Heute am Aschermittwoch beginnt die Fastenzeit. Fasten scheint im Trend zu liegen – begrüßenswert, finde ich.
So gibt es eine regelrechte Rennaissance des Fastens, gerade auch im evangelischen Bereich. Die Aktion „7 Wochen ohne“ begann Mitte der 1980er Jahre in Hamburg als private, aber von der evangelischen Kirche unterstützte Bewegung, die rasch populär wurde und seit nunmehr 20 Jahren vom Gemeinschaftswerk evangelischer Publizistik der EKD betreut wird. Aus dem Kreise der Hamburger Initiatoren entstand zudem der Verein „Andere Zeiten e.V.“, der später eine eigene Fastenaktion ins Leben rief: „7 Wochen anders leben“.
Die Idee ist einfach: auf scheinbar unentbehrliche Substanzen (Fleisch, Alkohol, Kaffee, Süßes…) oder eingeschliffene Gewohnheiten wird bewusst verzichtet. Die Faszination des Fastens liegt in zwei besonderen Wirkungen: Der Verzicht führt nicht ausschließlich zu einem Mangelerleben (was ja auf der Hand liegt), sondern paradoxer Weise auch zur Erfahrung von Fülle. Und der zunächst äußere Prozess des Weglassens beeinflusst innere Prozesse. Verzicht kann zur Fülle führen und Äußeres wirkt auf Inneres – das sind die beiden spirituellen Dynamiken des Fastens. Das macht das Fasten aus.
Deshalb finde ich so manche Fastenaktion auch etwas sonderbar. Allen voran die EKD-Aktion „Sieben Wochen ohne“, bei der ich von Jahr zu Jahr das Gefühl habe, dass man sich immer etwas besonders Schlaues ausdenken möchte. Dieses Jahr: „Selber denken! Sieben Wochen ohne falsche Gewissheiten“. Merkwürdig finde ich es deshalb, weil es die beiden Fasten-Dynamiken genau auf den Kopf stellt: Es wird nicht etwas weggelassen oder reduziert, sondern etwas mehr (bzw. bewusster) gemacht. Zudem wird bei einem inneren Prozess angesetzt (dem Bewusstsein), nicht bei einem äußeren (dem Verhalten). Kann man machen. Aber mit Fasten hat das wenig zu tun. Wirklich pfiffig und ganz im Sinne des Fastens wäre es genau andersrum gewesen: Mal sieben Wochen nicht selbst denken! Kann man als evangelische Kirche natürlich nicht machen, schon klar. Völlig schräg wird es aber dann, wenn auf evangelisch.de alberne Banalitäten à la „Adam und Eva aßen einen Apfel!“ als „falsche Gewissheiten“ entlarvt werden. Ein Wissens-Häppchen ist etwas anders als Gewissheit.
Da lob ich mir den Mut der Fastenaktion des evangelischen Zentrums für Predigtkultur: Pfarrer und Pfarrerinnen sollten in der Fatsenzeit in ihren Predigten auf eine Auswahl gängiger theologischer Begriffe verzichten – sieben Wochen ohne große Worte. Eine gute Idee gegen grassierende Logorrhoe (Wortdurchfall), auch wenn es Kritik an der Umsetzung gibt. Meine Meinung habe ich im Blog von Phillip Greifenstein kundgetan, lesenswert ist in diesem Zusammenhang auch der Beitrag von Karsten Dittmann.
Mittlerweile gibt es die unterschiedlichsten Ideen und Aktionen . Eine besonders ambitionierte Verzichtsaktion ist das Auskommen mit dem Hartz-IV-Regelsatz (siehe auch hier). Eine andere Idee ist das Autofasten. Oder das Energiefasten (unter dem lustigen Titel: „Klimafasten“). Interessante Idee ist auch das Klamotten- bzw. Modefasten. Und natürlich ist das digitale Fasten nicht zu vegessen.
Zu den klassischen Motiven – Fasten als religiöse Praxis oder als gesundheitliche Maßnahme (Heilfasten) – gesellt sich also ein neues Motiv hinzu: Fasten als konsumkritisch-alternativer Lebensstil (Einfaches Leben).
tl;dr
Fasten berührt die paradoxen Zusammenhänge von Mangel/Fülle und Inneres/Äußeres. Und neben religiösen oder gesundheitlichen Gründen ist auch ein „einfaches Leben auf Probe“ ein wesentliches Motiv. Gute Sache.
UPDATE 2014-03-05: Ich füge jetzt noch ein paar Blogartikel hinzu, die ich sehr zum Lesen empfehle:
UPDATE 2014-03-05, zum Zweiten: Jetzt habe ich gar nichts zu meinem Fasten gesagt. Ich faste Schokolade und Milchprodukte. Durch Zufall habe ich auf WDR2 ein Interview mit Atilla Hildmann gehört, dem Shootingstar der veganen Küche (den ich bisher gar nicht kannte, was auch daran liegt, dass ich vegane Küche bisher noch nicht kannte. Jedenfalls nicht wirklich). Ich fand seine engagierte aber gleichzeitig unverkrampfte Art so erfrischend, dass ich prompt sein Kochbuch zum Geburtstag geschenkt bekommen habe. Auf Fleisch und Milchprodukte gleichzeitig verzichten kann ich nicht, also probiere ich eine Variante davon aus. Man könnte auch sagen, ich mache 7 Wochen vegan mit Fleisch.
Ich bin übrigens öfter an meinen Fastenvorhaben gescheitert, als dass sie „hundertprozentig“ geklappt hätte. Trotzdem mach ich weiter.
Ich finde es auch gut, die Passionszeit besonders zu gestalten. Aber das hat für mich wie gesagt nichts mit Fasten zu tun, sondern mit der Fastenzeit als Zeitabschnitt. Ich habe mir dieses Jahr wieder Anselm Grüns „Das Kreuz“ vorgenommen (das ist ein älteres Buch von Grün aus der Reihe Münsterschwarzacher Kleinschriften. Soll heißen: Da kommen weder Engel noch Wellnesstüdelü vor). Ich habe das Buch vorher in 40 Abschnitte eingeteilt, ein paar Abschnitte bleiben außen vor, so dass es jeden Tag ca. eine dreiviertel Seite Lesepensum ist. Das geht auch gut im RE5.
Und mit diesen ergänzenden Infos nehme ich jetzt auch noch an Andrea Juchems Blogparade „Fastenzeit AD 2014“ teil.
UPDATE 2014-03-05, zum Dritten: Beim Schreiben des Blogartikels hatte ich gewisse Bauchschmerzen. Und zwar wegen des thematischen Hintergrunds dieses Blogs: Ich blogge ja hier grundsätzlich über diakonische Aspekte. Aber die werden in diesem Beitrag gar nicht reflektiert. Aus einem ganz einfachen Grund: Ich habe einfach kein Packende bekommen.
Bewusst auf etwas Verzichten kann man nur, wenn man grundsätzlich genug von dem hat, worauf man verzichten will. Ansonsten ist das kein Verzicht, sondern Mangel. Oder Not. Ich überlege, ob all die hier erwähnten Fasten-Ideen (und mein persönliches Fasten) nicht ein reines bürgerliches Mittelschichtsphänomen sind. Das macht sie weder schlechter noch besser, aber das sollte man dann zumindest nicht unerwähnt lassen.
Für mich ist dies hier eine wichtige Frage (die ich momentan wirklich nicht beantworten kann): Inwiefern korrelieren (negativ und positiv) religiöse Ideen/Formate/Übungswege mit Marginalisierungserfahrungen. Ja, natürlich korreliert das, klar. Aber wie genau? Und: was wäre demnach sinnvoll: eine kompensatorische oder eine verstärkende Strategie? Wenn das noch zu kryptisch klingt: Ich kann’s grade nicht anders formulieren. Später vielleicht mal mehr.