Archiv der Kategorie: Mitarbeitende

Geschichten erzählen

In der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal – eine der vier Bethel-Stiftungen – entstand der Fortbildungskurs „Glaube verstehen – diakonisch handeln“. Dieses diakonische Bildungsangebot wurde strukturell in dem Diakonieunternehmen verankert, so dass insgesamt 1.200 (in Worten: eintausendzweihundert!) Mitarbeitende und Leitende daran teilgenommen haben. Das Konzept wurde nun veröffentlicht und steht zum kostenlosen Download bereit.

Im Mittelpunkt steht das Geschichten-Erzählen. In einer festen Gruppe trifft man sich acht mal, bei jedem Treffen werden „Glaubensgeschichten“ und „Arbeits-Alltags-Geschichten“ erzählt. Beides wird aufeinander bezogen („verknüpft“).

Die Kurse boten und bieten ein Forum zum Geschichtenerzählen an. Geschichten als ein Mittel, biblisch/theologische Werteorientierung und Alltagserfahrung der Arbeit zu kommunizieren und zu verknüpfen. Experten aus der Arbeit (Mitarbeitende) trafen sich mit Experten der biblischen Überlieferung (Theologen). Sie verbanden ihre Geschichten, gewannen neue Einsichten und Impulse und entwickelten weiterführende Perspektiven. Die Anregung für dieses Vorgehen stammt aus den Basisgemeinden in Lateinamerika. Aufgrund des Priestermangels dort entstand seinerzeit eine Laienbewegung, die die Bibel unmittelbar aus dem von Armut und Ausgrenzung gekennzeichneten Lebensalltag heraus gelesen und verstanden hat. Sie verknüpften beides, ihren Lebensalltag und biblische Geschichten, fühlten sich gestärkt und ermutigt, gewannen so Impulse für sich selbst und im gesellschaftlichen Umfeld (S. 6).

Das Konzept ist so unspektakulär wie es gut ist: Narrative Theologie meets Korrelationsdidaktik. Es wird also genau das vermieden, woran solche Bildungsangebote immer wieder kranken: Diakonie „vermitteln“ zu wollen. Wer aufmerksam liest, kann entdecken, wie angemessen und bedacht das Konzept entwickelt wurde.

Die Auswahl der acht biblischen Geschichten wird kurz erklärt, sie orientierte sich an zwei Kriterien:

Die Geschichten sind so ausgewählt worden , dass darin Aspekte enthalten sind, die auch in einer weitgehend von kirchlichen Bezügen entfremdeten Gesellschaft mindestens als Begriff eine Rolle spielen (10 Gebote, Nächstenliebe, kirchliche Feste: Weihnachten, Ostern usw.) Oder sie können als gelebte oder gewünschte/ersehnte Erfahrung im Arbeitsalltag der Teilnehmenden auftauchen: Heilung, Integration von Außenseitern, Nächstenliebe, Hilfe und Begleitung in der Begegnung mit Tod bzw. Sterben (S. 11).

Das „Verknüpfen“ der Glaubens- mit den Alltagsgeschichten geschieht mit Hilfe von sieben vorgegebenen Kategorien: Ängste, Hoffnungen, Wünsche, Enttäuschungen, Begegnungen, Erfolge, Erfahrungen. Allerdings erfährt man wenig darüber, wie dieses Verknüpfens konkret geschieht (ja, ja, das alte Problem der Korrelationsdidaktik). Mich würde interessieren, welche Rolle die genannten Kategorien genau spielen und inwiefern sie sich bewährt haben.

Das Besondere an dem Kurs ist in meinen Augen zum einen der Mut, didaktisch alles auf eine Karte zu setzen: auf das Erzählen von Geschichten, den biblischen wie den eigenen. Und zum anderen ist es die organisatorische Konsequenz, mit der es im Unternehmen umgesetzt wurde.

Jörg Passoth: ,Glauben verstehen – diakonisch handeln‘. Christliche Tradition im Arbeitsalltag der Diakonie. Ein Qualifizierungskurs der
Hoffnungstaler Stiftung Lobetal, Ev. Bildungsstätte für Diakonie und Gemeinde, Bielefeld 2014.

Diakonische Paradoxien

Wer sich mit professionellem sozialem Handeln beschäftigt, landet über kurz oder lang bei den Debatten um Professionstheorien und Professionalisierungsansätzen. Und dort gibt es ein Phänomen, das man „Paradoxien professionellen (sozialen) Handelns“ nennt. Klingt kompliziert, die Literatur dazu ist es in der Regel auch, aber der Grundgedanke ist einfach: Beim Handeln kommt man immer wieder an einen Punkt, wo man sich in Schwierigkeiten verfängt, die nicht nur „Probleme“ oder „Herausforderungen“ sind, sondern die letztlich unlösbar bleiben. Deshalb Paradoxien. Sie entstehen dadurch, dass zwei sich widersprechende normative Handlungsanweisungen gleichzeitig gültig sind.

Man kann solche Paradoxien nicht wegmachen, man kann sie sich nur klarmachen. Und dabei versuchen, mit ihnen klarzukommen. Wenn das gelingt, ist das viel wert. Ich finde dies ein wichtiges Thema und frage mich schon seit längerer Zeit, ob es nicht spezielle diakonische Paradoxien gibt – also Widersprüche, die gerade dadurch entstehen, dass sich das soziale Handeln in einem normativ-christlichen Kontext vollzieht.

Wichtig ist dabei noch eins: Es geht nicht darum, das Handeln komplizierter oder intellektueller zu machen (der Begriff „Paradoxie“ könnte dies suggierieren), sondern klarer. Ich habe drei solcher Paradoxien diakonischen Handelns gefunden. Hier sind sie.

„Diakonischer Imperativ“ versus „Rosinenpicken“

Klaus Dörner hat vor etlichen Jahren einen „Imperativ“ für das Handeln im sozialen Bereich vorgeschlagen: „Handle in deinem Verantwortungsbereich so, dass du mit dem Einsatz all deiner Ressourcen an Zeit, Kraft, Manpower, Aufmerksamkeit, Liebe immer beim jeweils Letzten beginnst, bei dem es sich am wenigsten lohnt“ (Diakonie-Jahrbuch 2003, S. 156). Dörner hat selbst darauf hingewiesen, dass dies keine dauerhaft durchzuhaltende Handlungsanweisung sein kann – aber gerade in der Diakonie ist es ein guter Impuls, damit „die Letzten (die Chancenlosesten) […] nicht als irrationaler Rest, als Konzentration der Unerträglichkeit übrig bleiben“.

Das Gegenteil ist das „Rosinenpicken“: Man steckt seine Energie dahinein, wo es sich am meisten lohnt, was am erfolgsversprechendsten ist. Auf der konkreten Handlungsebene bedeutet das, dass man vor allem mit Klienten arbeitet, bei denen man weiß, dass die Arbeit gut von der Hand geht und wo am Ende auch etwas „herauskommt“. Auch wenn diakonische Arbeit ein eher ambivalentes Verhältnis zum Thema „Erfolg“ hat, ist für die Mitarbeitenden eben genau das wichtig: zu erleben, erfolgreich zu sein. Sonst entwickelt sich in der diakonischen Arbeit ein depressives Syndrom. Deshalb sind Rosinen wichtig. Auf der Organisationsebene zeigt sich diese Paradoxie bei der Aufrechterhaltung des laufenden Betriebs, vor allem vor dem Hintergrund der Refinanzierung.

„Diakonisch sehen lernen“ versus „Entdiakonisierung der Wahrnehmung“

Diakonische Arbeit setzt eine gute Wahrnehmung voraus. Nicht umsonst geht es in der Ausbildung im sozialen Bereich immer wieder darum, „sehen“ zu lernen: Bedarfe, Bedürftigkeiten, Nöte, Stigmatisierungen, Diskriminierungen. Es geht also darum, sich einen „diakonischen Blick“ anzutrainieren, diakonisch sehen zu lernen.

Und genau das kann gleichzeitig ein grundlegendes Problem sein: Um so stärker Menschen als „Diakonie-Fälle“ betrachtet werden, desto stärker werden sie stigmatisiert. Ein einfaches Beispiel macht dies deutlich: In vielen engagierten Gemeinden kommen Menschen mit Marginalisierungserfahrungen ausschließlich als diakonisch Bedürftige vor. Tauchen diese Menschen in einer Gemeinde auf, wird ihnen sogleich „geholfen“ – eine größere Diskriminierung ist kaum vorstellbar. Ulf Liedke hat daher die Formulierung von der Entdiakonisierung der Wahrnehmung geprägt.

„absichtsloses Handeln“ versus „absichtsvolles Handeln“

Diakonisches Handeln ist zweckfrei. Diakonie ist „aufrichtige Uneigenützigkeit“ (Heinrich Pompey/Paul-Stefan Roß 1998). Die Versuchung der Diakonie besteht darin, neben dem Helfen noch weitere, eigene Intentionen zu verfolgen – und gerade nicht in ihrer Absichtslosigkeit (Paolo Ricca 1992). Neben der Zuwendung und Unterstützung sollte also keine weitere hidden agenda bestehen. Diakonie ist zum Beispiel nicht dazu da, eine Arena zu haben, um zu zeigen, wie wichtig Kirche ist (oder Ähnliches). Diakonie ist um derer Willen da, die sie in Anspruch nehmen. Punkt.

Und doch kommt diakonisches Handeln nicht aus, ohne selbst etwas zu wollen. Gerade wenn diakonisches Handeln als ein christliches Handeln verstanden werden will, hat es eine Absicht, die über die konkrete Aufgabe hinausgeht. Diakonie will – je nach Arbeitsfeld und Kontext – ermächtigen, heilen, befreien, versöhnen, verbinden. Ein Klient oder Kunde will vielleicht einfach nur eine gute Versorgung oder Beratung (das ist sein gutes Recht!), aber Diakonie wird dann zur Diakonie, wenn da mehr wirkt, als die bloße Leistungserbringung.

tl;dr
Wenn zwei gegensätzliche, aber gleichzeitig wirksame Handlungsanweisungen aneinander stoßen, spricht man von Paradoxien. Es gibt Handlungsparadoxien, die auf den christlich-normativen Kontext der Diakonie zurückzuführen sind.

Followerpower

Es gibt gerade einen interessanten Diskurs im Netz zur Frage nach dem Verhältnis von Social Media und dem Selbstverständnis der Wohlfahrstverbände – dabei geht es hauptsächlich um die Caritas, aber der gesamte Diskurs ist gut auf die Diakonie übertragbar. Markus Lahrmann, Chefredakteur der Zeitschrift „Caritas in NRW“ hat einen Beitrag verfasst mit dem Titel: „Social Media verändern Struktur und Selbstverständnis von Verbänden“. Ein wichtiger Aspekt in dem Artikel ist die geringe Followerpower der Caritas. Darauf reagierte Robert Schedding – Social Media- und Caritas-Insider – mit einer Replik und beschreibt, dass es um die Followerpower der Caritas gar nicht so schlecht bestellt ist.

Ich empfehle diese lesenswerten Artikel jetzt nicht den Social-Media-Experten bei der Diakonie oder den anderen Wohlfahrstverbänden, denn die wissen das ja schon. Die Debatte greift meines Erachtens tiefer, sie macht etwas deutlich, was über digitale Vernetzung hinausgeht: Es geht um die Identifikation der Mitarbeitenden mit den großen Verbänden. Und es geht um die Frage, wie man Macht aufbauen, pflegen und nutzen kann. Das, was ich in diesen Texten lese und worüber immer wieder nachdenke – jenseits von Social Media – will ich hier kurz skizzieren.

Mir fällt schon seit längerer Zeit auf – ich spreche jetzt nur für den diakonischen Bereich, aber ich bin mir sicher, dass meine Überlegungen auch auf andere Verbände übertragbar sind – dass es wenig Identifikation der Mitarbeitenden mit „der Diakonie“ gibt. Man ist Mitarbeiter in der Diakonie, aber nicht Diakonie-Mitarbeiter. Gleichzeitig kann man diesen Mitarbeitern aber gerade nicht fehlende Identifikation mit der Sache, ihrer Arbeit oder ihrem Beruf vorwerfen. Und ich kenne viele Mitarbeitende, die eine hohe Identifikation mit „ihrer“ Einrichtung haben. Etliche würden sich auch für ihren Chef/ihre Chefin teeren und federn lassen. Auch wenn meine Einschätzungen recht verallgemeinernd sind, sind sie glaube ich nicht ganz falsch. Kurz gesagt: Es mangelt nicht an Identifikation mit der diakonischen Arbeit oder Einrichtung, sondern mit „der Diakonie an sich“.

Streng genommen kann das „der Diakonie“ (und hier meine ich jetzt die Diakonie als Verband – also Bundesverband, Landes- und Fachverbände) auch egal sind, denn die Diakonie ist eben kein klassischer Mitgliederverband, so wie beispielsweise der ADAC. Die Diakonie ist der Dachverband und die Lobbyorganisation der Einrichtungen – das sind ihre Mitglieder. Die Mitarbeitenden sind in dieser Logik ja „nur“ die „Mitgliedsmitglieder“ (und selbst das ist ja nicht ganz richtig…).

Aber genau das ist das Problem.

Wie gewinnt man gesellschaftlichen Einfluss und Macht? Mittels dreier Dinge: Masse, Geld, Know How. Am besten ist natürlich, wenn man über alles drei gleichermaßen verfügt, aber das ist unrealistisch. Jedes dieser drei Elemente ist (zumindest theoretisch) in der Lage, die anderen zu kompensieren. Man kann aber auch zwei kombinieren, also Standbein hier, Spielbein dort.

Das, was die Diakonie ausmacht und ihr auch zu politischem Gewicht verhilft, ist ihr Know How (Expertise, Fachlichkkeit) und ihre Masse (28.000 selbständige diakonische Einrichtungen, 988.000 Plätze/Betten; siehe Einrichtungsstatistik 2012). Aber gerade der Faktor „Masse“ ist meines Erachtens noch erheblich ausbaufähig. Nämlich in dem aus Mitarbeitenden in der Diakonie Diakonie-Mitarbeitende werden.

Ein einfaches Beispiel, das die Größenordnung und damit die mögliche Power der Mitarbeitenden deutlich macht: Die drei erfolgreichsten Petitionen beim Deutschen Bundestag waren „Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten“ (134.015 Unterzeichner), die Petition gegen die steigenden Haftpflichtprämien von Hebammen (186.356 Unterzeichner) und die Petition gegen die geplante Tarifreform der GEMA (305.117 Unterzeichner) [Quelle hier]. Die Gesamtmitarbeitendenzahl der diakonischen Beschäftigten liegt bei round about 450.000. Hinzu kommt noch einmal eine Masse an Ehrenamtlichen (Hier gehen die Zahlen auseinander. Die Diakonie-Erhebung geht von 700.000 Ehrenamtlichen aus, die Sonderauswertung des 3. Freiwilligensurveys von 200.000).

Solch eine Masse wird sich niemals auf Knopfdruck ativieren lassen, das ist völlig klar. Mir geht es nur darum, festzustellen, was hier eigentlich für ein unglaubliches Potenzial an purer Masse steckt – und zwar ausschließlich als eigener Homebase! Vielleicht müssten sich die Diakonie-Verbände nicht nur als Vertreter ihrer Mitgliedseinrichtungen verstehen, sondern als Organisationen, die über eine gewaltige Basis verfügen. Und diese Basis muss gepflegt werden.

Deshalb einfach einmal drei Ideen, die dazu beitragen können, die eigene Homebase stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Alle Ideen sind bewusst aus dem „analogen“ Bereich, um zu zeigen, dass es hier nicht ausschließlich um eine digitale Community geht:

  • Der Diakoniepräsident/die Diakoniepräsidentin wird künftig nicht vom Funktionärsproporz (Einrichtungsdiakonie vs. Landesverbandsdiakonie) bestimmt, sondern von den Diakonie-Mitarbeitenden gewählt. Die Wahlbeteiligung wird sicherlich nicht sehr hoch sein, das ist mir auch klar, aber es wäre ein guter symbolischer Schritt, ein neues Selbstverständnis zu kommunizieren.
  • Die Fachverbände wandeln sich zu Mitgliederverbänden. Diakonie-Mitarbeitende können dann in „ihren“ Fachverband eintreten. Der jeweilige Verband vertritt ja die Anliegen des eigenen Arbeitsfeldes, eine gegenseitige Identifikation wäre also durchaus gegeben. Außerdem würde dies die Fachverbände stärken – die momentan eher einen schwierigen Stand im Diakonie-Gefüge haben, die aber meiner Meinung nach die tragende Identifikations- und KnowHow-Macht darstellen (könnten)!
  • Es gibt eine journalistisch hochwertige Zeitschrift, die automatisch alle Diakonie-Mitarbeitende zugestellt bekommen. Eine (neue) Zeitschrift zu lancieren ist sicherlich das Verrückteste, was man machen kann, das weiß ich auch. Aber es hatte ja auch niemand mit dem Erfolg von LandLust gerechnet. Warum also nicht?

Weiterhin geht es natürlich darum, die Social-Media- Kanäle und –Ansätze auszubauen und digitale Community-Pflege zu betreiben. Aber ich glaube nicht, dass das alleine ausreichen wird.

tl;dr
Die Diakonie hat eine gewaltige Homebase: ihre Mitarbeitenden. Die Mitarbeitenden in der Diakonie müssen stärker in den Mittelpunkt der Verbandsselbstverständnisse gerückt werden. Dann kann es auch gelingen, dass sie zu Diakonie-Mitarbeitenden werden und die Followerpower zunimmt. Und die wird mehr denn je gebraucht.

Neues Dossier zum ehrenamtlichen Engagement

Das vierte diakonisch.de-Dossier ist nun online. Ich habe einmal alles zusammengestellt, was mir an Netz-Ressourcen zum diakonischen und kirchlichen ehrenamtlichen Engagement in die Hände gefallen ist (nun ja, manches musste ich auch mühsam suchen…).

Hier geht’s zum Dossier Ehrenamtliches Engagament!

Bis auf den Freiwilligensurvey, dem Flaggschiff der deutschen Engagementforschung, habe ich nur Materialien aufgenommen, die einen spezifischen diakonischen und/oder kirchlichen Bezug haben bzw. die von Kirche und/oder Diakonie herausgegeben wurden. Das soll die Debatte nicht verengen. Ich musste das Dossier einfach begrenzen, und eine spezielle Engagement-Linksammlung von Kirche/Diakonie gab es bisher noch nicht (oder?).

Für den Titel des Dossiers habe ich den klassischen Begriff „ehrenamtliches Engagement“ genommen. Im kirchlichen Bereich ist es nach wie vor der gängige Terminus (Seidelmann 2012, S. 10). Im diakonischen Kontext findet man zunehmend Formulierungen, die die „Freiwilligkeit“ in den Vordergrund stellen. Hier gibt es aber auch einen fließenden Übergang zu den Freiwilligendiensten, die ich im Dossier nicht berücksichtigt habe (das wäre noch einmal eine ganz neue Linkliste). Auch deshalb bin ich einfach beim Klassiker „Ehrenamt“ geblieben. Die Wahl des Begriffs ist also keine politische, sondern eine pragmatische.

Ich hoffe, dass der Service gefällt!

Freund und Feind

Wenn ich mir die Diskussion rund um kirchliches Arbeitsrecht, Streikverbot und Dienstgemeinschaft zu Gemüte führe (zugegeben, ich tue dies selten, meine Leidensfähigkeit ist durchaus begrenzt), halte ich mich mit Kommentaren meist zurück. Ich stehe dann eher kopfschüttelnd daneben…

Dierk Starnitzke, Leiter des Wittekindshofs in Bad Oeynhausen, meldet sich in epd sozial zu Wort und gibt ein wohltuend sachliches und inhaltlich erfrischendes Interview. Er plädiert dafür, den Ball etwas flacher zu halten (so Manches sei aufgebauscht), er plädiert für eine gehaltvollere theologische Reflexion des kirchlichen Arbeitsrechts und er stellt außerdem fest, dass der Begriff der „Dienstgemeinschaft“ nicht „kirchlich-diakonisch“ gefüllt sei (so seine Forschungen).

Zum Ende des Gesprächs kommt er dann auf den Aspekt zu sprechen, der dem Interview in epd sozial die Überschrift gibt:

„Die Gewerkschaften sind nicht unsere Feinde.“

Auf die Frage hin, ob nicht ein gemeinsamer Tarif für Sozialunternehmen sinnvoll wäre, sofern denn die Diakonie auf die ACK-Klausel verzichte, antwortet er:

„Das könnte außerdem eine höhere Schlagkraft bringen. Mir wird immer deutlicher, dass unsere ‚Feinde‘ nicht die anderen Wohlfahrtsverbände oder die Gewerkschaften sind, sondern die Teile der Gesellschaft, in denen riesige Geldmengen durch Misswirtschaft vernichtet werden. Uns würde eine Solidarität untereinander helfen.“

Es erweist sich im Leben oft als recht hilfreich, zwischen Freund und Feind unterscheiden zu können.

„Die Gewerkschaften sind nicht unsere Feinde“. Diakoniemanager Starnitzke fordert theologische Fundierung des Dritten Wegs, epd sozial, Nr. 6, 10.02.2012, S. 16-17.

Online-Diskussion zu „Perspektiven der Diakonie“

Der Diakonie-Bundesverband startet Anfang nächsten Jahres eine Online-Diskussion zur Diakonie im gesellschaftlichen Wandel. Diskussionsgrundlage ist der Text „Perspektiven der Diakonie im gesellschaftlichen Wandel“ (bereits hier im Blog erwähnt). In vier Runden wird zu den folgenden Themen diskutiert:

  • Theologische Grundlagen und diakonisches Profil (09.01. – 22.01.)
  • Grenzen des Sozialstaats (23.01. – 05.02.)
  • Dienstgemeinschaft und Dritter Weg (06.02. – 19.02)
  • Aktives Alter (20.02. – 04.03.)

Angekündigt wird dies als die „erste bundesweite online-Diskussion in der Diakonie“. Das ist mutig, denn auch wenn in der Diakonie 450.000 Mitarbeitende arbeiten, sind diese ja erst einmal Mitarbeitende der einzelnen Einrichtungen. Man kann also nicht davon ausgehen, dass dieser Aufruf automatisch zur Masse der Mitarbeitenden durchdringt. Aber gerade deshalb ist es gut, solch ein Vorgehen einmal auszuprobieren. Ich hoffe, dass sich viele Leute beteiligen werden und werde die Info zu gegebener Zeit auch noch einmal streuen, so gut ich kann…

Neben dieser Online-Diskussion bietet der Diakonie-Landesverband Rheinland-Westfalen-Lippe noch eine Begleitveranstaltung am 11. Januar 2012 an, ganz old school, also mit physischer Präsenz. Auch hier geht’s um die vier genannten Aspekte.

UPDATE 2011-12-11: Ich sehe gerade den Kommentar von Brigitte Reiser zu der Auswahl der vier Themen. Freut mich!

Diakonische Lernorte

Unter dem Begriff des „diakonischen Lernens“ hat sich seit Mitte der 1990er Jahre ein Konzept etabliert, das begleitete Schulpraktika im sozialen/diakonischen Bereich („Diakonie praktisch“) mit einer fundierten Vor- und Nachbereitung im Religionsunterricht („Diakonie theoretisch“) verbindet. Zur Debatte um diakonisches Lernen, zum Bildungsverständnis, zu didaktischen Zugängen und methodischen Umsetzungen sei das grundlegende Handbuch „Unterwegs zu einer Kultur des Helfens“ empfohlen. Ein wichtiger organisatorischer Aspekt ist immer die Frage nach den konkreten Lernorten, also den Möglichkeiten, „Diakonie praktisch“ zu erfahren. Einige Landeskirchen bzw. Diakonie-Landesverbände bieten hierzu hilfreiche Zusammenstellungen von Praktikumsmöglichkeiten für das diakonische Lernen an.

Hinweise auf weitere Seiten mit diakonischen Lernorten nehme ich gerne auf!

Das Diakonische entdecken

Das ist kurz und knapp zusammengefasst, worauf es mir in der diakonischen Bildung ankommt. Diakonische Bildung hat die Aufgabe, der Frage nach dem „Eigentlichen“ der Diakonie nachzugehen und Klärungshilfen anzubieten, es freizulegen – und zwar jenseits von Marketinginteressen oder Identifikationsbestrebungen. Und unter eben diesem Titel habe ich nun meine Dissertation veröffentlicht, die soeben erschienen ist.

Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe an Kursen und Seminaren zum Selbstverständnis der Diakonie. Dabei scheint aber keineswegs geklärt zu sein, wo die Konturen eines „diakonischen Profils“ verlaufen und worin genau dessen Kern besteht. Zudem kann man beobachten, dass traditionelle Begründungen und theologische Reflektionen diakonischer Praxis kaum noch Kontakt zu eben dieser Praxis haben.

In meinen Augen ist daher zunächst einmal eine gründliche didaktische Reflexion nötig, um sich über die Eckpunkte diakonischen Profils zu vergwissern und die Möglichkeiten (und Grenzen) zu reflektieren, wie ein entsprechender Entdeckungsprozess gelingen kann. Was ist der Kern des „Diakonischen“? Was müssen Diakonie-Mitarbeitende vom theologischen Gehalt der Diakonie wissen? Kann Diakonie überhaupt „vermittelt“ werden? Worin besteht diakonische Kompetenz? Welche Möglichkeiten bieten Bildungsangebote im Bereich der organisierten Diakonie? Dies sind einige der Fragen, denen ich nachgehe.

Diakonische Bildung konzipiere ich dabei im Anschluss an zwei allgemeindidaktische Theorielinien, der bildungstheoretischen und der konstruktivistischen Didaktik. Die konstruktivistische Didaktik versteht Lernen als eine subjektive Konstruktionsleistung. Das Entdecken des Diakonischen ist in dieser Perspektive ein Interpretationsgeschehen. Mitarbeitende stehen Vermittlungsversuchen meiner Beobachtung nach auch ausgesprochen skeptisch gegenüber, sind aber eigenständigen Erschließungsprozessen gegenüber durchaus aufgeschlossen.

Aus bildungstheoretischer Sicht geht die Erschließung des Diakonischen einher mit der eigenen Selbst-Erschließung. Das zu entdecken Diakonische und der diakonisch Entdeckende stehen in einem Verweisungszusammenhang. Damit Bildung in diesem Sinne gelingen kann, beschreibe ich drei „diakonische Elementarformen“ als didaktische Erschließungsgrößen: Dies sind Erfahrungen, die für diakonisches Handeln bedeutsam sind („diakonische Grudnerfahrungen“), Prinzipien, wie sich Diakonie vollzieht („diakonische Gestaltungsmuster“) und das, worauf Diakonie letztlich abzielt („diakonische Wirkrichtungen“).

Die Veröffentlichung richtet sich vor allem an Mitarbeitende in der diakonischen Bildungsarbeit und der Profil- und Kulturentwicklung. Möge es zu der einen oder anderen nützlichen Entdeckung kommen…

Das Inhaltsverzeichnis kann man über die Deutsche Nationalbibliothek einsehen.

Interkulturelle Öffnung in der Diakonie – kleines Update

Vor einiger Zeit hatte ich auf aktuelle Diakonie-Texte zum Thema „interkulturelle Öffnung“ in der Diakonie hingewiesen. Hier nun ein kleines Update, da wieder ein neuer Text erschienen ist. Die Entwicklung des Themas innerhalb der Diakonie kann man am Fortschreiten der Papiere des Bundesvebands beobachten:

Das Thema „interkulturelle Öffnung“ ruft immer die Frage nach der Dienstgemeinschaft hervor. Im vergangenen Jahr ist dazu eine interessante Tagungsdokumentation der Diakonie Hessen-Nassau erschienen. Bei der Tagung ging es um die Frage: „Wen wollen wir als Mitarbeiter/in? Kirchliche und diakonische Einrichtungen im Spannungsfeld zwischen christlicher Profilierung und interkultureller Öffnung“. Die Dokumentation ist unterdem dem Titel Auf dem Weg zu einer „Dientsgemeinschaft mit Anderen“ erschienen. Das scheint mir derzeit der weitgehenste Vorschlag in dieser Richtung zu sein. Das Papier ist äußerst anregend und lesenswert.

Ersetzen Ehrenamtliche Hauptamtliche?

Eurodiaconia hat eine sozialpolitische Stellungnahme zum Ehrenamt (englisch) verfasst. Das Papier ist kurz und knackig (nur 2 Seiten), ein gutes Briefing. Vier Punkte werden bennnt:

  • Ehrenamtliche sind kein Ersatz für Hauptamtliche
  • Ehrenamt gibt es nicht umsonst
  • Ehrenamt ist freiwillig
  • Wir müssen das europäische Sozialmodell schützen

Stimmt alles, und ich stimme durch und durch zu. Aber bei der ersten Aussage komme ich immer wieder ins Nachdenken. So richtig es ist, dass Hauptamtliche nicht durch Ehrenamtliche ersetzt werden sollten, so komplex (und vertrackt!) ist dieses Thema auch. Vier Beobachtungen dazu…

(1) Zunächst einmal ist es sehr wichtig, dass Sozialorganisationen – gerade auch diakonische Einrichtungen – für eine solide Finanzierung ihrer Angebote kämpfen, um so gar nicht erst in die Lage zu kommen, hauptamtliche Kräfte durch ehrenamtliche ersetzen zu müssen. Um so befremdlicher ist es, dass Einrichtungen im Sozialbereich – und wieder: gerade auch diakonische Einrichtungen – selbst mit am Sozialabbau beteiligt sind. Man schaue sich nur einmal diesen Panorama-Bericht an: Manche Träger vergüten einen Teil der Arbeit der Hauptamtlichen (!) über die so genannte „Übungsleiterpauschale“ für Ehrenamtlichkeit. Damit sparen sie Sozialabgaben – und tragen mit dazu bei, dass der Sozialstaat weniger Geld in der Kasse hat. Ob das juristisch astrein ist, kann ich nicht beurteilen, aber es bringt auf jedenfall Punktabzug bei der Karma-Bilanz. Vielleicht ist dieses Vorgehen ja quantitativ nur eine Randerscheinung (hoffen wir es!), aber auch dies ist eine Facette des Hauptamtlichen-Ehrenamtlichen-Themas.

(2) Aber auch ohne diesen „Graubereich“ ist die Frage, ob und ggf. wie Ehrenamtliche Hauptamtliche ersetzen, vielschichtig. Denn was genau meint das eigentlich: Ehrenamtliche ersetzen Hauptamtliche? Es wird wohl kein Sozialarbeiter fürchten müssen, dass er morgen die Kündigung erhält und übermorgen zu 100% durch einen Ehrenamtlichen ersetzt wird. Es ist vielmehr ein schleichender, kaum merklicher Prozess. Es wird immer nur um kleine (und kleinste) Stellenanteile gehen, Stellen werden umgeschichtet, Aufgaben neu zugeorndet usw. Und auf einmal wird dann ein Teil dieser Aufgaben – möglicherweise – nicht mehr von den Hauptamtlichen gemacht, sondern von dem ein oder anderen Ehrenamtlichen. Wurde dieser Stellenanteil nun „ersetzt“, oder ist dies bei einer Umorganisation – die ja durchaus auch fachliche Gründe haben kann – einfach so „passiert“? So ganz klar wird man das nicht sagen können. Und genau das ist das Problem dabei.

(3) Eine weitere Facette: Bisher habe ich immer von „Hauptamtlichen“ und „Ehrenamtlichen“ gesprochen. Bei dem Substitutions-Diskurs ist dies ja auch die entsprechende Terminologie. Aus Sicht einer (diakonischen) Einrichtung ist diese Gegenübertsellung allerdings viel zu schlicht – und deshalb trifft sie auch kaum den Kern der Sache. Bei einem „ganz normalen“ diakonischen Träger arbeiten nämlich in der Regel sehr unterschiedliche „Typen“: unbefristete Angestellte der Stammbelegschaft, befristete Mitarbeiter, Projektstelleninhaber – das ganze dann nocheinmal von Vollzeit bis Teilzeit und mit den unterschiedlichsten Tarifverträgen – Honorkräfte, Freiberufler (Supervisioren, Berater,…), Praktikanten, Zivis-Bufdis-FSJler, „ausgeliehene“ Pfarrer (als Beamte ihrer jeweiligen Landeskirche), Leiharbeiter (darf man das sagen?), Auszubildende… – und Ehrenamtliche. Ein Einrichtungs-, Haus- oder Wohnbereichsleiter muss dieses Konglomerat an Beschäftigungsverhältnissen managen. Und in diesem Konglomerat erscheint mir das Phänomen, Hauptamtliche durch Ehrenamtliche zu ersetzen, nicht ganz so „gefährlich“ zu sein, wie es manchmal erscheinen mag. So manchen Einsatz von FSJlern, um einige Dienste überhaupt aufrecht erhalten zu können, und die Zunahme an Honorartätigkeiten (teilweise hart an der Grenze zur Scheinselbständigkeit) finde ich bedenklicher.

(4) Und noch ein Gedanke: Wenn Ehrenamtliche in sozialen/diakonischen Einrichtungen arbeiten, heißt es oft: Sie dürfen/sollen nur „zusätzliche“ Aufgaben übernehmen. Genau damit will man dem Verdacht der Substitution entkräften: Ehrenamtliche machen ja nicht die „eigentliche“ Arbeit, sondern die „zusätzliche“. Aber was ist „eigentlich“ und was ist „zusätzlich“? Das ist doch wohl eher ein Taschenspielertrick. Man versetze sich nur einmal kurz in die Lage eines Ehrenamtlichen, der „nur“ etwas „Zusätzliches“ macht. Dieser Ehrenamtliche würde doch denken: „Entweder mache ich hier was Richtiges und Wichtiges (!), oder ich mache hier gar nix. Auf ein bisschen zusätzlichen Schnickschnack habe ich keine Lust – dann engagiere ich mich woanders, dort, wo ich tatsächlich gebraucht werde!“ Das heißt aber doch: Wer als Einrichtungsleiter Ehrenamtliche sucht, muss ihnen eine „richtige“ Aufgabe geben, also eine, die nicht rein „zusätzlich“ ist. Und in genau diesem Sinne wird immer mehr der Begriff des „qualifizierten Ehrenamts“ gebraucht. Man kann es dann drehen und wenden wie man will: diese Aufgaben werden nie etwas rein „Zusätzliches“ sein. Jeder, der ernsthaft Ehrenamtlichkeit fördert, muss dann auch den Mut haben und sagen: „Ja, in letzter Konsequenz kann es sein, dass damit auch Aufagben übernommen werden, die eigentlich Hauptamtlichen vorbehalten sind.“ Oder man nimmt die Ehrenamtlichen für nicht ganz voll.

Vier Facetten zum Ehrenamtlichen-Hauptamtlichen-Diskurs. Vier von… noch etlichen weiteren Facetten. Fazit: Das Thema ist vielschichtiger als es erscheint. Meine Hochachtung vor den Leitenden, Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen, die trotz all dieser politischen und ethischen Ambivalenzen eine gute Arbeit machen!

Drei Fragen zur diakonischen Kultur

Ich mag einfache Fragen, mit denen man schnell auf den Punkt kommen kann. Das Salutogenese-Konzept von Aron Antonovsky kann für Fragen dieser Art inspirierend sein. Zum Beispiel, um der Kultur in einer diakonischen Einrichtung nahe zu kommen.

Antonovsky will wissen, aus welchen Gründen Menschen gesund bleiben (und damit unterscheidet sich sein Konzept von denen, die nach den Gründen forschen, warum Menschen krank werden). Von zentraler Bedeutung sind für ihn die Dimensionen Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit, sie zusammen bilden das Koheränz-Gefühl eines Menschen (etwas verkürzt gesagt, eine gute Einführung zur Salutogenese gibt es hier, S. 28-31).

In genau diesem Sinne lassen sich drei einfache Fragen formulieren, mit denen man einer (diakonischen) Kultur auf die Spur kommen kann:

  • Gefühl der Verstehbarkeit: Verstehe ich diese mich umgebende diakonische Kultur? Kann ich sie mir erklären, oder erlebe ich sie als willkürlich, zufällig, unverständlich?
  • Gefühl der Handhabbarkeit: Kann ich den Anforderungen, die diese Kultur an mich stellt, gerecht werden? Bin ich weder über- noch unterfordert? Kann ich diese Kultur handhaben, bewältigen und (mit)gestalten?
  • Gefühl der Sinnhaftigkeit: Empfinde ich diese diakonische Kultur als bedeutsam? Ist diese vorherrschende Kultur sinnvoll, hat sie ihren Sinn in sich?

Keine der drei Fragen zielt darauf, ob ich etwas „gut finde“ – sondern ob  ich es verstehe, ob ich dabei handlungsfähig bin und ob ich darin einen Sinn sehe – gerade daher sind die Fragen gut.

Diakonische Perspektiven

Soeben erschienen: Perspektiven der Diakonie im gesellschaftlichen Wandel, ein Diskussionspapier zur Zukunft der Diakonie, erstellt von einer Expertengruppe um Uwe Becker (Vorstand Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe), in Auftrag gegeben von der Diakonischen Konferenz des Diakonischen Werkes der EKD.

Das Papier will anregen zu einer „innerdiakonischen und -kirchlichen Verständigung“ über die gegenwärtigen Herausforderungen der organisierten Diakonie. Und dies soll keine hohle Phrase bleiben. So fordert Diakonie-Präsident Johannes Stockmeier dazu auf, „möglichst rasch in eine Diskussion einzutreten“ (S. 13). Weiter heißt es:

„Ich wünsche mir dabei eine sehr breite und nichtsdestotrotz gründliche Diskussion, deren Ergebnisse wir dann sorgsam zusammentragen und dokumentieren sollten. Und je mehr Menschen, Dienste und Einrichtungen sich beteiligen, umso mehr können wir die Realität der Herausforderungen der tagtäglichen sozialen Arbeit der Diakonie erfassen, um dann auch Orientierungen abzuleiten, wie wir uns als Diakonie der Kirche national und europäisch weiterentwickeln können und weiterentwickeln wollen. […] Der Diakonie Bundesverband wird für die Konsultationsprozesse mit den Landes- und Fachverbänden vier Regionalkonferenzen als Forum für eine eingehende Diskussion der Analysen und Lösungsmodelle des Expertisepapiers anbieten. Ziel ist die Erarbeitung einer Agenda, die dann konkrete Umsetzungsschritte auf einer definierten Zeitschiene ermöglicht“ (Johannes Stockmeier, S. 13).

Ein breit angelegter Diskussionsprozess über die Perpsektiven der Diakonie, das erscheint mir neu. Zumindest kann ich mich an ein ähnliches Vorgehen nicht erinnern. Die EKD-Denkschrift Herz und Mund und Tat und Leben (1998) wurde viel zitiert, hat aber wenig inhaltlichen Diskurs ausgelöst. Da standen die Leitlinien zum Diakonat (1975) schon stärker in der Diskussion. Aber – und so verstehe ich Präsident Stockmeier – einen Prozess zu ermöglichen, an dem sich möglichst Viele beteiligen, scheint mir in der Tat ein innovativer Weg zu sein. Es bleibt zu hoffen, dass nicht nur Diakonie-Funktionäre einbezogen werden, sondern dass auch viele engagierte Mitarbeitende die Möglichkeit haben, sich an dieser diakonischen Profilierung beteiligen zu können.

Auf geht’s!

Was ist Diakonie? (#2)

Im Eurodiaconia-Newsletter #76 beschreibt Heather Roy zwei verschiedene Arten von Diakonie, die „Lückenfüller-Diakonie“ und die „Sozialdienstleistungsdiakonie“:

„Was mich vielleicht am meisten beschäftigt hat, war die Frage, ob wir in der Diakonie eine Art „Lückenfüller“ sind, also soziale Dienstleistungen für jene erbringen, die nicht von staatlichen Stellen unterstützt werden, oder, ob wir grundsätzlich Sozialdienstleistungsorganisationen sind, die eine Reihe von Dienstleistungen quer durch das soziale Spektrum erbringen. Offenkundig arbeiten einige unserer Mitglieder mit dem “Lückenfüller”-Ansatz, während andere eher allgemeine Dienstleistungserbringer sind. Keiner der beiden Ansätze ist falsch, beide sind notwendig, und welcher davon zur Anwendung kommt, hängt immer auch von dem Kontext ab, in dem die Mitglieder arbeiten. Das führt uns aber auch wieder zu den noch nicht abgeschlossenen Überlegungen zu den besonderen Merkmalen der Diakonie und wie diese heute zum Ausdruck kommen.“ (Heather Roy, Eurodiaconia-Newsletter #76).

Ja, was ist Diakonie denn nun? Es ist schon merkwürdig, dass über solch eine einfache Frage so gut wie kein Konsens besteht. Natürlich, die vermeintlich einfachen Fragen sind immer die schwierigsten. Die Unterscheidung zieht sich tief hinein ins Mark diakonischer Identitätssuche. Diakonie-Mitarbeiter der Lückenfüllerdiakonie arbeiten mit einem anderen Selbstverständnis als die Dienstleistunsgdiakonie-Mitarbeiter.

Heather Roy hat natürlich recht, dass dies kontextabhängig ist. Aber es drängt sich doch auch irgendwie die Frage auf, ob die Lückenfüller-Diakonie nicht die „eigentliche“, die „richtige“, die „ursprüngliche“ Diakonie ist? Dies kann man auch daran sehen, dass die Frage nach einem möglichen Alleinstellungsmerkmal ausschließlich eine Frage der „Sozialdienstleistungsorganisationen“ ist. Denn in der Lückenfüller-Diakonie ist die Lückenfüllung selbst bereits das Alleinstellungsmerkmal, die Frage stellt sich hier erst gar nicht. Während das Diakonische an der Lückenfüller-Diakonie also schlicht und einfach die Tatsache ist, dass es sie gibt, muss die Dienstleistungs-Diakonie viel stärker begründen, inwiefern sie diakonisch ist.

Allerdings darf man nicht zu dem Schluss kommen, dass die Unterscheidung zwischen Dienstleistungs- und Lückenfüller-Diakonie identisch sei mit der zwischen professionellen und nicht professionellen Arbeitsweisen. Vielmehr geht es hier um die Unterscheidung zwischen refinanzierten und nicht refinanzierten Arbeitsbereichen. Vor längerer Zeit habe  ich mal die Begriffe „Not 1. Klasse“ und „Not 2. Klasse“ gehört (leider habe ich vergessen, von wem das stammt). Das ist natürlich etwas zynisch, aber die Unterscheidung ist nicht falsch. Die „Not 1. Klasse“ ist die refinanzierte Not, also das, worauf diakonische Einrichtungen als „Sozialdienstleistungsorganisationen“ antworten. Für die „Not 2. Klasse“ gibt es dann die „Lückenfüller-Diakonie“.

Gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen der Lückenfüller-Diakonie bzw. der Dienstleistungs-Diakonie und den verschiedenen Organisationsformen der Diakonie (siehe meinen Beitrag Die sieben Diakonien)? Könnte man also einfach sagen, die „Not 1. Klasse“ wird von den Komplexeinrichtungen bearbeitet, die „Not 2. Klasse“ von diakonischen Gemeinden? Auf den ersten Blick mögen einem entsprechende Beispiele einfallen, auf den zweiten Blick merkt man aber schnell, dass diese Zuordnung nicht passt, dass das zu kurz gedacht ist. Allerdings rücken die diakonischen Social Business-Organisationen, wie ich sie als eine der sieben Diakonie-Typen beschrieben habe, noch einmal deutlicher ins Zentrum der Betrachtung. Sie setzen ja gerade bei der „Not 2. Klasse“ an.

Und ein letzter Gedanke: Egal wer sich um Lückenfüller-Ansätze und -Angebote kümmert, wichtig ist, den Ressourcen-Einsatz gut im Blick zu haben. Ich meine jetzt weniger Finanzen und Mitarbeiter, ich meine eher Konzepte und Kräfte. Wenn die gesamte Energie absorbiert wird, ist aus der Lücke ein Schwarzes Loch geworden.

Liebe deinen Nächsten wie dich selbst

Ab und an muss ich meine Diakonie-Materialsammlung durchsortieren, sonst wächst sie mir über den Kopf. Und beim Aufräumen bin ich nun auf dieses Schätzchen gestoßen:

Dazu lässt sich eine ganze Menge sagen. Vor allem natürlich zum Verhältnis von Selbst- und Nächstenliebe in der Diakonie. Aber das lass‘ ich mal lieber. Stattdessen ein schönes Zitat, das in diesem Zusammenhang noch eine ganz andere Facette hervorhebt:

„Diakonie entgrenzt das Näheverständnis, in dem sie jeden zum Nächsten erklärt, dem sie nahekommt“

Das Zitat ist von Joachim Weber, der kritisch anmerkt, dass das traditionelle Diakonieverständnis „Du-zentriert“ ist (Joachim Weber: Zwischen Diakoniekritik und kritischer Diakonie, DWI-INFO Sonderausgabe 12, Heidelberg 2010, 154-167; S. 165).

Nur eins noch: Das Poster ist aus dem Jahr 1998, dem Diakonie-Jubiläumsjahr. Ich weiß noch, dass ich vor einigen Jahren nachgeforscht habe, woher es eigentlich stammt. Das DW Westfalen und das DW-EKD haben mir beide versichert, dass es nicht aus ihrem Hause kommt.

In uns allen ist Diakonie

Beim Recherchieren im Netz bin ich über eben diesen Slogan gestolpert: In uns allen ist Diakonie. Dieser Satz kommt vielleicht unscheinbar daher, aber er hat es in sich.

Er gehört zur Jahreskampagne 2011/2012 der Diakonie Bayern. Der Hintergrund ist recht nüchtern: Es geht natürlich um den kommenden Fachkräftemangel, und hier setzt man mit der Aussage an, dass eben in jedem Diakonie ist. Ganz pragmatisch gedacht.

Aber das ist es nicht nur. Denn der Satz ist wirklich gut, ob nun mit oder ohne Fachkräftemangel. Mir gefällt die Aussage. Und sie ist im Bereich der Diakonie auch recht untypisch, denn in der Regel werden Botschaften zu Hilfefeldern oder Betroffenengruppen kundgetan. Hier wagt man sich mit dieser Aussage zu einer der Kernfragen diakonischer Identität vor.

Wo ist denn nun Diakonie? Wo entsteht Diakonie? In uns, sie steckt in uns drin. Sicherlich nicht nur, aber auch.

Es gibt eine Postkartenserie zu dieser Kampagne, die weitere Facetten von dem benennt, was in uns steckt: In uns allen ist – und dann folgen: Freude, Gerechtigkeit, Glaube, Hoffnung, Humor, Kreativität, Leidenschaft, Liebe, Mitgefühl, Mut, Nächstenliebe, Tatendrang, Vertrauen oder Zorn. Ist auch in uns allen drin, wie Diakonie. Oder andersrum formuliert: Diakonie ist vielleicht eben gerade dieses Gemisch in uns aus – zum Beispiel – Tatendrang, Zorn und Hoffnung.

Diakonische Kompetenz

Oft ist in der Diakonie vom „diakonischen Handeln“ die Rede. Ich finde diesen Begriff missverständlich, weil er nämlich suggeriert, dass es neben sozialarbeiterischem, therapeutischem, pflegerischem oder pädagogischem Handeln auch ein spezifisches diakonisches Handeln gebe. Der Begriff „diakonische Kompetenz“ trifft es in meinen Augen viel besser. In dem Artikel „Was ist diakonische Kompetenz?“ habe ich meine Überlegungen zusammengefasst.

„Kompetenz meint die Fähigkeit, sich in offenen und dynamischen Situationen selbstorganisiert zurechtzufinden (Erpenbeck/von Rosenstiel). Diakonische Kompetenz bedeutet demnach, mündig und fundiert Diakonie zu gestalten und beizutragen, sie zu ermöglichen. Diakonische Kompetenz setzt beim Kern des Diakonischen an. Sie beschreibt den „Tiefengrund“ von Werten, Motivationen, Wissen und Fertigkeiten des Tätigseins in der Diakonie – und zwar grundsätzlich, also „fachlichkeitsübergreifend“. Die unterschiedlichen diakonierelevanten Fachlichkeiten stellen daher keine Alternative zur diakonischen Kompetenz dar, im Gegenteil: die Handelnden können ihr berufliches Handeln auf der Grundlage diakonischer Kompetenz ausüben.“ (Martin Horstmann: „Was ist diakonische Kompetenz?“ Ein Beitrag zu einem hoffentlich nützlichen Konstrukt, 2011, S. 5).

Kurz ein paar Eckpunkte, die mir wichtig sind:

  • Diakonische Kompetenz meint also nicht kon­krete liturgische, homiletische oder katechetische Tätigkeiten (wie Rituale gestal­ten, Andachten halten oder Glaubensinhalte kommunizieren), denn diese wären eben Bestandteil liturgischer, homiletischer oder katechetischer Kompetenz.
  • Diakonische Kompetenz leistet die Anschlussfähigkeit an sozialberufliche Diskurse. Sie kann sich auf die unterschiedlichen Verständnisse von Professionalität und Fachlichkeit beziehen, in erster Linie natürlich auf die ver­schiedenen Sozialberufe, letztlich aber auch darüber hinaus.
  • Diakonische Kompetenz stellt die Verbindung zwischen dem inhaltlichen Gehalt des Diakonischen und dem Handeln der diakonisch Tätigen her. Dadurch besteht die Chan­ce, dass die eher diffusen Beschreibungsversuche eines „diakonischen Profils“ überwunden werden können.

Die Aufgabe eines diakonischen Kompetenzmodells besteht also darin, zwischen dem in­haltlichen Gehalt des Diakonischen und dem konkreten Tätigsein im diakonischen All­tag zu vermitteln. Gleichzeitig soll diakonische Kompetenz eine Brücke schlagen zwischen individuellem Wissen, Können und Haltung des Diakoniemitarbeiters auf der einen Seite und den organisationalen Anforderungen diakonischer Einrichtungen auf der anderen Seite. Diakonische Kompetenz bezieht sich auf die grund­legende Struktur des Diakonischen und lässt sich eben nicht über einzelne „oberflächliche“ Profilelemente bestimmen.

Mögen diese konzeptionellen Überlegungen hilfreich sein. Vor zwei Jahren hatte ich eine erste Skizze zur diakonischen Kompetenz vorgelegt (Martin Horstmann: Diakonische Kompetenz, in: Volker Herrmann (Hg.): Soziales Leben gestalten. DWI-Jahrbuch 40, Heidelberg 2009, 245-261). Im Zuge meiner Dissertation habe ich nun einige Aspekte präzisiert. Das Modell hat sich nicht verändert, nur benenne ich jetzt keine konkreten Kompetenzelemente, sondern beschreibe einen Ansatz, wie man zu eben solchen Einzelkompetenzen gelangt.

Gute Nachrichten für Sozialarbeiter

„Erneute Expansion der Sozialen Arbeit nach dem Ende des Wohlfahrtsstaates?“ heißt ein gerade erschienener Artikel im Nachrichtendienst des Deutschen Vereins von Konrad Maier und Christian Spatscheck.

Die These der beiden Autoren: Der Arbeitsmarkt für Sozialarbeiter ist besser als sein Ruf. Denn in den letzten zehn Jahren ist die Zahl der erwerbstätigen Sozialarbeiter/innen und Sozialpädagog/inn/en kontinuierlich gestiegen. Dies widerspricht deutlich dem gefühlten Sozialabbau.

„Die Berufsgruppe der Sozialarbeiter/innen hat inzwischen eine Größenordnung erreicht, die vergleichbar ist mit der der niedergelassenen Ärzt/innen aller Fachrichtungen (bei 140.000). […] Wir vermuten, dass einerseits immer neue Bedarfe entstehen, die offensichtlich bedient werden müssen, und zum anderen, dass sich sich das komplexe System der Sozialen Arbeit einem radikalen Sozialabbau mit viel Geschick und Flexibilität nachhaltig widersetzt“ (S. 431)

131.000 Erwerbstätige sind es, werden dabei die Teilzeitstellen auf Vollzeitäquivalente umgerechnet, entspricht das immer noch über 115.000. Es handelt sich dabei um eigene Berechnungen der beiden Autoren anhand zweier Quellen: der amtlichen Berufsstatistik der Arbeitsverwaltung und der Erwerbspersonenstatistik des Statistischen Bundesamtes. Detailliertes Material stellen die Autoren über den Artikel hinaus auch noch bereit.

Und woran liegt das nun? Drei mögliche Erklärungen werden angeboten:

  • Möglichkeit 1: Die Zunahme an Stellen geht zurück auf das Wirtschaftswachstum in den Jahren 2005-2008.

Das würde bedeuten: Wichtiger als die (partei-)politische Großwetterlage (Bundes- und Landesregierungen) ist die wirtschaftliche Lage. Umso wohlhabender eine Gesellschaft ist, desto mehr Sozialarbeiter leistet sie sich.

  • Möglichkeit 2: Die Zunahme an Stellen geht zurück auf die Erosion der tariflichen Bezahlung.

Das würde bedeuten, dass „die Expansion der Stellen von Beschäftigten durch deren Verdiensteinbußen mitgetragen werden“ (S. 432). Ein Pyrrhussieg.

  • Möglichkeit 3: Die Zunahme an Stellen geht zurück auf einen Wandel im Selbstverständnis der Sozialen Arbeit.

Das Stichwort ist hier natürlich: „Vom Wohlfahrtsstaat zum aktivierenden Staat“. Zunehmend werden „skills“ zum Überleben in der Marktwirtschaft benötigt, deren Entwicklung und Befähigung besonders von der Sozialarbeit geleistet wird.

Ich habe immer wieder den Eindruck, dass es in der Diakonie die Tendenz gibt, das Berufsniveau abzusenken. Der Mitarbeiter der Zukunft sollte ein bisschen mehr mitbringen als ein Sozialhelfer, aber ein studierter Sozialarbeiter braucht es nun wirklich nicht zu sein. Schließlich sieht die unternehmerisch ausgerichtete Diakonie ihr Credo zunehmend in Assistenz-Tätigkeiten. Und „richtige“ Sozialarbeiter sind eh zu teuer – das müssten nur die Sozialarbeiter endlich mal verstehen. So zumindest mein Eindruck. Die Auswertung von Maier und Spatscheck zeigt, dass es einen ordentlichen Arbeitsmarkt für Sozialarbeiter gibt. Das sind doch wohl gute Nachrichten.

Konrad Maier/Christian Spatscheck: Erneute Expansion der Sozialen Arbeit nach dem Ende des Wohlfahrtsstaates? Nachrichtendienst des Deutschen Vereins, Oktober 2010, 428-433.

Profilschärfung von unten

Profilbildung ist grundsätzlich eine strategische Aufgabe. Aber gleichzeitig muss man auch eingestehen, dass Profilschärfung „von oben“ so seine Tücken hat: wenig nachhaltig und oft als Marketing missbraucht. Matthias Nauerth und Michael Lindenberg, Professoren an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie in Hamburg (Rauhes Haus), plädieren für eine „Profilschärfung von unten“, ausgehend von denjenigen Mitarbeitern, denen diakonische Profil selbst ein Anliegen ist.

Nauerth und Lindenberg gehen davon aus, dass die organisierte Diakonie durch die Ökonomisierung ununterscheidbar geworden ist. Gemeinhin wird das Gegenteil behauptet: Die Marktorientierung zwinge zu einer eindeutigeren Unterscheidbarkeit. Irrtum, denn

„die betriebswirtschaftliche Rationalität innerhalb der Träger und Einrichtungen wirkt wie ein Windkanal, in dem alles ähnlich geformt wird und sich tendenziell angleicht. Als Betriebe auf Sozialmärkten kämpfen diakonische Träger und Einrichtungen in Konkurrenz mit anderen Anbietern  um schwarze Zahlen. Sie haben seitens der Kostenträger enge Vorgaben und  für ihre eigensinnige Gestaltung von Hilfen geringere Handlungsspielräume. Diese Handlungsspielräume werden auch nicht nachgefragt, und wenn, dann  ausschließlich in der marktförmigen Qualität eines ‚Alleinstellungsmerkmals‘. Daher sind sie gefordert, sich den wirtschaftlich zweckrationalen Strukturen anzupassen. Hierbei stehen sie in der Gefahr, dem Ziel, als Anbieter Sozialer Dienste auf dem Markt zu überleben, in  zunehmendem Maße jene Profile zu opfern, die sie unterscheidbar sein ließen“ (S. 3).

Daher liegt die Gefahr auf der Hand, dass alle gegensteurernden Profilierungsbestrebungen oberflächlich bleiben, dass sie nur zu Reklamezwecken dienen (S. 4), wie zum Beispiel eine „Markensicherung des Unternehmens im Wettbewerb“ oder die „fatale Inszenierung einer Glaubensgemeinschaft, die es so nicht gibt“ (S. 6). Deshalb plädieren Nauerth und Lindenberg eben für eine Profilschärfung von unten.

„Was folgt daraus für diakonisch orientierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Diakonie, die diese Verstrickungszusammenhänge sehen können, aber nicht passiv und fatalistisch werden wollen? Der Vorschlag lautet: Profilschärfung von unten. Dies meint, die Debatten um diakonische Identitäten und Profile in persönlich interessierten und verantwortlichen Kreisen zu forcieren, gleichzeitig aber zu verhindern, dass deren Ergebnisse lediglich als ‚Schmieröl in die Maschinerie der Sozialunternehmen‘ eingespeist werden.“ […] Es geht darum, „sich im ersten Schritt des eigenen diakonischenAuftrags zu vergewissern, um dann, ausgehend von dieser Gewissheit, erneut zu erarbeiten, wie fachlich und menschlich gearbeitet werden müsste, welche Bedingungen, Strukturen und Ressourcen hierfür benötigt werden und was einer solchen Arbeitsausrichtung im Weg steht. Auf dieser Basis können dann die Verbindungen (bzw. Koalitionen) mit all jenen  Kolleginnen und Kollegen gestärkt werden, die solche Ziele und Prinzipien teilen, nicht aber notwendig deren christliche Verankerung. Schließlich könnte im letzten Schritt gemeinsam  darum gerungen werden, entsprechend diesem eigensinnigen Auftrag arbeiten zu können“ (S. 5).

Das ist doch ein interessanter Ansatz. Es werden diakonische Prinzipien und Arbeitsziele entwickelt, und zwar prozessual, induktiv (diakonische Identität kann eben nicht deduktiv abgeleitet werden – woher auch?) und wahrscheinlich nachhaltiger als bei „von oben“-Ansätzen.

Und damit das Ganze auch die Bodenhaftung behält, steuern die beiden Autoren noch eine ganz vernünftige Frage bei, die immer wieder an das „Diakonische“ gestellt werden muss: „Geht das bei uns, und wenn es geht, wollen wir das?“.

Dossier Mitarbeiter-Bildung

Über „diakonische Bildung“ ist in den letzten zehn Jahren viel geschrieben (und geforscht) worden. Es gibt mittlerweile umfangreiche Literatur hierzu. Der deutliche Schwerpunkt liegt dabei auf dem „diakonischen Lernen“, einer Verbindung von Praktika und (Schul-)Unterricht. Schüler an allgemeinbildenden Schulen machen in diakonischen Einrichtungen ein mehrwöchiges Praktikum, das im Diakonie- oder Religionsunterricht der Schule vor- und nachbereitet wird. Ein weiterer Schwerpunkt der Literatur zur diakonischen Bildung liegt auf einem diakonischen Bildungsverständnis, das vom Gedanken der Teilhabeförderung geleitet ist. Diakonische Bildung wird dann als Befähigungsbildung verstanden.

Beides sind lohnenswerte Diskurse. Allerdings kommt mir ein weiteres Thema in der Debatte um diakonische Bildung oft etwas zu kurz: die (theologisch-)diakonischen Bildungsangebote für die ca. 400.000 Mitarbeitenden in der Diakonie. Jede (größere) diakonische Einrichtung schlägt sich mit dem Thema herum. Es gibt gute Ideen und Hinweise in der diakoniewissenschaftlichen Literatur, aber sie bleiben oft fragmentarisch. In meiner Dissertation habe ich den Versuch einer ersten Gesamtdarstellung unternommen. An dieser Stelle möchte ich nun einmal mit einigen wenigen, aber wichtigen und wesentlichen Texten kurz und kompakt in das Thema einführen: Das neue Dossier zur Mitarbeiter Bildung.

Social Fighters

Was kann man tun, um im sozialen/diakonischen Bereich genügend Nachwuchs zu bekommen? Am Image dieses Berufsfeldes arbeiten, ist eine Antwort, auf die man gegenwärtig immer häufiger stößt. Die Diakonie hat zum Beispiel letztes Jahr Vidoes zu „Berufen in der Diakonie“ produzieren lassen.

Bei der Diskussion von Berufsbildern finde ich zwei Aspekte besonders interessant. Zum einen: Was für ein Berufs-„Bild“ liegt den Vorstellungen zugrunde? Von welchen Bildern, Images, Klischees oder Idealen lässt man sich selbst – bewusst oder unbewusst – leiten? Und die zweite Frage: Wie wird dabei mit weiblichen und männlichen Rollenbildern umgegangen? Das ist ja gerade für den sozialen Bereich eine spannende und nicht unwichtige Frage. Was wird also diesbezüglich bei sozialen Berufen kommuniziert?

Beim österreichischen Boys Day habe ich nun folgendes Video gefunden: Die Social Fighters. Okay, klingt etwas martialisch, aber ich finde das irgendwie gut. Schaut selbst: