Archiv der Kategorie: Diakonisches Profil

Diakonie-Verständnisse entbanalisieren

Mir fällt hin und wieder auf, dass die Bilder, Begriffe und Ideen, was Diakonie ist, oft recht oberflächlich sind. Diakonisches Handeln? Es geht irgendwie ums Helfen, christlich halt. Und erschreckend oft geht das in die Richtung von „nett, nah, menschlich“. Und ich frage mich dann: Wie will man eigentlich diakonisches Profil implementieren, diakonische Indikatoren bestimmen oder diakonisches Handeln ausbilden, wenn es nur ein sehr diffuses Verständnis davon gibt, was Diakonie ist, was sie ausmacht, worin sie besteht?

Dahinter liegt ein tieferes Problem: Es fehlt eine Art „Praxistheorie der Diakonie“, es gibt wenig konzeptionell ausgearbeitete Diakonie-Ansätze, auf die man diesbezüglich zurückgreifen kann. In der Systematischen Theologie wird Diakonie gerne vernachlässigt – oder sie wird schlicht auf Ethik reduziert. Und die Diakoniewissenschaft ist stark biblisch-exegetisch und kirchengeschichtlich geprägt oder – sozusagen auf der anderen Seite vom Pferde fallend – betriebswirtschaftlich-managerial orientiert.

Natürlich gibt es gute Ansätze, interessante Theorien und spannende Debatten in der und über die Diakonie. Aber selten reichen sie über die Spähre, in der sie entstanden sind, hinaus. Diakoniewissenschaftliche Debatten bleiben meist in der akademischen Filterblase, Diakoniemanagementansätze haben ihren eigenen Entstehungs- und Reflexionsort und in den einzelnen Handlungsfeldern geben fachliche Konzepte aus den verschiedensten Referenzdisziplinen den Takt vor. Und was ist die  gemeinsame diakonische Klammer? Wie gesagt: Irgendwas mit Helfen. Nett, nah, menschlich. Prima.

Wie kann man sich über Diakonie inhaltlich verständigen, ohne in Plattheiten oder Floskeln stecken zu bleiben? Wie kann man zum Kern der Diakonie vordringen, und das auf möglichst einfachem Wege?

Ich habe gute Erfahrungen mit zwei Fragen gemacht. Sie können dazu beitragen, die leitenden Diakonie-Verständnisse zu klären, meist sogar deutlich zu vertiefen und ab und an (kleine) Brücken zwischen den angesprochenen Sphären zu schlagen.

Die Frage nach der Absicht der Diakonie

Ein guter und für mich bewährter Ansatzpunkt ist das Nachdenken über die Absicht der Diakonie. Was will Diakonie? Was soll diakonisches Handeln? Die gängigen Antworten wie Helfen oder Unterstützen sind zu allgemein. Außerdem beschreiben sie ja den Weg und nicht das Ziel. Konkreter wird es, wenn man fragt: Wozu soll die Unterstützung denn dienen? Woraufhin geschieht Diakonie? Etwas anders formuliert könnte man fragen: Was für eine Art Arbeit ist diakonisches Handeln? Geht es um Armutsbekämpfungsarbeit? Um Beheimatungsarbeit? Soll es eher um Heilungsarbeit oder um Leidlinderungsarbeit gehen? Meine persönlichen Favoriten sind Teilhabeermöglichungsarbeit und Berufungsentdeckungsarbeit.

Erst wenn man es so zuspitzt, zeigen sich die möglichen Absichten. Und erst wenn man eine Absicht hat, kann man das entsprechende Profil dazu entwickeln. Der zentrale Begriff der beabsichtigten Absicht ist zugleich der (systematisch-)theologische Zentralbegriff, den es dann für den Diakoniealltag zu entfalten gilt.

Die Frage nach der Absicht lenkt zudem den Blick von der Motivation zur Voluntion. Diese Unterscheidung finde ich auch didaktisch sehr hilfreich. Bei beidem geht es darum, was einen treibt: Bei der Motivation steht das Warum im Vordergrund (und ist daher rückwärtsgewandt), bei der Voluntion das Woraufhin (und zielt in die Zukunft). Letzteres ist meines Erachtens deutlich gehaltvoller.

Die Frage nach dem Wirken (in) der Diakonie

Eine weitere Idee, wie man sich der Frage nach dem Kern der Diakonie nähern kann, ist das Nachdenken über die Wirkung in der Diakonie, genauer gesagt: dem Wirken. Dieser Ansatz ist abstrakter als der erste, die Frage mag anfangs etwas irritieren. Ich kann aber versichern, dass es sich lohnt, ihr nachzugehen.

Wirkung darf hier nicht einfach als Ergebnis verstanden werden (etwa als „impact“ oder „outcome“), oder als Effekt (samt Rezepten, wie die Wirkung zu erzielen sei), sondern als ein Prozess des Wirkens. Ich schlage einmal fünf Begriffe für solche Wirkungen vor: Heilung, Versöhnung, Befreiung, Ermächtigung und Wandlung. Sie sind nicht trennscharf, aber von ihrer Dynamik her doch unterschiedlich genug. Diesen (oder ähnlichen) Wirkdynamiken gilt es nachzugehen.

Können diese Begriffe vielleicht beschreiben, was geschieht, wenn Diakonie geschieht? Und wenn ja: Was passiert da eigentlich genau, was (und wie) vollzieht sich da? Wer oder was ist denn da überhaupt am Wirken? Interessant auch: Wir können diese Dynamiken – also Kräfte, Energien – nicht machen, aber können wir denn zumnidest mit ihnen umgehen? Welches Wissen und, ja, welche „Praxistheorie“ halten 2000 Jahre Christentum hier bereit?

Wenn man sich solchen Fragen stellt, ist man auf einer guten Spur. Weil man weit weg ist vom gängigen Diakonie- und Sozialpolitik-Sprech. Vielleicht stellt sich auch ein Unbehagen ein, sich ernsthaft dieser Frage auszusetzen. Ist das nicht zu groß, zu pathetisch, zu aufgeladen?  Ich glaube ja mittlerweile, dass von „Diakonie“ eher zu klein als zu groß gedacht wird. Und genau das könnte vielleicht ganz hilfreich sein: Diakonie nicht zu banalisieren, sondern tiefer zu denken.

tl;dr
Diakonie läuft immer wieder Gefahr, zu banal gedacht zu werden. Doch dann bleibt Diakonie hinter dem zurück, was sie ist. Die Fragen nach der Absicht und der Wirkung der Diakonie können helfen, dass Diakonie-Verständnis (für das eigene Handeln, die Profilentwicklung oder in der diakonischen Bildung) zu vertiefen.

Was ist Diakonie? (#12)

In meiner Was ist Diakonie?-Serie tauchte bislang einer noch gar nicht auf: der barmherzige Mann aus Samarien, der unentwegt in Diakonie-Andachten, -Seminaren und -Debatten zitiert wird. Das liegt daran, weil ich die biblische Erzählung vom „Barmherzigen Samariter“ gar nicht so sehr als Inspirationsquelle für organisierte Diakonie sehe – anscheinend im Gegensatz zu vielen, vielen anderen Diakonikern.

Es ist eine wunderbare Erzählung, natürlich. Doch das beschriebene Handeln des Samariters hat mit der Tätigkeit in der Diakonie als Erwerbsarbeit erstmal wenig zu tun. Sicher, gerade deshalb kann man sie als moralischen Kontrapunkt einbringen („Sei auch du ein Samariter, fachlich, froh und unverzagt!“). Doch ich erlebe, dass Mitarbeitende in der Diakonie den Kern der Geschichte eh in sich tragen. Daher sollte man besser ganz andere Geschichten erzählen.

Wenn man sie aber erzählt, reicht es, in die Szenerie der Geschichte einzutauchen und sie nachzuempfinden. Das geht am besten mit einem Bibliolog. Rainer Fischer, Seelsorger im Ev. Krankenhaus Bergisch Gladbach, berichtet davon:

„Erschließt man einen »Klassiker« aus dem biblischen Repertoire diakonischer Vorbilder, die Beispielerzählung vom barmherzigen Samariter, durch einen »Bibliolog« mit Mitarbeitenden aus der Diakonie, bricht diese Spannung regelmäßig in den Beiträgen auf: Dass Priester und Levit (aus beruflichen Gründen?) sich keine Zeit nehmen (können), stößt auf Verständnis, zugleich besteht jedoch eine tiefe Unzufriedenheit mit dieser Situation. Das Versprechen der Selbstkostendeckung, das der Samariter gegenüber dem Gastwirt abgibt, stößt auf Misstrauen und weckt nostalgische Gefühle angesichts gegenwärtiger Fallpauschalen und Arbeitsverdichtung. Die Figur, mit der man sich am besten identifizieren kann, ist immer weniger der spontan handelnde und von seiner eigentlichen Zeitplanung abweichende Samariter, statt dessen projiziert sich das eigene Rollenverständnis auf den entlohnten Wirt – und am allermeisten auf den Esel, dem die ganze Last des Hilfsbedürftigen aufgeladen wird, ohne dass er am Entscheidungsprozess beteiligt ist.“ (Rainer Fischer: Leitbild leben, in: Dehnübungen. Geistliche Leitung in der Diakonie, S. 104/105, Düsseldorf 2015)

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Was ist Diakonie? Samariter- (sehr klassisch) und Wirt- (mittlerweile auch schon klassisch), Priester-, Levit- und Eselsein.

Die Inklusions-Denkschrift der EKD

Ende Januar ist die Orientierungshilfe der EKD zur Inklusion [PDF] erschienen. In Anlehnung an eine viel beachtete Rede von Richard von Weizsäcker aus dem Jahr 1993 trägt sie den Titel: Es ist normal, verschieden zu sein.

Mir gefällt die Denkschrift. Kurz auf den Punkt gebracht: Sie ist unaufgeregt gut. Sie hat keinen moralinen oder pathetischen Duktus, sondern sie ist fachlich solide, theologisch nüchtern (und nicht katechetisierend) und liest sich auch noch recht flüssig.

Und – auch das ist erwähnenswert – sie ist ehrlich gegenüber der eigenen kirchlichen Paxis:

„Die gegenwärtige Sozialgestalt der Kirche in Gemeinde und Diakonie ist jedoch noch weit davon entfernt, ein Inklusionsmotor zu sein. In ihr dominieren soziale Milieus, die meist weder Arme noch Menschen mit Behinderungen umfassen und sich durch die Art der – auch religiösen – Kommunikation vielfach abgrenzen“ (S. 55).

Ausgangspunkt der Denkschrift – wie auch des gesellschaftlichen Diskurses – ist die UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Daher hat sie einen deutlichen Schwerpunkt bei der Ermöglichung von Inklusion für behinderte Menschen. In der Denkschrift wird aber auch thematisiert, dass Inklusion darüber hinausgehen muss:

„Dabei ist die Aufgabe der Inklusion von Menschen mit Behinderungen nur eine der Herausforderungen auf dem Weg zu einer diakonischen Kirche – sie unterscheidet sich nicht kategorial von der Herausforderung, von Armut bedrohte Familien, pflegende Angehörige oder Menschen mit Migrationshintergrund als »normale Gemeindeglieder« zu begreifen. Insofern geht es auch nicht in erster Linie darum, weitere Stellen oder Beauftragte zu schaffen oder zusätzliche Programme aufzulegen […]“ (S. 157).

Völlig richtig.

Allerdings würde ich an dieser Stelle gar nicht so sehr die Idee einer „diakonischen Kirche“ betonen. Denn dann könnte Inklusion schnell wieder als diakonisches Dings missverstanden werden. Und das ist es gerade nicht!

Ich spitze es einmal für die Kirchengemeinden zu: Immer, wenn es um „Inklusion“ geht, sollten die Synapsen sofort eine Verbindung zu Gemeindeentwicklung herstellen. Denn wenn man bei dem Thema als erstes (oder auch noch als zweites oder drittes) an Gemeindediakonie denkt, kann das mit der Inklusion nichts werden, dann läuft sie in die falsche Richtung. (Dabei kann natürlich durchaus etwas Gutes herauskommen, aber es hat dann eben wenig mit Inklusion zu tun).

Eine Erklärung liefert die Denkschrift im Grunde selbst:

In der Kirche sammeln sich zwar viele Menschen, die sich für andere einsetzen. Allerdings gelingt es ihnen oft nicht, eine tragfähige Brücke zu Menschen mit Einschränkungen zu schlagen. Paradoxerweise kann gerade diese Haltung eines Engagements »für andere« Kommunikation auf Augenhöhe verhindern. Geschwisterlichkeit gelingt, wo aus dem Engagement »für andere« eine »Kirche mit anderen« wird“ (S. 56).

Gemeinden müssen – um es einmal etwas belehrend zu formulieren – grundsätzlich so inklusiv wie möglich sein, egal, ob sie sich als hochkirchlich oder sozialengagiert verstehen, bildungs- oder kleinbürgerlich orientiert sind, missionarisch oder „diakonisch“ ticken.

Deshalb würde ich das Mantra, dass man von einer Kirche „mit anderen“ zu einer Kirche „für andere“ kommen muss, auch nicht überstrapazieren. Denn bei beiden Formulierungen gibt es eben (immer noch) „die anderen“.

Interessant fand ich eine Idee, von der ich bislang noch nie etwas gehört habe: Dunkelgottesdienste (S. 162-163): Ein Gottesdienst wird in einer völlig abgedunkelten Kirche gefeiert. Ich kann mir vorstellen, dass dies eine kraftvolle spirituelle Erfahrung sein kann – jedenfalls dann, wenn tatsächlich das spirtuelle Erleben im Vordergrund steht und es nicht eine pädagogische Aktion ist, ein versteckter Appell, sich mit „Behinderung“ auseinenderzusetzen.

Denn dann kann Inklusion nicht nur ein Programm zur Barrierefreiheit werden, sondern ein Innovationsmotor der Gemeindepraxis sein. Und damit hat sich die Energierichtung umgekehrt: Kirche macht nicht etwas, um Inklusion zu ermöglichen, sondern die Inklusion trägt dazu bei, Kirche zu ermöglichen.

Okay, das war jetzt doch etwas pathetisch.

tl;dr
Solide, unaufgeregt und lesenswert: die EKD-Orientierungshilfe zur Inklusion.

Weiter auf der Wolke

Mir geht die Sache mit der Diakonie-Kampagne immer noch nach. Und ich überlege, was es genau ist, das mich so beschäftigt.

Die Kommentare des Diakonie-Campaigners im ersten Blogbeitrag und der Text vom Diakonie-Präsidenten auf dessen Blog lassen bei mir sehr viele Fragen offen. Aber ich will jetzt kein Rechthabenwollen-Pingpong in den Kommentaren hier oder dort spielen. Das bringt nix. Deshalb dieser zweite Artikel, bei dem es mir ausschließlich ums Grundsätzliche geht.

Eine Vorbemerkung: Ich bin kein Campaigner, kein Fundraiser, kein Öffentlichkeitsarbeiter. Ich bin diesbezüglich nicht vom Fach. Aber seitdem ich als kleiner Junge Werbung guckte, liebe ich sie. Und später im Kino war ich nicht nur ein Abspannsitzenbleiber, sondern auch ein Werbungsvorspanngenießer. Will sagen: Rezeptionsästhetisch bin ich sehr wohl vom Fach.

Man kann (eigentlich) nicht nicht politisch sein.

Erschrocken bin ich über den Ansatz, dass der Diakonie Bundesverband seit Jahren völlig unpolitische Jahreskampagnen fährt. Denn eigentlich kann man nicht nicht politisch sein – jedenfalls nicht als großer Sozialverband. Unpolitisch zu sein ist somit – ungewollt – auch eine politische Aussage.

Gerade das Care-Thema ist ein hochpolitisches: Die Neudefinition des Pflegebegriffs. Die Finanzierbarkeit der Sozialsysteme und die damit verbundenen Fragen der Generationengerechtigkeit und der Geschlechtergerechtigkeit. Die Entlohnung des Pflegepersonals. Die gesellschaftliche Anerkennung von Pflegearbeit. Die völlig ungeklärte Frage, was mit den steigenden Zahlen an demenzerkrankter Menschen auf uns alle zukommen wird.

Es gibt wohl kaum ein Thema, das politisch so (auf)geladen ist wie die Pflege. Das heißt nicht, dass immer jede Aussage zu dem Thema ein politisches Statement sein muss. Nein, muss es nicht. Aber wenn eine Jahres(!)kampagne(!) eines der größten (!) Sozial(!)verbände des Landes eine Botschaft hat, die ungefähr in die Richtig geht wie „Natürlich ist es hart, aber das wird durch ein Lächeln entloht“, dann ist das eben nicht nicht politisch. Denn es ist nicht die Aussage der Mitarbeiterin XY (die selbstverständlich diese Meinung vertreten kann!), sondern es ist die Aussage der Diakonie-Kampagne.

Das Thema der Diakonie ist sie selbst

Was zum Kuckuck ist die Botschaft der Kampagne? Dass eine Hebamme den Job macht, wie eine Hebamme ihren Job macht? Dass ein Erzieher in einer Kita so arbeitet, wie man sich die Arbeit eines Erziehers in der Kita vorstellt? Dass man einen Einblick bekommt, wie eine Werkstatt für behinderte Menschen aussieht, egal welchen Trägers?

Ich erkenne folgende Botschaft: Die Diakonie hat verschiedene Arbeitsfelder, dort arbeiten Diakonie-Mitarbeitende und die machen einen tollen Job. Ja, das stimmt alles drei. Und?

Was ist das Thema der Diakonie-Kampagne? Die Diakonie selbst.

Thema sind nicht die Klienten, Nutzer oder Patienten. Sie sind Staffage (und stören zum Glück auch nicht großartig). Thema ist auch nicht ein gängiges Hilfeverständnis (Ermöglichung von Teilhabe, Kampf für eine inklusive Gesellschaft etc.). Und Thema ist schon gar nicht, strukturell oder gesellschaftspolitisch etwas voranzubringen.

Stattdessen sollen die Mitarbeitenden gewürdigt und in den Mittelpunkt gerückt werden. Ich bin der Letzte, der das nicht will! Aber dafür wäre wohl ein Rudigramm passender. Und in einer Image-Kampagne wünsche ich mir Aussagen, die nicht ausschließlich auf die Helfer fokussieren (jedenfalls nicht jahrelang!), sondern auf den Sinn, warum es diesen Verband gibt.

Die Sache mit der AuthentizitätTM

Authentizität ergibt sich für mich nicht automatisch dadurch, dass „echte Mitarbeiter“ in der Kampagne vorkommen. Sondern einzig und allein, ob die Botschaft authentisch ist. Der in dem Kampagnenvideo vorgeführte Pflegealltag ist beispielsweise völlig unauthentisch – auch wenn es von einer „echten“ Mitarbeiterin, in einer „echten“ Einrichtung mit „echten“ Klienten „in echt“ so gemacht wurde.

Eines ist wichtig: Mir geht es überhaupt nicht um die in den Kampagnenvideos gezeigten Mitarbeiter. Deren Arbeit kann und will ich nicht beurteilen. Ich habe schließlich nur ein Werbefilmchen gesehen, nicht deren Arbeit. Aber die Botschaft dieses Videos kann ich sehr wohl beurteilen. Ich kritisiere an dem Pflege-Video, wie die diakonische Arbeit dargestellt wird, welche Art von Fachlichkeit durch die Gesamtkomposition des Videos vermittelt wird. Ich sage nicht, dass die Pflege-Mitarbeiterin kitschige Arbeit macht. Ich sage aber sehr wohl, dass die Diakonie mit dem Video ganz großen Kitsch abliefert. Das hat mit den Mitarbeitern nur bedingt etwas zu tun. Doch sie hängen jetzt mit drin, mit Klarnamen.

Und wenn zum Beispiel der Mitarbeiter aus dem Spot von der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen zum Schluss des Videos zwischen behinderten und normalen Menschen unterscheidet (wenn auch „in Anführungszeichen“), dann wäre es falsch, diesen Mitarbeiter darauf festzulegen. Niemand redet druckreif. Es ist einzig und allein die Verantwortung der Diakonie, dass dies so über den Äther geht. Es ist ihre Absicht, dies so darzustellen und solche Aussagen zu prägen.

Was sie über die „Authentizität“ hinaus damit beabsichtigt, weiß ich nicht. Aber ich sagte ja bereits, dass sich mir der Sinn der Kampagne nicht erschließt.

Imagekampagnen eines Wohlfahrtsverbands: Was soll das?

Mein größtes Unverständnis bei den Diakonie-Kampagnen ist, wie man die Chancen, die eine Jahreskampagne bietet, damit verspielt, sie als Imagekampagne aufzuziehen. Und das seit Jahren! Wie bereits angedeutet, gefällt mir sehr gut, dass die Caritas Jahr für Jahr thematische Kampagnen fährt (und immer drei davon haben sogar noch ein Meta-Thema, hach!).

Dass einzelne diakonische Einrichtungen Werbefilme drehen und Imagekampagnen machen, ist nachvollziehbar. Genau dort gehört das auch hin. Sie bieten soziale Dienstleistungen an und können sich überlegen, ob sie Werbung machen wollen oder nicht. Jede einzelne Einrichtung kann sich überlegen, welches Image sie beförden möchte, ob sie sich eher altbacken oder progressiv geben möchte, was sie nach vorne und was sie nach hinten rücken möchte. Das kann niemand anderes als sie selbst. Sie sind sogar frei in der Entscheidung, ob sie gute oder schlechte Werbung machen wollen.

Der Bundesverband hat aber eine ganz andere Aufgabe, er ist ja gerade nicht Anbieter von sozialen Dienstleistungen. Er ist gesellschaftlicher und politischer Akteur – im Gegensatz zu den einzelnen Einrichtungen, die – mehr oder weniger – Marktakteure sind. Vielleicht bin ich jung und naiv, aber ich sehe die Existenzberechtigung des Diakonie-Bundesverbandes darin begründet, dass er Themen setzt, politisch interveniert, Druck macht, zivilgesellschaftlich mobilisiert und aktiviert, brennende Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens nach vorne treibt. Das sind alles Aufgaben, die wunderbar mit tollen Kampagnen begleitet werden könnten. Aber vielleicht bin ich ja wirklich naiv. Vielleicht ist es ja eine Satzungsaufgabe, Werbung für verschiedene Arbeitsfelder von Mitgliedsorganisationen zu machen.

Nun macht die Diakonie Deutschland anscheinend nicht nur Image-Jahreskampagnen, sondern auch thematische Kampagnen. Ich habe extra nicht gegooglet, sondern ein paar Tage nachgedacht: Ich kann mich an keine einzige erinnern. Sie scheinen nicht sehr auffällig gewesen zu sein. Und das liegt nicht an meinem Gedächtnis. Ich weiß ja sogar noch, wer Ulricke Jokiel ist. Und so etwas bräuchte ich mir wirklich nicht zu merken.

Okay, die Diakonie spielt nicht in derselben Liga wie beispielsweise ein Zentrum für politische Schönheit, das ist mir schon klar. Andererseits: Warum eigentlich nicht?

tl;dr
ach

UPDATE 2015-01-31 Holger Pyka hat sich auf meinen Beitrag „Alles Wölkchen“ bezogen und ist der Frage nach kirchlichen Image-Kampagnen nachgegangen. Sehr lesenswert! Ich verlinke ihn in diesem Beitrag von mir, weil ich hier (wie Holger dort) etwas ausführlicher über Kampagnen-Arbeit nachdenke.

Alles wölkchen

Mannomannomann, ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll.

Vielleicht hier: Warum rege ich mich eigentlich auf? Ich glaube, weil mir die Diakonie irgendwie am Herzen liegt und ich schon eine gewisse Identifikation mit diakonischer Arbeit habe. Mit dem, was das Ganze soll.

Worum es geht? Um die neue Image-Kampagne der Diakonie.

Mit ihren Kampagnen hat die Diakonie selten ein glückliches Händchen bewiesen. Aber jetzt übertrifft sie sich noch einmal selbst. Drei Videos der Kampagne sind online. Sie stellen den Arbeitsalltag in einer Kita, einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen und einem Nagelstudio Pflegezentrum dar.

Hier einmal das Video zum Pflegezentrum:

Das Bild, was ich von Pflege habe, unterscheidet sich fundamental von dem Kitsch, der in dem Imagefilm serviert wird. Ich habe gerlernt: Die Hauptaufgabe einer Pflegefachkraft ist Fotos anschauen und Nägel lackieren. Vor allem Nägel lackieren! Das ist so wesentlich, dass in dem Dreiminüter acht Sequenzen damit gefüllt werden: 0:01; 0:19; 0:30; 0:39; 1:03; 1:59; 2:21; 2:40.

An dieser Stelle muss die Diakonie doch auch ihre Mitarbeitenden schützen. Es ist zwar schön, dass die Protagonistin viel lacht, aber das, was fachlich rüberkommt, ist an Naivität kaum zu überbieten. Die junge Frau wird völlig vorgeführt.

Die anderen beiden Spots sind ganz okay. Okay im Sinne von nicht peinlich. Aber reicht okaysein für Kampagnenarbeit?

Ich frage mich, warum seit Jahren immer das gleiche Kampagnenschema gefahren wird: Die Diakonie hat verschiedene Arbeitsfelder und die Leute da sind nett. Das ist die Botschaft.

Warum gibt es keine thematischen Kampagnen (wie bei der Caritas)? Warum gibt es keine Fokussierung auf aktuelle gesellschaftliche Probleme (wie bei der Caritas)? Und warum gibt es einfach keine guten Kampagnen (wie bei der Caritas)?

Eine Antwort habe ich auf diese Fragen: Die Diakonie nennt das Ganze richtiger Weise ja eine Imagekampagne der Diakonie. Es soll also gar nicht um Agenda Setting, Themenmanegement, politische Positionierung, inhaltliche Substanz und gesellschaftlichen Diskurs gehen. Es soll einfach das Image der Diakonie aufgehübscht werden.

So kann man natürlich auch den gesellschaftlichen und kirchlichen Auftrag verstehen, den man hat.

Ich geh dann mal zur Diakonie rüber und lass mir die Nägel machen.

tl;dr
Alles wölkchen in der Diakonie.

P.S.: Hintergrund zu den Caritas-Kampagnen gibt es hier.

UPDATE 2015-01-28: Ich habe noch ausführlicher zur Kampagne gebloogt.

Teile und habe teil!

Schon seit längerer Zeit beschäftigt mich die Frage, ob in der Diakonie die Idee des Teilens nicht stärker in den Mitelpunkt gerückt werden müsste. Ich habe noch kein richtiges Packende, aber ich versuche, meine bisherigen Überlegungen niederzuschreiben.

Seit ein paar Jahren wird Sharing zum gesellschaftlichen Trend – also die gemeinsame Nutzung von Dingen und Diensten, in dem man sie miteiander teilt. Wunderbar! Wer sich einmal vor Augen führen möchte, wie weit die Shareconomy mittlerweile reicht, sollte einen Blick auf die Grafik in diesen kurzen Artikel aus dem t3n-Magazin werfen.

Und warum könnte Sharing auch ein Thema für die Diakonie sein? In der Mitte der eben erwähnte Grafik stehen „empowered people“, also genau das, was Diakonie im Grunde erreichen will. Vielleicht könnte eine (neue?) Kultur des Miteinanderteilens ja ein Beitrag sein, eine diakonische Grundaufgabe zu verwirklichen.

Miteinander zu teilen ist schließlich auch ein Kernmotiv des christlichen Glaubens. Doch Kirche und Diakonie – einmal ganz allgemein gesprochen – scheinen wenig Berührungspunkte mit dem gegenwärtigen Trend um Sharing und kollaborativen Konsum zu haben. Und umgekehrt wird eine Kultur des Teilens auch kaum von kirchlicher/diakonischer Seite vorangetrieben. (Oder irre ich mich völlig?)

Bleiben wir im Bereich der organisierten Diakonie. Teilen ist kein Thema – weder als programmatischer Begriff noch als Teil der Lebenswirklichkeit diakonischen Alltags. Ein kurzer Blick in die meistzitierten Diakonie-Texte genügt: Die EKD-Diakoniedenkschrift Herz und Mund und Tat und Leben (1998), der Diakonie-Text Charakteristika einer diakonischer Kultur (2008) und die Standortbestimmung Perspektiven der Diakonie im gesellschaftlichen Wandel (2011) greifen das Motiv des Teilens exakt null mal auf. Das ist kein Vorwurf an diese Papiere, ich will sie einfach nur als Zeugen heranziehen, dass das Thema eben kein Thema ist. Und mir geht es ja genauso: Hier auf diakonisch.de habe ich mich in knapp 150 Blogartikeln nur ein einziges Mal mit dem Teilen beschäftigt.

Dass die Idee des Miteinanderteilens weder im diakonischen Arbeitsalltag noch in der Papier-Produktion von großer Bedeutung ist, hat sicherlich auf stark damit zu tun, dass die politische Grundausrichtung der Diakonie immer eine besondere Art des Teilens favorisiert hat: Teilen als Umverteilen. Gut zu sehen ist das zum Beispiel daran, wie das Motiv des Teilens in der EKD-Teilhabe- bzw. Armutsdenkschrift „Gerechte Teilhabe“ (2006) auftaucht, nämlich als Verweis auf das Sozialwort der Kirchen von 1997: Im Zusammenhang mit der biblischen Option für die Armen  wird an die moralische Verpflichtung der Wohlhabenden erinnert, zu teilen, also etwas vom eigenen Besitz abzugeben (Ziffer 107 im Sozialwort bzw. Ziffer 65 in der EKD-Denkschrift). Dies ist allerdings ein ganz anderes Verständnis von Teilen und hat mit Sharing im Sinne von kollaborativem Konsum nichts zu tun.

Dass die Idee des Miteinanderteilens in der Teilhabe-Denkschrift nicht vorkommt, verblüfft dann doch. Die Denkschrift stellt neben die Verteilungsgerechtigkeit – quasi dem klassischen und über Jahrzehnte auch einzig „legitimen“ Gerechtigkeitsverständnis in Kirche und Diakonie – nun ein weiteres Gerechtverständnis, nämlich das der Teilhabegerechtigkeit. Ich finde das gut und richtig. Teilhabe durch Teilen, das wäre ein schöner Gedanke gewesen. Und so könnte neben dem Teilen als solidarisches Abgeben auch das Teilen als gemeinsames Nutzen einen guten Platz finden. Das Teilen als gemeinsamer Gebrauch von Ressourcen ist ein Möglichkeit – eine, neben vielen anderen! – Teilhabe zu gestalten. Denn unter Teilhabegesichtspunkten hat das Teilen im Sinne des solidarischen Abgebens seine Schattenseiten. Immer dann, wenn es in einer von zwei häufigen, aber glücklosen Varianten daherkommt: als moralischer Apell an die, die mehr haben und als generöses Verzichten der Habenden zugunsten Bedürftiger.

Miteinanderteilen ist also eine Art Ressourcenorientierung. Dieser Begriff ist in der Diakonie natürlich nicht unbekannt, im Gegenteil. Spätestens seit der Lebensweltorientierung in der Sozialpädagogik und dem Casemanagement in der Sozialarbeit wurde der Begriff der Ressourcenorientierung zum Mainstream. Die Sache ist ja auch wirklich sehr gut, nur: Der „klassische“ Ansatz der Ressourcenorientierung besteht lediglich darin, die (neu-)entdeckten eigenen Ressourcen selbst zu nutzen – mehr nicht. Ressourcenorientierung im sozialen und therapeutischen Kontext bezeichnet den Shift vom „behandelt werden“ zum „selbst handeln können“. Und der Pfiff ist hierbei, nicht von Fremdressourcen abhängig zu werden, sondern selbst wirksam zu werden. Die Ressourcenorientierung bleibt aber in der Regel genau hier stehen. Die eigenen Ressourcen anderen zur Verfügung zu stellen und gemeinsam zu nutzen, um so selbst wieder ins Teilhabe-Rad einzusteigen, kommt oft gar nicht in den Blick. Genau hier fängt aber Teilhabe an.

Schön und gut, bis hierher. Aber vielleicht ist das auch alles zu euphemistisch. Denn Teilen kann nur der, der auch etwas zu teilen hat. Wenn die Ressourcenentdeckungsarbeit zu dem Ergebnis kommt, dass eben keine (oder unattraktive) Ressourcen vorhanden sind, dann ist es schlecht mit dem Teilen. Menschen, die wirklich nichts teilen können (und eh schon aus den üblichen Wirtschaftskreisläufen herausgefallen sind), werden auch in der Shareconomy nicht gebraucht. Und genau besehen ist das meiste, was unter Sharing firmiert, im Grunde ein Vermietungsgeschäft – es ist also gar kein Teilen im eigentlichen Sinne. Die Shareconomy übt (auf mich) eine unglaubliche Faszination aus – aber man muss auch erkennen, dass sie letztlich nichts weiter ist als Plattform-Kapitalismus.

Wenn ich von der Faszination des Teilens spreche, meine ich das Inkontaktkommen mit anderen, der gemeinsame kollaborative Gebrauch und die Ressourcenschonung – und der Chance, dass Teilen Teilhabe ermöglicht. Die Shareconomy zeigt, welche Kraft eine einfache Idee entwickeln kann. Aber sie schafft neue Probleme. [Wer sich hier vertiefen möchte, dem empfehle ich Stefan Meretz‘ Thesen zur Shareconomy]

Gerade deshalb wäre es doch eine gute Sache, wenn – wieder ganz allgemein gesprochen – in Kirche und Diakonie die Idee des Miteinanderteilens als ein christliches Essentials wiederentdeckt, gepflegt und weiterentwickelt würde.

Und nun komme ich wieder zum Anfang: Die Beobachtung, dass der Aspekt des Miteinanderteilens in der Diakonie gar nicht vorkommt, stimmt nicht ganz. Zwei programmatische Diakonie-Reflexionen heben ihn sogar deutlich hervor – allerdings sind es zwei Papiere (witziger Weise heißen beide „Bratislava-Erklärung“), die hierzulande de facto bedeutungslos sind. In der Bratislava-Erklärung der Konferenz Europäischer Kirchen wird mehrfach auf den diakonischen Wert des Miteinanderteilens hingewiesen. Und die  Bratislava Declaration on Diaconia and Social Exclusion in the Central and Eastern European Region (siehe auch hier im Blog) sieht in der Entwicklung einer Kultur des Teilens sogar eine von fünf zentralen Aufgaben der Diakonie:

“Diaconia works to: […] create a culture based on sharing, respect for diversity and participation […].“

tl;dr
Der gegenwärtige Sharing-Trend ist ambivalent, aber durchaus inspirierend, den christlichen Wert des Miteinanderteilens wieder zu entdecken und stärker in den Blick zu rücken. Denn Miteinanderteilen bedeutet nicht nur Ressourcenschonung oder Mangelausgleich, sondern bietet durch die gemeinschaftliche Kollaboration gerade auch Teilhabe-Möglichkeiten.

Der Diakonie-Workshop auf dem EKD-Zukunftsforum

Vom 15. bis 17. Mai tagte das EKD-Zukunftsforum in Wuppertal und dem halben Ruhrgebiet. Es richtete sich an die mittlere kirchliche Leitungsebene (also die Superintendent/innen). Es war ein Beitrag zur Vorbereitung des Reformationsjubiläums 2017, sollte ein bisschen Incentive sein und außerdem wollte das EKD-Reformbüro auch gerne mal einen Kirchentag organisieren.

Zusammen mit Klaus-Joachim Börnke vom Diakonischen Werk Leverkusen, Stabstelle Gemeinde- und Gemeinwesendiakonie, und Cornelia Coenen-Marx vom EKD-Kirchenamt, habe ich einen der 28 Workshops am Freitag geleitet. Es war natürlich kein „Diakonie“-Workshop, wie es in der Blogüberschrift heißt, sondern ein „Kirchengemeinden & diakonische Einrichtungen“-Workshop.

Anstelle eines Recaps über das Zukunftsforum oder über unseren Workshop möchte ich einfach vier kleine Beobachtungen beisteuern, an denen ich hängengeblieben bin.

Der Gemeinwesendiakonie-Diskurs fördert den Gemeindediakonie-Diskurs

Der Workshop hatte seinen Ausgangspunkt bei der Gemeinwesendiakonie-Debatte. Deshalb wurde ich ja auch als Referent angefragt. Im Vorfeld haben wir dann den Workshop auf ein zentrales Thema der Gemeinwesendiakonie zugespitzt, nämlich der Kooperation von Kirchengemeinden und diakonischen Einrichtungen. Und das war eine gute Entscheidung, denn das Thema stieß auf Interesse.

Mir fällt aber eine grundsätzliche Sache auf: Die Debatte zur Gemeinwesendiakonie – egal wie intensiv und wie flächendeckend sie geführt wird – fördert erstmal die Debatte um Gemeindediakonie. Nicht alles, was sich Gemeinwesendiakonie nennt, ist es auch. Bei nicht wenigen Projekten, bei denen eine Gemeinwesenorientierung behauptet wird, gibt es de facto keine solche. Aber das muss auch gar nicht sein, es ist ja nur eine Debatten-Angebot. Dass diese Debatte dazu führt, dass Gemeinden ihre diakonischen Position um Gemeinwesen klären (das allein ist noch nichts Gemeinwesendiakonisches!), ist sehr gut.  Hervorragend sogar.

Nach dem echten Alleinstellungsmerkmal in der Gemeindediakonie suchen!

Bleiben wir bei Thema Gemeindediakonie. Ich habe in den letzten Jahren zunehmend von tollen diakonische Ideen und Initiativen in Gemeinden gehört. Wer Lust hat, diakonisch gestalterisch tätig zu werden, kann hier wirklich einiges machen. Was mich dann aber immer wieder überrascht, ist, dass sich die Gemeindediakonie oft an der Einrichtungsdiakonie („Unternehmensdiakonie“, „organisierte Diakonie“ etc.) abarbeitet – und sich dann selbst als defizitär erlebt. Um es einmal ganz klar zu sagen: An Refinanzierungen oder sozialberufliche Fachstandards, wie sie in der Einrichtungsdiakonie üblich sind, kommt die Gemeindediakonie nicht heran. Punkt. Deshalb darf man das aber auch gerade nicht vergleichen! Die Gemeindediakonie muss viel selbstbewusster ihre möglichen Alleinstellungsmerkmale ausspielen. Okay, dazu muss man sie natürlich erst einmal kennen.

Welches Alleinstellungsmerkmal bieten gemeindediakonische Initiativen und Projekte? Jetzt bitte nicht sagen, dass in der Gemeinde alles empathischer, näher, wärmer oder zuwendender (kurz: nächstenliebenderer) sei. Das ist Quatsch. Das Besondere an der Gemeindediakonie ist auch nicht das ehrenamtliche Element. Denn wenn man das betont, begibt man sich schnell wieder auf die schiefe Ebene der Abgrenzung zur „hauptamtlichen“ Einrichtungsdiakonie – und definiert sich schon wieder über bzw. gegen diese.

Das, was die Gemeindediakonie meines Erachtens wirklich ausmacht, ist ihre (potenzielle) Subversivität. Kirchengemeinden sind (mit einigen landeskirchlichen Unterschieden) unglaublich autonom. Kirchengemeinden können machen was sie wollen – zumindest in einem gewissen Rahmen. Und dieser Rahmen ist viel größer, als es den meisten Kirchenvorstehern bewusst ist (das ist zumindest meine Beobachtung). Gemeinden können anbieten, wozu anderen Organisationen der Mut fehlt. Sie sind schließlich nicht von Fördermitteln abhängig.

Doch wenn ich ehrlich bin, fällt mir beim Stichwort „Subversivität in der Kirchengemeinde“ nur das mancherorts wirklich mutige Auftreten in Sachen Kirchenasyl ein. Aber sonst? Die Gemeindediakonie sollte eine subversive Diakonie sein. Denn genau das ist ihr Alleinstellungsmerkmal.

„Nicht Häuser erhalten, sondern füllen!“

Kommen wir nun – leider – zu einem recht unsubverisven Thema: die kirchliche Gebäudenutzung. „Nicht Häuser erhalten, sondern füllen!“ Das sagte eine Teilnehmerin und mir gefiel diese Parole. Der Hintergrund ist altbekannt. Es ging darum, dass bestimmte diakonische Angebote nur nach hartem Kampf (oder gar nicht) im Gemeindehaus (bzw. in der Kirche) gemacht werden können, weil die Kerntruppe, die sich im Gemeindehaus eingerichtet hat, das Haus und die Einrichtung verteidigt, als wäre es ihr Eigentum. Ja, leider immer wieder ein Dauerbrenner. Im weiteren Verlauf wurde noch einmal darauf hingewiesen, dass sämtliche gemeindliche Ressourcen (von den Häusern bis zur Bestuhlung) aus Kirchensteuermitteln stammen und sie damit im Grunde allen Kirchenmitgliedern gehören.

Mir fiel wieder ein, dass das Wort „Parochie“ eigentlich Aufenthalt in der Fremde ohne Bürgerrechte (!) bedeutet. Man hat Gastrecht, aber kein Heimrecht. Das Grundthema der Gemeinde müsste daher Gastfreundschaft sein – und nicht Beheimatung. Gemeindehäuser – oder überhaupt kirchliche Häuser – sollten nicht heimelich gemacht werden sondern gastfreundlich. Und das bedeutet: multifunktional, barrierefrei, zielgruppenübergreifend (im besten Falle zielgruppenverbindend, aber wir wollen ja nicht gleich mit dem schwierigsten anfangen…).

Vielleicht sollte man eine Art Nichtbelegungsabgabe einführen: Für jede Stunde Leerstand eines Gemeindehauses muss die Gemeinde eine Zwangsabgabe an die Landeskirche zahlen. Das Geld kommt dann den Gemeinden zugute, die Geld für innovative Nutzungsformen benötigen.

„Das Ganze mal systemisch betrachten!“

Ein letzter Gedanke, etwas ganz anderes: Ein weiteres Statement, an dem ich hängengeblieben bin, war der Hinweis, dass man das Verhältnis von Kirche und Diakonie (im weitesten Sinne) systemisch betrachten müsste. Stimmt. In der Diskussion war damit eine ganzheitliche Sicht gemeint (was jetzt noch nicht sehr spannend ist), aber das löste bei mir folgende Frage aus (die ich durchaus sehr spannend finde):

Warum nutzt man in der Kirche nicht viel stärker System-Aufstellungen? Warum stellt man Gebäudenutzungen, kirchlich-diakonische Verhältnisbestimmungen, Alleinstellunsgmerkmale, Konflikte, Ideen und Inspirationen nicht auf? In vielen Bereichen gehören System-Aufstellungen zum Standard, in der Kirche nicht. Stattdessen clustern wir in der Gemeindeberatung immer noch Moderatorenkärtchen, bitte!

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Hintergründe von bestimmten systemischen Schulen/Traditionen durchaus mit christlicher Theologie vereinbar sind. Und ich kenne da eine gute Systemaufstellerin mit theologischem Background. Wer etwas damit anfangen kann: Anfragen gerne an mich!

 

Diakonie als Übungsweg?

Der christliche Glaube ist in erster Linie eine Transformationspraxis. Und Praxis braucht Übung. Auch wenn Martin Luther betont hat, dass das Leben „nicht ein Sein, sondern ein Werden, nicht eine Ruhe, sondern eine Übung“ sei, ist der Protestantismus wohl auch nicht ganz unschuldig daran, dass christlichen Übungswegen oft wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Das ändert sich in den letzten Jahren (Gott sei Dank!) wieder, gerade auch im evangelischen Bereich.

28WegeDie beiden Leiter der spirituellen Zentren St. Martin (München) und Eckstein (Nürnberg) in der Bayerischen Landeskirche, Andreas Ebert und Oliver Behrendt, haben ein schönes Büchlein herausgegeben, in dem sie einen Überblick christlicher Übungswege bieten: Christsein üben. 28 Wege spiritueller Praxis. Die Auswahl ist breit, jeder Übungsweg wird auf maximal fünf Seiten kurz skizziert. Man kann blättern und stöbern und entdeckt vielleicht etwas, das man vertiefen möchte. Das Inhaltsverzeichnis kann auch über die Nationalbibliothek eingesehen werden (PDF).

Fasten, Pilgern oder Herzensgebet sind fraglos Übungswege. Trifft das auf die Diakonie ebenso zu? Ja und Nein, ist mein Fazit. Diese Ambivalenz zeigt sich auch schon in dem Titel des Artikels, den der Diakonie-Präsident Bayerns, Michael Bammessel, beigesteuert hat: „Die spirituelle Dimension diakonischen Engagements“.

Michael Bammessel beginnt seine Ausführungen mit der Erzählung von Christopherus: Christopherus ist groß und stark und will einem mächtigen Herren dienen. Er trifft auf einen Einsiedler, der ihm rät, Gott zu dienen. Dazu wären zwei Übungswege erforderlich: Fasten und Gebet. Beides passt nicht so recht zu Christopherus und da schlägt der Einsiedler ihm vor, stattdessen doch Reisende durch eine große Furt zu tragen. Christopherus bekommt also quasi eine diakonische Aufgabe, die er annimmt. Einige Jahre später kommt es dann zu der legendären Christusbegegnung, als er auf einmal in einem Kind, das er auf dem Rücken über den Fluss trägt, Christus erkennt.

„Diese lebenswahre Geschichte hat einen seelsorgerlichen Zug: Nicht jeder spirituelle Übungsweg muss für jeden Menschen geeignet sein. Die überraschende Botschaft: Auch die ganz praktisch ausgeübte Nächstenliebe kann zu einer unvermutet intensiven Gotteserfahrung führen, und zwar gerade dann, wenn die Hilfe ohne weitergehende Absichten gegeben wurde und die religiöse Dimension gar nicht im Blick war“ (S. 44).

Gottes- und Nächstenliebe, spirituelle Übung und tätiges Engagement, sind miteinander verflochten. Darauf möchte Michael Bammessel hinaus, und da kann man natürlich nur zustimmen. Ich möchte an dieser Stelle zwei Arten der Beziehung unterscheiden:

  • Die Wechselwirkung von spiritueller Übung und diakonischem Engagement: Das Eine führt zum Anderen (nicht ganz, etwas besser gesagt: das Eine kann zum Anderen führen, muss es aber nicht zwingend).
  • Die Balance von spiritueller Übung und diakonischem Engagement: Das Eine braucht das Andere (jedenfalls dann, wenn das Eine in hoher Intensität ausgeführt wird).

Wenn man dies so sieht, dann wird man diakonisches Engagement nur schwer als spirituellen Übungsweg verstehen können. Denn dann ist „Diakonie“ die (Neben-)Bedingung oder die (Neben-)Wirkung eines anderen Übungsweges wie Gebet, Kontemplation, Meditation.

Man kann aber auch aus aus der Erkenntnis, dass sich in diakonischem Engagement eine Christusbegegnung einstellen kann (kann!), eine Übung machen. Selbst wenn ich diese Erfahrung nicht mache, kann ich so tun, als ob mir Christus gegenübersteht:

„In jedem Menschen, dem wir Beistand leisten, ist in geheimnisvoller Weise Christus selbst gegenwärtig. Er ist durch seine Passion, also seinen eigenen Leidensweg, eins geworden mit den Leidenden aller Zeiten. Dieses Wissen gibt jedem diakonischen Engagement eine spirituelle Tiefendimension. Wer es lernt, im anderen Menschen Christus selbst zu sehen, der handelt anders“ (S. 45).

Das wäre dann der diakonische Übungsweg. Absichtslos eine Aufgabe ausführen – ohne eine religiöse Aufladung, ohne die Erwartung, dass etwas „Spirituelles“ dabei passiert – aber in der Haltung, dass der Mensch mir gegenüber Christus ist.

Das Lesen dieses Artikels hatte für mich noch einen weiteren Nebeneffekt, nämlich die Figur des Christopherus stärker in mein diakonisches Blickfeld zu rücken. Ich muss zugeben, dass mir Christopherus als eine diakonische Leitfigur bisher gar nicht so im Sinn war. Leider. Denn es ist eine gute und vor allem sehr passende Geschichte: Auf der Suche sein, was man Sinnvolles tun kann (welchem Herren man dienen will). Eine konkrete Aufgabe ausführen und damit von Nutzen sein. Keine weiteren Absichten damit verbinden. Punkt. Und das Christliche daran? Nun, ob Christopherus religiös war oder nicht, spielt keine tragende Rolle und sein Fährmanndienst zu Fuß kann wohl kaum als religiöse Tat dargestellt werden. Eines Tages begegnet ihm im Anderen Christus, aber völlig unerwartet. All das trifft den Kern diakonischen Engagement (bzw. die Lebenswirklichkeit von Diakonie-Mitarbeitenden) doch wesentlich besser als das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Oder?

P.S.: Während ich dies tippe, sitze ich im Zug nach München, um an dem Symposium zum Herzensgebet (PDF) teilzunehmen, das von den beiden Herausgebern dieses lohnenden Büchleins veranstaltet wird.

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Diakonisches Engagement und spirituelle Übung sind eng miteinander verbunden. Diakonische Praxis und geistliche Übung brauchen einander. Man kann aus den Erfahrungen diakonischen Engagements auch eine christliche Übung ableiten: Christus im Anderen sehen (wollen).

Andreas Ebert/Oliver Behrendt (Hg.): Christsein üben. 28 Wege spiritueller Praxis, München 2012. 14,80 Euro. Darin: Michael Bammessel: Die spirituelle Dimension diakonischen Engagements, S. 44-48.

Diakonische Paradoxien

Wer sich mit professionellem sozialem Handeln beschäftigt, landet über kurz oder lang bei den Debatten um Professionstheorien und Professionalisierungsansätzen. Und dort gibt es ein Phänomen, das man „Paradoxien professionellen (sozialen) Handelns“ nennt. Klingt kompliziert, die Literatur dazu ist es in der Regel auch, aber der Grundgedanke ist einfach: Beim Handeln kommt man immer wieder an einen Punkt, wo man sich in Schwierigkeiten verfängt, die nicht nur „Probleme“ oder „Herausforderungen“ sind, sondern die letztlich unlösbar bleiben. Deshalb Paradoxien. Sie entstehen dadurch, dass zwei sich widersprechende normative Handlungsanweisungen gleichzeitig gültig sind.

Man kann solche Paradoxien nicht wegmachen, man kann sie sich nur klarmachen. Und dabei versuchen, mit ihnen klarzukommen. Wenn das gelingt, ist das viel wert. Ich finde dies ein wichtiges Thema und frage mich schon seit längerer Zeit, ob es nicht spezielle diakonische Paradoxien gibt – also Widersprüche, die gerade dadurch entstehen, dass sich das soziale Handeln in einem normativ-christlichen Kontext vollzieht.

Wichtig ist dabei noch eins: Es geht nicht darum, das Handeln komplizierter oder intellektueller zu machen (der Begriff „Paradoxie“ könnte dies suggierieren), sondern klarer. Ich habe drei solcher Paradoxien diakonischen Handelns gefunden. Hier sind sie.

„Diakonischer Imperativ“ versus „Rosinenpicken“

Klaus Dörner hat vor etlichen Jahren einen „Imperativ“ für das Handeln im sozialen Bereich vorgeschlagen: „Handle in deinem Verantwortungsbereich so, dass du mit dem Einsatz all deiner Ressourcen an Zeit, Kraft, Manpower, Aufmerksamkeit, Liebe immer beim jeweils Letzten beginnst, bei dem es sich am wenigsten lohnt“ (Diakonie-Jahrbuch 2003, S. 156). Dörner hat selbst darauf hingewiesen, dass dies keine dauerhaft durchzuhaltende Handlungsanweisung sein kann – aber gerade in der Diakonie ist es ein guter Impuls, damit „die Letzten (die Chancenlosesten) […] nicht als irrationaler Rest, als Konzentration der Unerträglichkeit übrig bleiben“.

Das Gegenteil ist das „Rosinenpicken“: Man steckt seine Energie dahinein, wo es sich am meisten lohnt, was am erfolgsversprechendsten ist. Auf der konkreten Handlungsebene bedeutet das, dass man vor allem mit Klienten arbeitet, bei denen man weiß, dass die Arbeit gut von der Hand geht und wo am Ende auch etwas „herauskommt“. Auch wenn diakonische Arbeit ein eher ambivalentes Verhältnis zum Thema „Erfolg“ hat, ist für die Mitarbeitenden eben genau das wichtig: zu erleben, erfolgreich zu sein. Sonst entwickelt sich in der diakonischen Arbeit ein depressives Syndrom. Deshalb sind Rosinen wichtig. Auf der Organisationsebene zeigt sich diese Paradoxie bei der Aufrechterhaltung des laufenden Betriebs, vor allem vor dem Hintergrund der Refinanzierung.

„Diakonisch sehen lernen“ versus „Entdiakonisierung der Wahrnehmung“

Diakonische Arbeit setzt eine gute Wahrnehmung voraus. Nicht umsonst geht es in der Ausbildung im sozialen Bereich immer wieder darum, „sehen“ zu lernen: Bedarfe, Bedürftigkeiten, Nöte, Stigmatisierungen, Diskriminierungen. Es geht also darum, sich einen „diakonischen Blick“ anzutrainieren, diakonisch sehen zu lernen.

Und genau das kann gleichzeitig ein grundlegendes Problem sein: Um so stärker Menschen als „Diakonie-Fälle“ betrachtet werden, desto stärker werden sie stigmatisiert. Ein einfaches Beispiel macht dies deutlich: In vielen engagierten Gemeinden kommen Menschen mit Marginalisierungserfahrungen ausschließlich als diakonisch Bedürftige vor. Tauchen diese Menschen in einer Gemeinde auf, wird ihnen sogleich „geholfen“ – eine größere Diskriminierung ist kaum vorstellbar. Ulf Liedke hat daher die Formulierung von der Entdiakonisierung der Wahrnehmung geprägt.

„absichtsloses Handeln“ versus „absichtsvolles Handeln“

Diakonisches Handeln ist zweckfrei. Diakonie ist „aufrichtige Uneigenützigkeit“ (Heinrich Pompey/Paul-Stefan Roß 1998). Die Versuchung der Diakonie besteht darin, neben dem Helfen noch weitere, eigene Intentionen zu verfolgen – und gerade nicht in ihrer Absichtslosigkeit (Paolo Ricca 1992). Neben der Zuwendung und Unterstützung sollte also keine weitere hidden agenda bestehen. Diakonie ist zum Beispiel nicht dazu da, eine Arena zu haben, um zu zeigen, wie wichtig Kirche ist (oder Ähnliches). Diakonie ist um derer Willen da, die sie in Anspruch nehmen. Punkt.

Und doch kommt diakonisches Handeln nicht aus, ohne selbst etwas zu wollen. Gerade wenn diakonisches Handeln als ein christliches Handeln verstanden werden will, hat es eine Absicht, die über die konkrete Aufgabe hinausgeht. Diakonie will – je nach Arbeitsfeld und Kontext – ermächtigen, heilen, befreien, versöhnen, verbinden. Ein Klient oder Kunde will vielleicht einfach nur eine gute Versorgung oder Beratung (das ist sein gutes Recht!), aber Diakonie wird dann zur Diakonie, wenn da mehr wirkt, als die bloße Leistungserbringung.

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Wenn zwei gegensätzliche, aber gleichzeitig wirksame Handlungsanweisungen aneinander stoßen, spricht man von Paradoxien. Es gibt Handlungsparadoxien, die auf den christlich-normativen Kontext der Diakonie zurückzuführen sind.

Diakonie operationalisieren

Welche Kriterien müssen eigentlich erfüllt sein, damit Diakonie Diakonie ist? Eine spannende Frage, hinter der sich eine noch grundsätzlichere Frage verbirgt: Kann man Diakonie überhaupt operationalisieren?

Um es kurz zu machen: nein, kann man nicht. Das liegt einfach daran, dass es keine „harte“ Diakonie-Theorie gibt, von der aus man deduzieren könnte. Trotzdem ist die Frage natürlich wichtig und berechtigt, unter welchen Voraussetzungen Diakonie nun auch „wirklich“ als „diakonisch“ gelten kann. Strukturell gesehen ist das noch recht einfach: Wenn eine Einrichtung Mitglied im entsprechenden Landesverband (oder auch im Bundesverband) ist, dann ist sie formaljuristisch „diakonisch“. Interessanter ist natürlich eine inhaltliche Antwort auf diese Frage. Mit einem etwas anderen Akzent – aber mit dem gleichen Grundanliegen – kann man auch fragen, wann eine Einrichtung „christlich“ ist. Und das gilt natürlich ebenso für die Caritas.

Vor zwei Jahren haben Diakonie und Caritas die „Rahmenbedingungen einer christlichen Unternehmenskultur in Caritas und Diakonie“ veröffentlicht. Darin werden die Qualitätsanforderungen zur „Herausstellung des christlichen Identitätsprofils eines Trägers und seiner Einrichtung“ beschrieben:

„Die Rahmenbedingungen einer christlichen Unternehmenskultur beschreiben das spezifisch christliche beziehungsweise kirchliche Profil eines Trägers und seiner Einrichtungen und unterstützen bei der Weiterentwicklung einer christlichen Unternehmenskultur.“ (Diakonie-Fachinformationsdienst vom 18.07.2011)

Der Leitfaden (PDF) und die Audit-Checkliste (PDF) können auf der Seite des Diakonie-Fachinformationsdienstes kostenlos heruntergeladen werden. Inhaltlich entsprechen sie sich natürlich, deshalb sollte man sich gleich der Checkliste zuwenden. Hier sind die einzelnen Qualitätsanforderungen als kurze Statements formuliert, inklusive Kästchen zum Ankreuzen in altbewährter ja-nein-vielleicht-Manier.

Ich mag solche Ansätze. Ich meine jetzt nicht Audits, sondern die Versuche, konkret auf den Punkt zu bringen, worum es inhaltlich geht. Um sich dann auch tatsächlich der schwierigen Frage auszusetzen, ob die Praxis dieser Anforderung standhält.

Wer sich mit der Frage nach dem diakonischen Profil schon einmal beschäftigt hat, wird in der Checkliste nichts aufregend Neues finden – aber darum geht es ja auch nicht. Viele wichtige Aspekte werden benannt, auch wenn das Ganze sprachlich schon recht hölzern daher kommt. Doch bei aller grundsätzlichen Zustimmung finde ich eine Sache etwas schwierig – oder vielleicht sollte ich eher sagen: etwas schade. Denn der konkreten inhaltlichen Frage, was denn nun „diakonisch“ ist oder nicht, kommen auch Leitfaden und Checkliste nicht wirklich viel näher.

Das sollte man sich einmal an einem konkreten Beispiel anschauen: Im Abschnitt 2.1 wird gefragt: „Ist die Gestaltung der Räume, insbesondere der Wohnräume der Kund(inn)en, an den christlichen Werten orientiert und zielt darauf ab, ein wohnliches Ambiente und eine angenehme Atmosphäre zu schaffen?“Ja, was heißt das denn nun? Würde es christlichen Werten entsprechen, wenn nur Naturmaterialen verwendet wurden (Bewahrung der Schöpfung, you know)? Wenn es viel Platz und Freiraum gibt – oder doch eher eine heimelig-enge Gemütlichkeit? Haben Kawohl-Poster eine höhere christliche Wertigkeit als ästhetisch ansprechende Bilder eines säkularen Verlages? Schwierige Fragen. Und ich meine diese Fragen wirklich ernst. Um welche „christlichen Werte“ geht es und wie schlagen sich diese konkret in der Ästhetik nieder? Ästhetik und Raumgestaltung sind in der Tat sehr wichtige Faktoren – gerade auch für christliches Profil! Nur wie beschreibe und operationalisiere ich dies angemessen? Hier helfen die „Rahmenbedingen“ dann doch nicht weiter. Und so ich habe den Verdacht, dass de facto wohl alles, was irgendwie ordentlich, freundlich, sauber und nett aussieht, als an christlichen Werten orientiert interpretiert werden kann.

Die Bezugnahme auf „christliche Werte“ taucht öfter auf. Doch so gängig dieser Begriff ist, er ist und bleibt unkonkret. In den „Rahmenbedingungen“ werden die „christlichen Werte“ gerade nicht expliziert, es gibt keine Aussagen dazu, was sie substanziell bedeuten. Die „Rahmenbedingungen“ bedienen sich stattdessen eines kleinen Tricks: Die Audit-Checkliste beginnt mit der Frage, ob im Leitbild der Einrichtung „christliche Grundsätze und Wertvorstellungen“ beschrieben werden. Wenn dann im Folgenden von christlichen Werten die Rede ist, geht es also immer um die Werte, die in dem jeweiligen Leitbild genannt sind. Die Einrichtung wird also an dem eigenen Maßstab gemessen – das ist natürlich gut! – aber damit kann im Grunde alles als „christlicher Wert“ gelten, wenn es der Träger in seinem Leitbild eben so definiert hat, von „missionarisch“ bis „humanistisch“ (um einmal zwei ideologische Schlagwörter zu gebrauchen).

Trotzdem finde ich es gut, der Profil-Frage nach zu gehen, in dem man nach konkreten Operationalisierungen sucht. Wohlwissend, dass es eine „richtige“ Operationalsierung des Diakonischen nicht gibt. Aber der Versuch, diakonische Essentials so konkret wie möglich zu formulieren, ist durchaus lohnend. Vor einigen Jahren haben Lars Charbonnier und ich eine Checkliste (oder genauer gesagt: einen „Test“) für den Einsatz in Seminaren entwickelt, mit dem Mitarbeitende ihre Arbeit beurteilen sollen – unter der Frage, ob auch Diakonie drin ist, wo Diakonie drauf steht.

Der Fokus ist ein ganz anderer als bei den „Rahmenbedingungen einer christlichen Unternehmenskultur“: Die Mitarbeitenden bewerten ihre eigene Arbeit aus subjektiver Sicht – und nicht ein Auditor eine Organisation. Und es gibt nachher auch kein „hop“ oder „top“ wie bei einer Zertifizierung, sondern es geht ausschließlich um den Bildungsgewinn, wenn man gemeinsam im Seminar über die Frage nach dem „Diakonischen“ streitet. Der „Test“ wurde in etlichen Semninaren eingesetzt und kam in der Regel gut an. Damit meine ich nicht, dass die inhaltlichen Aussagen, die unserem Vorschlag zugrunde liegen, durchweg positiv beurteilt wurden, sondern dass der „Test“ immer eine engagierte Diskussion ausgelöst hat. Gerade auch, weil wir mit den einzelnen Items ja durchblicken lassen, was wir unter „diakonisch“ verstehen – und wir nichts gegen Widerspruch oder Bessermachen haben!

Solche Operationalisierungen beruhen letztlich immer auf subjektivem Geschmack – davon können und wollen wir uns überhaupt nicht frei machen. Aber wir werfen einfach einen Vorschlag in den Ring, um zügig in die inhaltlich Diskussion einsteigen zu können. Für die Auswertung hat sich folgendes Verfahren bewährt: Jeder Teilnehmer kreuzt die entsprechende Zustimmung oder Ablehnung an. Dann

  • können Punkte vergeben (0 = trifft nicht zu, 1 = trifft eher nicht zu , 2 = trifft eher zu, 3 = trifft zu) und die Frage diskutiert werden, ob es einen „Mindest-Score“ geben muss, um „diakonisch“ zu sein;
  • kann diskutiert werden, welche Items wichtiger oder weniger wichtig sind;
  • können neue, eigene, bessere Items gesucht und ergänzt oder ausgetauscht werden.

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Eine Operationalisierung des inhaltlichen Kerns der Diakonie ist nicht möglich. Aber trotzdem ist es sinnvoll, sich der Anstrengung zu unterziehen, es zu versuchen. Das ist eine gute Klärungsarbeit, durchaus mit einem Bildungsgewinn.

Anstalt reloaded

Vor zwei Jahren hatte ich hier etwas zur geänderten Ausrichtung von Bethel gebloggt: Die Zeit der Anstalt sei endgültig vorbei, Bethel sei kein Modell mehr für eine diakonische Ortschaft. Man wolle keine Orte mehr gestalten, sondern Lebensräume. Ich hatte mich damals schon gefragt, wann der Backlash kommt. Aber der ist längst da: Die Anstalt ist zurück. Und auch wenn es bisher nur Modellprojekte sind, die Idee einer „Anstalt reloaded“ wird uns in den kommenden Jahren wohl noch sehr intensiv beschäftigen.

Es geht um die Idee eines Demenz-Dorfes, das etliche Aspekte der diakonischen Anstalt mit ihrem Ortschaftscharakter wieder aufleben lässt. Auf das Modellprojekt des niederländischen Demenz-Dorfes Hogewey bin ich auf dem Alzheimerblog gestoßen (wer es nachlesen will, den empfehle ich in chronologischer  Reihenfolge die dortigen Blogartikel vom 16.09.2010, 15.03.2012 und 25.01.2013). Heute ist in der Onlineausgabe der westfälischen Kirchenzeitung „Unsere Kirche“ ein Artikel erschienen, der zudem auf ein ähnliches Projekt in diakonischer Trägerschaft hinweist.

Aber der Reihe nach. Was verbirgt sich hinter dem Konzept eines Demenz-Dorfes? Die ZEIT und SPIEGELonline haben bereits vor einiger Zeit darüber berichtet:

„Am Rande der Kleinstadt Weesp im Süden Amsterdams wohnen 152 Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, ihren Alltag selbstständig zu bewältigen. Doch wenn Henk de Rooy im Supermarkt einkauft, erscheint es ihm, als würde er genau dies noch immer schaffen. Um Pflegebedürftige nicht vollständig aus ihren gewohnten Lebensmustern herauszureißen, schafft man ihnen in Hogewey ein möglichst vertrautes Umfeld – und simuliert dafür auf mehr als 15.000 Quadratmetern rund um die Uhr den ganz normalen Alltag.[…] Gleich hinter dem Eingangsbereich Hogeweys beginnt heute eine beschauliche Parallelwelt, die dem Leben außerhalb des Pflegezentrums bis ins Detail nachempfunden ist.“ (ZEIT)

„Die insgesamt 152 Bewohner leben jeweils zu sechst in Häusern, die eine nach außen abgeschlossene Siedlung bilden. Sieben verschiedene Einrichtungsstile gibt es, sie entsprechen den Lebenswelten der Menschen in den Niederlanden, ermittelt hat sie ein Meinungsforschungsinstitut: rustikal, urban, christlich, wohlhabend, indonesisch, kulturell-versiert, häuslich. Hogewey ist eine geschrumpfte holländische Stadt.“ (SPIEGELonline)

Und auf YouTube findet man einige kurze Videos über Hogewey.

Das erste Projekt in Deutschland, das die Hogewey-Idee übernimmt, wird im rheinland-pfälzischen Alzey von dem Projektentwickler Bennewitz & Georgi geplant, nachzulesen in der Allgemeinen Zeitung, der Alzeyer Lokalzeitung (03.03.201226.04.2012, 27.04.2012, 27.06.2012). Fachlich ruft das Vorhaben durchaus Kritik hervor. Auf der Internetseite des Projektentwicklers findet man dazu einige Reaktionen.

Recherchiert man zu den Stichwörtern Hogewey oder Demenzdorf, stößt man immer wieder auf zwei Einwände, die sich auf die konkrete Gestaltung solcher Projekte beziehen: Wie steht es um die Fachkräftequote (siehe nochmal im Alzheimerblog!) und wie ist das Ganze finanzierbar, denn die niederländische Pflegeversicherung ist mit der deutschen nicht vergleichbar?

Daneben gibt es aber auch eine ganz grundsätzliche Kritik an Demenz-Dörfern. Für Alexander Künzel, dem Sprecher des SONG-Netzwerkes, ist das niederländische Demenz-Dorf

„zwar ein Fortschritt gegenüber traditionellen stationären Einrichtungen, aber hinsichtlich seiner ‚Käseglocken-Welt‘ doch auch wiederum hoch problematisch“ (CAREkonkret vom 23.03.2012, S. 2).

Ähnlich sieht es Reimer Gronemeyer, hier im Video von 3’24 bis 5’20:

Gerade unter diesen Gesichtpunkten ist es interessant, dass ein diakonischer Träger sich an dem niederländischen Vorbild orientiert. Laut dem erwähnten Bericht in „Unserer Kirche“ will die Graf-Recke-Stiftung eine Anlage in Hilden bei Düsseldorf bauen: „Auch die Düsseldorfer Graf-Recke-Stiftung, eine diakonische Einrichtung, plant in Hilden eine Siedlung nach dem Vorbild De Hogeweyk. Genehmigungsverfahren und Gespräche mit möglichen Investoren laufen noch“ (Unsere Kirche). Interessanter- oder merkwürdigerweise soll es sich dabei aber um eine geschlossene geronto-psychiatrische Einrichtung handeln, so die UK.

Ich muss zugeben, dass ich das Konzept eines solchen Demenz-Dorfes fachlich nicht beurteilen kann. Einem Ortschaftsgedanken stehe ich ja grundsätzlich positiv gegenüber. Das, was ich dann aber konkret in Erfahrung bringen konnte (Quellen siehe unten), macht mich sehr skeptisch. Es scheint weniger um eine eingebundene Ortschaft zu gehen, sondern um satelliten-ähnliche Gebilde, die Ähnlichkeiten mit dem aufweisen, wovon diakonische Träger sich in den letzten zehn Jahren vollmundig verbaschiedet haben: der Anstalt.

Andererseits: Wenn es stimmt, dass die Menschen dort glücklich sind, ist die Kritik dann nicht etwas zu akademisch? Ich weiß es nicht.

Quellen und weiterführende Hinweise

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Sie wird wiederkommen, die (diakonische) Anstalt – in veränderter Form, aber doch wiedererkennbar. Ob das gut oder schlecht ist, müssen wir diskutieren. Und das werden wir mit Sicherheit, denn die Frage nach angemessenen Wohn- und Unterbringungsformen wird eine der großen Debatten der kommenden Jahre in der Diakonie sein.

Eine Blaupause fürs diakonische Profil

Hoffnung_LebenVor kurzem ist die überarbeitete Neuauflage von Hoffnung leben – Evangelische Anstöße zur Qualitätsentwicklung erschienen. Herausgeber ist der evangelische Kita-Fachverband im Rheinland. Und bei den dort zu findenden Anstößen geht es logischer Weise um die Profilentwicklung in evangelischen Kindergärten.

Doch das Buch ist so gut, dass es nicht nur für Kita-Mitarbeiternde, -Leitungen und -Fachberater/innen interessant ist, sondern für alle, die sich mit diakonischem Profil beschäftigen. Man muss dann ein bisschen um die Ecke denken, aber das sollte ja eigentlich keine Schwierigkeit darstellen.

Das Buch beginnt mit einer biblisch-theologischen Grundorientierung. Es wird dargestellt, was die Bibel von Gott, vom Menschen, vom Zusammenleben und vom Sinn des Lebens erzählt. Dazu gibt es jeweils biblische Impulse, Anregungen zur Weiterarbeit und pädagogische Zuspitzungen. Das Ganze macht 30 Seiten aus und ist damit sowohl fundierter als auch konkreter als so manche andere diakonische Materialhilfe.

Der zweite Teil ist der Hauptteil des Buches, hier wird die konzeptionelle Grundlage für die Profilentwicklung gelegt. Diese besteht in „fünf Ebenen – vier Aspekten – acht Grundmerkmalen“. Auch wenn man jetzt noch nicht weiß, was sich dahinter genau verbirgt, wird zumindest schon klar: Hier wird sehr strukturiert vorgegangen. Um diese Struktur geht es mir, gleich mehr dazu.

Im dritten Kapitel bietet das Autoren-Team noch einen weiteren Reflexionsschritt. Religiöse Erziehung/Bildung kann sich in verschiedenen Gestaltformen zeigen. Kunst, Raum, Zeit, Beziehungen, Körper/Sinne, Feste/Rituale, Erzählen, Stille/Gebet werden hier genannt und noch einmal konkretisiert.

Zurück zum Hauptteil des Buches mit den Ebenen, Aspekten und Merkmalen. Folgendes ist damit gemeint:

  • Die Ebenen: Hier geht es um fünf verschiedene Handlungssebenen: (1) die der Kinder untereinander, (2) die der Kooperation mit den Eltern, (3) die Ebene der Mitarbeitenden untereienander, (4) die Träger-Ebene und schließlich (5) die Ebene der Gesellschaft.
  • Die Aspekte: Aspekte beschreiben den“Sitz im Leben“ des Inhaltlich-Religiösen: (1) die religiöse Dimension in der Erziehung, (2) die Begegnung mit christlichen Inhalten, (3) die Kooperation von Kirchenegmeinde und Kita und (4) das interreligiöse Miteinander.
  • Die Grundmerkmale: Grundmerkmale sind die theologischen Essentials, die in dem Arbeistfeld eine besondere Relevanz haben. Während die theologische Grundorientierung im ersten Kapitel biblisch-theologisch angelegt war, stellen die Grundmerkmale quasi den systematisch-theologischem Kern dar. Für das Arbeitsfeld der Kitas nennen die Autoren acht solcher Essentials/Grundmerkmale: (1) Grundvertrauen, (2) Selbständigkeit, (3) Verantwortungsbewusstsein, (4) Grenzen, Schuld, Vergebung, (5) Neugier, (6) Sinn für Geheimnisvolles, (7) Phantasie und Kreativität und (8) Hoffnung.

Und jetzt beginnt das mühsame, aber lohnende Geschäft. In der Handreichung wird nun Ebene für Ebene, Aspekt für Aspekt, Merkmal für Merkmal durchgegangen. Mitgerechnet? Richtig, 160 (5 x 4 x 8) „Qualitätsfragen“ werden formuliert und mit jeweils ein, zwei Beispielantworten ergänzt.

Genau dieses Vorgehen gefällt mir – und es ist auf andere diakonische Arbeitsfelder übertragbar. Diese Struktur kann daher durchaus als eine Profil-Blaupause für andere Handlungsfelder dienen – nicht in den Inhalten, aber in der Herangehensweise. Dreierlei muss dann geklärt werden (ich weiche etwas von den verwendeten Begrifflichkeiten ab):

  • Die verschiedenen Bezugsebenen des Handelns: Das geht recht schnell, weil diese sich in den einzelnen Arbeitsfeldern mehr oder weniger von selbst ergeben.
  • Die religiösen Anschlussstellen: Diese sind in den verschiedenen Handlungsfeldern sehr unterschiedlich. Hier muss man schon mehr Reflexionsanstrengung hineinstecken, vielleicht zeigt sich nachher auch, dass manche Aspekte eher schwierig oder auch nicht angemessen sind. An dieser Stelle muss man vielleicht auch einfach eingestehen, dass dies bei Kitas verhältnismäßig einfach ist.
  • Die spirituellen Grundthemen oder -dynamiken des Arbeitsfeldes: Auch das ist nicht ganz so leicht, hier bedarf es solider Erfahrungen des Feldes. Die Kunst – ich sage es immer und immer wieder! – liegt darin, dass diese Essentials gleichermaßen eine „theologische“ wie „fachliche“ Würde habe. Für die theologische Durchdringungen könnten die folgenden beiden Bücher hilfreich sein: Krockauer/Bohlen/Lehner (Hg.): Theologie und Soziale Arbeit, München 2006 (Teil C) und meine Dissertation (Abschnitt 10.3).

Nach dieser Vorarbeit setzt dann die eigentliche Arbeit ein: Alles gegenseitig aufeinander beziehen und sich immer fragen: Was leitet sich hieraus konkret für das diakonische (bzw. christliche) Profil des Handlungsfeldes ab? Für mich ist „Hoffnung leben“ die beste Handreichung, die ich kenne, um diakonisches Profil zu entwickeln. Uneingeschränkte Kaufempfehlung – unabhängig vom Handlungsfeld!

Rheinischer Verband Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder e.V. (Hg.): Hoffnung leben. Evangelische Anstöße zur Qualitätsentwicklung, Moers 2013, 16,95€

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Auch wenn die konkreten Fragen und Beispiele nicht auf andere Handlungsfelder übertragbar sind, die Herangehensweise ist es: Die Handreichung „Hoffnung leben“ gehört daher auf jeden Profilentwickler-Schreibtisch.

 

Was ist Diakonie? (#11)

„Diakonie ist fad und langweilig.“ (11’45)

Dieser Satz ist aus einer Predigt von Michael Chalupka, Direktor der Diakonie Österreich. Und der Satz lässt natürlich aufhorchen. Um es vorweg zu nehmen: Michael Chalupka hat recht – mit dem, was er mit diesem Satz meint.

Im Grunde ist es ein ganz einfacher Gedanke: Diakonische Arbeitsfelder sind oft geprägt von Routinen, wiederkehrenden Abläufen und langweiligen Situationen. So ist das nun mal, eigentlich nicht der Rede wert.

Doch interessanter Weise kommt der Alltag diakonischen Handelns in den Reflexionen über diakonisches Profil kaum vor. Wenn man sich einen beliebigen Artikel vornimmt, der sich mit der Frage nach dem diakonischen Profil beschäftigt, findet man dort mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Aussagen dazu, dass das Profil der Diakonie vor allem darin liegt, wie dort mit den Grenzfälle des Lebens umgegangen wird. Mit Tod und Sterben. Mit ethischen Dilemma-Situationen, mit bioethischen Fragen. Und selbst wenn es nicht ganz so dramatisch ist, dann sind es doch immer die ganz besonderen existenziellen Lebensfragen, die in der Diakonie aufgegriffen und bearbeitet werden. Eben darin läge das diakonische Profil.

Natürlich soll die Diakonie hierzu Positionen haben. Aber besteht darin der Kern diakonischen Handelns? Sieht so der Alltag diakonischen Handelns aus? Geht es ständig um Existenzielles? Wohl kaum.

Und daher braucht, wer in der Diakonie arbeitet,  nicht nur Geduld und Langmut (die natürlich als here Tugenden gelten), sondern auch Langeweile-Resistenz, so Chalupka.

Michael Chalupka singt das Loblied der Langeweile. Und das mag ich, denn ich finde, dass auch ein diakonischer Alltag, der langweilig ist, zur Reflexion diakonischer Identität gehören darf. Gehören soll. Und man kann’s dann ja auch wieder positiv wenden: Langeweile ist auch heilsam und schöpferisch.

Hier noch das Video zu der Predigt (10’05 – 19’20).

Michael Chalupka ist auf Twitter unter @michaelchalupka unterwegs. Folgen lohnt!

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Diakonie ist langweilig. Nicht nur, aber durchaus in weiten Teilen. Das Nachdenken über diakonisches Profil sollte daher vor allem auch den Alltag diakonischen Handelns in den Blick nehmen.

Was ist Diakonie? (#10)

Im diakonischen Bereich wird oft erwähnt, dass die Diakonie zwei wichtige Funktionen erbringe, nämlich Dienstleistung und Anwaltschaft – also das Anbieten sozialer Dienstleistungen und das anwaltschaftliche Eintreten für die Rechte Marginalisierter. Doch beschreibt diese Doppelfunktion wirklich hinreichend das Spektrum diakonischen Handelns? Fehlt da nicht was?

Das Funktionen-Doppel von Dientsleistung und Anwaltschaft trifft es in meinen Augen nicht so richtig. Dabei geht es mir gar nicht darum, dass beide Funktionen gerne und oft kritisiert werden – das Erbringen diakonischer Dienstleistungen führt unweigerlich zu der Kritik, dass die Diakonie eh nur das tue, was sie bezahlt bekomme und der Anwaltschaftlichkeit wird vorgeworfen, dass sie vor allem Eigeninteressen des Trägers diene; zudem müsse man fragen, woher eigentlich das Mandat zum anwaltlichen Tätigsein komme, es handele sich viel eher um ein „angemaßtes Mandat“.

Ich finde an dieser Doppelfunktion vor allem schwierig, dass sie de facto zu einem Dualismus wird: einerseits gibt es da die durchökonomisierte Dienstleistungserbringung, andererseits das gesellschaftspolitische „anwaltschaftliche“ Engagement der Diakonie, das gern als die „eigentliche“ diakonische Aufgabe angesehen wird. Die Anwaltsfunktion wird so zu einer Chiffre für all das Gute, Wahre und Schöne der Diakonie – bleibt damit allerdings auch diffus. Die (gesellschafts-)politische Funktion der Diakonie ist aber breiter und facettenreicher, als es der Begriff „Anwaltschaftlichkeit“ hergibt.

Anwaltschaftlichkeit muss daher meines Erachtens präzisiert werden. Zum einen spreche ich lieber von Interessenvertretung, das kommt mit etwas weniger Pathos daher. Und zum anderen braucht es über das Eintreten für die Interessen bestimmter Gruppen hinaus auch noch eine gesamtgesellschaftliche Funktion: das Bemühen um eine solidarische und gerechte Gesellschaft im Ganzen. Daher gefällt mir auch die Trias gut, die die Caritas immer wieder nutzt, um ihr Selbstverständnis zu beschreiben: Dienstleister, Anwalt und Solidaritätsstifter.

Die Solidaritätsstiftung explizit als dritte Funktion zu bennen, finde ich sehr einleuchtend. Zum einen schon allein deshalb, weil Dreiermodelle grundsätzlich mehr Eleganz haben als Zweiermodelle (bzw. de facto-Dualismen). Zum anderen aber auch, weil es eben einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Anwaltschaftlichkeit/Interessenvertretung und Solidaritätsstiftung gibt. Er liegt in dem, worauf sich diese beiden Funktionen beziehen: Bei Anwaltschaft/Interessenvertretung geht es immer um die Durchsetzung von Partikularinteressen, bei der Solidaritätsstiftung um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Es sind zwei verschiedene Bezugspunkte.

Doch in meinen Augen fehlt da immer noch etwas. Es gibt es noch eine weitere, vierte Funktion, die bisher in der Reflexion über die Diakonie bisher kaum auftaucht: die Funktion des Gemeinschaftsbilders.

Der Begriff der Gemeinschaft ist manchmal etwas romantisch aufgeladen und gerade in kirchlichen und diakonischen Szenen hat er hin und wieder etwas merkwürdige Konnotationen – mir ist daher eigentlich der englische Begriff der Community etwas lieber, denn es geht um die ganze Breite dessen, was „Community“ sein kann: Gemeinschaften, Gemeinden, Gemeinwesen, aber auch Szenen oder Netze.

Die Funktion des Gemeinschaftsbilders / des Community-Buildings ist noch nicht durch die anderen drei Funktionen abgedeckt. Und in meinen Augen ist sie auch gerade für die Diakonie wesentlich. Die Diakonie hat eben auch die Funktion, zu verbinden und zu vernetzen, Sozialkapital aufzubauen und Zugehörigkeiten zu ermöglichen. Es geht um angemessene und gelingende Formen von Vergemeinschaftung, es geht darum, „Communities“ (mit) zu ermöglichen, (mit) zu pflegen, und (mit) zu entwickeln. Die Zugehörigkeiten zu „Communities“ und das Eingebundensein in ihnen ist eben nicht nur ein Mittel zum Zweck, sondern hat einen Wert in sich – sowohl für den Einzelnen, wie für die Gesellschaft im Ganzen.

Interessant finde ich, dass ich auf die Funktion des Communty-Buildungs ja bereits in der Bratislava-Erklärung gestoßen bin (…wenn ich es recht sehe, ist diese auf osteuropäischen Erfahrungen aufbauende Erklärung bei uns völlig unbekannt – was schade ist!). Und in einem Blogbeitrag von Brigitte Reiser habe ich den Hinweis auf eine etwas anders formulierte Funktionen-Trias von Nonprofitorganisationen gefunden, die ebenfalls die Community-Dimension als grundlegend ansieht. Auch in Reisers erweitertem Modell (sie führt Beteiligung/Partizipation als vierte Dimension ein), bleibt die Community-Funktion selbstverständlich bestehen.

Gerade für die Diakonie ist die Gemeinschaftsfunktion im Grunde nicht neu (man denke nur an die Anstalten, Häuser und Wohngruppen, an Kommunitäten, Basisgemeinschaften und diakonische Gemeinschaften, aber auch an das (zaghafte) Experimentieren mit Genossenschaften. Als das war schon immer nicht nur ein Mittel zum Zweck, sondern ein Grundanliegen der Diakonie, deshalb erstaunt es mich ein wenig, dass ein Community-Buildung bisher nicht als eigenständige Grundfunktion von Diakonie diskutiert wird.

Man könnte auch einmal darüber nachdenken, ob nicht gerade die konfessionellen Wohlfartsverbände ein besonderes Interesse an der Community-Funktion haben müssten. Zum einen ist das Christentum keine individuelle Erlösungsreligion, sondern eine auf Gemeinschaft angelegte Religion, und zum anderen ist die ganze Kirchen- und Diakoniegeschichte ja voll von Erfahrungen und Experimenten mit Sozialformen – erfolgreichen und gescheiterten.

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Diakonie ist nicht nur Dienstleister, Anwalt und (nicht zu vergessen!) Solidaritätsstifter, sondern auch Gemeinschaftsbilder.

Diakonisches Profil: Neues Dossier und einige Notizen

So, das dritte Dossier auf diakonisch.de ist online. Es dreht sich rund um das Thema „diakonisches Profil“. Dazu ist natürlich schon sehr viel publiziert worden, deshalb steht bei diesem Dossier eine qualitative Reduktion im Vordergrund. Es ist eine kleine, aber umso feinere Auswahl geworden. Damit man nicht alles lesen muss, sondern nur das Gute.

Zur Einstimmung hier noch vier Punkte, die mir bei der Beschäftigung mit dem Thema über die Jahre hinweg wichtig geworden sind. Wenn man diesen Ausführungen folgt, umgeht man die gängigsten Kurzschlüsse der Profil-Debatte (zumindest meiner Meinung nach…).

Diakonie ist nicht gleich Diakonie – diakonisches Profil ist immer kontextabhängig

Die verschiedenen diakonischen Akteure unterscheiden sich sehr deutlich. Ein regionales Diakonisches Werk auf Kirchenkreisebene und ein Krankenhaus eines diakonischen Trägers haben auf den ersten Blick – und auch noch auf den zweiten und dritten – nicht viel gemeinsam, wenn man einmal von der Tatsache absieht, dass beide formaljuristisch Mitglied der Diakonie sind. Von Kirchengemeinden und anderen diakonischen Akteuren ganz zu schwiegen. Doch nicht nur die Akteure in der Diakonie-Landschaft unterscheiden sich, auch die Arbeitsfelder sind von völlig verschiedenen Rahmenbedingungen und inhaltlichen Dynamiken geprägt.

Man kann nun nicht einfach für die verschiedenen Akteure und für die verschiedenen Bereiche ein allgemeingültiges diakonisches Profil formulieren. Es gibt kein diakonisches Profil an und für sich. Oder aber man bleibt äußerst allgemein und abstrakt, dann aber um den Preis, dass das diakonische Profil wenig Berührung zum diakonischen Alltag und zu den konkreten Tätigkeiten hat. Und genau das sollte vermieden werden!

Diakonie entsteht im Handeln und im Deuten. Diakonie ergibt sich nicht aus einer Diakonie-Theorie

Der erste Satz klingt vielleicht unspektakulär, führt aber zu der wichtigen Konsequenz, dass diakonisches Profil nicht aus einer Theorie „abgeleitet“ werden kann. Deduktion ist kaum möglich, oder treffender gesagt: wenig sinnvoll. Diakonische Identität gibt es nicht an und für sich. Erst im Tätigsein, in der Auseinandersetzung und der Vergewisserung kann sich das zeigen, was Diakonie ist. Für das diakonische Profil bedeutet dies: Es geht nicht um eine deduktive Profilableitung sondern um eine induktive Profilvergewisserung (vgl. H.-G. Ziebertz, Sozialarbeit und Diakonie, Weinheim 1993, 152). Diakonische Bildung hat daher nicht die Aufgabe, zuvor definierte Profilaussagen zu vermitteln, die dann im diakonischen Alltag nur noch umgesetzt werden müssten, sondern immer wieder neu zum Prozess eigener Profilvergewisserung anzuregen. Diakonische Identitätsentwicklung und Profilbildung ist keine einmalige, abgeschlossene Aufgabe. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass beispielsweise der Bildungswert eines formulierten Einrichtungsleitbildes äußerst gering ist. Unter Nachhaltigkeits-Gesichtspunkten ist ein „fertig“ formuliertes Leitbild nicht viel mehr als dies: nice to have. Etwas ganz anderes ist die gemeinsame Erarbeitung eines Leitbilds.

Wichtig für diakonisches Profil ist das Konstitutive, nicht das Spezifische

Wenn man nach dem Wesentlichen der Diakonie sucht, ist die Unterscheidung von Konstitutivem und Spezifischem sehr hilfreich. Man kann auch von inklusiven und exklusiven Merkmalen des diakonischen Profils sprechen, das meint in etwa das Gleiche.

Es geht um Folgendes: Das Eigentliche der Diakonie darf nicht mit dem Einzigartigen der Diakonie verwechselt werden. Es ist fraglich, ob mit einem Bündel von Besonderheiten das Wesen der Diakonie zutreffend beschrieben werden kann. Das Spezifische fragt nach dem Besonderen, dem Einzigartigen; es entsteht aus der Abgrenzung gegenüber Anderem. Das Konstitutive fragt nach dem Wesentlichen, dem Bedeutsamen – egal, wie und ob dies auch bei Anderen so ist.

Ein hilfreiches Beispiel diesbezüglich stammt von Herbert Haslinger: Wenn man fragt, was das Spezifische am Katholizismus ist, würden sicherlich Papsttum oder Marienfrömmigkeit als erstes genannt werden. Würde man nun eine Liste mit all diesen Spezifika aufstellen, hätte man damit trotzdem in keinster Weise das Wesen des Katholizismus erfasst. Denn dazu zählen ganz besonders auch Elemente, die es in anderen Konfessionen (der Glaube an Jesus Christus), teilweise auch in anderen Religionen (Gebet, religiöse Gesänge, etc.) gibt. Dieses Beispiel ist leicht zu übertragen auf die Frage nach dem spezifischen bzw. konstitutiven Profil der Diakonie.

Das Spezifische beschreibt damit also gerade nicht das Eigentliche, sondern nur Sonder- und Spezialaspekte – und lenkt dadurch von der Sache ab. Eine Gegenprofilierung ist „keine gute Möglichkeit der diakonischen Profilentwicklung“ (H.-St. Haas, Diakoie Profil, Gütersloh 2004, 240), sie ist auch kaum in der Lage, überhaupt zum Wesentlichen vorzudringen, da sie sich immer an Spezifika verausgaben wird. Die Frage nach den Spezifika muss dabei nicht völlig aufgegeben werden: Sie kann nützlich sein, wenn man sie als Prüf-Kriterium einsetzt (um zu schauen, ob man nicht bestimmte Aspekte völlig übersehen hat), aber eben nicht als Such-Kriterium.

Diakonisches Profil meint weder etwas „Zusätzliches“ noch eine eigene „diakonische Fachlichkeit“

Diakonisches Profil wird oft als etwas „Zusätzliches“ wahrgenommen. Viele Mitarbeitende empfinden, dass das Diakonische etwas Zusätzliches ist, dass ein irgendwie geartetes „Mehr“ erwartet wird – und dass dieses „Mehr“ gerade an ihnen hängt: „Jetzt müssen wir nicht nur fachlich gut sein und den Alltag hier irgendwie überstehen – jetzt müssen wir auch noch besonders diakonisch sein!“ Oft ist es auch ein unterschwelliger Druck, was die Sache nur noch subtiler macht. Natürlich gibt es auch „zusätzliche“ Aspekte rund um das Thema „diakonisches Profil“. Aber meiner Meinung nach liegen diese dann eher auf Seiten des Trägers und nicht beim Mitarbeitenden. Beispielsweise eine Vernetzung mit anderen kirchlichen Institutionen, ein Augenmerk auf eine besondere Ästhetik in der Einrichtung oder die Einrichtung eines Andachtsraums – dies sind alles Sachen, die für den Träger etwas Zusätzliches bedeuten, aber nicht für das Handeln der Mitarbeitenden.

Es geht in der Diakonie wie in der Sozialen Arbeit allgemein um eine gute Fachlichkeit und um eine möglichst hohe Professionalität. Deshalb stellt sich die Frage, wie sich denn nun die Fachlichkeit und das Diakonische zueinander verhalten. Es taucht immer mal wieder der Begriff einer „diakonischen Fachlichkeit“ auf. Dies ist in meinen Augen aber ein problematischer Begriff, denn er suggeriert, dass es neben pädagogischer, sozialarbeiterischer, therapeutischer oder pflegerischer Fachlichkeit eben auch noch eine eigene diakonische Fachlichkeit gäbe. Man kann dem kurz und prägnant entgegenhalten: „Es gibt kein evangelisches Poabwischen“ (E. Hauschildt: Wider die Identifikation von Diakonie und Kiche, PTh 89 (2000), 415). Es bringt daher wenig, von einem diakonischen Handeln auszugehen, dem eine andere Fachlichkeit innewohne. Es lohnt sich nicht, sich an dieser Front zu verkämpfen. Stattdessen geht es um eine gute Fachlichkeit. Heinz Rüegger und Christoph Sigrist, die eine äußerst empfehlenswerte Einführung in die Diakonie vorgelegt haben, betonen: „Wollen sich diakonische Dienstleistungsangebote profilieren, können sie es nur, indem sie nach allgemeingültigen Standards möglichst exzellent werden: fachlich qualifiziert, sozial und kommunikativ kompetent, innovativ, ethisch sensibel, kostenbewusst und kundenfreundlich“. (Rüegger/Sigrist: Diakonie – eine Einführung, Zürich 2011, 145).

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Diakonisches Profil gibt es nur konkret, nicht an und für sich. Es entsteht im Handeln und Deuten. Das Eigentliche muss nicht einzigartig sein

Die Beteiligungsdimension stärken

Nun geht’s weiter mit meiner These: Kirche und Diakonie sollten sich stärker als Beteiliger verstehen und sich nicht ausschließlich auf ihre Rollen als Anbieter oder Dienstleister beschränken. Im letzten Beitrag ging es um Kirchengemeinden, nun stehen die diakonischen Einrichtungen im Vordergrund. Da diese beiden Organisationen doch recht unterschiedlich sind – gerade was Teilhabe und Beteiligung betrifft – kann man beide nicht in über einen Kamm scheren.

Wenn ich betone, dass die Diakonie die Beteiligungsdimension stärken soll, heißt das natürlich nicht, dass dies bisher in der Diakonie nicht vorkäme. Es geht mir einfach darum, diesen Aspekt deutlicher in den Vordergrund zu rücken. Denn die Rolle des Dienstleistungsanbieters oder Maßnahmendurchführers ist aufgrund der öffentlichen Refinanzierung doch wesentlich dominanter als die des Beteiligungsermöglicher. Und gerade die Finanzierungsfrage führt ja auch zu dem springenden Punkt: Haben diakonischen Träger überhaupt entsprechende Handlungsmöglichkeiten?

Das lässt sich pauschal kaum beantworten, aber nicht vergessen werden sollte: Wenn die Diakonie bei der  Beteiligungsdimension zur Ideenlosigkeit neigt, wird dies über kurz oder lang zur Identitätslosigkeit führen. Im Folgenden will ich drei ganz verschiedene Ansätze anreißen, was Beteiligung in der Diakonie bedeuten kann:

Beteiligung von vorne bis hinten: Co-Design diakonischer Handlungsansätze

Im ersten Semester Sozialarbeit lernt man: Die Kunden (Klienten, Nutzer, Betroffene – oder welchen Begriff man auch immer wählen mag) sind bei der Erbringung der Dienstleistung (Unterstützung, Beratung, Zuwendung – oder worum es auch immer gehen mag) zu beteiligen. Die Produktion sozialer Dienstleistungen geht nur gemeinsam mit dem Gegenüber, deshalb spricht man auch von Ko-Produktion. Das ist leicht nachvollziehbar, denn wenn der Andere nicht mitmacht, geht’s einfach nicht. Auch wenn das banal erscheint, neben dem uno-actu-Prinzip zählt dies zu den Grundlagen profesionellen sozialen Handelns.

Wenn man Beteiligung allerdings weiter fasst und als eine grundsätzliche Frage der Kultur und der Haltung versteht, kommt man über kurz oder lang zu der Erkenntnis, dass sich Beteiligung auf den gesamten Unterstützungsprozes beziehen sollte, von vorne bis hinten, inklusive Zieldefinitionen. Statt von Ko-Produktion im oben erwähnten Sinne könnte man dann gar von Co-Design sprechen. Auf diesen Begriff bin ich im Blog von Brigitte Reiser gestoßen – und er bringt diesen ersten Beteiligungs-Ansatz wunderbar auf den Punkt: Das gesamte Unterstützungs“design“ wird ko-produziert. Anspruchsvoll und herausfordernd! Allerdings wird sich dies wohl nicht selten an den (gesetzlich) definierten Vorgaben zur Erbringung der Sozialleistungen stoßen.

Befähigen zur Beteiligung: Eine diakonische Querschnittaufgabe

Die zweite Möglichkeit, die Beteiligunsgdimension zu stärken, setzt ganz anders an. Ausgangspunkt ist, dass Beteiligung bei Lichte betrachtet sehr voraussetzungsreich ist. Es braucht (mindestens) dreierlei: eine Idee davon, dass Beteiligung etwas Sinnvolles ist, die Fähigkeit, sich beteiligen zu können und schließlich die Chance, sich auch tatsächlich konkret einbringen zu können. Andersrum gesagt: Ich beteilige mich nicht, wenn ich überhaupt nicht weiß, was (mir) das bringen soll; ich beteilige mich nicht, wenn ich das Gefühl habe, es nicht zu können; ich beteilige mich nicht, wenn es keine Gelegenheiten gibt, dies zu tun.

Bei allem drei können diakonische Einrichtungen Unterstützung leisten: die Motivation zur Beteiligung wecken, Möglichkeiten bieten, Beteiligung zu „üben“ und helfen, die eigene Beteiligungsform (oder manchmal auch -nische) zu entdecken. Dies wäre die Querschnittaufgabe in sämtlichen diakonischen Handlungsfeldern, sie ist – mehr oder weniger – unabhängig von der „eigentlichen“ Maßnahme selbst.

Die Reflexion der Beteiligungsdimension als standardisiertes Verfahren: Beteiligungs-Mainstreaming

Und schließlich möchte ich noch einen dritten Ansatz nennen, wie mit der Beteiligungsfrage aus der Sicht der Organisation konstruktiv umgegangen werden kann. Die Idee ist simpel, aber gut (wenn sie konsequent umgesetzt wird): Diakonische Träger können eine Art „Beteiligungs-Mainstreaming“ in ihrer Organisation einzuführen. Wie beim Gender-Mainstreaming könnte man bei allem, was man tut, immer die Frage stellen: Welche Konsequenzen hat dies in puncto Beteiligungsmöglichkeiten?

Okay, vielleicht nicht bei allem, was man tut, aber an den entscheidenden Stellen: Bei der Reflexion der Unternehmensstrategie, bei der Entwicklung neuer Unterstützungsmaßnahmen, in Supervision und Teambesprechung. Der Knackpunkt ist also, dass man Beteiligungsprinzipien nicht einfach im Leitbild behauptet, sondern jede einzelne Maßnahme diakonischer Einrichtungen tatsächlich daraufhin überprüft, wie sehr sie Mitgestaltung und Mitentscheidung ermöglichen – oder auch verunmöglichen.

Worum es inhaltlich beim Beteiligungs-Mainstreaming geht, hängt einerseits vom Arbeitsfeld ab und andererseits – freilich – vom eigenen Verständnis, was Beteiligung meint, wie weit sie reicht und wie ernst man sie nimmt. Entscheidend ist nur, hieraus wirklich ein standardisiertes Verfahren in der Organisation zu machen.

Drei sehr unterschiedliche Ansätze, diakonische Einrichtungen stärker als Beteiliger zu entwickeln. Vielleicht ist ja etwas dabei…

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Teilhabebefähigung, Beteiligungsmainstreaming und Co-Design – die Diakonie hat viele Möglichkeiten, die Beteiligung zu stärken

Ein gemeinsames Drittes

Umso mehr ich über diakonisches Profil nachdenke, desto wichtiger wird mir eine Sache: Das Potenzial von kirchlichen und diakonischen Einrichtungen liegt darin, sich (wesentlich deutlicher) als Beteiligungsorganisationen zu verstehen. Diakonie und Kirche sind eben nicht nur Anbieter oder Dienstleister (das bleiben sie natürlich weiterhin), sondern sie sind vor allem Beteiliger. Für Kirchengemeinden bedeutet dies dann, ihre „Angebote“ daraufhin zu untersuchen, inwiefern sie Beteiligungsprozesse ermöglichen, für diakonische Einrichtungen gilt dies entsprechend für ihre „Maßnahmen“.

Wie kann das gelingen? Zunächst einige Überlegungen für Kirchengemeinden – für diakonische Einrichtungen sieht das etwas anders aus, dazu schreibe ich ein andernmal etwas.

Will man eine Kirchengemeinde im Sinne von Teilhabe oder Beteiligung diakonisch profilieren, lautet die zentrale Leitfrage eben nicht: Gibt es einen Hilfebedarf? Sondern: Gibt es eine „gemeinsames Drittes“? Das meint: Gibt es eine gemeinsame Identifikationsmöglichkeit, jenseits der üblichen Rollen, die Beteiligung überhaupt erst ermöglicht?

Wenn Gemeinden ihre diakonische Dimension stärken wollen, wird sehr schnell in den Kategorien von „Hilfe-Subjekten“ und „Hilfe-Objekten“ gedacht. Die Gemeinde als Diakonie-Subjekt sucht nach Hilfe-Objekten, denen sie ihre Hilfe zuteil werden lassen kann. Das Diakonische einer Gemeinde kann aber gerade darin liegen, die Menschen eben nicht so sehr durch das Suchraster der Hilfsbedürftigkeit zu betrachten. Kirchengemeinden sind keine Sozialagenturen oder Wohlfahrtsverteilstellen – sondern Gemeinden.

Es ist viel wert, wenn die gängigen Einteilungen in Helfende und Geholfenen, in (vermeintlich) Starke und (vermeintlich) Schwache, in Priviligierte und Benachteiligte, in „Bürgerliche“ und „Marginalisierte“ an einer Stelle nicht relevant sind. Oder sagen wir realistischer: wenn diese Einteilungen mal nicht ganz so bestimmend sind. Denn die genannten Dualismen sind wirkmächtig und lassen sich nicht so einfach überwinden. Sie werden zu einem gewissen Grad immer bestehen bleiben, selbst dann, wenn man dies nicht will. Einfaches Wegmachen funktioniert nicht, und schlicht zu behaupten, diese diese Einteilungen theologisch gar nicht bestehen, hilft auch nicht weiter (auch wenn es natürlich stimmt).

Das Gemeindeleben müsste so ausgerichtet sein, dass diese unheilvollen Unterscheidungen unrelevant werden, zumindest zu einem gewissen Grad. Wie soll das gehen? In dem man eben ein „gemeinsames Drittes“ sucht, also ein Etwas, das gemeinsame Identifikation stiften kann.

Als solches bietet sich natürlich der Wohnort an: Das gemeinsame Stadtviertel, die Nachbarschaft, das Dorf, wofür es sich gemeinsam zu engagieren gilt. Deshalb ja auch meine Vorliebe für die Gemeinwesendiakonie.

Ein ganz anderes „gemeinsames Drittes“ ist zum Beispiel Musik, und zwar in erster Linie das gemeinsame Musikmachen. Der Musikgeschmack, das Musikhören, trennt. (Nicht ohne Grund ist die Vorliebe für bestimmte Musikstile ein entscheidender Milieu-Indikator.) Gemeinsames Musizieren (ob vokal oder instrumental) ist etwas Anderes. Denn das eint.

Und ein wiederum ganz anders geartetes „gemeinsames Drittes“ wären geteilte spirituelle Bedürfnisse oder Fragen. Doch mir scheint, dass „Marginalisierte“ mit ihren religiöse Fragen kaum wahr- und ernst genommen werden. Sie werden schnell in die Schublade der Hilfsbedürftigkeit gesteckt, was bei vielen gemeindlich Engagierten oft gleichbedeutend ist mit materieller Hilfsbedürftigkeit. Und bevor die Nicht-Bürgerlichen einen Schritt in die Kirche machen können, werden sie schon von einem fürsorglich denkenden Gemeindemitglied in die Kleiderkammer im Gemeindehaus umgeleitet. Was sollten Arme denn auch sonst von der Kirche wollen? Das mag polemisch klingen, aber so ist es doch oft.

Natürlich gibt es noch etliche weitere „gemeinsame Dritte“. Das Entscheidende ist, dass sie die Möglichkeit zur Rollenidentifikation bieten, in meinen Beispielen also als Stadtteilbewohner, als Musizierende, als spirituell Interessierte – und erst darüber ergibt sich dann Beteiligung. Damit kann Teilhabe aus der karitativen Falle befreit werden.

Es lohnt sich, zunächst einmal in diese Richtung zu denken, wenn man eine Gemeinde diakonisch profilieren möchte.

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Kirchengemeinden sind keine Sozialagenturen – sondern Gemeinden. Gemeinsame Identifikation stiften ist besser als „helfen“

Das Zürcher Diakoniekonzept

Die reformierte Kirche im Kanton Zürich hat ihr neues Diakoniekonzept veröffentlicht. Ich kann die Lektüre nur wärmstens empfehlen! (Hier gibt es das PDF).

Das Zürcher Diakonie-Konzept ist eine gut strukturierte und ansprechend gestaltete Orientierungshilfe für die Diakonie der Kirchengemeinden. Von Grundsatzfragen bis hin zu konkreten Reflexionshilfen bietet das Papier einen Rundumschlag zur Organisation der Gemeindediakonie, fundiert und substanziell. Beispielsweise ist mir bisher kaum solch ein erkenntnisreicher Schweinsgalopp durch die Diakoniegeschichte begegnet. Auch die vier diakonischen Arbeitsweisen sind zwar äußerst knapp, aber gut (S. 48). Respekt.

Mit Hilfe des Diakonie-Konzepts sollen Kirchengemeinden in die Lage versetzt werden, ihr eigenes Diakonieprofil zu entwickeln. Daher gefällt mir besonders, dass zunächste einmal einige wichtige Dimensionen geklärt werden. Die wesentlichen sind:

  • Rolle der Diakonie: Diakonie als Pionieren, als Stellvertreterin, als ergänzende Kraft (S. 35),
  • Aktionsradien: lokal, übergemeindlich, weltweit (S. 33-34),
  • Akteure: freiwillig Engagierte, Kirchenpfleger, Sozialdiakonat und Pfarramt (S. 49-51),
  • Zielgruppen: Menschen in vielfältigen Lebensformen, Jugendliche und junge Erwachsene, ältere Menschen und Hochbetagte (S. 29-31),
  • Kernthemen: Gesundheit und Wohlergehen, Existenz und Arbeit, Zugehörigkeit und Teilhabe (S. 37-41),
  • Kulturen: Kultur der Wertschätzung, Kultur der Gestaltung, Kultur der Gastfreundschaft (s. 37-41).

Als zentrales Tool wird eine „Zwölffeldertafel“ (S. 28) entwickelt, in der Zielgruppen, Kernthemen, Kukturen und Aktionsradien zusammengefasst werden. Das überzeugt mich allerdings nicht so ganz, denn die Matrix wirkt doch recht konstruiert (als Konzept gut, aber als Reflexionstool scheint sie mir dann überfrachtet).

Das Thema Teilhabe müsste meiner Meinung nach wesentlich stärker ausgearbeitet werden: Wie steht es um die Teilhabegerechtigkeit in der Schweiz? Welche Teilhabemöglichkeiten bieten Kirchengemeinden? Vielleicht wirkt sich auf die Formulierung solch eines Konzeptes dann ja doch aus, dass wir uns in einer der reichsten Regionen Europas befinden…?!

Dafür hat das Zürcher Papier an einer anderen Stelle deutliche Stärken: Diakonie wird in dem Papier als kirchliches Handlungsfeld verstanden, das sich strategisch ausrichtet und sich nicht über moralinsauren Aktionismus behauptet. Gerade das ist wichtig, um innerkirchlich auch tatsächlich ernstgenommen zu werden. Ein Weltretter- und Wir-sind-die-Guten-Image, das sich bemerkenswert häufig in diakonischen Positionspapieren wiederfindet (natürlich nicht offensichtlich, aber doch als wahrnehmbarer Subtext), macht Diakonie eher lächerlich. Das Zürcher Papier ist dagegen frei von  Betroffenheitspathos. Dafür bietet es aber einen sehr konkreten Vorschlag zum Umfang von Personalstellen (S. 56-58) und einen Ansatz zur Verhältnisbestimmung von Pfarramt und Sozialdiakonat (S. 52).

Davon kann man sich eine Scheibe abschneiden!

Was ist Diakonie? (#8)

Also, ein bisschen skurril ist das Video ja schon. Aber irgendwie gefällt es mir auch. Es geht darum, was denn eigentlich „Diakonie“ bedeutet. Und so etwas muss hier natürlich gepostet werden!

Schöne Antworten. Und auch den Kern getroffen: Der Begriff Diakonie erschließt sich für viele Menschen nicht so recht. Natürlich nicht unter den Bloglesern hier, aber grundsätzlich.

Über zwei Aspekte lohnt es sich, nachzudenken.

Zunächst einmal: Der Begriff Diakonie ist verhältnismäßig unbekannt. Im Jahr 2006 (aktuellere Zahlen habe ich leider nicht), hat nur ein Zehntel der Deutschen auf die Frage, welche Wohlfahrstverbände es gibt, die Diakonie genannt. Es ging dabei um die „ungestützte Bekanntheit“, d.h. es wurden keine  Auswahlmöglichkeiten vorgegeben. Die katholische Schwesterorganisation kann die dreifache Bekanntheit für sich verbuchen, das Deutsche Rote Kreuz kennt jeder zweite – Spitzenwerte! (Quelle: Bekanntheit und Image der Diakonie, Diakonie Texte 13/2006). – Nun gut, man kann entgegenhalten, dass Bekanntheit noch kein Wert an und für sich ist (ein Fundraiser würde das sicherlich anders sehen). Es geht um gute fachliche Arbeit, es geht um christliche Werte. Deshalb finde ich die deutlich geringere Bekanntheit gegenüber der Caritas zwar sehr bedauerlich – grundsätzlich aber undramatisch.

Zum Zweiten: Auch in diesem Video zeigt sich wieder, dass der Begriff Diakonie zwei verschiedene Sachen bezeichnet: nämlich einerseits die Diakonie als Verband (bzw. als Einrichtung), andererseits Diakonie als christliches Konzept. Beim einen geht’s um Organisationen, beim anderen um Theologie. Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob diese Doppelnutzung des Begriffs eher ein Vor- oder eher ein Nachteil ist. In Frankreich wird beispielsweise der Diakonie-Verband Fédération de l’Entraide Protestante genannt, la diaconie ist der theologische (und recht unbekannte) Fachbegriff. Im Englischen spricht man von „christian social services“, diaconia kommt so gut wie nicht vor. Auch in Deutschland war Diakonie zunächst der theologische Fachbegriff. Erst als sich die beiden evangelischen Verbände „Evangelisches Hilfswerk“ und „Innere Mission“ zum „Diakonischen Werk“ zusammengeschlossen hatten, erhielt der Begriff „Diakonie“ Einzug in die breite Öffentlichkeit.

Mir ist es wichtig, Diakonie in erster Linie als theolgischen Begriff zu verstehen. Denn wenn Diakonie ausschließlich mit Verbänden und Unternehmen assoziiert wird, erschwert dies den Zugang zu dem, was die diakonische Dimension der Kirche inhaltlich ausmacht. Deshalb finde ich es auch nicht ungeschickt, wie (zunehmend) auf katholischer Seite verfahren wird: Diakonie bezeichnet das theologische Konzept, Caritas den Verband.

Zurück zum Video: Ich weiß nicht genau, woher es stammt und wer dahinter steckt, aber 2:04 gibt zumindest einen Hinweis. Also: Viele Grüße nach Hagen! (?)

Glaubenssätze

Seit einigen Tagen ist die neue Image-Kampagne der Diakonie am Start. Sie hat den Titel In der Nächsten Nähe und läuft in diesem und im kommenden Jahr.

„Sie zeigt, was Diakonie glaubwürdig und wesenhaft ausmacht und zwar jenseits aller tagespolitischen Bezüge und Diskussionen. Dazu wurden die Menschen befragt, die Diakonie im Alltag in den vielen bundesweiten Einrichtungen, Diensten, Verbänden und Unternehmen verkörpern: die Mitarbeitenden.“

Damit hebt sie sich deutlich von der Kampagne Mitten im Leben (2007/2008) ab, in der die Mitarbeitenden schematisch und schemenhaft im Hintergund blieben. Dass die Mitarbeitenden nun in dieser Deutlichkeit nach vorn rücken, ist gut und angemessen. Gleichzeitig stehen sie aber nicht im Vordergrund, die fünf Motive stellen die Beziehung zwischen den abgebildeten Menschen dar. Das ist stimmig.

„Glaubwürdigkeit ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Stichwort für die neue Kampagne: Die Kampagne gewährt reportageartige Einblicke in Arbeitsfelder der Diakonie, sie zeigt tatsächliche Mitarbeitende, wirkliche betreute Menschen, wahre Beziehungen, reale Örtlichkeiten und echte Gefühle. Teilweise arbeiten die abgebildeten Menschen auf den Plakaten seit Jahren zusammen. Nichts an dieser Kampagne ist in irgendeiner Weise künstlich, beschönigt oder gestellt, nicht einmal die Zitate, die nur sprachlich geglättet wurden.“

Und die fünf Zitate gefallen mir wirklich gut. Sie lauten:

„Ich glaube, kein Lebensabend sollte dunkel sein.“

„Ich glaube, dass Glück keine Behinderung kennt.“

„Ich glaube, dass Heimat im Herzen beginnt.“

„Ich glaube an die Stärken der Schwächsten.“

„Ich glaube, dass Menschlichkeit das wertvollste Medikament ist.“

Komplexes einfach rüberbringen ist eine hohe Kunst. Und wie will man deutlich machen, dass Diakonie etwas mit Glauben zu tun hat, ohne ein Kreuz aufzuhängen oder eine Bibel ins Bild zu rücken? Schwierig. Hier gelingt es auf subtile Art. Es gibt keine religiösen Symbole auf den Motiven (um nicht falsch verstanden zu werden: Ich mag religiöse Symbole, sehr sogar, aber auf inszenierten Motiven wirken sie oft deplaziert und aufdringlich). Stattdessen Glaubensaussagen: Jedes Statement beginnt mit „Ich glaube…“.

Die Glaubensaussagen beziehen sich auf den konkreten Kontext der diakonischen Arbeit. Auch das ist gut, denn es gibt kein allgemeingültiges, auf alle Arbeitsfelder zutreffendes diakonisches Profil. Diakonisches Profil ist immer kontextabhängig, Diakonie entsteht im Handeln und Deuten, also konkret. Schaut man sich die Sätze genauer an, merkt man, wie gehaltvoll sie sind (und dass sie gut formuliert sind). Induktive Theologie – das ist in meinen Augen genau der richtige Ansatz, „diakonisch“ Theologie zu treiben.

Woran glaube ich eigentlich in meinem diakonischen Handeln? Von welchen Glaubenssätzen lasse ich mich leiten? Was wirkt da tief in mir drin, das letztlich meine Fachlichkeit bestimmt? Mentale Modelle sind immer stärker und wirkmächtiger als Fachkonzepte und Einrichtungsleitbilder. Das Ganze ist daher für mich nicht nur eine Plakatkampagne, sondern stellt auch eine didaktisch gute Idee dar, die man leicht aufgreifen kann: Einfach mal die Mitarbeitenden fragen, woran sie glauben und welche Bedeutung dies für ihre Arbeit hat.

Daher finde ich es schade, dass man diese fünf Aussagen rahmt, sie wieder einfangen will mit dem doch recht pastoral anmutenden Vers „In der Nächsten Nähe“. Ich verstehe, dass eine Kampagne einen Claim braucht. Aber die zitierten Glaubensaussagen der Mitarbeitenden gehen über das Motiv der Nähe weit hinaus. Da haben wir dann doch wieder ein deduktives Theologietreiben. Und das geht so: Diakonie ist Nächstenliebe – und deshalb suchen wir jetzt mal Aussagen, die zu Nächstenliebe passen. Das, was man dann gefunden hat, ist komplexer und tiefgründiger als „Nähe“ und „Zuwendung“. Man tütet es dann aber theologisch („Nächstenliebe“) bzw. marketingmäßig („In der Nächsten Nähe“) wieder ein.

Und noch eine Sache sollte man überdenken: Warum hat man für die Plakatreihe vier weibliche und einen männlichen Mitarbeitenden gewählt? Nun, man könnte darauf antworten, dass dieses quantitative Verhältnis exakt der Situation in der Diakonie entspricht (siehe hier, S. 10). Ungeschickt finde ich das trotzdem. Und was sagen wir dazu, dass der männliche Mitarbeiter – natürlich – über den höchsten Bildungsabschluss verfügt? Irgendwie nicht so richtig durchgegendert…

Trotzdem ist es eine gute Kampagne.

Siehe auch meinen Kommentar Endlich mehr Männer und meine Beiträge in der Rubrik „Kampagnen“.