Archiv der Kategorie: Gemeinwesendiakonie

ruhiger, tiefer, klarer

Welche Rolle können Kirche und Diakonie konkret vor Ort im Quartier bzw. ganz grundsätzlich in der Zivilgesellschaft spielen? Brigitte Reiser hat hierzu in einem Blogbeitrag aktuelle Literatur zusammengetragen.

In den dort verlinkten Texten entdecke ich zwei Tendenzen, die mir auch schon häufiger in der Debatte um Gemeinwesenorientierung und dem Verhältnis von Kirche/Zivilgesellschaft aufgefallen sind: die kirchlich-selbstreferentielle Behauptung, wie groß das Potenzial der Kirche sei und den Alarmismus, dass die Kirche jetzt ganz schnell Dieses oder Jenes zu tun habe, um nicht völlig von der Bildfläche zu verschwinden.

All dies führt bei mir immer mehr zu dem Eindruck, dass die Diskurse, ob und wie sich Kirche zivilgesellschaftlich ausrichten sollte, letztlich doch recht zäh sind. (Oder liege ich hier falsch?)

Drei Hinweise, wie man die Debatte angehen kann.

Vom Alarmismus zum Presencing

Sehr oft wird behauptet, wie wichtig eine Öffnung der Kirche zum Quartier/zum Gemeinwesen/zur Zivilgesellschaft sei – was ja durchaus richtig ist. Allerdings fällt mir dabei häufig ein alarmierenden und moralisierenden Unterton auf. Alarmismus („Schnell, schnell!“) und Moralismus („Die Kirche ist nicht mehr Kirche, wenn sie nicht…!“) sind in den meisten Fällen schlechte Ratgeber.

Wie kann es gelingen, etwas in Ruhe aber gleichzeitig mit Kraft und Commitment zu tun? Es gibt hier zwar kein Patentrezept, aber zumindest eine Herangehensweise, die ich für sehr vielversprechend halte. Es ist die Theorie U von C. Otto Scharmer. Man muss sich ein bisschen einfuchsen (ich gestehe, dass ich seine Ideen anfangs nicht so recht kapiert habe). Eine wirklich gute Einführung in die Theorie U, noch dazu mit Hinweisen zur kirchlichen Organisationsentwicklung, bietet Karl-Heinz Knöss in der Zeitschrift für Organisationsentwicklung und Gemeindeberatung (Heft 14, 2014, S- 28-35).

Die Idee: Es gibt verschiedene Ebenen, auf denen Veränderung stattfinden kann. Bei der gängigen Herangehensweise versucht man von der Herausfordeurng direkt zur Aktion zu kommmen. Doch umso tiefer man in den „U-Prozess“ eintaucht, umso gehaltvoller und nachhaltiger werden die Veränderungsprozesse. Auf der tiefsten Ebene liegt das Presencing – eine Verbindung aus presence (anwesend) und sensing (einfühlend). Das ist das Gegenteil von Aktionismus und gleichzeitig der Grund, aus dem heraus wirklich Neues entstehen kann. Gerade für den kirchlichen Kontext ist die Theorie U wirklich ein wunderbarer Ansatz!

Interessant finde ich auch, dass Scharmer die Ebene, auf dem das Presencing liegt, mit dem Willen in Verbindung bringt. Das führt mich direkt zum nächsten Punkt: dem Wollen.

Weniger Sollen und mehr Wollen

Kirchengemeinden sind verhältnismäßig autonom. Merkwürdigerweise nutzen viele Gemeinden kaum die Chance, selbst zu bestimmen, was sie machen wollen. Man will gar nichts, sondern macht das, was man immer schon gemacht hat. Die Haltung, etwas zu wollen ist in vielen Gemeindeleitungen eher schwach ausgeprägt – dabei werden gerade die Gemeinden, die etwas wollen, als attraktiv wahrgenommen.

Es gibt ein schönes Essay von Ella Luna zu den „Crossroads of Should & Must“: Es geht um den Unterschied zwischen den Dingen, die wir tun sollen und denen, die uns so wichtig sind, dass wir sie einfach tun müssen (Müssen wird hier als etwas Positives verstanden, das man von dem moralisch-appellativen Sollen unterscheiden muss. Ich würde an dieser Stelle daher Ella Lunas „Must“ lieber mit Wollen als mit Müssen übersetzen, um nicht missverstanden zu werden.)

All die Gedanken sind nicht wirklich neu, aber Ella Luna hat sie gut auf den Punkt gebracht. Ihr geht es darum, die eigene Berufung zu finden, aber ich denke, dass man ihre Ideen genauso gut auf kollektive Akteure übertragen kann. Wie wäre es, sich auf einem Gemeindeleitungswochenende einmal an diesem Essay abzuarbeiten: Was sind all die Dinge, die wir als Gemeinde tun sollten und was sind die Dinge, die wir wirklich tun wollen? Und das schließt ausdrücklich ein, sich gegen etwas zu entscheidenn, etwas bewusst nicht zu wollen. In vielen Gemeindekonzeptionen und -leitbildern entdecke ich (viel zu) viel Sollen und (viel zu) wenig Wollen.

Bessere Differenzierung des Erfahrungswissens

Ein gängiger Fehler – der mir auch häufig passiert – ist es, von „der“ Kirchengemeinde zu sprechen. Es gibt aber grundverschiedene Typen von Kirchengemeinden.

Handlungsempfehlungen für die Kirchengemeinde sind daher entweder zu allgemein oder sie treffen für etliche Kirchengemeinden gar nicht zu. Es macht keinen Sinn von der Kirchengemeinde zu sprechen. Andererseits ist es genausowenig sinnvoll, so zu tun, als ob jede der 15.000 evangelischen Gemeinden völlig einzigartig ist. Hilfreich wäre ein gute Gemeinde-Typologie, um das Erfahrungswissen (das es ja zuhauf gibt) besser zu erschließen.

Bislang gibt es wenig Forschung über Kirchengemeinden, daher fehlen entsprechende Theorien und Typologien. Nun hat das SI der EKD im Zuge seines Kirchengemeinde-Barometers eine empririsch gewonnene  Typologie entwickelt, die zehn Gemeindetypen unterscheidet. Ich finde sie nicht ganz so griffig, aber sie ist das solideste, was ich kenne. Wie wäre es, wenn man zum Beispiel die Erfahrungen und Empfehlungen der Kirche-findet-Stadt-Projekte nach dieser Typologie (neu) ordnen würde? Ich kann mir vorstellen, dass das nicht nur das Erfahrunsgwissen besser systematisiert, sondern auch zu eingen Aha-Effekten führt. Vielleicht zeigt sich ja auch, dass gemeinwesenorientierte Ansätze nur in ganz bestimmten Gemeinde-Typen erfolgreich sind. Auch das wäre ein Fortschritt in der Gemeinwesen-Debatte.

tl;dr
Drei Empfehlungen für die Debatte um kirchliche/diakonische Gemeinwesenorientierung: Alarmismus vermeiden und Presencing entdecken; sich weniger vom Sollen und viel mehr vom Wollen leiten lassen; Erfahrungswissen besser differenzieren.

Musikalische Gemeinwesenarbeit

Im forum erwachsenenbildung (Ausgabe 4/2014) bin ich auf einen anregenden Artikel von Julia Koll gestoßen über die „Perspektiven kirchenmusikalischer Erwachsenenbildung“. Was das mit dem Thema dieses Blogs zu tun hat? Einiges. Aber ich muss einen absatzlang ausholen.

Gegenwärtig scheint es in der Kirchenmusik einen gewissen Turn zu geben, „Musik nicht nur als musikalischen Text zu verstehen, sondern vor allem als Musizieren“ (S. 29). Und das gemeinsame Musizieren lässt sich natürlich auch als Bildungsgeschehen verstehen – in kultureller, kognitiver, emotionaler, körperlicher, kommunaler, sozialer, religiöser und kirchlicher Hinsicht. Eine Gefahr kirchenmusikalischer Praxis besteht allerdings darin, Bildungsschranken eher zu verstärken als abzubauen. Denn auch wenn es anders gewollt ist – de facto begünstigen kirchliche Angebote oft Exklusionsmechanismen. Und so stellt Julia Koll am Ende ihre Artikels eine interessante Frage:

Noch viel stärker als bisher könnten allerdings auch produktive Verbindungspunkte zwischen Erwachsenenbildung und musikalischer Gemeinwesenarbeit geschaffen werden – von beiden Seiten aus. Wer spricht gegenwärtig schon von kirchenmusikalischen Potenzialen für die kirchliche Weiterbildungs-, Sozial- und Diakoniearbeit? Bekäme der Bildungsauftrag der Kirchen dadurch nicht einen ganz neuen Klang, einen lebendigeren und gerechteren? (S. 33)

Welches Potenzial hat die Kirchenmusik das Kirchenmusikmachen für die Diakonie? Und wie könnte eine Verbindung von Musikmachen und Gemeinwesenarbeit aussehen? Je nach Blickwinkel kommen mir sehr unterschiedliche Projekte in den Sinn. Diese sind noch keine Antworten auf die genannten Fragen, ab vielleicht sind es erste Anregungen…

Beginne ich meine Suche bei den Kirchengemeinden, fällt mir auf, dass es Gemeinden mit musikalischem Schwerpunkt gibt, die fast schon richtige Musikschulen betreiben. Gute Sache. Ihren Bezug zum Gemeinwesen könnte sie durch eine Entwicklung zum „Jeki-Ritter“ noch deutlich stärken.

Hier können Kirchengemeinde in guter Art und Weise ihren Bildungsauftrag, gemeinwesenorientiertes Engagement, kulturelle Teilhabeförderung und die Pflege der eigenen Tradition miteinander verbinden. Und vielleicht entstehen ja auch genau in dieser Hinsicht durch die Initiative Vision Kirchenmusik der Hannoverschen Landeskirche gute Projekte.

Ganz andere Ideen kommen mir in den Sinn, wenn ich nicht von der Kirchengemeinde her denke, sondern vom Gemeinwesen selbst, vom Quartier, Stadtteil, Veedel oder Kiez. Dann geht es natürlich nicht ums Kirchenmusik-Musizieren. Sondern ums Community Singing beispielsweise. Ob das in Deutschland tatsächlich ein (kommender?) Trend ist, kann ich nicht sagen. Aber es passt durch seinen zielgruppenübergreifenden Ansatz wunderbar zur Gemweinwesenorientierung. Schöne Beispiele hier in Köln sind die Initiative Loss mer singe oder das Kneipensingen wie der Singende Holunder.

Ob das schon musikalische Gemeinwesenarbeit ist? Zumindest lohnt es sich bestimmt, in diesen Richtungen zu suchen und weiterzudenken.

Der Sozialstaat, die Sozialarbeit und der ganze Rest

Wolfgang Hinte, der alte Haudegen der Sozialraumorientierung, fasst in knapp 30 Minuten seine Idee von Sozialarbeit zusammen. Was er in diesem Video sagt, ist eben nicht nur die Quintessenz des Sozialraumansatzes, sondern auch eine Art Crashkurs in guter Sozialarbeit: Er inspiriert zu einer genuin sozialarbeiterischen Praxis, nicht zu einer (pseudo-)therapeutischen oder pädagogischen („Die Geschichte der Pädagogik ist eine Geschichte der Niederlagen“). Wäre das Video ein Text, hätte ich wohl jeden einzelnen Satz markiert.

Hier nun die Neujahrsansprache zum real existierenden Sozialstaat, guter Sozialarbeit, und dem ganzen Rest, pardon: der Sozialraumorientierung.

Der Diakonie-Workshop auf dem EKD-Zukunftsforum

Vom 15. bis 17. Mai tagte das EKD-Zukunftsforum in Wuppertal und dem halben Ruhrgebiet. Es richtete sich an die mittlere kirchliche Leitungsebene (also die Superintendent/innen). Es war ein Beitrag zur Vorbereitung des Reformationsjubiläums 2017, sollte ein bisschen Incentive sein und außerdem wollte das EKD-Reformbüro auch gerne mal einen Kirchentag organisieren.

Zusammen mit Klaus-Joachim Börnke vom Diakonischen Werk Leverkusen, Stabstelle Gemeinde- und Gemeinwesendiakonie, und Cornelia Coenen-Marx vom EKD-Kirchenamt, habe ich einen der 28 Workshops am Freitag geleitet. Es war natürlich kein „Diakonie“-Workshop, wie es in der Blogüberschrift heißt, sondern ein „Kirchengemeinden & diakonische Einrichtungen“-Workshop.

Anstelle eines Recaps über das Zukunftsforum oder über unseren Workshop möchte ich einfach vier kleine Beobachtungen beisteuern, an denen ich hängengeblieben bin.

Der Gemeinwesendiakonie-Diskurs fördert den Gemeindediakonie-Diskurs

Der Workshop hatte seinen Ausgangspunkt bei der Gemeinwesendiakonie-Debatte. Deshalb wurde ich ja auch als Referent angefragt. Im Vorfeld haben wir dann den Workshop auf ein zentrales Thema der Gemeinwesendiakonie zugespitzt, nämlich der Kooperation von Kirchengemeinden und diakonischen Einrichtungen. Und das war eine gute Entscheidung, denn das Thema stieß auf Interesse.

Mir fällt aber eine grundsätzliche Sache auf: Die Debatte zur Gemeinwesendiakonie – egal wie intensiv und wie flächendeckend sie geführt wird – fördert erstmal die Debatte um Gemeindediakonie. Nicht alles, was sich Gemeinwesendiakonie nennt, ist es auch. Bei nicht wenigen Projekten, bei denen eine Gemeinwesenorientierung behauptet wird, gibt es de facto keine solche. Aber das muss auch gar nicht sein, es ist ja nur eine Debatten-Angebot. Dass diese Debatte dazu führt, dass Gemeinden ihre diakonischen Position um Gemeinwesen klären (das allein ist noch nichts Gemeinwesendiakonisches!), ist sehr gut.  Hervorragend sogar.

Nach dem echten Alleinstellungsmerkmal in der Gemeindediakonie suchen!

Bleiben wir bei Thema Gemeindediakonie. Ich habe in den letzten Jahren zunehmend von tollen diakonische Ideen und Initiativen in Gemeinden gehört. Wer Lust hat, diakonisch gestalterisch tätig zu werden, kann hier wirklich einiges machen. Was mich dann aber immer wieder überrascht, ist, dass sich die Gemeindediakonie oft an der Einrichtungsdiakonie („Unternehmensdiakonie“, „organisierte Diakonie“ etc.) abarbeitet – und sich dann selbst als defizitär erlebt. Um es einmal ganz klar zu sagen: An Refinanzierungen oder sozialberufliche Fachstandards, wie sie in der Einrichtungsdiakonie üblich sind, kommt die Gemeindediakonie nicht heran. Punkt. Deshalb darf man das aber auch gerade nicht vergleichen! Die Gemeindediakonie muss viel selbstbewusster ihre möglichen Alleinstellungsmerkmale ausspielen. Okay, dazu muss man sie natürlich erst einmal kennen.

Welches Alleinstellungsmerkmal bieten gemeindediakonische Initiativen und Projekte? Jetzt bitte nicht sagen, dass in der Gemeinde alles empathischer, näher, wärmer oder zuwendender (kurz: nächstenliebenderer) sei. Das ist Quatsch. Das Besondere an der Gemeindediakonie ist auch nicht das ehrenamtliche Element. Denn wenn man das betont, begibt man sich schnell wieder auf die schiefe Ebene der Abgrenzung zur „hauptamtlichen“ Einrichtungsdiakonie – und definiert sich schon wieder über bzw. gegen diese.

Das, was die Gemeindediakonie meines Erachtens wirklich ausmacht, ist ihre (potenzielle) Subversivität. Kirchengemeinden sind (mit einigen landeskirchlichen Unterschieden) unglaublich autonom. Kirchengemeinden können machen was sie wollen – zumindest in einem gewissen Rahmen. Und dieser Rahmen ist viel größer, als es den meisten Kirchenvorstehern bewusst ist (das ist zumindest meine Beobachtung). Gemeinden können anbieten, wozu anderen Organisationen der Mut fehlt. Sie sind schließlich nicht von Fördermitteln abhängig.

Doch wenn ich ehrlich bin, fällt mir beim Stichwort „Subversivität in der Kirchengemeinde“ nur das mancherorts wirklich mutige Auftreten in Sachen Kirchenasyl ein. Aber sonst? Die Gemeindediakonie sollte eine subversive Diakonie sein. Denn genau das ist ihr Alleinstellungsmerkmal.

„Nicht Häuser erhalten, sondern füllen!“

Kommen wir nun – leider – zu einem recht unsubverisven Thema: die kirchliche Gebäudenutzung. „Nicht Häuser erhalten, sondern füllen!“ Das sagte eine Teilnehmerin und mir gefiel diese Parole. Der Hintergrund ist altbekannt. Es ging darum, dass bestimmte diakonische Angebote nur nach hartem Kampf (oder gar nicht) im Gemeindehaus (bzw. in der Kirche) gemacht werden können, weil die Kerntruppe, die sich im Gemeindehaus eingerichtet hat, das Haus und die Einrichtung verteidigt, als wäre es ihr Eigentum. Ja, leider immer wieder ein Dauerbrenner. Im weiteren Verlauf wurde noch einmal darauf hingewiesen, dass sämtliche gemeindliche Ressourcen (von den Häusern bis zur Bestuhlung) aus Kirchensteuermitteln stammen und sie damit im Grunde allen Kirchenmitgliedern gehören.

Mir fiel wieder ein, dass das Wort „Parochie“ eigentlich Aufenthalt in der Fremde ohne Bürgerrechte (!) bedeutet. Man hat Gastrecht, aber kein Heimrecht. Das Grundthema der Gemeinde müsste daher Gastfreundschaft sein – und nicht Beheimatung. Gemeindehäuser – oder überhaupt kirchliche Häuser – sollten nicht heimelich gemacht werden sondern gastfreundlich. Und das bedeutet: multifunktional, barrierefrei, zielgruppenübergreifend (im besten Falle zielgruppenverbindend, aber wir wollen ja nicht gleich mit dem schwierigsten anfangen…).

Vielleicht sollte man eine Art Nichtbelegungsabgabe einführen: Für jede Stunde Leerstand eines Gemeindehauses muss die Gemeinde eine Zwangsabgabe an die Landeskirche zahlen. Das Geld kommt dann den Gemeinden zugute, die Geld für innovative Nutzungsformen benötigen.

„Das Ganze mal systemisch betrachten!“

Ein letzter Gedanke, etwas ganz anderes: Ein weiteres Statement, an dem ich hängengeblieben bin, war der Hinweis, dass man das Verhältnis von Kirche und Diakonie (im weitesten Sinne) systemisch betrachten müsste. Stimmt. In der Diskussion war damit eine ganzheitliche Sicht gemeint (was jetzt noch nicht sehr spannend ist), aber das löste bei mir folgende Frage aus (die ich durchaus sehr spannend finde):

Warum nutzt man in der Kirche nicht viel stärker System-Aufstellungen? Warum stellt man Gebäudenutzungen, kirchlich-diakonische Verhältnisbestimmungen, Alleinstellunsgmerkmale, Konflikte, Ideen und Inspirationen nicht auf? In vielen Bereichen gehören System-Aufstellungen zum Standard, in der Kirche nicht. Stattdessen clustern wir in der Gemeindeberatung immer noch Moderatorenkärtchen, bitte!

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Hintergründe von bestimmten systemischen Schulen/Traditionen durchaus mit christlicher Theologie vereinbar sind. Und ich kenne da eine gute Systemaufstellerin mit theologischem Background. Wer etwas damit anfangen kann: Anfragen gerne an mich!

 

Von Gasthäusern und Herbergen und der Sache mit der Infrastruktur

„Kirche als Gasthaus“ – so lautete der Schwerpunkt der katholischen Fachzeitschrift Diakonia zu Beginn diesen Jahres. Es geht um die Bedeutung von Gastlichkeit und Gasthäusern für das Christentum. Und so habe ich mir diesen Blogbeitrag für das Jahresende aufgehoben, denn das Gasthaus (bzw. die Herberge) ist ja schließlich auch ein weihnachtsaffines Thema…

Ein Artikel hat es mir in der Zeitschrift besonders angetan: „Gasthäuser im Urchristentum. Eine Spurensuche im lukanischen Doppelwerk“ von Markus Lau. Wer – wie ich – noch nicht wusste, wie im Imperium Romanum das Herbergswesen organisiert war und wie die frühe Christenheit ihr eigenes Gastwesen gestaltete, erfährt es dort.

Gastlichkeit und Gastfreundlichkeit waren für das frühe Christentum essentiell. Und neben dieser Haltung, sozusagen der „Software“, war dazu auch ein Stück „Hardware“ ganz wichtig, nämlich Orte, wo man sich treffen und versammeln, essen und übernachten konnte. So organisierte die frühe Christenheit in weiten Teilen Europas ein Gastwesen, das für die Ausbreitung dieses neuen Glaubens wichtig war. Und dazu brauchte es eben zweierlei – das Üben von Gastfreundschaft und Gastlichkeit (also eine Haltung) und ein System von Privat- und Gemeindehäusern, Herbergen und Gasthäusern (also eine Infrastruktur).

Über die Bedeutung von Beidem – der Gastfreundlichkeit als Haltung und den Gasthäuser als Infrastruktur – lohnt es sich, noch einmal neu nachzudenken.

Die Revitalisierung der Gastfreundlichkeit als Gemeindekonzept hat der Niederländer Jan Hendriks vorgenommen mit seiner Idee der „Gemeinde als Herberge“. Das möchte ich hier nicht wiederholen. Nur so viel: Ich finde seinen Ansatz gleichermaßen visionär wie bodenständig, er widersetzt sich dem oft als Gegensatz formulierten Schema von „Versorgungskirche“ vs. „Beteiligungskirche“ und ist zudem gemeinwesendiakonisch gut anschlussfähig. Allerdings gibt es eine grundsätzliche Schwierigkeit bei solchen konzeptionellen Gemeindeentwürfen, nämlich den „Was-sollen-wir-denn-noch-alles-machen?“-Effekt.

Vielleicht kann es da eine Erleichterung sein, Kirchengemeinden erst einmal – ganz schlicht – als ein Stück Infrastruktur zu verstehen. Dieser Gedanke kam mir, als mir beim Lesen klar wurde, dass die frühe Christenheit neben dem “öffentlichen” bzw. “privatwirtschaftlichen” Gastwesen noch eine eigene Infratsruktur aufbaute. Wer über eigene Infrastruktur verfügt, ist unabhängig. Das gilt heute wie damals.

Die Kirche unterhält zwar keine Gasthäuser und Herbergen, aber mit ihren Gemeinden hält sie eines der dichtesten „Filial-Netze“ in Deutschland vor.  Sie ist in den besten Lagen präsent – und in den schlechtesten. Schlicht und ergreifend dadurch, dass sie in mehr oder weniger allen Stadtteilen physisch existent ist: mit Gebäuden und Räumen, mit Ausstattung und Equipment, mit Wasser- und Stromanschluss. Überall. Zumindest noch. Das ist doch mal was. Man könnte es auch so formulieren: „It’s the infrastructure, stupid!“

Doch kurioser Weise wird diese 1A-Infrastruktur gar nicht als solche verstanden – sondern im Gegenteil – als Problem. Der Gebäudebestand ist mittlerweile in vielen Gemeinden zu groß und muss in den Griff bekommen werden. Nervenaufreibende Prebyteriumssitzungen mit Entscheidungprozessen, die sich nicht selten über Jahre hinziehen. Kein gesamtkirchlicher Plan, keine Strategie. Raum- und Stadtplaner schlagen oft die Hände über den Kopf zusammen, wenn sie mitbekommen, welche Filetstücke aufgegeben werden. Im Zuge der Gemeinwesendiakonie-Debatte bringt es Frank Düchting von der Akademie der Nordkirche auf den Punkt: Eine gesamtkirchliche Strategie zur Präsenz der Kirche in der Stadt ist „bei aller Liebe, eine Illusion“ (Die Stadt mitgestalten – Ein Beitrag der Nordkirche, S. 1).

Kirchengemeinden können letztlich machen, was sie wollen. Leider müssen sie auch machen, was sie wollen. Diese Art der Autonomie ist dem Protestantismus merkwürdigerweise heilig (ach, könnte man da oft nur seufzen…). Und so versteht man sich nicht als Steinchen im riesigen Infrastruktur-Mosaik, sondern als überforderte Gebäudemanager. Und bitte keinen Dreck machen! Das hat schon etwas Tragisches.

Ich glaube, dass in den nächsten zehn, zwanzig Jahren ganz neue (oder wieder ganz alte) Formen von Vergemeinschaftung in der Kirche probiert und etabliert werden. Das Konzept von „Gemeinde“ wird sich neu zurechtrütteln – wie genau, muss sich erst noch zeigen. Doch Gemeinde wird sich immer weniger parochial organisieren, da bin ich mir sicher. Aber – und das ist wichtig! – wir haben nun einmal diese parochiale Infrastruktur. Es wäre dumm, sie verkommen zu lasssen. Die Reform der Kirche muss man aufverschiedenen Ebenen führen. Eine davon ist die Frage nach künftigen Gemeinschafts- und Gemeindeformen, nach geistlichen und spirituellen Aufbrüchen. Aber eine ist eben auch, was mit der momentan vorhandenen Infrastruktur geschehen soll. Wozu kann sie mittel- und langfristig dienen? Ideen gibt es da genug.

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Kirchengemeinden sind in nahezu jedem Stadtteil präsent – durch ihre physische Existenz. Diese Art von Infrastruktur gilt es zu schätzen und nicht leichtfertig zu verspielen. Welche Art von „Herbergen und Gasthäusern“ soll, kann, will Kirche langfristig sein?

Was ist Diakonie? (#10)

Im diakonischen Bereich wird oft erwähnt, dass die Diakonie zwei wichtige Funktionen erbringe, nämlich Dienstleistung und Anwaltschaft – also das Anbieten sozialer Dienstleistungen und das anwaltschaftliche Eintreten für die Rechte Marginalisierter. Doch beschreibt diese Doppelfunktion wirklich hinreichend das Spektrum diakonischen Handelns? Fehlt da nicht was?

Das Funktionen-Doppel von Dientsleistung und Anwaltschaft trifft es in meinen Augen nicht so richtig. Dabei geht es mir gar nicht darum, dass beide Funktionen gerne und oft kritisiert werden – das Erbringen diakonischer Dienstleistungen führt unweigerlich zu der Kritik, dass die Diakonie eh nur das tue, was sie bezahlt bekomme und der Anwaltschaftlichkeit wird vorgeworfen, dass sie vor allem Eigeninteressen des Trägers diene; zudem müsse man fragen, woher eigentlich das Mandat zum anwaltlichen Tätigsein komme, es handele sich viel eher um ein „angemaßtes Mandat“.

Ich finde an dieser Doppelfunktion vor allem schwierig, dass sie de facto zu einem Dualismus wird: einerseits gibt es da die durchökonomisierte Dienstleistungserbringung, andererseits das gesellschaftspolitische „anwaltschaftliche“ Engagement der Diakonie, das gern als die „eigentliche“ diakonische Aufgabe angesehen wird. Die Anwaltsfunktion wird so zu einer Chiffre für all das Gute, Wahre und Schöne der Diakonie – bleibt damit allerdings auch diffus. Die (gesellschafts-)politische Funktion der Diakonie ist aber breiter und facettenreicher, als es der Begriff „Anwaltschaftlichkeit“ hergibt.

Anwaltschaftlichkeit muss daher meines Erachtens präzisiert werden. Zum einen spreche ich lieber von Interessenvertretung, das kommt mit etwas weniger Pathos daher. Und zum anderen braucht es über das Eintreten für die Interessen bestimmter Gruppen hinaus auch noch eine gesamtgesellschaftliche Funktion: das Bemühen um eine solidarische und gerechte Gesellschaft im Ganzen. Daher gefällt mir auch die Trias gut, die die Caritas immer wieder nutzt, um ihr Selbstverständnis zu beschreiben: Dienstleister, Anwalt und Solidaritätsstifter.

Die Solidaritätsstiftung explizit als dritte Funktion zu bennen, finde ich sehr einleuchtend. Zum einen schon allein deshalb, weil Dreiermodelle grundsätzlich mehr Eleganz haben als Zweiermodelle (bzw. de facto-Dualismen). Zum anderen aber auch, weil es eben einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Anwaltschaftlichkeit/Interessenvertretung und Solidaritätsstiftung gibt. Er liegt in dem, worauf sich diese beiden Funktionen beziehen: Bei Anwaltschaft/Interessenvertretung geht es immer um die Durchsetzung von Partikularinteressen, bei der Solidaritätsstiftung um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Es sind zwei verschiedene Bezugspunkte.

Doch in meinen Augen fehlt da immer noch etwas. Es gibt es noch eine weitere, vierte Funktion, die bisher in der Reflexion über die Diakonie bisher kaum auftaucht: die Funktion des Gemeinschaftsbilders.

Der Begriff der Gemeinschaft ist manchmal etwas romantisch aufgeladen und gerade in kirchlichen und diakonischen Szenen hat er hin und wieder etwas merkwürdige Konnotationen – mir ist daher eigentlich der englische Begriff der Community etwas lieber, denn es geht um die ganze Breite dessen, was „Community“ sein kann: Gemeinschaften, Gemeinden, Gemeinwesen, aber auch Szenen oder Netze.

Die Funktion des Gemeinschaftsbilders / des Community-Buildings ist noch nicht durch die anderen drei Funktionen abgedeckt. Und in meinen Augen ist sie auch gerade für die Diakonie wesentlich. Die Diakonie hat eben auch die Funktion, zu verbinden und zu vernetzen, Sozialkapital aufzubauen und Zugehörigkeiten zu ermöglichen. Es geht um angemessene und gelingende Formen von Vergemeinschaftung, es geht darum, „Communities“ (mit) zu ermöglichen, (mit) zu pflegen, und (mit) zu entwickeln. Die Zugehörigkeiten zu „Communities“ und das Eingebundensein in ihnen ist eben nicht nur ein Mittel zum Zweck, sondern hat einen Wert in sich – sowohl für den Einzelnen, wie für die Gesellschaft im Ganzen.

Interessant finde ich, dass ich auf die Funktion des Communty-Buildungs ja bereits in der Bratislava-Erklärung gestoßen bin (…wenn ich es recht sehe, ist diese auf osteuropäischen Erfahrungen aufbauende Erklärung bei uns völlig unbekannt – was schade ist!). Und in einem Blogbeitrag von Brigitte Reiser habe ich den Hinweis auf eine etwas anders formulierte Funktionen-Trias von Nonprofitorganisationen gefunden, die ebenfalls die Community-Dimension als grundlegend ansieht. Auch in Reisers erweitertem Modell (sie führt Beteiligung/Partizipation als vierte Dimension ein), bleibt die Community-Funktion selbstverständlich bestehen.

Gerade für die Diakonie ist die Gemeinschaftsfunktion im Grunde nicht neu (man denke nur an die Anstalten, Häuser und Wohngruppen, an Kommunitäten, Basisgemeinschaften und diakonische Gemeinschaften, aber auch an das (zaghafte) Experimentieren mit Genossenschaften. Als das war schon immer nicht nur ein Mittel zum Zweck, sondern ein Grundanliegen der Diakonie, deshalb erstaunt es mich ein wenig, dass ein Community-Buildung bisher nicht als eigenständige Grundfunktion von Diakonie diskutiert wird.

Man könnte auch einmal darüber nachdenken, ob nicht gerade die konfessionellen Wohlfartsverbände ein besonderes Interesse an der Community-Funktion haben müssten. Zum einen ist das Christentum keine individuelle Erlösungsreligion, sondern eine auf Gemeinschaft angelegte Religion, und zum anderen ist die ganze Kirchen- und Diakoniegeschichte ja voll von Erfahrungen und Experimenten mit Sozialformen – erfolgreichen und gescheiterten.

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Diakonie ist nicht nur Dienstleister, Anwalt und (nicht zu vergessen!) Solidaritätsstifter, sondern auch Gemeinschaftsbilder.

„Neue Gemeindeformen“ und ihre Bedeutung für die Diakonie

Die aktuelle Ausgabe 1/2013 der Zeitschrift “Praktische Theologie” hat den Schwerpunkt “Neue Formen von Gemeinde”. Ich zähle nun nicht zu den Insidern der Gemeinde-Entwicklung, aber mir scheint es doch gegenwärtig ein gewisses Interesse daran zu geben, wie und was Gemeinde sein kann. Also ein sehr aktuelles Thema. Und – ist das nun erstaunlich oder ist es das nicht? – ein äußerst ergiebiges Thema für diakonische Entdeckungen.

Lange Zeit schien das Thema “Gemeinde” vom Tisch zu sein. Kirche organisiert sich halt in Gemeinden, aber wer innovativ sein will, der sollte sich dann doch lieber von der Gemeinde fernhalten. Innovation ist woanders. Das fordert natürlich auch eine Gegenbewegung heraus, bei der alles daran gesetzt wird, dass Gemeinde so innovativ wie möglich daherkommt. Bevorzugte Vokal ist dabei “frisch” (und weil das so altbacken klingt, nennt man es lieber “fresh”).

Das Positive an dem Schwerpunktheft der Praktischen Theologie ist in meinen Augen, dass man sich nicht von den euphemistischen, aber letztlich doch inhaltlich unbestimmten Schlagworten “alternativer” oder “fresh”er Ansätze leiten lässt. Sondern es geht um die nüchtern klingende, aber äußerst spannende Grundfrage: Wie funktioniert eigentliche (christliche) Vergemeinschaftung? Dazu werden sieben Gemeinden vorgestellt. Diese sind:

Die Schilderungen der Gemeinde(forme)n sind anregend zu lesen und es lohnt sich, über die anschließenden systematisierenden Überlegungen von Ralph Kunz und Uta Pohl-Patalong nachzusinnen. Zwei Gedanken gingen mir dabei immer wieder durch den Kopf:

Die Frage nach der diakonischen Dimension der (neuen) Gemeindeformen

Kunz und Pohl-Patalong betonen, dass die vorgestellten Gemeinden deutliche diakonische Bezüge haben – seien sie explizit oder implizit:

“Auffallend häufig finden sich bei den vorgestellten Gemeindemodellen ein gesellschaftliches Engagement in Solidarität mit benachteiligten Menschen. Die St. Lukas-Kirche in Gelsenkirchen und die Mitenand-Arbeit in Basel leben von diesem Motiv, aber es findet sich bei allen anderen in unterschiedlicher Weise, sei es als sozialdiakonisches Arbeitsfeld ‘Haltestelle LUX’, das sozial benachteiligte Jugendliche fördert, sei es als Auseinandersetung mit gesellschaftlichen Fragen wie in der Stadtkirche Dortmund oder als Forum für die aktuellen Fragen im Stadtteil wie im Ökumenischen Forum HafenCity, sei es als konkrete diakonische Arbeit im Quartier in der Gellertkirche Basel” (Kunz/Pohl-Patalong, S. 34).

Für Kunz und Pohl-Patalong weisen diese neuen Gemeindeformen “neue Mischungen von Sozialität, Spiritualität und Solidarität” auf (S. 35). Das Mischungsverhältnis der sozialen, spirituellen und solidarischen Dimension macht dann den Charakter der Gemeinde aus. Und ich mag mich täuschen, aber mir scheint, dass sich bei den Diskursen rund um das Diakonische der Kirche im Laufe der Jahre der Klang geändert hat. Ein gewisses Pathos, das oft mit diakonischer Arbeit einherging (etwa: Diakonie als Gerechtigkeitsarbeit, die nicht nur gegen den Kapitalismus, sondern auch noch gegen die Kirche kämpfen muss), verebbt zunehmend. Ein neues Interesse an Spiritualität, Kontemplation oder Liturgie scheint gerade nicht – wie in der diakonischen Szene oft befürchtet – die Diakonie zu verdrängen. Sie wird im Gegenteil neu entdeckt; etwas unaufgeregter, aber mit durchaus radikalem Potenzial.

Vielleicht ist das aber auch eine etwas überschießende Interpretation von mir, mag sein…

Und andersrum: Die Frage nach der Gemeinschaftsdimension in der Diakonie

Es ging mir aber noch etwas Zweites durch den Kopf. Die Frage nach angemessenen Sozialformen und die Erkenntnisse der beschriebenen Vergemeinschaftungsprozesse sind auch für die Diakonie in ihrer institutionalisierten Variante spannend.

Meine These – die ich in Vorträgen schon gelegentlich betont, aber hier im Blog noch nicht dargestellt habe (wird nachgeholt!) – ist, dass Diakonie vier Grundfunktionen hat. Und damit eine mehr als das gängige Dreier-Modell mit Dienstleistung, Interessensvertretung (oft als „Anwaltschaftlichkeit“ bezeichnet) und Solidaritätsstiftung. Die vierte Funktion ist die der Gemeinschaftsbildung. Für mich ist auch die Pflege von Sozialkapital, die Beheimatung in kleineren und größeren Kollektiven, das Bemühen ums Dazuzugehören oder das Aufbauen von Netzwerken eine Grundfunktion der Diakonie.

Dazu gehört auch das Suchen und Ausprobieren von immer wieder neuen, angemessenen Sozialformen und das Wahrnehmen und Reflektieren von Vergemeinschaftungsprozessen. Auch deshalb sind die 7 + 1 Artikel dieser PrTh-Ausgabeauch für die Diakonie interessant.

Um die Dortmunder Stadtkirche St. Petri bildet sich eine eigene Szene, in der es immer wieder zur der überraschend-irritierenden Erkenntnis kommt, dass man in St. Petri gar nicht eintreten kann – denn rechtlich ist sie eben gar keine eigenständige Gemeinde. Weil man aber gerne irgendwo eintreten möchte, gründet man halt einen Förderverein. Auch um die Hamburger Kirche der Stille gruppiert sich eine Szene. Gemeinschaft wird gesucht, aber der Begriff „Gemeinde“ wird vermieden – zu viele negative Konnotationen schwingen mit. Die Alternative lautet dann „spirituelles Zuhause“. Bei der Jugendkirche LUX geht es um Beziehungen in Teams und Kleingruppen, die zusammen ein Netzwerk bilden. Dies führt zur Nutzung des „Community“-Begriffs, der sowohl das soziale Phänomen als auch dessen theologische Deutung aufnimmt. Die gemeinwesendiakonisch ausgerichtete Lukas-Gemeinde in Gelsenkirchen orientiert sich an „gelebter Nachbarschaft“; das Verhältnis der Sozialformen „Gemeinde“ und „Gemeinwesen“ wird mit „Nachbarschaft“ auf den Punkt gebracht. Auch das Ökumenische Forum HafenCity knüpft an die Idee eines Nachbarschafts- bzw. Begegnungsortes an, gemeinschaftliche Dynamik entfaltet sich zudem durch eine Kommunität und eine Hausgemeinschaft. Die missionarisch ausgerichtet und von Willow Creek geprägte Gellertkirche in Basel besteht aus einem Geflecht von über hundert (!) verschiedenen Kleingruppen; die zwei zentralen Gottesdiensten haben für landeskirchliche Verhältnisse Großveranstaltungscharakter. Und wiederum ganz andere Sozialformen bilden sich in der vor allem von Migrant/innen getragenen Mitenand-Bewegung in Basel. Eine Arbeit, die entdeckt hat, dass inklusive Ideen unter erschwerten Bedingungen möglich werden können, wo integrative Ansätze eben nicht möglich sind. Besondere Formate sind ein babel-artiger Gottesdienst ohne gemeinsame Sprache, ein sonntäglicher Begegnungsraum und eine eigene Art von Gemeindefreizeit.

Diakonie war immer wieder dann innovativ, wenn sie das Potenzial bestimmter Community-Arten entdeckt hat und zum wesentlichen Bestandteil ihrer Arbeit gemacht hat: Kommunität, Verein, Anstalt, Haus(-Familie), Wohngruppe, vereinzelt auch die Genossenschaft oder die Hausgemeinschaft, neuerdings die Nachbarschaft. Unter diesem Gesichtsprunkt birgt eine Debatte um neue Gemeindeformen durchaus auch noch Einiges an Potenzial für die Diakonie.

Gemeinwensenorientierte Ansätze werden hierbei eine wichtige Rolle spielen, das liegt ja bereits auf der Hand. Das Geflecht aus Zellen, Clustern und Netzen (wie in missionarischen oder in jugendkulturellen Gemeinden) könnte gerade für das Gelingen von Teilhabeprozesse eine entscheidende Bedeutung haben (wird meines Wissens aber unter „diakonischer“ Perspektive noch nicht bedacht). Das Phänomen, dass sich sogar in eher losen Szenen Wünsche nach formaler Zugehörigkeit entwickeln, ist vor allem für diakonische Gemeinschaften interessant. Die meines Erachtens wichtigste Brutstätte diakonisch relevanter Sozialformen sind die Migrantengemeinden. Nicht aus einer falsch verstandenen naiven Romantik heraus, sondern weil sie Integrations- und Inklusionsbemühungen noch einmal gegen den Strich bürsten.

tl;dr
Neue Gemeindeformen haben deutlich diakonische Dimensionen. Und die Diakonie braucht als Gemeinschafts-Bilder den Diskurs um neue Sozialformen.

Spiritualität der Stadt (1): Stadtgebet

Der Beginn einer kleinen Serie zu Aspekten urbaner Spritualität. In der letzten Zeit bin ich auf einige konkrete Ansätze gestoßen, die man alle unter dem Titel „Spiritualität der Stadt“ zusammenfassen könnte. Und all diese Ideen sind interesanter Weise deutlich diakonisch grundiert (jedenfalls in meinen Augen). Deshalb möchte ich sie in loser Reihenfolge vorstellen. Ich beginne mit der Idee des Stadtgebets, ein „wöchentliches Tagezeitengebet“ mit Stadt-Bezug samt städtischer Gebetsgemeinschft.

Ich habe es durch Zufall entdeckt: Stadtgebet – Ermutigung zu einer neuen Gebetsform, von Hans-Heinz Riepe, mittlerweile nur noch antiquarisch erhältlich.

Das Stadtgebet ist ein halbstündiges, wöchentliches Abendgebt (samstags 18:30), mit einer klaren, einfachen Form.

„Themen, Probleme, freudige oder traurige Anlässe und Anliegen der Menschen sollen im „Stadtgebet“ nicht diskutiert, sondern im Gebet vor Gott gebracht werden.“ (S. 19)

Jedes Stadtgebet steht unter einem Thema, das einen Ortsbezug hat. Die Form erinnert mich ein bisschen an das Politische Nachtgebet, aber das Stadtgebet bezieht sich in erster Linie auf die konkreten Anliegen der Menschen vor Ort und scheint mir stärker liturgisch ausgerichtet zu sein.

Dieses Buch gibt die Erfahrungen mit einer neuen Form der Tagzeitenliturgie wieder. „Neu'“an dieser Form sind nicht die einzelnen Elemente (…). Das „neu“ bezieht sich zunächst einmal auf unsere Stadt und dann auch auf den spezifischen Aspekt des „Stadt“gebets. Reizvoll neu waren unsere Erfahrungen mit dem „Sitz im Leben“, den dieses Gebt für die Stadt und in der Stadt hat. Dass ein Gebet Veränderungen in den Gemeinden auslöst und Auswirkungen bis in die Öffentlichkeit unseres Gemeinwesens hinein hat, war bisher jedenfalls keine alltägliche Erfahrung. (…) Ganz aus dem Evangelium und ganz aus der Situation heraus zu beten ist das Anliegen, gemäß der Aufforderung beim Propheten Jeremia (29,7): „Suchet der Stadt Bestes, in die ich euch geführt habe, und betet für sie zum Herrn; denn in ihrem Wohl liegt auch euer Wohl“ (S. 7).

Das „Stadtgebet“ greift die Tradition des Tagzeitengebets auf, freilich als wöchentliches, nicht als tägliches Gebet. Hans-Heinz Riepe schildert daher in seinem Buch auch einen Aspekt, der für das praktische Gelingen wie für das theologische Verständnis einer solchen Gebetsform wichtig ist:

Da wir hier keine Klostergemeinschaft haben, die den Kern der Betenden stellen könnte, müssen wir in Schwerte eine „Gebetsgemeinschaft Stadtgebet“ neu gründen. Sie soll sicherstellen, dass an jedem Samstagabend das Stadtgebet stattfinden kann. Konkret gesprochen müssten, damit an 50 Samstagen im Jahr jeweils 20 Beter versammelt sind, sich mindestens 250 Gemeindemitglieder verpflichten, 4mal im Laufe des Jahres am Stadtgebet teilzunehmen. Nur wenn die Zahl erreicht wird, macht es Sinn, mit dem Gebet überhaupt zu beginnen, da es sich sonst nach allen Erfahrungen nichtz durchträgt (S. 19).

Mir gefällt das sehr. Und zwar deshalb, weil hier zwei gute Ideen zusammenkommen und beide ernst genommen werden: lokaler Bezug bzw. urbaner Kontext und liturgisch klare Form, inklusive Gebetsgemeinschaft.

Solch eine Gebetsform kann eine Bereicherung für gemeinwesendiakonische Ansätze sein. Und umgekehrt: Gemeinwesendiakonisches Engagement bereichert solch eine liturgische Form durch die Kenntnis der konkreten Anliegen des Ortes. Eine nicht zu lang dauerende und klare Form bietet zudem die Chance, dass Menschen, die bisher wenig oder keine kirchlichen Bezüge haben, Kirche und Gebet (neu) entdecken können.

Killerphrasen zur Klärungshilfe nutzen

Christine Schrappe, Fortbildungsreferentin in der Diözese Würzburg, hat einmal die gängigen Einwände gegen pfarreiübergreifende Sozialraumprojekte gesammelt (im evangelischen Kontext entspricht dies in etwa der Gemeinwesendiakonie). In dem Artikel mit dem schönen Titel Einsprüche gegen pastorale „Killerphrasen“ und „Klagepsalmen“ geht sie diesen oft gehörten Äußerungen nach. Hier eine Auswahl aus ihrer Top 10:

  • „Echte Not gibt es bei uns nicht“
  • „Was sollen Pfarrer denn noch alles machen?“
  • „Unbezahlte Lückenbüßer für fehlendes Personal“
  • „Deswegen kommen auch nicht mehr Leute in die Kirche“

Kennt man alles. Mir fehlt da ja auch noch der Einwand: „Und was ist daran nun christlich?“

Die grundlegenden Muster hinter diesen Anfragen sind wohl an vielen Orten ähnlich. Daher ist die Auflistung solcher Anti-Argumente hilfreich, denn sie bietet eine gute Grundlage für die Klärung des eigenen Standpunktes.

Wer lieber eine ordentliche Druckfassung möchte, kann sich den Artikel als PDF aus der Lebendigen Seelsorge (6/2011, S. 447-451) herunterladen.

Dossier Gemeinwesendiakonie upgedatet

Ich habe das Dossier Gemeinwesendiakonie mal ein bisschen durchgeräumt und ergänzt. Auf zwei neu aufgenommene Publikationen möchte ich dabei besonders hinweisen:

Anregungen und Anleitungen, wie eine Kirchengemeinde den eigenen Stadtteil (neu) entdecken und wahrnehmen kann, bietet die Arbeitshilfe Gemeinde aktiv im Stadtteil, herausgegeben von Volker König und Karen Sommer-Loeffen (Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe). Fundiert und lustmachend richtet sich diese Arbeitshilfe vor allem an Menschen in Kirchengemeinden, die mit der Stadtteilerkundung loslegen wollen (und nicht erst noch davon überzeugt werden sollen) und sich das nötige Know-How dazu aneignen möchten.

Volker König/Karen Sommer-Loeffen (Hg.): Gemeinde aktiv im Stadtteil, Reihe Zukunftswissen, eteos, Düsseldorf 2011, 9,90 Euro, ISBN 978-3-87645-198-5, 80 Seiten.

Die zweite lesenswerte und hilfreiche Publikation ist vom Comenius-Institut herausgegeben und beschäftigt sich mit einem Aspekt der Gemeinwesenorientierung, der leider oft zu kurz kommt: der Bildung. Die Veröffentlichung Evangelisches Bildungshandeln im Gemeinwesen, „will Begründungszusammenhänge für evangelisches Bildungshandeln im Gemeinwesen aufzeigen, es in den gesellschaftlichen und kirchlichen Bildungsdiskussionen verorten sowie ‚Gemeinwesen‘ und ‚Gemeinwesenorientierung‘ als Leitbegriffe für Bildungshandeln beschreiben“ (S. 7). Die zusammenfassenden Thesen (S. 55-58) bringen die Möglichkeiten und Grenzen hervorragend auf den Punkt. Lesen!

Matthias Spenn/Friedrun Erben/Perter Schreiber: Evangelisches Bildungshandeln im Gemeinwesen. Eine Veröffentlichung des Comenius-Institut. Schnittstelle Schule – Impulse evangelischer Bildungspraxis 3, Münster 2008.

Kirche findet Stadt

Kirche findet Stadt – das ist nicht nur ein geniales Wortspiel, sondern auch ein ökumenisches Kooperationsprojekt zur Stärkung der zivilgesellschaftlichen Funktion von Kirche(ngemeinden) – und seit Kurzem hat das Projekt eine eigene Online-Präsenz.

Worum geht’s?

„[…] die evangelische und die katholische Kirche [wollen] zusammen mit ihren jeweiligen Wohlfahrtsverbänden, Diakonisches Werk der EKD und Deutscher Caritasverband, die Rolle von Kirche in ihren unterschiedlichen Facetten als Akteur der integrierten Stadtentwicklung untersuchen und weiterentwickeln.“

Es geht um all das, was sich hier im Blog unter dem Stichwort Gemeinwesendiakonie abspielt und was immer mehr Gemeinden und diakonische Einrichtungen für sich entdecken: ein gemeinwesenorientiertes Diakonie- und Gemeindeverständnis, das – allgemein gesprochen – die zivilgesellschaftliche Rolle von Kirche stärkt und – etwas konkreter gesagt – sich in einer (Mit-)Verantwortung für Stadtteil, Quartier oder Dorf ausdrückt.

Alle weiteren Informationen gibt es auf der Internetseite. Auf einen wichtigen Nutzen möchte ich aber noch besonders hinweisen: Das Projekt Kirche findet Stadt will auch zur Netzwerkbildung beitragen – nicht nur der kirchlichen Netze in die Zivilgesellschaft, sondern auch der Netze der gemeinwesenorientierten Gemeinden und Einrichtungen untereinander. Das viel beschworene Erfahrungswissen kann nur genutzt werden, wenn es geteilt wird. Dazu muss man sich aber erst einmal kennen (bzw. zumindest von einander wissen). Die KfS-Internetseite stellt insgesamt 24 Referenzstandorte und 12 Regionalknoten vor.

Heinrich Grosse wies schon vor einigen Jahren in seiner Studie über armutsorientierte Kirchengemeinden auf das Problem der Isolation und mangelnden Vernetzung eben dieser Kirchengemeinden hin:

„Manche Kirchengemeinden, die sich in Armutsbekämpfung engagieren, sind (z.B. innerhalb des Kirchenkreises) relativ isoliert. Deshalb sollte ein stärkerer Erfahrungsaustausch unter ihnen stattfinden und geprüft werden, inwieweit Formen der Vernetzung zur Verbesserung der Arbeit beitragen können“ (Heinrich Grosse: „Wenn wir die Armen unser Herz finden lassen…“ – Kirchengemeinden aktiv gegen Armut und Ausgrenzung, epd-Dokumentation 34/2007, S. 31).

Nun hat man schon einmal 36 Ansprechpartner. Ein sehr guter Anfang!

Diakonischer Gemeindemehrwert

Der Church Urban Fund, eine von der Anglikanischen Kirche gegründete Organisation zur Armutsbekämpfung in Großbritannien (siehe auch hier), hat ein Tool entwickelt, mit dem man den Wert einer Kirchengemeinde für das Gemeinwesen bemessen kann: das Church Community Value Toolkit. Es geht also um den Mehrwert (den Nutzen, die Ausstrahlung,…) für die „Community“ (das deutsche Wort Gemeinwesen wirkt neben dem englischen Community immer etwas dröge, finde ich).

Das Tool ist wirklich interessant und gut gemacht. Vier Dimensionen werden sehr detailliert abgefragt: Menschen, Aktivitäten, Geld, Gebäude. Das Ganze wird – klar strukturiert – miteinander verrechnet, so dass man darstellen kann, wie sich der Wert der Kirchengemeinde für die Community beläuft. Eine Excel-Tabelle wird auch gleich noch mitgeliefert. (Die Angelsachsen sind halt so pragmatisch… eine deutsche Organisation würde da erstmal lange debattieren, ob der Wert einer Kirchengemeinde überhaupt berechenbar ist. Who cares.)

Neben der Rechnerei gibt es noch einen zweiten Teil des Tools. Dort geht es darum, die Besonderheiten der Kirchengemeinde zu entdecken und zu bewerten. Dabei gilt auch hier: immer bezogen auf die Wirkung der gemeindlichen Arbeit. Den Besonderheiten der Gemeinde kann man auf die Spur kommen, wenn man sich fragt, welche Aufgaben die Kirchengemeinde in welchem Maße leistet. Im Abschnitt Identifying and valuing your distinctivness werden 22 potenzielle Aufgaben von Kirchengemeinden genannt. Diese Aufgaben soll man nun der Reihe nach durchgehen und sich dabei fragen, inwiefern die Kirchengemeinde diesen Aufgaben nachkommt. Dazu gibt es jeweils eine fünfstufige Skala, von „nicht sehr viel“ bis „sehr“. Dies allein ist schon gut. Aber bei jeder Aufagbe soll man zusätzlich noch die Frage beantworten:

  • „Welche lokale Organisation leistet dies Ihrer Meinung nach besser als Ihre Kirchengemeinde?“

Eine sehr pfiffige Frage. Erstens kann solch ein Vergleich die eigenen Einschätzungen realistischer machen, zweitens reflektiert man automatisch mit, wen es noch so alles im Stadtteil gibt.

Hier nun die Aufgaben:

  • Menschen mit unterschiedlichen Lebenserfahrungen aktivieren, sich kennen zu lernen
  • Menschen, die oft ausgeschlossen sind, willkommen heißen
  • Menschen helfen, Sinnvolles in den gesellschaftlichen Veränderungen zu entdecken
  • Menschen helfen zu entdecken, wie die Wohngegend verbessert werden kann
  • Menschen helfen, besser Kontrolle über ihr Leben zu bekommen
  • Trauende Menschen unterstützen
  • Menschen ermutigen oder befähigen, sich im Gemeinwesen ehrenamtlich zu engagieren
  • Menschen helfen, zuversichtlich im Beginn ihrer Ehe zu sein
  • Einen Raum/Platz anzubieten, in dem Menschen ihrer Spiritualität Ausdruck verleihen können
  • Menschen helfen, die Werte zu reflektieren, die ihr Leben stützen
  • Menschen helfen, eine Absicht in ihrem Leben zu entdecken („sense of purpose“??)
  • Menschen in persönlichen Krisen beistehen
  • Menschen helfen, einander zu vergeben
  • Menschen helfen, eine breitere Erfahrung des Lebens zu bekommen
  • Menschen helfen, einander so wahrzunehmen, wie sie sind
  • Unterstützung leisten in emotional aufgeladenen Situationen (wie nationale oder lokale Krisen)
  • Menschen aktivieren, ihr Leadership-Potenzial zu entdecken
  • Menschen helfen, spezifische Fähigkeiten auszubilden (wie z.B. öffentliches Reden)
  • Menschen helfen, Dinge zu bearbeiten, die sie herunterziehen
  • Kindern und Jugendlichen helfen, ihren eigenen Glauben zu erforschen und zu entwickeln
  • Kindern und Jugendlichen helfen, ein Gefühl von Verantwortung und Achtsamkeit gegenüber anderen zu entwickeln
  • Freigiebig, fröhlich und hoffnungsvoll sein, dass es eine Wirkung auf andere hat.

Man kann nun sicherlich noch viele andere Aufgaben formulieren (oder die vorgeschlagen neu arrangieren, zusammenfassen, differenzieren). Die fünfstufige Skala würde ich etwas anders übertragen, denn es sollte meiner Meinung nach auch die Möglichkeit geben, „gar nicht“ anzugeben (die niedrigste Stufe in dem Tool ist „nicht sehr viel“ – vielleicht ist das aber auch britisches Understatement und meint im Deutschen „gar nicht“). Also, ich schlage vor: „gar nicht“ – „kaum“ – „etwas“ – „ziemlich“ – „sehr“.

Sich einmal klar zu machen, was eine Kirchengemeinde an diakonischem Impact leistet, ist wirklich lohnenswert. Wenn darüber hinaus entdeckt wird, ob oder dass die Gemeinde ein faktisches Alleinstellungsmerkmal hat (bzw. wo eine Gemeinde etwas minderbemittelt ist), ist das ausgesprochen wertvoll.

By the way: Auf der Seite des Church Urban Funds gibt es noch eine Menge mehr an Nützlichem zu entdecken. Stöbern lohnt sich!

Vier Formen kirchengemeindlicher Diakonie

Gut strukturierte Typologien gefallen mir ja immer. In der katholischen „Diakonia“ stieß ich auf Daniel Wiederkehrs Ansatz, der vier Formen „gelebter Diakonie“ in Kirchengemeinden vorstellt. Grundlage für seine Typenbildung ist eine empirische Studie in der Schweiz. Wiederkehr nennt folgende vier Typen:

  • Heimat
  • Herberge
  • Sozialcenter
  • Politforum

Diese vier Typen werden in einer 2×2-Matrix angeordnet mit den Koordinaten Hilfeverständnis (individulle Hilfe — strukturelle Hilfe) und Zielhorizont (Solidarität innerhalb der Gemeinde — Dienst an der Gesellschaft).

Ein schönes Modell zur Reflexion diakonischer Aktivitäten in der Kirchengemeinde. Nachzulesen in: Daniel Wiederkehr: Und sie lebt doch, die Diakonie! Pfarrei als Raum diakonischen Wirkens, Diakonia 39 (2008), 292-298.

Den Vorhof bespielen

Das ist doch mal eine schöne Idee: Eine Kirchengemeinde legt einen Boule-Platz an: als kommunikativen, konsumfreien und – auch wenn es vielleicht zunächst merkwürdig klingt – durch und durch diakonischen Ort.

„Boule ist zutiefst demokratisch. Das Spiel akzeptiert jeden Spieler wie er ist und nimmt jeden, ob Anfänger oder Profi, gleichermaßen gefangen. […] Das Boulespiel setzt keine Vorkenntnisse oder andere Anforderungen voraus. Es macht auch nicht Halt vor bestimmten sozialen Schichten. […] Boule ist ein Spiel derer, die innehalten, die durchatmen und sich Zeit nehmen. Boule hat nichts mit Leistungsdruck zu tun, hier muss man keine Muskeln stählen, keinen Kreislauf trainieren, keine Diäten durchziehen, um Anerkennung zu finden. Und so wurde das Boulespiel, wie wir es heute kennen, auch von einem rheumakranken, gehbehinderten Südfranzosen erfunden (Christian Kempe: Der große Wurf, in: Meurer/Otten/Becker: Ort Macht Heil, S. 265-267, 265-266).

Ich vertrete nun keineswegs die Meinung, dass die Aufgabe von Kirche darin besteht, freizeitsportliche Angebote zu unterhalten (mir würde nicht im Traum einfallen, dass eine Kirchengemeinde eine Bowlingbahn betreiben sollte!). Es geht um etwas anderes.

Ein Boule-Platz „bespielt“ quasi den „Vorhof“ einer Kirche, wenn er entsprechend angelegt ist. Und er ist eine schöne Ergänzung zu einem gemeinwesendiakonischen Stadtteiltreff. Hier und da könnte er sogar eine Alternative darstellen, denn in einem Stadtteiltreff, Kirchenladen oder Kirchencafé kann man sich nur zu den vorgesehenen Öffnungszeite treffen.

Entdeckt habe ich diese Idee in dem Buch Ort Macht Heil (das übrigens eine Fülle ähnlicher Anregungen bietet. Kaufen!). Darin beschreibt Christian Kempe die Idee hinter der Boule-Anlage in Köln Höhenberg-Vingst (HöVi). Dort ist der Boule-Platz aus einer gemeinsamen Aktion mehrere Stadtteilgruppen entstanden. Ich finde, dass diese Idee aber grundsätzlich ins Wir-gestalten-und-eröffnen-Räume-Repertoire von Kirchengemeinde und  Gemeinwesendiakonie gehören sollte.

Ach ja: Und Boule ist der einzige Sport, den man auch mit einem Glas Rotwein in der Hand bestreiten kann!

Vier kleine Fragen zu einer großartigen Idee

„Weshalb die Netzwerk-Idee großartig ist (und wieso sie so häufig scheitert)“ – so lautet ein Artikel (auf Grund des Umfangs müsste man eigentlich von einem Artikelchen sprechen) von Hans-Christian Blunk in einer alten brand eins-Ausgabe:

„Die Idee des Netzwerkes ist eine großartige, vielleicht sogar die erfolgversprechendste, was die Zusammenarbeit von Menschen mit unterschiedlichen Talenten, Ideen, Kompetenzen betrifft. […] Leider haben Netzwerke einen kleinen Fehler: Sie funktionieren nur in den seltensten Fällen. Vieles, was sich Netzwerk nennt, ist bei Lichte betrachtet nichts anderes als Subunternehmertum oder verschleierte Akquisition; das meiste bricht früher oder später auseinander oder endet als leere Hülse.“

Als mir dieser Text nun nach Jahren wieder untergekommen ist, war ich überrascht, wie sehr Blunks Hinweise auch auf Vernetzungen in der Diakonie zutreffen zu scheinen. Ich fasse hier einmal die wichtigsten Aussagen von Blunk zusammen (sofern man bei diesem kurzen und knackigen Text überhaupt noch etwas zusammenfassen kann):

  • Oft vernetzen sich die Akteure aufgrund ihrer eigenen Defizitsituation. Man verbündet sich, um den eigenen Mangel zu kompensieren. Aber das reicht nicht. „Weil sich zwei Lahme zusammentun, wird daraus noch kein Fitnessstudio“.
  • Vernetzung muss die Arbeit der Partner transformieren, nicht bloß ergänzen. Durch die Vernetzung entsteht etwas Neues.
  • Vernetzung gelingt nur, wenn die verschiedenen Akteure ein eigenständiges und klares Profil haben. „Deswegen funktionieren Legosteine so wunderbar: Die haben alle ein klares Profil, und wenn man sie zusammensetzt, entsteht etwas ganz Neues daraus“.
  • Vernetzung setzt Respekt vor der Leistung des Anderen voraus – und nicht zu vergessen: auch vor der eigenen! Ansonsten kann es keine gleichberechtigte Partnerschaft geben. Eine ganz entscheidende Voraussetzung für die Arbeit in Netwzerken!
  • Vernetzung bedeutet auch immer, ein Stück der eigenen Souveränität abzugeben. Aber will man das wirklich? Vernetzung widerspricht damit in gewisser Weise einem Entrepreneur-Geist.

Für gemeinwesendiakonisches Engagement können die vier Reflexionsfragen von Hans-Christian Blunk hilfreich sein, mit denen er seinen Zwischenruf zur Netzwerk-Idee beschließt:

  • “ Wer bin ich? Was kann ich? (Mit anderen Worten: Bin ich ein Legostein?)
  • Wer sind die anderen? Was können sie?
  • Was wollen wir mit unserem Netzwerk erreichen? Reagieren wir nur auf Marktgegebenheiten, oder sind wir wirklich auf dem Weg zu etwas Neuem?
  • Was können wir zusammen erreichen? Addieren wir nur unsere Kompetenzen – oder generieren wir echten Mehrwert?“

Hans-Christian Blunk: Weshalb die Netzwerk-Idee großartig ist (und wieso sie so häufig scheitert), brand eins, Jg. 2003, Heft 3. Leider ist der Text nicht mehr im Volltextarchiv von brand eins aufgeführt, man muss also zur Printausgabe greifen.

Gemeinde und Stadtteil wahrnehmen: drei Arbeitshilfen

Ich möchte auf drei Arbeitshilfen hinweisen, die für gemeinwesendiakonisch Engagierte recht nützlich sein können. Sie bieten etliches praktisches Material, besonders hervorheben möchte ich aber jeweils einen Fragebogen, mit dem man die Situation von Kirchengemeinden und ihren Stadtteilen strukturiert in den Blick nehmen kann.

Der Praxisimpuls „Diakonisches Handeln in Kirchengemeinde und Kirchenbezirk“ (2006) bezieht sich auf einen schon einige Jahre zurückliegenden Prozess der Württembergischen Landeskirche, um das Zusammenspiel von Gemeindediakonie und Einrichtungsdiakonie zu verbessern. Prozess und Projektstudie werden in dem Papier vorgestellt und bieten etliche gute Anregungen. Besonders hinweisen möchte ich auf den „Erhebungsbogen zur Bestandsaufnahme der diakonischen Gemeindearbeit“ (S. 38-56).

Die Arbeitshilfe „Wir alle sind berufen zur Caritas“ (2010) der Diözese Rottenburg-Stuttgart will für diakonisches Handeln in der Kirchengemeinde sensibilisieren, angefangen von einem „diakonischen Blick“ bis zur Einrichtung eines Caritas-Ausschusses in der Gemeinde. Hilfreich ist hier die „Wahrnehmungsmatrix“ (S. 34), bei der die Kategorien für den evangelischen Bereich etwas angepasst werden müssen.

Die dritte Arbeitshilfe leitet zur Wahrnehmung der Gemeinde und ihres Umfelds an: „Die eigene Gemeinde mit ihrem Umfeld wahrnehmen. Anregungen zur Lebensraumanalyse“ (2010), ebenfalls von der Diözese Rottenburg-Stuttgart herausgegeben. Es gibt konkrete Ausarbeitungen für einen Gemeinderundgang, zur Arbeit mit den Sinus-Milieus oder zur Nutzung des Demographieberichts der Bertelsmann Stiftung. Diakonische Fragen stehen nicht im Mittelpunkt, werden aber natürlich berührt. Hilfreich ist der Fragebogen zur Selbstwahrnehmung der eigenen Gemeinde (S. 32-35).

UPDATE 2011-12-30: …und als vierte sehr empfehlenswerte Arbeitshilfe sei natürlich noch auf das Church Community Value Toolkit hingewiesen, das ich hier im Blog auch erwähne (und zwar in seiner Gänze, nicht nur in dem von mir besprochenen Ausschnitt).

Die Wirtschaft, dein Freund und Helfer

Einer der wichtigsten Akteure im Stadtteil ist die Wirtschaft: Handel, Dienstleistung, Gastronomie, Handwerk, Wohnungswirtschaft. Doch zwischen „der Zivilgesellschaft“ und „der Wirtschaft“ gibt es oft Berührungsängste. Um diese abzubauen hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Soziale Stadtentwicklung und Gemeinwesenarbeit (kurz BAG) Ende letzten Jahres zu einer Fachkonferenz eingeladen: Wirtschaft für das Gemeinwesen gewinnen.

Wie kann man nun Wirtschaft stärker als Partner für die soziale Stadtentwicklung gewinnen? Es geht dabei gerade nicht um pro bono-Aktionen oder um Charity der Wirtschaft für das Gemeinwesen. Es geht um wirtschaftiche und soziale Vorteile für Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Und dass das über eine lapidare Win-Win-Rhetorik hinausgeht, zeigt die Dokumentation dieser BAG-Tagung.

Neben vier Grundsatzreferaten werden acht Projekt dokumentiert (5 mit Soziale-Stadt-Förderung, 3 ohne), bei denen es gelungen ist, die Wirtschaft als Freund und Helfer in der Stadtentwicklung zu gewinnen. Besonders hilfreich ist die konzentrierte Zusammenfassung von Förderlichem und Hinderlichem. Natürlich wird betont, dass nicht alles „eins zu eins“ übertragbar ist, aber die komprimierten Impulse sind ausgesprochen anregend und führen dazu, bekannte Ideen zu erden und unbekannte Möglichkeiten zu entdecken. So erging es zumindest mir beim Lesen.

Abschließend werden drei Workshops dokumentiert, in denen die  Kooperation von Zivilgesellschaft mit drei besonderen Wirtschaftsakteuren herausgearbeitet werden: mit dem Handel, der Wohnungswirtschaft und den Sozialunternehmen.

Und natürlich gehört dieses fundierte Erfahungswissen ins Dossier Gemeinwesendiakonie.

Handbuch „Gemeinde & Diakonie“

Es ist ein Dauerbrenner in der Diakonie-Praxis und -Wissenschaft: Wie kann Diakonie in der Gemeinde erlebt und gestaltet werden? Wie kann das Zusammenspiel von Kirchengemeinden und Einrichtungsdiakonie verbessert oder überhaupt erst begonnen werden?

Hans Höroldt, Diakoniepfarrer in Leverkusen, und Volker König, verantwortlich für diakonisches Profil im Diakonie-Landesverband Rheinland-Westfalen-Lippe, haben zu diesem Thema ein Handbuch herausgegeben: Gemeinde & Diakonie: erleben – verstehen – gestalten. Knapp zwanzig Texte hält der anprechend gestaltete Band bereit, von biblischen Grundlagen über praktische Anknüpfungsmöglichkeiten im Gemeindealltag bis hin zu strategischen Überlegungen.

Einige inhaltliche Stichpunkte möchte ich kurz benennen: Die konkreten Gestaltungsmöglichkeiten setzen oft bei den Unterschiedlichkeiten von Kirchengemeinden und diakonischen Einrichtungen an, gerade dadurch können sich die jeweiligen Stärken entfalten. Auch stößt man in dem Handbuch immer wieder auf die Grundhaltung, dass Kirchengemeinden mit ihrem diakonischen Engagement nicht nur etwas für andere leisten, sondern auch für sich selbst: Das Erleben und das Gestalten von Diakonie bietet gute Ansatzmöglichkeiten für die Gemeindeentwicklung. Und schließlich zieht sich wie ein roter Faden der Gedanke durch die verschiedenen Texte des Handbuchs, dass Kirchengemeinden mit ihrem diakonischen Engagement ein Sozialraum-Akteur sind. Ihr Handeln bezieht sich damit auch immer auf den Ort, den Raum, das Viertel.

Das Handbuch richtet sich an Preysbyter und engagierte Gemeindemitglieder, wie auch an Mitarbeitende in den Einrichtungen der organisierten Diakonie. Das Buch ist theoretisch fundiert und hat gleichzeitig praktischen Nutzwert, ohne sich in der Beschreibung von Einzelprojekten zu verlieren. Begleitend zum Handbuch soll im Internet eine Material-Fundgrube aufgebaut werden, die die einzelnen Themen und Texte unterstützt (auf die drei Katgeorien erleben, verstehen und gestalten unter Bereichsmenü Dossiers klicken!).

Den Herausgebern ist ein fundiertes wie pragmatisches Handbuch gelungen, das man gern zur Hand nimmt. Das Handbuch kann beim Medienverband Rheinland bestellt werden – oder in jeder Buchhandlung. Es kostet 16,80€.

Gemeinsam für den Stadtteil

Ich bin von Udo Schmälzle auf eine Studie aus NRW aufmerksam gemacht worden, die für die Gemeinwesendiakonie eine Menge brauchbares Erfahrungswissen bereithält: „Gemeinsam für den Stadtteil – Kooperationen von Freier Wohlfahrtspflege und Kommunen zur Stabilisierung benachteiligter Quartiere“ (2004). Die Studie bietet gutes und reichhaltiges Material, auf das die Akteure in der Gemeinwesendiakonie unbedingt einen Blick werfen sollten. Ich habe sie ins Dossier Gemeinwesendiakonie mit aufgenommen.

In der Studie geht es um „Stadtteilprävention“, das meint „einen sozialräumlichen Arbeitsansatz mit dem Ziel, sozialen Entmischungstendenzen in Stadtteilen und der Entstehung benachteiligter Quartiere entgegenzuwirken“ (S. 183). Mehrere Ansätze werden in der Studie näher beschrieben (S. 145-150; 155-156; 190-192):

  • Erhalt und Ausbau von preisgünstigen Wohnungen im Stadtgebiet
  • Verhinderung von Anreizen für den Wegzug einkommensstärkerer und statushöherer Haushalte
  • Verhinderung der konzentrierten Zuweisung von benachteiligten Haushalten
  • Abbau räumlicher Disparitäten zwischen einzelnen Stadtteilen
  • Verbesserung der ökonomischen bzw. materiellen Situation der Bewohner/innen
  • Verbesserung der sozialen Lage der Quartiersbevölkerung
  • Förderung der Partizipation und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
  • Verbesserung der Wohnraumversorgung und Wohnungsnotfallprävention
  • Sensibilisierung von Akteuren aus der sozialen Arbeit und Stadtteilbewohner
  • Aktivierung der relevanten Akteure im Stadtteil

Das alles ist nicht deckungsgleich mit der Gemeinwesendiakonie, aber es gibt viele Schnittmengen und Berührungspunkte.

Auch solche Kleinigkeiten wie die Arbeitsblätter (Kapitel 9.7) gefallen mir, z.B. ein Bogen zur Erfassung der vier verschiedenen Haupttätigkeiten: Einzelfallhilfe, Vernetzung auf Bewohnerebene im Stadtteil, Vernetzung auf institutioneller Ebene im Stadtteil und interne Strukturarbeit. Schlicht und einfach, aber gut (S. 197).

Abschließend noch ein Hinweis aus der Studie, der für Kirche und Diakonie interessant sein dürfte: „Zumindest die kirchlichen Wohlfahrtsverbände haben mit ihren ortsansässigen Gemeinden ein theoretisches Potenzial für ein dauerhaftes Engagement; das Engagement der Gemeinden könnte als dauerhafte ‚selbsttragende Strukturen‘ begriffen werden“ (S. 144). Dies entspricht ja genau meinem Hinweis zur Präsenz im Stadtteil (kritisch dazu siehe S. 186!).

Mahlzeit!

Es gibt immer wieder gute Projekte, bei denen man gar nicht so genau sagen kann, ob es sich um „kirchliche“ oder „diakonische“ Ansätze handelt (wobei natürlich diese Unterscheidung selbst schon fraglich ist). Zum Beispiel Ansätze, die an die Wurzeln urchristlicher Mahltraditionen anschließen und gleichzeitig „seelsorgerliche, diakonische und liturgische Dimensionen“ eröffnen (S. 2).

Es geht also ums Essen. Die Zeitschrift Für den Gottesdienst beschreibt drei solcher Projekte.Und da diese Zeitschrift im Bereich der Diakonie wohl eher weniger gelesen wird, möchte ich hier auf diese Mahl-Ausgabe hinweisen. Drei Mahlprojekte werden vorgestellt – eine Mittagstafel, eine Vesperkirche und ein Tischabendmahl –, die in unterschiedlicher Weise das gemeinsame Essen im Kirchenraum in den Mittelpunkt stellen. Es handelt sich um folgende Projekte:

  • die monatliche Mittagstafel „Leib und Seele“, Hannover Gethsemanekirche (S. 26-31),
  • die Vesperkirche in Wasseralfingen (Württemberg) (S. 32-36),
  • das Tischabendmahl am Gründonnerstag, Michaeliskirche Hildesheim (S. 37-42).

Dreierlei macht diese Ausgabe für diakonisch Interessierte interessant: Zunächst einmal die Auswahl von drei ganz unterschiedlichen Mahl-Ideen. Dann die ausführliche Darstellung dieser drei Projekte, mitsamt detaillierten Ablaufplänen. Und schließlich werden in dem ganzen Erfahrungswissen deutlich diakonische Dimensionen reflektiert. Hier nur einige Beispiele:

Zum Beispiel der Versuch, Bedürftigkeit nicht erkennbar werden zu lassen:

„Ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Multiplikatoren und verkaufen Essensbons in der Nachbarschaft, in ihrer Straße. Darüber hinaus ist ein Kontingent für spontan entschlossene Menschen eigeplant. Bedürftige Menschen haben über die Diakonin im Vorfeld die Möglichkeit, einen kostenlosen Gutschein zu erhalten. So ist für Außenstehende nicht erkennbar, welcher Gast kostenlos am Mittagstisch teilnimmt. Etwa ein Drittel aller Gäste nehmen diese diakonischen Essensgutscheine in Anspruch“ (Hannover Gethsemane, S. 27).

Oder der Gedanke, dass es nicht darum geht, Arme zu nähren, sondern Würde:

„Die Vesperkirche ist keine Armenspeisung, vielmehr eine zeichenhafte Aktion für die Würde aller Menschen. Wohltätigkeit von oben herab ist nicht die Sache Jesu und wird auch der Würde des Menschen nicht wirklich gerecht“ (Vesperkirche Wasseralfingen, S. 34).

Und natürlich auch die Verbindung von liturgischer und nährender Funktion des Essens:

„Wir können davon ausgehen, dass in den frühchristlichen Gemeinden das rituelle Abendmahl selbstverständlich mit einem gemeinsamen Essen verbunden war. Das wollen wir heute erlebbar machen und damit das Abendmahl stärker hereinholen in die einfachen Vollzüge unseres Lebens, Essen und Trinken. Nach dem Teilen des Brotes werden wir wirklich essen und trinken, bevor wir den Wein teilen“ (Michaeliskirche Hildesheim, S. 41).

Es gibt viele solcher diakonischen Dimensionen in den Texten zu entdecken. Eine gelungene Zusammenstellung.

Das Heft 71 der Zeitschrift Für den Gottesdienst kann hier bestellt werden.