Mir geht die Sache mit der Diakonie-Kampagne immer noch nach. Und ich überlege, was es genau ist, das mich so beschäftigt.
Die Kommentare des Diakonie-Campaigners im ersten Blogbeitrag und der Text vom Diakonie-Präsidenten auf dessen Blog lassen bei mir sehr viele Fragen offen. Aber ich will jetzt kein Rechthabenwollen-Pingpong in den Kommentaren hier oder dort spielen. Das bringt nix. Deshalb dieser zweite Artikel, bei dem es mir ausschließlich ums Grundsätzliche geht.
Eine Vorbemerkung: Ich bin kein Campaigner, kein Fundraiser, kein Öffentlichkeitsarbeiter. Ich bin diesbezüglich nicht vom Fach. Aber seitdem ich als kleiner Junge Werbung guckte, liebe ich sie. Und später im Kino war ich nicht nur ein Abspannsitzenbleiber, sondern auch ein Werbungsvorspanngenießer. Will sagen: Rezeptionsästhetisch bin ich sehr wohl vom Fach.
Man kann (eigentlich) nicht nicht politisch sein.
Erschrocken bin ich über den Ansatz, dass der Diakonie Bundesverband seit Jahren völlig unpolitische Jahreskampagnen fährt. Denn eigentlich kann man nicht nicht politisch sein – jedenfalls nicht als großer Sozialverband. Unpolitisch zu sein ist somit – ungewollt – auch eine politische Aussage.
Gerade das Care-Thema ist ein hochpolitisches: Die Neudefinition des Pflegebegriffs. Die Finanzierbarkeit der Sozialsysteme und die damit verbundenen Fragen der Generationengerechtigkeit und der Geschlechtergerechtigkeit. Die Entlohnung des Pflegepersonals. Die gesellschaftliche Anerkennung von Pflegearbeit. Die völlig ungeklärte Frage, was mit den steigenden Zahlen an demenzerkrankter Menschen auf uns alle zukommen wird.
Es gibt wohl kaum ein Thema, das politisch so (auf)geladen ist wie die Pflege. Das heißt nicht, dass immer jede Aussage zu dem Thema ein politisches Statement sein muss. Nein, muss es nicht. Aber wenn eine Jahres(!)kampagne(!) eines der größten (!) Sozial(!)verbände des Landes eine Botschaft hat, die ungefähr in die Richtig geht wie „Natürlich ist es hart, aber das wird durch ein Lächeln entloht“, dann ist das eben nicht nicht politisch. Denn es ist nicht die Aussage der Mitarbeiterin XY (die selbstverständlich diese Meinung vertreten kann!), sondern es ist die Aussage der Diakonie-Kampagne.
Das Thema der Diakonie ist sie selbst
Was zum Kuckuck ist die Botschaft der Kampagne? Dass eine Hebamme den Job macht, wie eine Hebamme ihren Job macht? Dass ein Erzieher in einer Kita so arbeitet, wie man sich die Arbeit eines Erziehers in der Kita vorstellt? Dass man einen Einblick bekommt, wie eine Werkstatt für behinderte Menschen aussieht, egal welchen Trägers?
Ich erkenne folgende Botschaft: Die Diakonie hat verschiedene Arbeitsfelder, dort arbeiten Diakonie-Mitarbeitende und die machen einen tollen Job. Ja, das stimmt alles drei. Und?
Was ist das Thema der Diakonie-Kampagne? Die Diakonie selbst.
Thema sind nicht die Klienten, Nutzer oder Patienten. Sie sind Staffage (und stören zum Glück auch nicht großartig). Thema ist auch nicht ein gängiges Hilfeverständnis (Ermöglichung von Teilhabe, Kampf für eine inklusive Gesellschaft etc.). Und Thema ist schon gar nicht, strukturell oder gesellschaftspolitisch etwas voranzubringen.
Stattdessen sollen die Mitarbeitenden gewürdigt und in den Mittelpunkt gerückt werden. Ich bin der Letzte, der das nicht will! Aber dafür wäre wohl ein Rudigramm passender. Und in einer Image-Kampagne wünsche ich mir Aussagen, die nicht ausschließlich auf die Helfer fokussieren (jedenfalls nicht jahrelang!), sondern auf den Sinn, warum es diesen Verband gibt.
Die Sache mit der AuthentizitätTM
Authentizität ergibt sich für mich nicht automatisch dadurch, dass „echte Mitarbeiter“ in der Kampagne vorkommen. Sondern einzig und allein, ob die Botschaft authentisch ist. Der in dem Kampagnenvideo vorgeführte Pflegealltag ist beispielsweise völlig unauthentisch – auch wenn es von einer „echten“ Mitarbeiterin, in einer „echten“ Einrichtung mit „echten“ Klienten „in echt“ so gemacht wurde.
Eines ist wichtig: Mir geht es überhaupt nicht um die in den Kampagnenvideos gezeigten Mitarbeiter. Deren Arbeit kann und will ich nicht beurteilen. Ich habe schließlich nur ein Werbefilmchen gesehen, nicht deren Arbeit. Aber die Botschaft dieses Videos kann ich sehr wohl beurteilen. Ich kritisiere an dem Pflege-Video, wie die diakonische Arbeit dargestellt wird, welche Art von Fachlichkeit durch die Gesamtkomposition des Videos vermittelt wird. Ich sage nicht, dass die Pflege-Mitarbeiterin kitschige Arbeit macht. Ich sage aber sehr wohl, dass die Diakonie mit dem Video ganz großen Kitsch abliefert. Das hat mit den Mitarbeitern nur bedingt etwas zu tun. Doch sie hängen jetzt mit drin, mit Klarnamen.
Und wenn zum Beispiel der Mitarbeiter aus dem Spot von der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen zum Schluss des Videos zwischen behinderten und normalen Menschen unterscheidet (wenn auch „in Anführungszeichen“), dann wäre es falsch, diesen Mitarbeiter darauf festzulegen. Niemand redet druckreif. Es ist einzig und allein die Verantwortung der Diakonie, dass dies so über den Äther geht. Es ist ihre Absicht, dies so darzustellen und solche Aussagen zu prägen.
Was sie über die „Authentizität“ hinaus damit beabsichtigt, weiß ich nicht. Aber ich sagte ja bereits, dass sich mir der Sinn der Kampagne nicht erschließt.
Imagekampagnen eines Wohlfahrtsverbands: Was soll das?
Mein größtes Unverständnis bei den Diakonie-Kampagnen ist, wie man die Chancen, die eine Jahreskampagne bietet, damit verspielt, sie als Imagekampagne aufzuziehen. Und das seit Jahren! Wie bereits angedeutet, gefällt mir sehr gut, dass die Caritas Jahr für Jahr thematische Kampagnen fährt (und immer drei davon haben sogar noch ein Meta-Thema, hach!).
Dass einzelne diakonische Einrichtungen Werbefilme drehen und Imagekampagnen machen, ist nachvollziehbar. Genau dort gehört das auch hin. Sie bieten soziale Dienstleistungen an und können sich überlegen, ob sie Werbung machen wollen oder nicht. Jede einzelne Einrichtung kann sich überlegen, welches Image sie beförden möchte, ob sie sich eher altbacken oder progressiv geben möchte, was sie nach vorne und was sie nach hinten rücken möchte. Das kann niemand anderes als sie selbst. Sie sind sogar frei in der Entscheidung, ob sie gute oder schlechte Werbung machen wollen.
Der Bundesverband hat aber eine ganz andere Aufgabe, er ist ja gerade nicht Anbieter von sozialen Dienstleistungen. Er ist gesellschaftlicher und politischer Akteur – im Gegensatz zu den einzelnen Einrichtungen, die – mehr oder weniger – Marktakteure sind. Vielleicht bin ich jung und naiv, aber ich sehe die Existenzberechtigung des Diakonie-Bundesverbandes darin begründet, dass er Themen setzt, politisch interveniert, Druck macht, zivilgesellschaftlich mobilisiert und aktiviert, brennende Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens nach vorne treibt. Das sind alles Aufgaben, die wunderbar mit tollen Kampagnen begleitet werden könnten. Aber vielleicht bin ich ja wirklich naiv. Vielleicht ist es ja eine Satzungsaufgabe, Werbung für verschiedene Arbeitsfelder von Mitgliedsorganisationen zu machen.
Nun macht die Diakonie Deutschland anscheinend nicht nur Image-Jahreskampagnen, sondern auch thematische Kampagnen. Ich habe extra nicht gegooglet, sondern ein paar Tage nachgedacht: Ich kann mich an keine einzige erinnern. Sie scheinen nicht sehr auffällig gewesen zu sein. Und das liegt nicht an meinem Gedächtnis. Ich weiß ja sogar noch, wer Ulricke Jokiel ist. Und so etwas bräuchte ich mir wirklich nicht zu merken.
Okay, die Diakonie spielt nicht in derselben Liga wie beispielsweise ein Zentrum für politische Schönheit, das ist mir schon klar. Andererseits: Warum eigentlich nicht?
tl;dr
ach…
UPDATE 2015-01-31 Holger Pyka hat sich auf meinen Beitrag „Alles Wölkchen“ bezogen und ist der Frage nach kirchlichen Image-Kampagnen nachgegangen. Sehr lesenswert! Ich verlinke ihn in diesem Beitrag von mir, weil ich hier (wie Holger dort) etwas ausführlicher über Kampagnen-Arbeit nachdenke.