukturelle Wirkungskraft.“

Daher ist es ganz interessant, einmal einen Blick darauf zu werfen, welche social media-Kanäle denn in sozialen Organisationen überhaupt genutzt werden. Katrin Kiefer führt seit 2009 eine jährliche Erhebung zu den social media-Kanälen von NGOs durch. Interessanter Weise zählt zu ihrer Stichprobe (jeweils 20 Organisationen aus den Bereichen Naturschutz, Internationales und Soziale Dienste) auch der Diakonie-Bundesverband. Pi mal Daumen zwei Drittel dieser 60 Organisationen haben einen Youtube-Kanal, Facebook-Profile und Twitter-Accounts, und ein Drittel betreibt Blogs. Interssant wäre es sicherlich, solch eine Untersuchung speziell für die Diakonie durchzuführen. Und dann auch zu fragen, wozu diese Formate eingesetzt und was mit ihnen erreicht werden soll.

Beim Einsatz von social media geht es sozialen Organisationen vorrangig um Information und Marketing, dialogische oder stärker politische Intentionen stehen dahinter zurück, bemängelt Julia Russau. Den Grund dafür sieht sie darin, dass die sozialen Medien vor allem als Reaktionsmöglichkeit auf die drängenden (ökonomischen) Herausforderungen sozialer Organisationen eingesetzt werden:

„Die großen Themen, mit denen sich soziale Organisationen zurzeit beschäftigen, scheinen vor allem drei: Finanzen, Image und Fachkräftemangel. So ist es kaum verwunderlich, das diese Ausrichtung auch in den Social Media-Aktivitäten deutlich wird, die vornehmlich auf Fundraising, Öffentlichkeitsarbeit oder Personalrekrutierung zielen.“

Marc Boos betreut die social media-Initiativen der Caritas und bringt ein Beispiel an, das die Schwierigkeiten beim Einsatz sozialer Medien gut illustriert: Beim Zukunftsdialog der Bundeskanzlerin hat sich auch die Caritas mit einem Vorschlag zur Abschaffung der Praxisgebühr beteiligt. Gute Sache, doch der Vorschlag zur Legalisierung von Cannabis konnte sich über das Zweihundertfache an Unterstützern freuen – und brachte es damit auf den Tisch von Frau Merkel.

Die (konfessionellen) Wohlfahrtsverbände müssen sich daher wohl noch stärker mit der Frage beschäftigen, wie es gelingen kann, sich effektiv für und mit anderen einzusetzen. Hier haben diese Verbände auch etliches an Erfahrung vorzuweisen – neu sind hingegen die Herausforderungen  digitaler Beteiligungsprozesse.

„Um dem gerecht zu werden, muss die Caritas in der Bürgergesellschaft aktiv und präsent sein. Das gilt vor Ort, wo sich Caritasvertreter an Bürgerplattformen beteiligen, in sozialraumorientierten Projekten auf die Eigeninitiative und Selbsthilfe der Bevölkerung setzen oder die Freiwilligenzentren des Verbandes mit unterschiedlichen Partnern kooperieren. Und es gilt für das Internet, in dem soziale Medien und soziale Netzwerke neue Formen der Beteiligung und des Dialogs möglich machen“ (Marc Boos).

Dies führt dann auch direkt zu einer weiteren Frage: Wie kann man beim Thema Beteiligung die „Offliner“ ins Netz bringen?

Genau hier bringt Brigitte Reiser es sehr gut auf den Punkt, wenn sie für die digitale Inklusion als essentielles Thema sozialer Organisationen plädiert:

„Für manche Organisationen im Dritten Sektor ist die digitale Inklusion ihrer Mitglieder und Klienten aber kein Thema, für das sie sich verantwortlich halten. Viele bleiben ganz eng ihrem Dienstleistungszweck verhaftet, und der hat in der Regel nichts mit dem Internet zu tun. Aber eine gemeinnützige Organisation ist mehr als nur ein Dienstleister. Sie ist Teil unseres demokratischen Gemeinwesens und spielt eine wichtige Rolle als zivilgesellschaftlicher Akteur. Dazu gehört auch, dass sie ihre Arbeit für und mit den Stakeholdern um eine digitale Dimension erweitert und jene mit nimmt, die bisher von den Online-Beteiligungsmöglichkeiten ausgeschlossen sind.“

An dieser Stelle noch einmal zur Caritas: Dass eine digitale Inklusion nicht nur eine akademische Idee ist, sondern ein umsetzbares Projekt mit vielfältigen Effekten, hat die Caritas schon 2009 mit dem Blog-Projekt Mitten am Rand beeindruckend unter Beweis gestellt.

Der Begriff „digitale Inklusion“ gefällt mir gut. Teilhabe- und Inklusionsprozesse müssen die Möglichkeiten digitaler Beteiligung viel stärker in den Mittelpunkt rücken. Allerdings darf hier auch nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden. Marcel Gluschak warnt deshalb auch davor, dass der Einsatz von social media nicht als Alternative zu klassischen Engagementformen verstanden werden darf.

„Konventionelle Instrumente, nicht zuletzt im Offline-Bereich, behalten ihre Bedeutung und funktionieren im Idealfall in der Wechselwirkung mit Social Media. Das soziale Netz bietet großartige Möglichkeiten für die Aktivierung der Zivilgesellschaft – es sollte ebenso wenig unterschätzt wie überschätzt werden.“

Denn sonst leistet man einem neuen Problem Vorschub: dem Slacktivism (die Ausgabe #21 des Enter-Magazins widmet sich genau diesem Phänomen).

Den Analogien von diakonischem Selbstverständnis und sozialen Medien auf der Spur

„Wie steht es um die Nutzung sozialer Medien in gemeinnützigen Organisationen?“ Das ist eine der Leitfragen der gerade laufenden Blogparade „Social Media in der Bürgergesellschaft“ des Centrum für Corporate Citizenship Deutschland (CCCD).

Immer mehr diakonische Einrichtungen und Werke nutzen soziale Medien. In der Regel werden die klassischen Formate genutzt: Facebook-Seite, Twitter-Account, Sharing-Buttons auf der Internetseite, hin und wieder mal ein Youtube-Kanal. Ist das nun eine positive Entwicklung?

Wenn man sich die überschwenglich optimistischen Einschätzungen bezüglich social media zu eigen macht, dann sicherlich. Soziale Medien sind im Trend, und die Diakonie macht mit. Doch mir scheint, dass vor allem die technischen Möglichkeiten im Vordergrund stehen. Dabei ist das Innovative von social media nicht, dass es nun neue mediale Formen gibt, sondern dass diese Formen „sozial“ sind: Weg vom reinen Sender-Modell hin zu ganz neuen Formen der Partizipation und Teilhabe.

Daher interessiert mich auch vor allem die soziale Bedeutung von social media, weniger die technischen Möglichkeiten. Und gerade die soziale Seite der sozialen Medien ist für die Diakonie ein spannendes Thema. Die entscheidende Frage für diakonische Einrichtungen und Werke ist daher auch nicht, ob sie eine facebook-Seite (oder was auch immer) vorweisen können, sondern ob sie verstanden haben, was social media im Kern bedeutet. Und was dies mit ihrem Auftrag, ihrem Selbstverständnis zu tun hat.

Auch wenn sich im Bereich von Kirche und Diakonie viel tut in Sachen soziale Medien, ist Einiges doch recht ernüchternd. Denn hinter so manchen Web 2.0-Projekten verbergen sich eher Einbahnstraßen-Kanäle, über die man Infos absetzen will. Das hat mit dem „Sozialen“ der sozialen Medien wenig zu tun. Wenn die Twitter- oder Facebook-Accounts hauptsächlich auf rundgelutschte PR-Informationen verlinken, werden zwar hits und clicks erzeugt, aber keine Teilhabeprozesse ermöglicht.

Deshalb ist die Gretchen-Frage bezüglich social media: „Wie hältst du es mit der Beteiligung?“ (und eben nicht: „Twitterst du auch?“). Ist tatsächlich Beteiligung erwünscht? Wenn ja, in welcher Form? Und was ist mit „Beteiligung“ eigentlich gemeint? Stellt ein Link oder ein Like schon eine Beteiligung dar? Was passiert, wenn Beteiligung in eine andere Richtung läuft als erwartet oder gewünscht – wird das social media-Format dann wieder eingestellt? Inwiefern Sind social media-einsetzende Organisationen eigentlich fähig zur Responsivität?

Meine These ist, dass der Grundgedanke der Diakonie und der Kern von social media eigentlich wunderbar zusammen passen. Um was geht es in der Diakonie, was will die Diakonie? Leider werden die möglichen Antworten zu oft und zu schnell auf „Helfen“ oder „soziale Dienstleistungen anbieten“ eingedampft. Aber Diakonie ist mehr. In meinem Beitrag Was ist Diakonie? (#4) hatte ich ja in Rückgriff auf die Bratislava-Erklärung auf fünf Dimensionen hingewiesen: Dienstleistungsfunktion, kulturelle Dimension, gemeinschaftsbildende Dimension, aktivierende Dimension und gesellschaftspolitische Dimension (ich bin immer noch nicht ganz zufrieden mit dieser Aufzählung, aber belassen wir es für den Moment einmal dabei).

Soziale Medien können Werbung (Spendenakquise, Imagepflege, Mitarbeitergewinnung,…) für die diakonischen Dienstleistungen machen und diesbezüglich zum Markenaufbau und zur Markenpflege beitragen. Okay, nichts dagegen einzuwenden, aber dies allein ist schon eine ziemliche Banalisierung. Spannend wird es doch gerade erst bei den anderen genannten Dimensionen: Soziale Medien können gemeinschaftsbildend sein, sie können einen kulturellen Beitrag leisten (die technische und soziale Beherrschung von sozialen Medien ist ja selbst schon ein kulturelles Gut), sie könen aktivieren (und wie!), sie können gesellschaftspolitischen Einfluss generieren.

Alle fünf Dimensionen kann man nun detailliert betrachten, da steckt eine ganze Menge drin. Ich möchte an dieser Stelle nur einen Hinweis zur gemeinschaftsbildenden Dimension geben.

Diakonie und Gemeinschaft gehören eng zusammen. Gemeinschaftsbildung ist in sich schon diakonisch. Und auch umgekehrt: Wenn ich diakonisch handeln will, ist es eine Möglichkeit, Gemeinschaften zu bilden (irgendwie mag ich ja die englische „Community“ lieber als die „Gemeinschaft“, sie hat mehr Facetten). Communities zu bilden ist urdiakonisch. Ob zielgruppenspezifische Communities (wie zum Beispiel diese hier), zielgruppenübergreifende Ansätze wie in der Gemeinwesendiakonie, Mitarbeitenden-Communities oder die Community von christlich engagierten Weltverbesseren – und es gibt noch zig Gemeinschaftsformen mehr… Aufgabe der Diakonie ist das Communitybuilding. Und ein Kern von social media ist, genau: das Communitybuildung.

Wie gesagt, man kann nun alle Aufgaben/Funktionen/Dimensionen der Diakonie nacheinander abklopfen und die Analogien zu social media suchen. In einem zweiten Schritt kann man dann schauen, welches technische Format der sich ständige entwickelnden sozialen Medien geeignet ist, den diakonischen Auftrag innovativ umzusetzen. Aber das ist tatsächlich erst der zweite Schritt.

Ist social media nun eine gute Entwicklung für die Diakonie? Voll und ganz. Denn die soziale Dimension der sozialen Medien hat eine Menge gemeinsam mit dem, was Diakonie will. Und sie kann ein Katalysator für die Frage nach dem Selbstverständis der Diakonie sein.

Das ist doch mal was.

Leseempfehlungen: Das CCCD hat eine Publikation zu neuen Chancen internetgestützer Beteiligung herausgebracht, darin gibt es eine Abschnitt zur Caritas (S. 19-20), der auch für die Diakonie erkenntnisreich ist. Stefan Zollondz (Gruß nach Bielefeld!) bloggt Beobachtungen zum Einsatz von social media in der AWO. Und mein Beitrag über Gunter Duecks Vortrag auf der re:publica 11 könnte auch ganz interessant sein.

Diakonie als soziale Bewegung?

Mario Junglas, Direktor des Berlines Büros des Deutschen Caritaverbandes, hat einen inspirierenden Artikel zur Entwicklung der Caritas geschrieben. Die Caritas muss mehr Zivilgesellschaft wagen ist der Titel, erschienen ist er im neue caritas-Jahrbuch 2012. Ich will jetzt nicht übertreiben, aber der Artikel ist schon fast ein kleines Manifest. Und er gilt ohne Abstriche genauso für die Diakonie. Deshalb kann man ohne Weiteres auch immer Diakonie denken, wenn Junglas von Caritas spricht. Und weil der Artikel nicht online verfügbar ist, zitiere ich mal etwas ausführlicher. (UPDATE 2012-04-22: mittlerweile doch online)

Junglas‘ Anliegen ist es, die Caritas stärker als eine soziale Bewegung zu verstehen:

„Für die Caritas der Kirche genügte es lange, als Verein oder Gruppe, als Einrichtung und Dienst antreffbar zu sein. Das ist nicht vorbei, reicht aber nicht mehr aus. Caritas muss soziale Bewegung sein“ (S. 77).

Die Diakonie und die Caritas sehen sich ja immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, aufgrund der öffentlichen Refinanzierung eher ein unselbständiger Teil des Sozialstaats zu sein als ein autonomer Akteur. Und ein anderer, aber ähnlich gelagerter Vorwurf besagt, dass Caritas- und Diakonie-Einrichtungen durch ihre Ausrichtung als Unternehmen eher Teil des Marktes sind. Beiden Vorwürfen ist gemeinsam, dass die konfessionellen Verbände und Einrichtungen gar nicht in dem Maße Zivilgesellschaft sind, wie sie es immer wieder gerne betonen.

„Gerade die kritisierte Staatsnähe und Marktnähe machen aber die Rolle der Caritas als zivilgesellschaftlichen Akteur fragwürdig, trotz der vielen Ehrenamtlichen. Für viele ist die Caritas kein kreativ herausforderndes Gegenüber zu Staat und Wirtschaft, sondern selbst Teil dieser Ordnungen“ (S. 78).

Man könnte nun einfach sagen: Ja, und? Es ist doch eine Menge wert, dass Diakonie und Caritas leistungsstarke Träger (Unternehmen) und gefragte Sozialexperten (Verbände) sind. Dass stimmt und steht auch gar nicht zur Disposition. Denn Verbands- und Trägeraufgabe haben natürlich Vorteile…:

„Die Caritas ist hochverlässlich. Das ist ein Trumpf sowohl bei der Leistungserbringung als auch in der politischen Debatte und in der Lobbyarbeit. Mit der Verlässlichkeit korrespondiert zugleich eine hohe Berechenbarkeit. Von der Caritas sind in der Regel keine Überraschungen zu erwarten. Man kann sich nicht nur auf sie verlassen, man kann sie einkalkulieren.“

… aber auch Nachteile:

„Das kann uninteressant machen für andere innovative, veränderungswillige gesellschaftliche Kräfte und kann die Versuchung schüren, die Caritas einzurechnen ohne sie einzubeziehen. Als Bewegung kann die Caritas verlässlich bleiben, ohne vollständig berechenbar zu sein, weil sie das enge Korsett verbandlichen und unternehmerischen Handelns durch überraschende und herausfordernde Formen und Inhalte sprengt“ (S. 81).

Denn:

Die Caritas „muss auch noch politisch handlungsfähig sein, wenn Expertentum nicht gefragt oder inopportun ist und klassische Lobbyarbeit an ihre Grenzen kommt“ (S. 78).

Mario Junglas möchte in der Caritas also das Bewusstsein stärken, sich deutlicher als soziale Bewegung zu verstehen – das ist gemeint, wenn es im Titel seines Beitrags heißt: „Mehr Zivilgesellschaft wagen“. Aber es geht nicht nur darum, sich als Bewegung zu verstehen, sondern auch die Strukturen der Caritas dementsprechend neu auszurichten. Dabei soll die Handlungslogik der Bewegung nun nicht die beiden anderen Handlungslogiken verdrängen, sondern ergänzen. Die Caritas ist Kirche – und nutzt dazu eben die ganz verschiedenen Handlungs- und Kommunikationsformen einer Institution (Verband), einer Organisation (Unternehmen oder Einrichtung) und einer Bewegung (Zivilgesellschaft). Caritas und Diakonie erweitern also ihre Handlungs-, Kommunikations- und Mitwirkungsformen, wenn sie sich Logik und Instrumentarium sozialer Bewegungen öffnen.

Wirft man einen Blick in die Leitbilder von Diakonie (DW-EKD) und Caritas (DCV), kann man eine wundersame Entdeckung machen. Der katholische Verband betont ausdrücklich sein Verständnis als soziale Bewegung, bei dem evangelischen Verband ist dieser Gedanke nicht ganz so deutlich ausgeprägt. Man hätte es ja gerade anders herum erwarten können…

Im Leitbild des Deutschen Caritasverbandes heißt es im Abschnitt zum Organisationsprofil:

„(16) Der Deutsche Caritasverband ist Teil der Sozialbewegung. (…) (19) Er unterstützt den ehrenamtlichen caritativen Einsatz in Pfarrgemeinden, Verbänden, Gruppen und Initiativen. (…) (21) Er fördert die Idee einer Sozialbewegung und arbeitet mit sozial engagierten Menschen, Initiativen und Organisationen zusammen an der Verwirklichung einer solidarischen Gesellschaft“ (Leitbild Caritas, Abschnitt III).

Eine vergleichbare Aussage im Leitbild Diakonie lautet:

„Durch unsere Arbeit in den Kirchengemeinden, Diensten und Einrichtungen sind wir Menschen nahe. Selbsthilfegruppen und Initiativen finden bei uns ihren Raum.“ (Leibild Diakonie, 6.These).

Darüber hinaus steckt der Gedanke der Sozialbewegung noch in den Erläuterungen zur 4. These („Wir sind aus einer lebendigen Tradition innovativ“) als historische Wurzel und zur 8. These („Wir setzen uns ein für das Leben in der einen Welt“) bezogen auf das ökumenische Engagement der Diakonie. Überspitzt gesagt heißt das: Diakonie ist soziale Bewegung, aber hauptsächlich damals und woanders.

Man muss nun natürlich beachten, dass es sich hierbei lediglich um die papierene Wirklichkeit handelt, die faktische kann noch einmal ganz anders aussehen. Wie steht es mit der Idee der sozialen Bewegung in der Diakonie, unabhängig von vorhandenen oder nicht vorhandenen Leitbildformulierungen? 2006 ist ein Diakonie-Text erschienen mit dem aussagekräftigen Titel: „Kirchliche Soziale Arbeit und soziale Bewegung – eine Nichtbeziehung?“ (Diakonie Texte 12/2006). Diakonie und soziale Bewegung scheinen also eher ein Gegenüber zu sein. Daher geht Franz Segbers genau der richtigen Frage nach, wenn er sich in seinem Vortrag, der der Publikation zugrunde liegt, mit der Diakonie als soziale Bewegung beschäftigt. Segbers These lautet:

„Es reicht nicht aus, die halbierte Modernisierung der sozialwirtschaftlichen Dienstleistungsfunktion lediglich durch eine Professionalisierung der anwaltschaftlichen Funktion zu überwinden. (…) Erst wenn die Diakonie sich zivilgesellschaftlich definiert, kann sie in angemessener Weise auf die neue Sozialstaatlichkeit reagieren (…) Eine Diakonie, die nicht steckengeblieben ist in einer halbierten Modernisierung, wird zivilgesellschaftliches Engagement mit dem Ziel fördern, demokratische Strukturen zu beleben und Ausschlussprozesse zu verhindern“ (Franz Segbers: Diakonie als soziale Bewegung, Diakonie Texte 12/2006, S. 13, 13, 15).

Aus Mario Junglas‘ Plädoyer kann man zudem schließen, dass es mit der Caritas als soziale Bewegung auch noch nicht so weit sein kann, denn er wirbt schließlich leidenschaftlich dafür, sich dementsprechend neu auszurichten.

„Dass die Caritas (Teil der) soziale(n) Bewegung, „Bewegungsorganisation“ sein soll, ist eine alte, noch einzulösende Forderung ihres Selbstverständnisses. Ohne euphorisch zu sein, kann man feststellen: Die Zeiten waren dafür noch nie so günstig wie heute“ (S. 82).

Wie gesagt: eine lesenswerte Inspiration!