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Von Gasthäusern und Herbergen und der Sache mit der Infrastruktur

„Kirche als Gasthaus“ – so lautete der Schwerpunkt der katholischen Fachzeitschrift Diakonia zu Beginn diesen Jahres. Es geht um die Bedeutung von Gastlichkeit und Gasthäusern für das Christentum. Und so habe ich mir diesen Blogbeitrag für das Jahresende aufgehoben, denn das Gasthaus (bzw. die Herberge) ist ja schließlich auch ein weihnachtsaffines Thema…

Ein Artikel hat es mir in der Zeitschrift besonders angetan: „Gasthäuser im Urchristentum. Eine Spurensuche im lukanischen Doppelwerk“ von Markus Lau. Wer – wie ich – noch nicht wusste, wie im Imperium Romanum das Herbergswesen organisiert war und wie die frühe Christenheit ihr eigenes Gastwesen gestaltete, erfährt es dort.

Gastlichkeit und Gastfreundlichkeit waren für das frühe Christentum essentiell. Und neben dieser Haltung, sozusagen der „Software“, war dazu auch ein Stück „Hardware“ ganz wichtig, nämlich Orte, wo man sich treffen und versammeln, essen und übernachten konnte. So organisierte die frühe Christenheit in weiten Teilen Europas ein Gastwesen, das für die Ausbreitung dieses neuen Glaubens wichtig war. Und dazu brauchte es eben zweierlei – das Üben von Gastfreundschaft und Gastlichkeit (also eine Haltung) und ein System von Privat- und Gemeindehäusern, Herbergen und Gasthäusern (also eine Infrastruktur).

Über die Bedeutung von Beidem – der Gastfreundlichkeit als Haltung und den Gasthäuser als Infrastruktur – lohnt es sich, noch einmal neu nachzudenken.

Die Revitalisierung der Gastfreundlichkeit als Gemeindekonzept hat der Niederländer Jan Hendriks vorgenommen mit seiner Idee der „Gemeinde als Herberge“. Das möchte ich hier nicht wiederholen. Nur so viel: Ich finde seinen Ansatz gleichermaßen visionär wie bodenständig, er widersetzt sich dem oft als Gegensatz formulierten Schema von „Versorgungskirche“ vs. „Beteiligungskirche“ und ist zudem gemeinwesendiakonisch gut anschlussfähig. Allerdings gibt es eine grundsätzliche Schwierigkeit bei solchen konzeptionellen Gemeindeentwürfen, nämlich den „Was-sollen-wir-denn-noch-alles-machen?“-Effekt.

Vielleicht kann es da eine Erleichterung sein, Kirchengemeinden erst einmal – ganz schlicht – als ein Stück Infrastruktur zu verstehen. Dieser Gedanke kam mir, als mir beim Lesen klar wurde, dass die frühe Christenheit neben dem “öffentlichen” bzw. “privatwirtschaftlichen” Gastwesen noch eine eigene Infratsruktur aufbaute. Wer über eigene Infrastruktur verfügt, ist unabhängig. Das gilt heute wie damals.

Die Kirche unterhält zwar keine Gasthäuser und Herbergen, aber mit ihren Gemeinden hält sie eines der dichtesten „Filial-Netze“ in Deutschland vor.  Sie ist in den besten Lagen präsent – und in den schlechtesten. Schlicht und ergreifend dadurch, dass sie in mehr oder weniger allen Stadtteilen physisch existent ist: mit Gebäuden und Räumen, mit Ausstattung und Equipment, mit Wasser- und Stromanschluss. Überall. Zumindest noch. Das ist doch mal was. Man könnte es auch so formulieren: „It’s the infrastructure, stupid!“

Doch kurioser Weise wird diese 1A-Infrastruktur gar nicht als solche verstanden – sondern im Gegenteil – als Problem. Der Gebäudebestand ist mittlerweile in vielen Gemeinden zu groß und muss in den Griff bekommen werden. Nervenaufreibende Prebyteriumssitzungen mit Entscheidungprozessen, die sich nicht selten über Jahre hinziehen. Kein gesamtkirchlicher Plan, keine Strategie. Raum- und Stadtplaner schlagen oft die Hände über den Kopf zusammen, wenn sie mitbekommen, welche Filetstücke aufgegeben werden. Im Zuge der Gemeinwesendiakonie-Debatte bringt es Frank Düchting von der Akademie der Nordkirche auf den Punkt: Eine gesamtkirchliche Strategie zur Präsenz der Kirche in der Stadt ist „bei aller Liebe, eine Illusion“ (Die Stadt mitgestalten – Ein Beitrag der Nordkirche, S. 1).

Kirchengemeinden können letztlich machen, was sie wollen. Leider müssen sie auch machen, was sie wollen. Diese Art der Autonomie ist dem Protestantismus merkwürdigerweise heilig (ach, könnte man da oft nur seufzen…). Und so versteht man sich nicht als Steinchen im riesigen Infrastruktur-Mosaik, sondern als überforderte Gebäudemanager. Und bitte keinen Dreck machen! Das hat schon etwas Tragisches.

Ich glaube, dass in den nächsten zehn, zwanzig Jahren ganz neue (oder wieder ganz alte) Formen von Vergemeinschaftung in der Kirche probiert und etabliert werden. Das Konzept von „Gemeinde“ wird sich neu zurechtrütteln – wie genau, muss sich erst noch zeigen. Doch Gemeinde wird sich immer weniger parochial organisieren, da bin ich mir sicher. Aber – und das ist wichtig! – wir haben nun einmal diese parochiale Infrastruktur. Es wäre dumm, sie verkommen zu lasssen. Die Reform der Kirche muss man aufverschiedenen Ebenen führen. Eine davon ist die Frage nach künftigen Gemeinschafts- und Gemeindeformen, nach geistlichen und spirituellen Aufbrüchen. Aber eine ist eben auch, was mit der momentan vorhandenen Infrastruktur geschehen soll. Wozu kann sie mittel- und langfristig dienen? Ideen gibt es da genug.

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Kirchengemeinden sind in nahezu jedem Stadtteil präsent – durch ihre physische Existenz. Diese Art von Infrastruktur gilt es zu schätzen und nicht leichtfertig zu verspielen. Welche Art von „Herbergen und Gasthäusern“ soll, kann, will Kirche langfristig sein?

Diakonische Paradoxien

Wer sich mit professionellem sozialem Handeln beschäftigt, landet über kurz oder lang bei den Debatten um Professionstheorien und Professionalisierungsansätzen. Und dort gibt es ein Phänomen, das man „Paradoxien professionellen (sozialen) Handelns“ nennt. Klingt kompliziert, die Literatur dazu ist es in der Regel auch, aber der Grundgedanke ist einfach: Beim Handeln kommt man immer wieder an einen Punkt, wo man sich in Schwierigkeiten verfängt, die nicht nur „Probleme“ oder „Herausforderungen“ sind, sondern die letztlich unlösbar bleiben. Deshalb Paradoxien. Sie entstehen dadurch, dass zwei sich widersprechende normative Handlungsanweisungen gleichzeitig gültig sind.

Man kann solche Paradoxien nicht wegmachen, man kann sie sich nur klarmachen. Und dabei versuchen, mit ihnen klarzukommen. Wenn das gelingt, ist das viel wert. Ich finde dies ein wichtiges Thema und frage mich schon seit längerer Zeit, ob es nicht spezielle diakonische Paradoxien gibt – also Widersprüche, die gerade dadurch entstehen, dass sich das soziale Handeln in einem normativ-christlichen Kontext vollzieht.

Wichtig ist dabei noch eins: Es geht nicht darum, das Handeln komplizierter oder intellektueller zu machen (der Begriff „Paradoxie“ könnte dies suggierieren), sondern klarer. Ich habe drei solcher Paradoxien diakonischen Handelns gefunden. Hier sind sie.

„Diakonischer Imperativ“ versus „Rosinenpicken“

Klaus Dörner hat vor etlichen Jahren einen „Imperativ“ für das Handeln im sozialen Bereich vorgeschlagen: „Handle in deinem Verantwortungsbereich so, dass du mit dem Einsatz all deiner Ressourcen an Zeit, Kraft, Manpower, Aufmerksamkeit, Liebe immer beim jeweils Letzten beginnst, bei dem es sich am wenigsten lohnt“ (Diakonie-Jahrbuch 2003, S. 156). Dörner hat selbst darauf hingewiesen, dass dies keine dauerhaft durchzuhaltende Handlungsanweisung sein kann – aber gerade in der Diakonie ist es ein guter Impuls, damit „die Letzten (die Chancenlosesten) […] nicht als irrationaler Rest, als Konzentration der Unerträglichkeit übrig bleiben“.

Das Gegenteil ist das „Rosinenpicken“: Man steckt seine Energie dahinein, wo es sich am meisten lohnt, was am erfolgsversprechendsten ist. Auf der konkreten Handlungsebene bedeutet das, dass man vor allem mit Klienten arbeitet, bei denen man weiß, dass die Arbeit gut von der Hand geht und wo am Ende auch etwas „herauskommt“. Auch wenn diakonische Arbeit ein eher ambivalentes Verhältnis zum Thema „Erfolg“ hat, ist für die Mitarbeitenden eben genau das wichtig: zu erleben, erfolgreich zu sein. Sonst entwickelt sich in der diakonischen Arbeit ein depressives Syndrom. Deshalb sind Rosinen wichtig. Auf der Organisationsebene zeigt sich diese Paradoxie bei der Aufrechterhaltung des laufenden Betriebs, vor allem vor dem Hintergrund der Refinanzierung.

„Diakonisch sehen lernen“ versus „Entdiakonisierung der Wahrnehmung“

Diakonische Arbeit setzt eine gute Wahrnehmung voraus. Nicht umsonst geht es in der Ausbildung im sozialen Bereich immer wieder darum, „sehen“ zu lernen: Bedarfe, Bedürftigkeiten, Nöte, Stigmatisierungen, Diskriminierungen. Es geht also darum, sich einen „diakonischen Blick“ anzutrainieren, diakonisch sehen zu lernen.

Und genau das kann gleichzeitig ein grundlegendes Problem sein: Um so stärker Menschen als „Diakonie-Fälle“ betrachtet werden, desto stärker werden sie stigmatisiert. Ein einfaches Beispiel macht dies deutlich: In vielen engagierten Gemeinden kommen Menschen mit Marginalisierungserfahrungen ausschließlich als diakonisch Bedürftige vor. Tauchen diese Menschen in einer Gemeinde auf, wird ihnen sogleich „geholfen“ – eine größere Diskriminierung ist kaum vorstellbar. Ulf Liedke hat daher die Formulierung von der Entdiakonisierung der Wahrnehmung geprägt.

„absichtsloses Handeln“ versus „absichtsvolles Handeln“

Diakonisches Handeln ist zweckfrei. Diakonie ist „aufrichtige Uneigenützigkeit“ (Heinrich Pompey/Paul-Stefan Roß 1998). Die Versuchung der Diakonie besteht darin, neben dem Helfen noch weitere, eigene Intentionen zu verfolgen – und gerade nicht in ihrer Absichtslosigkeit (Paolo Ricca 1992). Neben der Zuwendung und Unterstützung sollte also keine weitere hidden agenda bestehen. Diakonie ist zum Beispiel nicht dazu da, eine Arena zu haben, um zu zeigen, wie wichtig Kirche ist (oder Ähnliches). Diakonie ist um derer Willen da, die sie in Anspruch nehmen. Punkt.

Und doch kommt diakonisches Handeln nicht aus, ohne selbst etwas zu wollen. Gerade wenn diakonisches Handeln als ein christliches Handeln verstanden werden will, hat es eine Absicht, die über die konkrete Aufgabe hinausgeht. Diakonie will – je nach Arbeitsfeld und Kontext – ermächtigen, heilen, befreien, versöhnen, verbinden. Ein Klient oder Kunde will vielleicht einfach nur eine gute Versorgung oder Beratung (das ist sein gutes Recht!), aber Diakonie wird dann zur Diakonie, wenn da mehr wirkt, als die bloße Leistungserbringung.

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Wenn zwei gegensätzliche, aber gleichzeitig wirksame Handlungsanweisungen aneinander stoßen, spricht man von Paradoxien. Es gibt Handlungsparadoxien, die auf den christlich-normativen Kontext der Diakonie zurückzuführen sind.

Followerpower

Es gibt gerade einen interessanten Diskurs im Netz zur Frage nach dem Verhältnis von Social Media und dem Selbstverständnis der Wohlfahrstverbände – dabei geht es hauptsächlich um die Caritas, aber der gesamte Diskurs ist gut auf die Diakonie übertragbar. Markus Lahrmann, Chefredakteur der Zeitschrift „Caritas in NRW“ hat einen Beitrag verfasst mit dem Titel: „Social Media verändern Struktur und Selbstverständnis von Verbänden“. Ein wichtiger Aspekt in dem Artikel ist die geringe Followerpower der Caritas. Darauf reagierte Robert Schedding – Social Media- und Caritas-Insider – mit einer Replik und beschreibt, dass es um die Followerpower der Caritas gar nicht so schlecht bestellt ist.

Ich empfehle diese lesenswerten Artikel jetzt nicht den Social-Media-Experten bei der Diakonie oder den anderen Wohlfahrstverbänden, denn die wissen das ja schon. Die Debatte greift meines Erachtens tiefer, sie macht etwas deutlich, was über digitale Vernetzung hinausgeht: Es geht um die Identifikation der Mitarbeitenden mit den großen Verbänden. Und es geht um die Frage, wie man Macht aufbauen, pflegen und nutzen kann. Das, was ich in diesen Texten lese und worüber immer wieder nachdenke – jenseits von Social Media – will ich hier kurz skizzieren.

Mir fällt schon seit längerer Zeit auf – ich spreche jetzt nur für den diakonischen Bereich, aber ich bin mir sicher, dass meine Überlegungen auch auf andere Verbände übertragbar sind – dass es wenig Identifikation der Mitarbeitenden mit „der Diakonie“ gibt. Man ist Mitarbeiter in der Diakonie, aber nicht Diakonie-Mitarbeiter. Gleichzeitig kann man diesen Mitarbeitern aber gerade nicht fehlende Identifikation mit der Sache, ihrer Arbeit oder ihrem Beruf vorwerfen. Und ich kenne viele Mitarbeitende, die eine hohe Identifikation mit „ihrer“ Einrichtung haben. Etliche würden sich auch für ihren Chef/ihre Chefin teeren und federn lassen. Auch wenn meine Einschätzungen recht verallgemeinernd sind, sind sie glaube ich nicht ganz falsch. Kurz gesagt: Es mangelt nicht an Identifikation mit der diakonischen Arbeit oder Einrichtung, sondern mit „der Diakonie an sich“.

Streng genommen kann das „der Diakonie“ (und hier meine ich jetzt die Diakonie als Verband – also Bundesverband, Landes- und Fachverbände) auch egal sind, denn die Diakonie ist eben kein klassischer Mitgliederverband, so wie beispielsweise der ADAC. Die Diakonie ist der Dachverband und die Lobbyorganisation der Einrichtungen – das sind ihre Mitglieder. Die Mitarbeitenden sind in dieser Logik ja „nur“ die „Mitgliedsmitglieder“ (und selbst das ist ja nicht ganz richtig…).

Aber genau das ist das Problem.

Wie gewinnt man gesellschaftlichen Einfluss und Macht? Mittels dreier Dinge: Masse, Geld, Know How. Am besten ist natürlich, wenn man über alles drei gleichermaßen verfügt, aber das ist unrealistisch. Jedes dieser drei Elemente ist (zumindest theoretisch) in der Lage, die anderen zu kompensieren. Man kann aber auch zwei kombinieren, also Standbein hier, Spielbein dort.

Das, was die Diakonie ausmacht und ihr auch zu politischem Gewicht verhilft, ist ihr Know How (Expertise, Fachlichkkeit) und ihre Masse (28.000 selbständige diakonische Einrichtungen, 988.000 Plätze/Betten; siehe Einrichtungsstatistik 2012). Aber gerade der Faktor „Masse“ ist meines Erachtens noch erheblich ausbaufähig. Nämlich in dem aus Mitarbeitenden in der Diakonie Diakonie-Mitarbeitende werden.

Ein einfaches Beispiel, das die Größenordnung und damit die mögliche Power der Mitarbeitenden deutlich macht: Die drei erfolgreichsten Petitionen beim Deutschen Bundestag waren „Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten“ (134.015 Unterzeichner), die Petition gegen die steigenden Haftpflichtprämien von Hebammen (186.356 Unterzeichner) und die Petition gegen die geplante Tarifreform der GEMA (305.117 Unterzeichner) [Quelle hier]. Die Gesamtmitarbeitendenzahl der diakonischen Beschäftigten liegt bei round about 450.000. Hinzu kommt noch einmal eine Masse an Ehrenamtlichen (Hier gehen die Zahlen auseinander. Die Diakonie-Erhebung geht von 700.000 Ehrenamtlichen aus, die Sonderauswertung des 3. Freiwilligensurveys von 200.000).

Solch eine Masse wird sich niemals auf Knopfdruck ativieren lassen, das ist völlig klar. Mir geht es nur darum, festzustellen, was hier eigentlich für ein unglaubliches Potenzial an purer Masse steckt – und zwar ausschließlich als eigener Homebase! Vielleicht müssten sich die Diakonie-Verbände nicht nur als Vertreter ihrer Mitgliedseinrichtungen verstehen, sondern als Organisationen, die über eine gewaltige Basis verfügen. Und diese Basis muss gepflegt werden.

Deshalb einfach einmal drei Ideen, die dazu beitragen können, die eigene Homebase stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Alle Ideen sind bewusst aus dem „analogen“ Bereich, um zu zeigen, dass es hier nicht ausschließlich um eine digitale Community geht:

  • Der Diakoniepräsident/die Diakoniepräsidentin wird künftig nicht vom Funktionärsproporz (Einrichtungsdiakonie vs. Landesverbandsdiakonie) bestimmt, sondern von den Diakonie-Mitarbeitenden gewählt. Die Wahlbeteiligung wird sicherlich nicht sehr hoch sein, das ist mir auch klar, aber es wäre ein guter symbolischer Schritt, ein neues Selbstverständnis zu kommunizieren.
  • Die Fachverbände wandeln sich zu Mitgliederverbänden. Diakonie-Mitarbeitende können dann in „ihren“ Fachverband eintreten. Der jeweilige Verband vertritt ja die Anliegen des eigenen Arbeitsfeldes, eine gegenseitige Identifikation wäre also durchaus gegeben. Außerdem würde dies die Fachverbände stärken – die momentan eher einen schwierigen Stand im Diakonie-Gefüge haben, die aber meiner Meinung nach die tragende Identifikations- und KnowHow-Macht darstellen (könnten)!
  • Es gibt eine journalistisch hochwertige Zeitschrift, die automatisch alle Diakonie-Mitarbeitende zugestellt bekommen. Eine (neue) Zeitschrift zu lancieren ist sicherlich das Verrückteste, was man machen kann, das weiß ich auch. Aber es hatte ja auch niemand mit dem Erfolg von LandLust gerechnet. Warum also nicht?

Weiterhin geht es natürlich darum, die Social-Media- Kanäle und –Ansätze auszubauen und digitale Community-Pflege zu betreiben. Aber ich glaube nicht, dass das alleine ausreichen wird.

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Die Diakonie hat eine gewaltige Homebase: ihre Mitarbeitenden. Die Mitarbeitenden in der Diakonie müssen stärker in den Mittelpunkt der Verbandsselbstverständnisse gerückt werden. Dann kann es auch gelingen, dass sie zu Diakonie-Mitarbeitenden werden und die Followerpower zunimmt. Und die wird mehr denn je gebraucht.

Diakonie operationalisieren

Welche Kriterien müssen eigentlich erfüllt sein, damit Diakonie Diakonie ist? Eine spannende Frage, hinter der sich eine noch grundsätzlichere Frage verbirgt: Kann man Diakonie überhaupt operationalisieren?

Um es kurz zu machen: nein, kann man nicht. Das liegt einfach daran, dass es keine „harte“ Diakonie-Theorie gibt, von der aus man deduzieren könnte. Trotzdem ist die Frage natürlich wichtig und berechtigt, unter welchen Voraussetzungen Diakonie nun auch „wirklich“ als „diakonisch“ gelten kann. Strukturell gesehen ist das noch recht einfach: Wenn eine Einrichtung Mitglied im entsprechenden Landesverband (oder auch im Bundesverband) ist, dann ist sie formaljuristisch „diakonisch“. Interessanter ist natürlich eine inhaltliche Antwort auf diese Frage. Mit einem etwas anderen Akzent – aber mit dem gleichen Grundanliegen – kann man auch fragen, wann eine Einrichtung „christlich“ ist. Und das gilt natürlich ebenso für die Caritas.

Vor zwei Jahren haben Diakonie und Caritas die „Rahmenbedingungen einer christlichen Unternehmenskultur in Caritas und Diakonie“ veröffentlicht. Darin werden die Qualitätsanforderungen zur „Herausstellung des christlichen Identitätsprofils eines Trägers und seiner Einrichtung“ beschrieben:

„Die Rahmenbedingungen einer christlichen Unternehmenskultur beschreiben das spezifisch christliche beziehungsweise kirchliche Profil eines Trägers und seiner Einrichtungen und unterstützen bei der Weiterentwicklung einer christlichen Unternehmenskultur.“ (Diakonie-Fachinformationsdienst vom 18.07.2011)

Der Leitfaden (PDF) und die Audit-Checkliste (PDF) können auf der Seite des Diakonie-Fachinformationsdienstes kostenlos heruntergeladen werden. Inhaltlich entsprechen sie sich natürlich, deshalb sollte man sich gleich der Checkliste zuwenden. Hier sind die einzelnen Qualitätsanforderungen als kurze Statements formuliert, inklusive Kästchen zum Ankreuzen in altbewährter ja-nein-vielleicht-Manier.

Ich mag solche Ansätze. Ich meine jetzt nicht Audits, sondern die Versuche, konkret auf den Punkt zu bringen, worum es inhaltlich geht. Um sich dann auch tatsächlich der schwierigen Frage auszusetzen, ob die Praxis dieser Anforderung standhält.

Wer sich mit der Frage nach dem diakonischen Profil schon einmal beschäftigt hat, wird in der Checkliste nichts aufregend Neues finden – aber darum geht es ja auch nicht. Viele wichtige Aspekte werden benannt, auch wenn das Ganze sprachlich schon recht hölzern daher kommt. Doch bei aller grundsätzlichen Zustimmung finde ich eine Sache etwas schwierig – oder vielleicht sollte ich eher sagen: etwas schade. Denn der konkreten inhaltlichen Frage, was denn nun „diakonisch“ ist oder nicht, kommen auch Leitfaden und Checkliste nicht wirklich viel näher.

Das sollte man sich einmal an einem konkreten Beispiel anschauen: Im Abschnitt 2.1 wird gefragt: „Ist die Gestaltung der Räume, insbesondere der Wohnräume der Kund(inn)en, an den christlichen Werten orientiert und zielt darauf ab, ein wohnliches Ambiente und eine angenehme Atmosphäre zu schaffen?“Ja, was heißt das denn nun? Würde es christlichen Werten entsprechen, wenn nur Naturmaterialen verwendet wurden (Bewahrung der Schöpfung, you know)? Wenn es viel Platz und Freiraum gibt – oder doch eher eine heimelig-enge Gemütlichkeit? Haben Kawohl-Poster eine höhere christliche Wertigkeit als ästhetisch ansprechende Bilder eines säkularen Verlages? Schwierige Fragen. Und ich meine diese Fragen wirklich ernst. Um welche „christlichen Werte“ geht es und wie schlagen sich diese konkret in der Ästhetik nieder? Ästhetik und Raumgestaltung sind in der Tat sehr wichtige Faktoren – gerade auch für christliches Profil! Nur wie beschreibe und operationalisiere ich dies angemessen? Hier helfen die „Rahmenbedingen“ dann doch nicht weiter. Und so ich habe den Verdacht, dass de facto wohl alles, was irgendwie ordentlich, freundlich, sauber und nett aussieht, als an christlichen Werten orientiert interpretiert werden kann.

Die Bezugnahme auf „christliche Werte“ taucht öfter auf. Doch so gängig dieser Begriff ist, er ist und bleibt unkonkret. In den „Rahmenbedingungen“ werden die „christlichen Werte“ gerade nicht expliziert, es gibt keine Aussagen dazu, was sie substanziell bedeuten. Die „Rahmenbedingungen“ bedienen sich stattdessen eines kleinen Tricks: Die Audit-Checkliste beginnt mit der Frage, ob im Leitbild der Einrichtung „christliche Grundsätze und Wertvorstellungen“ beschrieben werden. Wenn dann im Folgenden von christlichen Werten die Rede ist, geht es also immer um die Werte, die in dem jeweiligen Leitbild genannt sind. Die Einrichtung wird also an dem eigenen Maßstab gemessen – das ist natürlich gut! – aber damit kann im Grunde alles als „christlicher Wert“ gelten, wenn es der Träger in seinem Leitbild eben so definiert hat, von „missionarisch“ bis „humanistisch“ (um einmal zwei ideologische Schlagwörter zu gebrauchen).

Trotzdem finde ich es gut, der Profil-Frage nach zu gehen, in dem man nach konkreten Operationalisierungen sucht. Wohlwissend, dass es eine „richtige“ Operationalsierung des Diakonischen nicht gibt. Aber der Versuch, diakonische Essentials so konkret wie möglich zu formulieren, ist durchaus lohnend. Vor einigen Jahren haben Lars Charbonnier und ich eine Checkliste (oder genauer gesagt: einen „Test“) für den Einsatz in Seminaren entwickelt, mit dem Mitarbeitende ihre Arbeit beurteilen sollen – unter der Frage, ob auch Diakonie drin ist, wo Diakonie drauf steht.

Der Fokus ist ein ganz anderer als bei den „Rahmenbedingungen einer christlichen Unternehmenskultur“: Die Mitarbeitenden bewerten ihre eigene Arbeit aus subjektiver Sicht – und nicht ein Auditor eine Organisation. Und es gibt nachher auch kein „hop“ oder „top“ wie bei einer Zertifizierung, sondern es geht ausschließlich um den Bildungsgewinn, wenn man gemeinsam im Seminar über die Frage nach dem „Diakonischen“ streitet. Der „Test“ wurde in etlichen Semninaren eingesetzt und kam in der Regel gut an. Damit meine ich nicht, dass die inhaltlichen Aussagen, die unserem Vorschlag zugrunde liegen, durchweg positiv beurteilt wurden, sondern dass der „Test“ immer eine engagierte Diskussion ausgelöst hat. Gerade auch, weil wir mit den einzelnen Items ja durchblicken lassen, was wir unter „diakonisch“ verstehen – und wir nichts gegen Widerspruch oder Bessermachen haben!

Solche Operationalisierungen beruhen letztlich immer auf subjektivem Geschmack – davon können und wollen wir uns überhaupt nicht frei machen. Aber wir werfen einfach einen Vorschlag in den Ring, um zügig in die inhaltlich Diskussion einsteigen zu können. Für die Auswertung hat sich folgendes Verfahren bewährt: Jeder Teilnehmer kreuzt die entsprechende Zustimmung oder Ablehnung an. Dann

  • können Punkte vergeben (0 = trifft nicht zu, 1 = trifft eher nicht zu , 2 = trifft eher zu, 3 = trifft zu) und die Frage diskutiert werden, ob es einen „Mindest-Score“ geben muss, um „diakonisch“ zu sein;
  • kann diskutiert werden, welche Items wichtiger oder weniger wichtig sind;
  • können neue, eigene, bessere Items gesucht und ergänzt oder ausgetauscht werden.

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Eine Operationalisierung des inhaltlichen Kerns der Diakonie ist nicht möglich. Aber trotzdem ist es sinnvoll, sich der Anstrengung zu unterziehen, es zu versuchen. Das ist eine gute Klärungsarbeit, durchaus mit einem Bildungsgewinn.

Diakonisches Engagement

Nachdem ich das Dossier zum ehrenamtliches Engagement zusammengestellt habe, möchte ich jetzt noch ein paar grundsätzliche Gedanken zum Thema „Engagement“ anbringen – ich beschränke mich dabei auf den diakonischen Kontext. Ein guter Ausgangspunkt ist dafür das folgende Zitat:

„Es wird in Zukunft nicht ausreichen, mehr Menschen für mehr ehrenamtliche Tätigkeiten zu gewinnen, sondern es geht um eine völlig neue Grundhaltung zum zivilgesellschaftlichen Engagement. Wir werden unsere Lebensqualität nur erhalten können, wenn wir Menschen aller Generationen, Kulturen und Milieus aktiv an der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens beteiligen. Wir müssen sie motivieren, Verantwortung für das Miteinander in Nachbarschaft und Wohnumfeld zu übernehmen“

So formuliert es die Imagebroschüre Miteinander anders Quartiere neu gestalten (PDF) des Evangelischen Zentrums für Quartierentwicklung, einem gemeinsamen Netzwerk der Diakonie RWL und der Evangelischen Erwachsenenbildung Nordrhein.

Ein guter Ansatz. Es geht dann in erster Linie gar nicht so sehr um die Perfektionierung von organisatorischen oder organisationalen Aspekten des Freiwilligenmanagements, sondern es geht um einen anderen Blick auf das, was wir „Engagement“ nennen. Engagement ist zuerst und vor allem ein Akt der Weltgestaltung. Engagement ist das Gestalten von Lebensverhältnissen – die eigenen und die anderer – um die Welt etwas lebenswerter zu machen.

Vor diesem Hintergrund bin ich überrascht, von welchem Engagementverständnis eine Expertengruppe des Diakonie-Bundesverbandes ausgeht, die sich mit der Weiterentwicklung des diakonischen Engagements beschäftigt hat. Soeben sind ihre „10 Thesen zur Weiterentwicklung von Freiwilligem Engagement“ veröffentlicht worden, in der die Konsequenzen aus der aktuellen Diakonie-Ehrenamtsstudie formuliert werden. Kurz gesagt sind es recht allgemeine Wohlfahtsverbands-Thesen, die den gegenwärtigen Stand der Engagementforschung wiedergeben. Das ist durchaus solide, aber da es ja um die Weiterentwicklung diakonischen Engagements gehen soll, erstaunt mich dann doch, wie „traditionell“ dort ehrenamtliches Engagement gedacht wird:

  • Freiwilliges Engagement wird in in dem Papier ausschließlich als ein Handeln für andere verstanden, für die „Nutzer“ diakonischer Dienste. Diakonisches Engagement meint also die klassische Fürsorge der Ehrenamtlichen, die denen helfen, die sich im Gesellschaftsranking weiter unten befinden.
  • Zudem bleibt freiwilliges Engagement in den „10 Thesen“ ausschließlich dem „Dienstleistungs-Paradigma“ verhaftet. Das ist zum Teil verständlich, da sich die zugrundeliegenden empirischen Erkenntnisse ja auf das Engagement in diakonischen Einrichtungen beziehen. Aber „Diakonie“ kann auch als Teil zivilgesellschaftlicher Bewegung verstanden werden. Daher sollte ein gesellschaftspolitisches Engagement zumindest Erwähnung finden. Und wie verhalten sich freie/private christliche Initiativen als eine wichtige diakonische Engagementform zur Verbands- und Einrichtungs-Diakonie? Ich bekomme den Eindruck, dass diakonisches Engagament jenseits diakonischer Organisationen nicht wirklich relevant sei.
  • Und drittens fehlt die Auseinandersetzung mit „engagementfernen“ Gruppen. In der 6. These ist lediglich zaghaft von „ferneren Zielgruppen“ die Rede. Doch für mich wäre dies ein Grundanliegen der Diakonie: das freiwillige Engagement aus der „Nische“ der bürgerlichen Mittelschicht herauszuholen. Das Potenzial dazu hätte die Diakonie durchaus – gerade auch im Unterschied zu Kirchengemeinden!

Alles in allem gewinne ich den Eindruck: In der Diakonie scheint es hauptsächlich eine Form des freiwilligen Engagements zu geben, nämlich unentgeltlich Fürsorge zu leisten. Das ist nicht schlecht (keinesfalls!), es ist aber eine Verengung von dem, was „Engagement“ bedeuten kann. Und es beschreibt halt den status quo diakonischen Engagements – nicht dessen Weiterentwicklung.

Engagement wird zu schnell als unentgeltliche Dienstleistung verstanden – und das ist leider eine konzeptionelle Sackgasse. Denn Engagement meint erst einmal schlicht und einfach den persönlichen Einsatz für etwas. Engagement ist die Art der Anstrengung, Lebensverhältnisse zu einem besseren zu kehren, die über den „normalen“beruflichen oder familiären Einsatz hinausgeht.

In meinen Augen sind vor allem zwei Aspekte wichtig:

  • Freiwilliges Engagement sollte nicht ausschließlich als unentgeltlicher Fürsorgedienst verstanden werden.
  • Freiwilliges Engagament muss viel stärker ein gesamtgesellschaftliches Phänomen werden, es geht also um die Ausdehnung auf zur Zeit noch „engagementferne“ Gruppen – damit sind diejenigen gemeint, die in einem traditionellen Verständnis nur als Engagement-Empfänger verstanden werden.

Gut gebrüllt, Löwe. Aber wie kann das gelingen? Drei Hinweise dazu:

Stichwort „Geben und Nehmen“: Rund um den Keywork-Ansatz stößt man immer wieder auf eine interessante Engagement-Kette: Ich für mich – Ich mit anderen für mich – Ich mit anderen für Andere – Andere für mich. Dieses Konzept unterschiedlicher Engagement-Phasen geht auf Sylvia Kade zurück. Die klinischen Grenzen zwischen Geben und Nehmen werden organischer. Ich halte dies für ein sehr fruchtbares Engagementverständnis.

Stichwort „engagementferne Gruppen“: Eine wichtige Gruppe für die Engagementförderung sind Menschen mit Migrationshintergrund. Mittlerweile gibt es vielfältige Ansätze, auf diese Menschen verstärkt zuzugehen und ihre Ressourcen zu nutzen – wie zum Beispiel das Konzept der Stadtteilmütter oder eigens entwickelte Fortbildungen für „Menschen aus aller Welt“, die sich gerne in ihrem Umfeld engagieren wollen, aber auf kulturelle Engagementhindernisse stoßen. Eine bislang völlig vernachlässigte Gruppe Engagierter sind Menschen mit Behinderungen. Allein das Wort „Behinderung“ scheint schon Engagement-Bedarf zu signalisieren – und eben nicht Engagement-Bereitschaft. Interessant ist in diesem Zusammenhang das Projekt „selbstverständlich freiwillig“ der Diakonie Hamburg, das Menschen mit Behinderung unterstützt, selbst freiwillig tätig zu werden. Schwierig scheint es gegenwärtig vor allem zu sein, Menschen in prekären und marginalisierten Lebenssituationen für ein Engagement zu gewinnen. Wie können sie gestärkt werden, in dem sie sich selbst engagieren? Mir ist hierzu wenig bekannt.

Stichwort „Welt gestalten“: Wenn man freiwilliges Engagement in erster Linie als die Gestaltung der (eigenen und fremden) Lebensumstände versteht, kann man in der eingangs zitierte Broschüre „Miteinander anders Quartiere neu gestalten“ eine interessante Haltung entdecken. Das Evangelische Zentrum für Quartierentwicklung möchte in seinen Beratungen und Fortbildungen die Menschen ermutigen, selbst initiativ zu werden und ihre Gestaltungskraft zu entdecken. In der Imagebroschüre werden daher Impulse aus der Kunst aufgegriffen. Genannt werden Joseph Beuys mit seiner Idee der „sozialen Plastik“, die Schaffensweise von Pina Bausch und die Installation „Frühbeet der Ideen“ des Objektkünstlers Ilya Kabakov. Und warum? Wenn es darum geht, Welt zu gestalten, liegt es doch nahe, sich von Leuten inspirieren zu lassen, die in anderer Art und Weise gestalterisch tätig sind. Das wird alles nur ganz kurz angerissen, aber diese Haltung gefällt mir.

Sicherlich gibt es noch eine Menge mehr Stichworte, die man hier aufführen könnte. Aber so in diese Richtung könnte ich mir eine Weiterentwicklung diakonischen Engagements vorstellen.

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Die Weiterentwicklung des freiwilligen diakonischen Engagements ist für die Diakonie ein zentrales Thema. Das braucht viel Engagement.

Neues Dossier zum ehrenamtlichen Engagement

Das vierte diakonisch.de-Dossier ist nun online. Ich habe einmal alles zusammengestellt, was mir an Netz-Ressourcen zum diakonischen und kirchlichen ehrenamtlichen Engagement in die Hände gefallen ist (nun ja, manches musste ich auch mühsam suchen…).

Hier geht’s zum Dossier Ehrenamtliches Engagament!

Bis auf den Freiwilligensurvey, dem Flaggschiff der deutschen Engagementforschung, habe ich nur Materialien aufgenommen, die einen spezifischen diakonischen und/oder kirchlichen Bezug haben bzw. die von Kirche und/oder Diakonie herausgegeben wurden. Das soll die Debatte nicht verengen. Ich musste das Dossier einfach begrenzen, und eine spezielle Engagement-Linksammlung von Kirche/Diakonie gab es bisher noch nicht (oder?).

Für den Titel des Dossiers habe ich den klassischen Begriff „ehrenamtliches Engagement“ genommen. Im kirchlichen Bereich ist es nach wie vor der gängige Terminus (Seidelmann 2012, S. 10). Im diakonischen Kontext findet man zunehmend Formulierungen, die die „Freiwilligkeit“ in den Vordergrund stellen. Hier gibt es aber auch einen fließenden Übergang zu den Freiwilligendiensten, die ich im Dossier nicht berücksichtigt habe (das wäre noch einmal eine ganz neue Linkliste). Auch deshalb bin ich einfach beim Klassiker „Ehrenamt“ geblieben. Die Wahl des Begriffs ist also keine politische, sondern eine pragmatische.

Ich hoffe, dass der Service gefällt!

Anstalt reloaded

Vor zwei Jahren hatte ich hier etwas zur geänderten Ausrichtung von Bethel gebloggt: Die Zeit der Anstalt sei endgültig vorbei, Bethel sei kein Modell mehr für eine diakonische Ortschaft. Man wolle keine Orte mehr gestalten, sondern Lebensräume. Ich hatte mich damals schon gefragt, wann der Backlash kommt. Aber der ist längst da: Die Anstalt ist zurück. Und auch wenn es bisher nur Modellprojekte sind, die Idee einer „Anstalt reloaded“ wird uns in den kommenden Jahren wohl noch sehr intensiv beschäftigen.

Es geht um die Idee eines Demenz-Dorfes, das etliche Aspekte der diakonischen Anstalt mit ihrem Ortschaftscharakter wieder aufleben lässt. Auf das Modellprojekt des niederländischen Demenz-Dorfes Hogewey bin ich auf dem Alzheimerblog gestoßen (wer es nachlesen will, den empfehle ich in chronologischer  Reihenfolge die dortigen Blogartikel vom 16.09.2010, 15.03.2012 und 25.01.2013). Heute ist in der Onlineausgabe der westfälischen Kirchenzeitung „Unsere Kirche“ ein Artikel erschienen, der zudem auf ein ähnliches Projekt in diakonischer Trägerschaft hinweist.

Aber der Reihe nach. Was verbirgt sich hinter dem Konzept eines Demenz-Dorfes? Die ZEIT und SPIEGELonline haben bereits vor einiger Zeit darüber berichtet:

„Am Rande der Kleinstadt Weesp im Süden Amsterdams wohnen 152 Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, ihren Alltag selbstständig zu bewältigen. Doch wenn Henk de Rooy im Supermarkt einkauft, erscheint es ihm, als würde er genau dies noch immer schaffen. Um Pflegebedürftige nicht vollständig aus ihren gewohnten Lebensmustern herauszureißen, schafft man ihnen in Hogewey ein möglichst vertrautes Umfeld – und simuliert dafür auf mehr als 15.000 Quadratmetern rund um die Uhr den ganz normalen Alltag.[…] Gleich hinter dem Eingangsbereich Hogeweys beginnt heute eine beschauliche Parallelwelt, die dem Leben außerhalb des Pflegezentrums bis ins Detail nachempfunden ist.“ (ZEIT)

„Die insgesamt 152 Bewohner leben jeweils zu sechst in Häusern, die eine nach außen abgeschlossene Siedlung bilden. Sieben verschiedene Einrichtungsstile gibt es, sie entsprechen den Lebenswelten der Menschen in den Niederlanden, ermittelt hat sie ein Meinungsforschungsinstitut: rustikal, urban, christlich, wohlhabend, indonesisch, kulturell-versiert, häuslich. Hogewey ist eine geschrumpfte holländische Stadt.“ (SPIEGELonline)

Und auf YouTube findet man einige kurze Videos über Hogewey.

Das erste Projekt in Deutschland, das die Hogewey-Idee übernimmt, wird im rheinland-pfälzischen Alzey von dem Projektentwickler Bennewitz & Georgi geplant, nachzulesen in der Allgemeinen Zeitung, der Alzeyer Lokalzeitung (03.03.201226.04.2012, 27.04.2012, 27.06.2012). Fachlich ruft das Vorhaben durchaus Kritik hervor. Auf der Internetseite des Projektentwicklers findet man dazu einige Reaktionen.

Recherchiert man zu den Stichwörtern Hogewey oder Demenzdorf, stößt man immer wieder auf zwei Einwände, die sich auf die konkrete Gestaltung solcher Projekte beziehen: Wie steht es um die Fachkräftequote (siehe nochmal im Alzheimerblog!) und wie ist das Ganze finanzierbar, denn die niederländische Pflegeversicherung ist mit der deutschen nicht vergleichbar?

Daneben gibt es aber auch eine ganz grundsätzliche Kritik an Demenz-Dörfern. Für Alexander Künzel, dem Sprecher des SONG-Netzwerkes, ist das niederländische Demenz-Dorf

„zwar ein Fortschritt gegenüber traditionellen stationären Einrichtungen, aber hinsichtlich seiner ‚Käseglocken-Welt‘ doch auch wiederum hoch problematisch“ (CAREkonkret vom 23.03.2012, S. 2).

Ähnlich sieht es Reimer Gronemeyer, hier im Video von 3’24 bis 5’20:

Gerade unter diesen Gesichtpunkten ist es interessant, dass ein diakonischer Träger sich an dem niederländischen Vorbild orientiert. Laut dem erwähnten Bericht in „Unserer Kirche“ will die Graf-Recke-Stiftung eine Anlage in Hilden bei Düsseldorf bauen: „Auch die Düsseldorfer Graf-Recke-Stiftung, eine diakonische Einrichtung, plant in Hilden eine Siedlung nach dem Vorbild De Hogeweyk. Genehmigungsverfahren und Gespräche mit möglichen Investoren laufen noch“ (Unsere Kirche). Interessanter- oder merkwürdigerweise soll es sich dabei aber um eine geschlossene geronto-psychiatrische Einrichtung handeln, so die UK.

Ich muss zugeben, dass ich das Konzept eines solchen Demenz-Dorfes fachlich nicht beurteilen kann. Einem Ortschaftsgedanken stehe ich ja grundsätzlich positiv gegenüber. Das, was ich dann aber konkret in Erfahrung bringen konnte (Quellen siehe unten), macht mich sehr skeptisch. Es scheint weniger um eine eingebundene Ortschaft zu gehen, sondern um satelliten-ähnliche Gebilde, die Ähnlichkeiten mit dem aufweisen, wovon diakonische Träger sich in den letzten zehn Jahren vollmundig verbaschiedet haben: der Anstalt.

Andererseits: Wenn es stimmt, dass die Menschen dort glücklich sind, ist die Kritik dann nicht etwas zu akademisch? Ich weiß es nicht.

Quellen und weiterführende Hinweise

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Sie wird wiederkommen, die (diakonische) Anstalt – in veränderter Form, aber doch wiedererkennbar. Ob das gut oder schlecht ist, müssen wir diskutieren. Und das werden wir mit Sicherheit, denn die Frage nach angemessenen Wohn- und Unterbringungsformen wird eine der großen Debatten der kommenden Jahre in der Diakonie sein.

sich dienen lassen

Vor Kurzem fuhr ich mit dem Zug zurück nach Hause, stieg am Benrather Bahnhof aus und wollte schnell zu meinem Fahrrad. Auf einem erhöhten Absatz seitlich der Bahnhofstreppe saß ein Obdachloser, der seine Dienste als Schuputzer anbot. So stand es auf dem Pappschild, das er neben seinen fein säuberlich geordneten Utensilien aufgestellt hatte (sechs verschiedene Schuhcremes mit jeweils einem Lappen und einem Pinsel). Kein Kunde.

Schuhputzer kenne ich in Deutschland eigentlich nur aus Erich-Kästner-Büchern, sie gehören für mich also zum 20er- und 30er-Jahre-Inventar. Arme Menschen, die um ihr täglich Brot bangen müssen. Schuheputzen teilt die Welt klar in „oben“ und „unten“ ein, man sieht es ja an dem knienden Schuputzer sehr deutlich.

Warum lasse ich mir nicht die Schuhe putzen? Die Antwort ist einfach : Mir ist das irgendwie zu doof. Hat das Schuheputzenlasssen nicht etwas total Herablassendes? Gerade weil „oben“ und „unten“ so offensichtlich wird? Müsste ich mich nicht viel eher dafür einsetzen, dass in Deutschland kein Obdachloser Schuheputzen muss? Und was denken bloß die vorübergehenden Passanten?

Weil beides zwar gegen das Schuheputzen spricht, mich aber nicht wirklich überzeugt hat, drehe ich um und lasse mir die Schuhe putzen.

Ich sitze tatsächlich „oben“ auf dem Schemel, der mir fast wie ein Thron vorkommt – und muss damit nun klarkommen. Der Schuhputzer hockt vor mir gebückt, rutscht auf den Knien hin und her und erledigt seine Dienstleistung. Er macht seine Arbeit professionell, und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass er das gerne tut. Mein Job dabei ist: sich bedienen lassen. Oder mit  spiritueller Konotation: sich dienen lassen.

Darum ging es also, das war das Unbehagen. Sich dienen lassen ist unbaheglich. Vor allem dann, wenn der nächste Regionalexpress gerade angekommen ist und knapp hundert Menschen an mir vorbei ziehen, alle ganz nah und alle, die gucken, gucken mich an, nicht den Schuhputzer. Der macht ja schließlich nur seinen Job. Aber wer ist denn der, der sich da seine Schuhe putzen lässt?

Das Gespräch mit dem Schuhputzer war interessant, die Schuhe so gut geputzt wie nie, der Schuhputzer hat etwas verdient ohne zu betteln – und ich musste noch lange über dieses merkwürdige Phänomen des sich dienen lassens nachdenken. Warum ist das so ein merkwürdiges Gefühl?

Ich könnte das Ganze jetzt spirituell überhöhen (ja, die eine oder andere Bibelstelle ist mir dazu tatsächlich in den Sinn gekommen), aber das lasse ich an dieser Stelle lieber. Da kann jeder seine eigene Erfahrungen machen. Aber eine Sache ist mir noch aufgefallen: Es gibt doch beim „diakonischen Lernen“ im Konfiunterricht oder in Einführungskursen für Freiwilligendienste oft diese „Erfahrungsübung“, sich in einen Rollstuhl zu setzen und durch die Stadt zu rollen um dann später die gemachten Erfahrungen im Ton tiefer Betroffenheit gemeinsam zu reflektieren. So gut gemeint die Idee dahinter ist, ich mag dieses Spielchen absolut nicht. Ich schlage eine andere Art von Perspektivwechsel vor: Liebe Leute, die ihr helfen wollt, lasst euch erstmal die Schuhe putzen.

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Sich dienen lassen ist eine eher ungewohnte Erfahrung. Man kann sie durchaus beim Schuheputzenlassen machen.

Tauschnetzwerke im Freiwilligenmanagement

Dies ist ein Beitrag zur NPO-Blogparade „Freiwilliges Engagement attraktiver machen — aber wie?!“, die von Brigitte Reiser und Hannes Jähnert gehostet wird. Ich habe mich dazu mit Brigitte Reiser vom Blog nonprofits-vernetzt unterhalten. Hier sind unsere gemeinsamen Gedanken:

Martin Horstmann (MH): Wie kann man freiwilliges Engagement attraktiver machen?

Brigitte Reise (BR): Engagement wäre für viele attraktiver, wenn man sich credits erarbeiten könnte, die man einer hilfsbedürftigen Person in einer anderen Stadt oder Gemeinde wiederum in Form von freiwilligem Engagement durch andere zukommen lassen könnte. Denn die gestiegene gesellschaftliche Mobilität führt doch dazu, dass viele Familien und Bekanntenskreise getrennt sind. Man kann aufgrund dieser räumlichen Trennung hier nicht so helfen, wie man gerne möchte.  Wenn ich aber wüsste, dass mein Engagement in einer Stadt über Umwege und indirekt auch einer hilfsbedürftigen Person in einer anderen Kommune zugute kommt, – dann wäre dies doch ein sehr attraktiver (und tröstlicher) Gedanke.

MH: Das klingt ja nach einem Tauschring-Konzept. Ich engagiere mich an einer Stelle und bekomme an anderer Stelle – vielleicht sogar für jemand anderes, ganz woanders – wiederum freiwillig erbrachte Leistungen. Eine wunderbare Idee, finde ich. So etwas gibt es übrigens schon. Ich bin einmal bei einer Recherche auf „Fureai Kippu“ gestoßen. Ein ehrenamtliches Unterstützungssystem in Japan, mit dem Schwerpunkt auf Pflege, das als Tauschring mit Zeitkonten konzipiert ist.

BR: Ja, man könnte freiwilliges Engagement tatsächlich mit der Idee von Tauschnetzwerken kombinieren.  Allerdings kämpfen viele Tauschringe mit ähnlichen Schwierigkeiten: zu klein, überaltert, zu wenig Beteiligung usw. Das liegt ganz stark an der der lokalen Begrenztheit dieser Netze. Ein interessanter Blickwechsel könnte also sein: weg vom Raum, hin zum Träger! Man müsste überlegen, wie man innerhalb von Trägern – oder Trägergemeinschaften, aber das liegt eher noch weit in der Zukunft – solche Tauschsysteme etablieren kann.

MH: Und das pfiffige an dieser Idee wäre es dann, dass man diese Idee ins Freiwilligenmanagement der beteiligten Träger einbindet. Also: Wir kombinieren das Freiwilligenmanagement mit der Tauschnetzwerk-Idee. Und entgrenzen das ehrenamtliche Tauschnetz in dreifacher Hinsicht: Erstens kann über Zeitkonten das Einspeisen und Abrufen von Engagement zeitlich auseinanderfallen, zweitens ist In- und Output nicht auf eine bestimmte Region begrenzt und drittens könnte man ja auch noch überlegen, ob dies nicht auch noch bereichsübergreifend funktionieren könnte.

BR: Sehr ambitioniert! Aber vielleicht kann es uns gelingen, für diese Perspektive mehr Aufmerksamkeit zu generieren. Das könnte eine gute Diskussion in NPOs anstoßen.

MH: Im Grunde wären hier die beiden großen Kirchen mit ihren Wohlfahrtsverbänden die geborenen Trägerorganisationen dafür: Sie verfügen über flächendeckende Strukturen in ganz Deutschland, sie haben sozusagen ein riesiges Filialnetz, sie sind groß und was Freiwilligenmanagement und Ehrenamtskoordination angeht, sind sie mittlerweile gut aufgestellt. Da ist noch Luft nach oben, sicherlich, aber da ist in den letzten Jahren wirklich eine Menge Positives passiert.

BR: Ein anderer Ansatz wäre es, wenn die Idee nicht von einem Träger übernommen und „hochgezogen“ würde – was sicherlich viele Vorteile hätte – sondern wenn es eher eine freie Bewegung ist, ein Konzept, in das sich jeder Träger und jeder Verband, einklinken kann.

MH: Genauso funktioniert es beim Fureai Kippu. Es gibt anscheinend eine „Rechnungsstelle“, aber der Rest läuft dezentral und autonom über hunderte NPOs.

BR: Ja, beide Ansätze sind möglich. Aber schauen wir doch mal auf potentielle  Schwierigkeiten. Was stünde der Idee entgegen?

MH: Ich glaube das größte Problem liegt darin, wenn der Ausgleich nicht „aufgeht“. Es gibt engagementstarke und -schwache Regionen. Das kann man ja an dem Generali-Engagamentatlas gut sehen. Und was ist, wenn zum Beispiel alle Leute ihr Engagement in Kitas reinstecken wollen, aber ehrenamtliche Leistungen im Bereich der Altenhilfe rausbekommen wollen – mal etwas platt gesagt? Vielleicht sollte man doch erst einmal nur Zeit und Raum entgrenzen, sich aber auf einen Sektor bzw. auf ein Arbeitsfeld beschränken.

BR: Und das Problem der unterschiedlichen regionalen Verteilung?

MH: Vielleicht pusht so ein Konzept ja auch die Engagementbereitschaft noch einmal in ungeahnter Weise. Denn das ist ja wirklich ein sehr großer Attraktivitäts-Faktor. Es gibt aber noch eine andere Idee: Man könnte das Ganze ja nicht als tit-for-tat-Tausch aufziehen, sondern eher als Bonussystem. So wie bahn.bonus, zum Beispiel. Das heißt, es gibt einen Bonus-Faktor, für X Stunden bekomme ich nur einen gewissen Prozentsatz davon zurück. Dann würden zumindest die Spitzen abgefedert.

BR: Das gefällt mir. Ich will ja nicht alles eins zu eins verrechnen. Engagement ist ja keine pure Ökonomie, Engagement ist ja immer auch lustbetont und durchaus auch uneigennützig. Ich muss nicht alles wieder „rauskriegen“, das würde ja auch freiwilliges Engagement destruieren. Aber es wäre eine schöne Anerkennung.

MH: Genau! Und haben wir das freiwillige Engagement jetzt attraktiver gemacht?

BR: Absolut! Wir schauen, was draus wird.

Eine Blaupause fürs diakonische Profil

Hoffnung_LebenVor kurzem ist die überarbeitete Neuauflage von Hoffnung leben – Evangelische Anstöße zur Qualitätsentwicklung erschienen. Herausgeber ist der evangelische Kita-Fachverband im Rheinland. Und bei den dort zu findenden Anstößen geht es logischer Weise um die Profilentwicklung in evangelischen Kindergärten.

Doch das Buch ist so gut, dass es nicht nur für Kita-Mitarbeiternde, -Leitungen und -Fachberater/innen interessant ist, sondern für alle, die sich mit diakonischem Profil beschäftigen. Man muss dann ein bisschen um die Ecke denken, aber das sollte ja eigentlich keine Schwierigkeit darstellen.

Das Buch beginnt mit einer biblisch-theologischen Grundorientierung. Es wird dargestellt, was die Bibel von Gott, vom Menschen, vom Zusammenleben und vom Sinn des Lebens erzählt. Dazu gibt es jeweils biblische Impulse, Anregungen zur Weiterarbeit und pädagogische Zuspitzungen. Das Ganze macht 30 Seiten aus und ist damit sowohl fundierter als auch konkreter als so manche andere diakonische Materialhilfe.

Der zweite Teil ist der Hauptteil des Buches, hier wird die konzeptionelle Grundlage für die Profilentwicklung gelegt. Diese besteht in „fünf Ebenen – vier Aspekten – acht Grundmerkmalen“. Auch wenn man jetzt noch nicht weiß, was sich dahinter genau verbirgt, wird zumindest schon klar: Hier wird sehr strukturiert vorgegangen. Um diese Struktur geht es mir, gleich mehr dazu.

Im dritten Kapitel bietet das Autoren-Team noch einen weiteren Reflexionsschritt. Religiöse Erziehung/Bildung kann sich in verschiedenen Gestaltformen zeigen. Kunst, Raum, Zeit, Beziehungen, Körper/Sinne, Feste/Rituale, Erzählen, Stille/Gebet werden hier genannt und noch einmal konkretisiert.

Zurück zum Hauptteil des Buches mit den Ebenen, Aspekten und Merkmalen. Folgendes ist damit gemeint:

  • Die Ebenen: Hier geht es um fünf verschiedene Handlungssebenen: (1) die der Kinder untereinander, (2) die der Kooperation mit den Eltern, (3) die Ebene der Mitarbeitenden untereienander, (4) die Träger-Ebene und schließlich (5) die Ebene der Gesellschaft.
  • Die Aspekte: Aspekte beschreiben den“Sitz im Leben“ des Inhaltlich-Religiösen: (1) die religiöse Dimension in der Erziehung, (2) die Begegnung mit christlichen Inhalten, (3) die Kooperation von Kirchenegmeinde und Kita und (4) das interreligiöse Miteinander.
  • Die Grundmerkmale: Grundmerkmale sind die theologischen Essentials, die in dem Arbeistfeld eine besondere Relevanz haben. Während die theologische Grundorientierung im ersten Kapitel biblisch-theologisch angelegt war, stellen die Grundmerkmale quasi den systematisch-theologischem Kern dar. Für das Arbeitsfeld der Kitas nennen die Autoren acht solcher Essentials/Grundmerkmale: (1) Grundvertrauen, (2) Selbständigkeit, (3) Verantwortungsbewusstsein, (4) Grenzen, Schuld, Vergebung, (5) Neugier, (6) Sinn für Geheimnisvolles, (7) Phantasie und Kreativität und (8) Hoffnung.

Und jetzt beginnt das mühsame, aber lohnende Geschäft. In der Handreichung wird nun Ebene für Ebene, Aspekt für Aspekt, Merkmal für Merkmal durchgegangen. Mitgerechnet? Richtig, 160 (5 x 4 x 8) „Qualitätsfragen“ werden formuliert und mit jeweils ein, zwei Beispielantworten ergänzt.

Genau dieses Vorgehen gefällt mir – und es ist auf andere diakonische Arbeitsfelder übertragbar. Diese Struktur kann daher durchaus als eine Profil-Blaupause für andere Handlungsfelder dienen – nicht in den Inhalten, aber in der Herangehensweise. Dreierlei muss dann geklärt werden (ich weiche etwas von den verwendeten Begrifflichkeiten ab):

  • Die verschiedenen Bezugsebenen des Handelns: Das geht recht schnell, weil diese sich in den einzelnen Arbeitsfeldern mehr oder weniger von selbst ergeben.
  • Die religiösen Anschlussstellen: Diese sind in den verschiedenen Handlungsfeldern sehr unterschiedlich. Hier muss man schon mehr Reflexionsanstrengung hineinstecken, vielleicht zeigt sich nachher auch, dass manche Aspekte eher schwierig oder auch nicht angemessen sind. An dieser Stelle muss man vielleicht auch einfach eingestehen, dass dies bei Kitas verhältnismäßig einfach ist.
  • Die spirituellen Grundthemen oder -dynamiken des Arbeitsfeldes: Auch das ist nicht ganz so leicht, hier bedarf es solider Erfahrungen des Feldes. Die Kunst – ich sage es immer und immer wieder! – liegt darin, dass diese Essentials gleichermaßen eine „theologische“ wie „fachliche“ Würde habe. Für die theologische Durchdringungen könnten die folgenden beiden Bücher hilfreich sein: Krockauer/Bohlen/Lehner (Hg.): Theologie und Soziale Arbeit, München 2006 (Teil C) und meine Dissertation (Abschnitt 10.3).

Nach dieser Vorarbeit setzt dann die eigentliche Arbeit ein: Alles gegenseitig aufeinander beziehen und sich immer fragen: Was leitet sich hieraus konkret für das diakonische (bzw. christliche) Profil des Handlungsfeldes ab? Für mich ist „Hoffnung leben“ die beste Handreichung, die ich kenne, um diakonisches Profil zu entwickeln. Uneingeschränkte Kaufempfehlung – unabhängig vom Handlungsfeld!

Rheinischer Verband Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder e.V. (Hg.): Hoffnung leben. Evangelische Anstöße zur Qualitätsentwicklung, Moers 2013, 16,95€

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Auch wenn die konkreten Fragen und Beispiele nicht auf andere Handlungsfelder übertragbar sind, die Herangehensweise ist es: Die Handreichung „Hoffnung leben“ gehört daher auf jeden Profilentwickler-Schreibtisch.

 

Vorstellungskraft

Felix von Leitner („fefe“) hat in der FAZ vom 13.09.2013 seine „Stark-Trek-Theorie“ vorgestellt. Und die geht so: Warum gibt es aufklappbare Handys, USB-Speichersticks, Tablets, Computer mit Spracheingabe oder Google Glass? Ganz einfach: Weil das alles Dinge sind, die ein paar Jahrzehnte zuvor bereits in der Welt von Star Trek gezeigt wurden.

„Das alles liegt daran, dass „Star Trek“ fast zehn Jahre lang im Fernsehen lief. Diese Zeit war die Kindheit der Menschen, die heute im Silicon Valley und anderswo Dinge erfinden. Um Dinge zu erfinden, muss man sie sich vorstellen können. Daher fällt Science-Fiction in unserer Gesellschaft ein besonders hoher Stellenwert zu. Science-Fiction schafft Bilder, schafft Vorstellungen. Die Ingenieure bauen sie dann.“

Nur was man sich vorstellen kann, kann man umsetzen. Was nicht im Bereich der eigenen Vorstellungskraft liegt, ist nicht machbar. Dieser einfache Gedanke ist ein wichtiger Schlüssel für die Gestaltung von Welt und des eigenen Lebens. Im Grunde ist es eine spirituelle Weisheit. Und das Nutzbarmachen dieser Weisheit ist gerade auch für diakonisches Arbeiten von großer Bedeutung.

Ein einfaches Beispiel: Wenn Menschen für ehrenamtliches Engagement gewonnen werden sollen, müssen diese eine Vorstellung davon haben, was das ist (das wissen viele Menschen tatsächlich nicht, jedenfalls nicht im Konkreten!) und dass dies irgendwie positiv oder sinnvoll ist. Ohne dies gibt es kein Engagement, da können die Rahmenbedingungen noch so gut sein. Das klingt zu banal? Das mag sein. Aber ich frage mich immer wieder, wer eigentlich dieses furchtbare Wort „Freiwilligenmanagement“ erfunden hat. Denn Freiwillige lassen sich nicht „managen“ – aber von Bildern leiten. Statt „Freiwilligenmanagement“ bräuchte es also viel eher so etwas wie „Bildbearbeitung“.

Ähnlich ist es beim Empowerment. Empowerment funktioniert nicht über irgendwelche Tools und Techniken (auch wenn es unzählige davon gibt) und schon gar nicht übers „Motivieren“. Empowerment bedeutet im Kern: Ich (der „Empowerer“) habe ein Bild von dir (dem „Empowerten“), das größer ist als das, das du selbst von dir hast. Und ich versuche, dass dieses Bild in dich einsickert und unterstütze dich dann dabei, dass du es Gestalt werden lassen kannst. Für Letzteres sind manche der Tools und Techniken dann auch ganz hilfreich. Entscheidend ist aber das erste: das Vorhandensein eines großen (und trotzdem angemessenen) Bildes. Wer das als Sozialarbeiter nicht hat (es ist in jedem Einzelfall anders, klar), der verliert sich in wirkungslosen Techniken und belegt irgendwann eine Fortbildung zu heilsversprechenden Motivationstricks. Schade – oder wohl eher tragisch.

Ich belasse es einmal bei diesen beiden Beispielen, der Grundgedanke ist sicherlich klar geworden. Zurück zu der Ausgangsthese von Felix von Leitners Star-Trek-Theorie. Das eine ist ja die Vorstellungsfähigkeit an und für sich, das andere, dass ausgerechnet Star Trek so wirkmächtig gewesen ist (zumindest was Compuertechnik und Ingenieurskunst angeht – und auch der unbedachte Umgang mit Daten! Darum geht es von Leitner eigentlich in seinem FAZ-Artikel. Aber das ist nochmal ein ganz anderes Fass).

„Als einziges Science-Fiction-Programm zeigte „Star Trek“ eine Zukunft, die zwei Bedingungen erfüllte: Sie war realistisch genug, um sich selbst in dieser Welt sehen zu können, und sie war grundsätzlich positiv. Die gezeigte Welt war erstrebenswert. […] Und so hat „Star Trek“ einer Generation von zukünftigen Ingenieuren ein Zukunftsbild gezeigt, auf das diese jetzt hinarbeiten, bewusst oder unbewusst.“

Das ist ein wichtiger Punkt: Wirkmächtige Bilder müssen natürlich ein überschießendes Moment haben (sonst wären sie langweilig), aber sie müssen dabei auch in einem bestimmten Maße realistisch sein. Und sie müssen erstrebenswert, positiv sein. Nur so kann ich mich selbst in diesem Bild sehen. Das ist ja fast schon eine Gebrauchsanweisung!

Hier haben natürlich gerade die großen spirituellen Traditionen einiges an Erfahrung zu bieten. Allerdings nicht, weil sie die einzigen wären, die solche Bilder hätten oder weil sie besonders positive Bilder hätten (beides ist nicht zwingend der Fall), sondern weil sie wie kaum jemand anderes Erfahrung damit haben, wie Bilder „funktionieren“. Schon das deutsche Wort „Bildung“ macht dies deutlich: Etymologisch geht das Wort auf die christlich-mystische Praxis zurück, bei der der das Bild Christi so lange „imaginiert“ wird, bis es die anderen Bilder im Menschen überschrieben hat („înbildung“ hat das Meister Eckhart genannt). Das Arbeiten mit Imaginationen, die Nutzbarmachung der Vorstelllungskraft und das Entwickeln von positiven Zukunftsbildern ist ein zutiefst spirituell aufgeladener Prozess.

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Man kann nur das tun, von dem man eine Vorstellung hat. Glücklich der, der auf Menschen trifft, die einem lebensförderliche Bilder von der Welt oder gar von sich selbst zeigen. An dieser Stelle können sich soziale Arbeit (bzw. Therapie) und spirituelle Traditionen befruchten.

Was ist Diakonie? (#11)

„Diakonie ist fad und langweilig.“ (11’45)

Dieser Satz ist aus einer Predigt von Michael Chalupka, Direktor der Diakonie Österreich. Und der Satz lässt natürlich aufhorchen. Um es vorweg zu nehmen: Michael Chalupka hat recht – mit dem, was er mit diesem Satz meint.

Im Grunde ist es ein ganz einfacher Gedanke: Diakonische Arbeitsfelder sind oft geprägt von Routinen, wiederkehrenden Abläufen und langweiligen Situationen. So ist das nun mal, eigentlich nicht der Rede wert.

Doch interessanter Weise kommt der Alltag diakonischen Handelns in den Reflexionen über diakonisches Profil kaum vor. Wenn man sich einen beliebigen Artikel vornimmt, der sich mit der Frage nach dem diakonischen Profil beschäftigt, findet man dort mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Aussagen dazu, dass das Profil der Diakonie vor allem darin liegt, wie dort mit den Grenzfälle des Lebens umgegangen wird. Mit Tod und Sterben. Mit ethischen Dilemma-Situationen, mit bioethischen Fragen. Und selbst wenn es nicht ganz so dramatisch ist, dann sind es doch immer die ganz besonderen existenziellen Lebensfragen, die in der Diakonie aufgegriffen und bearbeitet werden. Eben darin läge das diakonische Profil.

Natürlich soll die Diakonie hierzu Positionen haben. Aber besteht darin der Kern diakonischen Handelns? Sieht so der Alltag diakonischen Handelns aus? Geht es ständig um Existenzielles? Wohl kaum.

Und daher braucht, wer in der Diakonie arbeitet,  nicht nur Geduld und Langmut (die natürlich als here Tugenden gelten), sondern auch Langeweile-Resistenz, so Chalupka.

Michael Chalupka singt das Loblied der Langeweile. Und das mag ich, denn ich finde, dass auch ein diakonischer Alltag, der langweilig ist, zur Reflexion diakonischer Identität gehören darf. Gehören soll. Und man kann’s dann ja auch wieder positiv wenden: Langeweile ist auch heilsam und schöpferisch.

Hier noch das Video zu der Predigt (10’05 – 19’20).

Michael Chalupka ist auf Twitter unter @michaelchalupka unterwegs. Folgen lohnt!

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Diakonie ist langweilig. Nicht nur, aber durchaus in weiten Teilen. Das Nachdenken über diakonisches Profil sollte daher vor allem auch den Alltag diakonischen Handelns in den Blick nehmen.

Weiter geht’s

Vielleicht war ich etwas zu voreilig. Vielleicht habe ich auch einfach nur mal eine Blogpause gebraucht.

Ich habe meine diakonisch.de-Zettelkästen durchgeschaut, um sie dann wegzuräumen bzw. auf andere Projekthaufen zu verteilen. Und da habe ich gemerkt, was da noch so alles drin ist und gebloggt werden will. Irgendwie hat man ja auch eine Verantwortung für Ideen, dass sie nicht nur im Stadium der Gedanken bleiben, sondern auch Wort werden. Mal etwas pathetisch ausgedrückt.

Und vielleicht war ich auch etwas kritisch in Bezug auf die recht niedrig ausgeprägte Online-Kultur in der Diakonie. Das ist halt einfach so.

Ach. Weiter geht’s.

Ich hatte ja ein zweites Blog angekündigt. Das wird es auch geben. Das Thema hat sich verfestigt, ich sammle schon länger erste Ideen und bin in das Stadium der Namenssuche eingetreten. Es wird um eine urbane christliche Spiritualität gehen. Details später.

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Ein Leben ohne Bloggen ist möglich. Aber sinnlos.

3 Jahre diakonisch.de

Vor genau drei Jahren habe ich das Blog diakonisch.de gestartet, ein Experiment.

Das Blog stelle ich nun ein.

Ich habe in den drei Jahren, in denen ich mich im Bloggen ausprobiert habe, eine Menge gelernt: die Entwicklung des Sounds bzw. der Tonalität des Blogs , die Verfestigung des Denkens beim Schreiben, das mehr oder weniger unterhaltsame Hineinnehmen der (mir unbekannten) Blog-Leser in meine Gedanken. Durchs Bloggen habe ich andere Blogs viel stärker wahrgenommen. Ich habe etliche Blogs mit sozialen oder theologischen Themen intensiv verfolgt, darüber Menschen und Ideen kennengelernt, Debatten und Informationen entdeckt, auf die ich ansonsten nicht gestoßen wäre.

Und das Bloggen war für mich eine wunderbare Möglichkeit, „laut zu denken“. Etliche Ideen sind erst durchs Bloggen entstanden, Vieles kam für mich erst dadurch auf den Punkt.

Ich wurde erstaunlich oft auf diakonisch.de angesprochen, das hat mich sehr gefreut! Allerdings immer auf Tagungen, Workshops, am Telefon. Kommentare und Verlinkungen hielten sich in Grenzen. Meines Wissens sind auch keine ähnlichen Projekte (ob nun als Blog oder nicht) entstanden, die versuchen, die Debatte um die diakonische Identität jenseits von Unternehmens- oder Verbands-PR voranzutreiben. Das war ein kleines bisschen meine Hoffnung bei diesem Projekt. Wie gesagt, es war als Experiment angelegt.

Die Frage nach dem „Kern“ (und den Rändern…) der Diakonie, nach angemessenen Ausdrucksformen, nach zukunftsfähigen Formaten und nach Möglichkeiten von Vergemeinschaftungen treibt mich weiter an. Nur das „laut Denken“ des Bloggens wird erst einmal nicht dazugehören…

Die Ideen und Gedanken in diesem Blog werde ich noch einmal überarbeiten und verdichten, daraus soll eine kleine Publikation entstehen: eine Diakonie-Einführung für Mitarbeitende. Ideen für weitere „diakonische“ (Folge-)Projekte habe ich in der Schublade. Wer informiert werden möchte, schickt mir einfach eine Email (mh // at // diakonisch // punkt // de), dann gibt es zu späterer Zeit Post von mir. Wer möchte, darf mir auch seine Anschrift senden, dann kommt die Beanchrichtung per Postkarte, ganz oldschool (wo gibt es sowas noch!). Analoge Kommunikation scheint ja doch einen gewissen Stellenwert in der Diakonie zu haben…

Es gibt auch bereits eine Idee für ein neues Blog, dort wird es stärker um christlich-spirituelle Themen gehen. Dazu später mehr.

Diakonisches Liedgut

Singen ist identitätsstiftend. In bestimmten Gruppen und Szenen wird ein ganz bestimmtes Liedgut gesungen (oder eben auch nicht). Das schafft während des Singens ein Gefühl von Zugehörigkeit, und es verursacht oft Jahre oder Jahrzehnte später noch einen Schauer, wenn man das eine oder andere Lied wieder hört. Philipp Greifenstein hat vor einiger Zeit seine „Hitparade“ neuer geistlicher Lieder zusammengestellt. Da sind ja ein paar Schätzchen dabei, Mann… Manche sprechen in dem Zusammenhang auch gern von „neuem geistlosen Liedgut“ – stimmt in vielen Fällen ja (leider) auch.

Wie sieht es denn eigentlich  mit dem Singen in der Diakonie aus? Ist die Diakonie ein Sangesnährboden? Hmm, das kann man nicht wirklich beantworten. Das liegt vor allem daran, dass die Diakonie zu „groß“ und damit zu unspeziell ist. Ein „typisches“ Liedgut gibt es immer nur in thematisch begrenzten Szenen – und wohl kaum in einer ganzen Branche. Deshalb gibt es auch keine „Diakonie-Hymne“. Und Lieder über die Diakonie finde ich recht bemüht, um es einmal vorsichtig auszudrücken… Siehe zum Beispiel hier oder hier.

Anstatt über die Diakonie zu singen, kann man natürlich auch singend dem Ausdruck verleihen, was sich im diakonischen Handeln spirituell vollzieht.

Gibt es Lieder, die in besonderem Maße eine „diakonische Spiritualität“ ausdrücken? Das ist natürlich Geschmackssache. Und Glaubenssache. An dieser Stelle möchte ich daher einfach einmal meine drei Favoriten gesungener diakonischer Spiritualität vorstellen.

Bleibet hier, und wachet mit mir

Das erste Lied ist ein Taizé-Lied: Bleibet hier, und wachet mit mir.

Eines der großen Missverständnisse in der Diakonie ist es, Diakonie vorschnell mit Aktion gleichzusetzen: Da, wo zupackend geholfen und getan wird, ist Diakonie. Diakonie als helfende Aktion ist oft das Selbstbild der Engagierten. Diakonie kann sich aber (gerade!) auch in purer Präsenz zeigen. Einfach gegenwärtig sein, da sein, da bleiben. Mein Diakonik-Lehrer hat die Trias bleiben – wachen – beten (Mk 14, 34+38), die in diesem Lied vertont wird, immer als den eigentlichen diakonischen Dreiklang bezeichnet. Er hat wohl recht.

Wechselnde Pfade

Das nächste Lied, das ich in besonderer Weise mit einer diakonischer Spiritualität verbinde, ist Wechselnde Pfade. Ich selbst kenne das Lied erst seit drei, vier Jahren. Es ist ein Pilgerlied, fester Bestandteil ist es zudem in der Schöpfungsspiritualitäts-Szene. Ein Video oder Audio habe ich nicht gefunden, aber immerhin die Noten.

Wechselnde_Pfade

Ich finde es einfach (und) schön. Wenige Worte und eine steile theologische Aussage: Alles ist Gnade. Ist es das? Ich singe es zumindest gern. Und seine Wirkung entfaltet es, wenn es – wie das Taizé-Lied Bleibet hier – immer und immer wieder gesungen wird, also mantrisch.

UPDATE 2014-12-20 Na, da habe ich jetzt doch ein Audio gefunden. Und zwar bei Jan Frerichs franziskanischer Lebensschule:

The Servant Song (Brother, Sister Let Me Serve You)

Und schließlich noch ein Lied, das das Dienen aufgreift. Dabei ist Dienen so eine Sache, mit vielen Missverständnissen verbunden – gerade in der Diakonie. „The Servant Song“ hebt das gegenseitige Dienen hervor, um einander christusförmig zu werden. Es hat etwas folkig Leichtes an sich und ist doch eine Hymne. Das Lied hat es mir angetan.

Komponiert hat es der neuseeländische Songwriter Richard Gillard Mitte der 1970er Jahre. Im anglikanischen Kontext ist der Song wohl bekannt, bei uns so gut wie unbekannt. Den Text findet man in den Anmerkungen zu dem YouTube-Video. Ich meine mich an eine Übertragung ins Deutsche von Yotin Tiewtrakul erinnern zu können, in seinem Blog ist sie aber leider nicht mehr.

Nachweise: Bleibet hier, und wachet mit mir: Jacques Berthier, Verlag Ateliers et Presses de Taizé; Wechselnde Pfade: Pilgerlied, Quelle unbekannt Text baltischer Hausspruch, Musik Gerhard Kronberg; The Servant Song (Brother, Sister Let Me Serve You): Richard Gillard, Verlag Marantha Music Inc.

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Diese drei Lieder verdichten für mich diakonische Spiritualität auf wunderbare Weise: „Bleibet hier, und wachet mit mir“, „Wechselnde Pfade“ und  „The Servant Song (Brother, Sister let me serve you)“. Singen!

Accessibilty als Avantgarde

Die letzten Abende habe ich mich mal durch etliche Videos der re:publica#13-Vorträge geklickt (Überblick über alle verfügbaren Videos hier). Ich mag den gesellschaftspolitischen Fokus der re:publica. Technisch komme ich nicht immer ganz mit, aber das macht nichts, weil das ja nur Details sind. Das Entscheidende sind die gesellschaftlichen Debatten, die dort geführt werden. Natürlich war ich auch ein bisschen auf der Suche nach Interessantem, was für diakonische Arbeit relevant sein kann. Von etlichen Vorträgen, von denen ich mir eben solche Inspiration erhofft hatte, war ich dann aber doch arg enttäuscht (Stichworte unter anderem: Zivilkapitalismus, Welt retten und Tod/Trauer im  Netz)

Fündig geworden bin ich unter anderem bei Tomas Caspers, Mitarbeiter bei Aktion Mensch, der zur Barrierefreiheit gesprochen hat: Innovationsbeschleuniger gesucht! – Wie wär‘s mit Barrierefreiheit?

„Die Barrierefreiheit – das ist auch wieder so ein Thema, wo man immer wieder hört „ach du jeh, müssen wir das jetzt auch noch machen?“ Dabei ist, wenn man sich die Technikgeschichte anguckt, gerade das Thema Hilfsmittel für Menschen mit Behinderungen wirklich ein spannenendes Thema, voll mit Innovationen. Und ich möchte euch gerne heut einmal zeigen, dass dies Innovationen sind, von denen wir heute noch was haben. […] Und ich werde zeigen, dass die meisten Probleme, vor denen Entwickler mobiler Anwendungen für diese Geräte stehen, alte Hüte sind für alle, die sich schon länger mit dem Thema Barrierefreihiet oder Web-Accessibility beschäftigen. […] Und gerade diese Erkenntnisse aus dem Thema Barrierefreiehit bringen entscheidende Vorteile für Menschen mit und ohne Behinderungen […]“ (01’20-02’20)

Das erinnerte mich daran, dass wir ja der Raumfahrttechnologie so Einiges an technologischem Fortschritt im Alltagsleben zu verdanken haben, wie etwa Babynahrung, Akkuschrauber oder Flachbildschirm. Und ebenso ist es mit der Barrierefreiheit. Barrierefreiheit/Accessibility ist also kein Sonderthema für Menschen mit Behinderungen, sondern ein Innovationsmotor für Alltagstechnologie – für uns alle.

Also muss man die Barrierefreiheit als das begreifen was sie wirklich ist: kein Ballast, sondern ein Antreiber für nachhaltige Veränderungen und als echter Motor für Innovationen. […] Es geht nicht darum, auch Menschen mit Behinderungen das Recht zu geben, mitzumachen, sondern es geht darum, ihnen nicht durch falsche Entscheidungen das Recht zu nehmen, bei irgendwas mitzumachen, wo sie eigentlich schon sind. Also keine Sonderlösungen produzieren, sondern gemeinsamen Zugang, der im Idealfall für alle Nutzer gleich funktioniert und von dem im Idealfall auch alle Nutzer etwas haben. (3’10-3’55)

Klingt alles sehr einleuchtend und plausibel. Für mich war trotzdem einiges Neues dabei. Deshalb hier nun das Video zu dem lehrreichen und kurzweiligen Vortrag von Tomas Caspers:

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Accessibility/Barrierefreiheit ist die neue Raumfahrttechnik: Innovationsmotor für technische Entwicklungen und Alltagserleichterungen.

Was ist Diakonie? (#10)

Im diakonischen Bereich wird oft erwähnt, dass die Diakonie zwei wichtige Funktionen erbringe, nämlich Dienstleistung und Anwaltschaft – also das Anbieten sozialer Dienstleistungen und das anwaltschaftliche Eintreten für die Rechte Marginalisierter. Doch beschreibt diese Doppelfunktion wirklich hinreichend das Spektrum diakonischen Handelns? Fehlt da nicht was?

Das Funktionen-Doppel von Dientsleistung und Anwaltschaft trifft es in meinen Augen nicht so richtig. Dabei geht es mir gar nicht darum, dass beide Funktionen gerne und oft kritisiert werden – das Erbringen diakonischer Dienstleistungen führt unweigerlich zu der Kritik, dass die Diakonie eh nur das tue, was sie bezahlt bekomme und der Anwaltschaftlichkeit wird vorgeworfen, dass sie vor allem Eigeninteressen des Trägers diene; zudem müsse man fragen, woher eigentlich das Mandat zum anwaltlichen Tätigsein komme, es handele sich viel eher um ein „angemaßtes Mandat“.

Ich finde an dieser Doppelfunktion vor allem schwierig, dass sie de facto zu einem Dualismus wird: einerseits gibt es da die durchökonomisierte Dienstleistungserbringung, andererseits das gesellschaftspolitische „anwaltschaftliche“ Engagement der Diakonie, das gern als die „eigentliche“ diakonische Aufgabe angesehen wird. Die Anwaltsfunktion wird so zu einer Chiffre für all das Gute, Wahre und Schöne der Diakonie – bleibt damit allerdings auch diffus. Die (gesellschafts-)politische Funktion der Diakonie ist aber breiter und facettenreicher, als es der Begriff „Anwaltschaftlichkeit“ hergibt.

Anwaltschaftlichkeit muss daher meines Erachtens präzisiert werden. Zum einen spreche ich lieber von Interessenvertretung, das kommt mit etwas weniger Pathos daher. Und zum anderen braucht es über das Eintreten für die Interessen bestimmter Gruppen hinaus auch noch eine gesamtgesellschaftliche Funktion: das Bemühen um eine solidarische und gerechte Gesellschaft im Ganzen. Daher gefällt mir auch die Trias gut, die die Caritas immer wieder nutzt, um ihr Selbstverständnis zu beschreiben: Dienstleister, Anwalt und Solidaritätsstifter.

Die Solidaritätsstiftung explizit als dritte Funktion zu bennen, finde ich sehr einleuchtend. Zum einen schon allein deshalb, weil Dreiermodelle grundsätzlich mehr Eleganz haben als Zweiermodelle (bzw. de facto-Dualismen). Zum anderen aber auch, weil es eben einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Anwaltschaftlichkeit/Interessenvertretung und Solidaritätsstiftung gibt. Er liegt in dem, worauf sich diese beiden Funktionen beziehen: Bei Anwaltschaft/Interessenvertretung geht es immer um die Durchsetzung von Partikularinteressen, bei der Solidaritätsstiftung um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Es sind zwei verschiedene Bezugspunkte.

Doch in meinen Augen fehlt da immer noch etwas. Es gibt es noch eine weitere, vierte Funktion, die bisher in der Reflexion über die Diakonie bisher kaum auftaucht: die Funktion des Gemeinschaftsbilders.

Der Begriff der Gemeinschaft ist manchmal etwas romantisch aufgeladen und gerade in kirchlichen und diakonischen Szenen hat er hin und wieder etwas merkwürdige Konnotationen – mir ist daher eigentlich der englische Begriff der Community etwas lieber, denn es geht um die ganze Breite dessen, was „Community“ sein kann: Gemeinschaften, Gemeinden, Gemeinwesen, aber auch Szenen oder Netze.

Die Funktion des Gemeinschaftsbilders / des Community-Buildings ist noch nicht durch die anderen drei Funktionen abgedeckt. Und in meinen Augen ist sie auch gerade für die Diakonie wesentlich. Die Diakonie hat eben auch die Funktion, zu verbinden und zu vernetzen, Sozialkapital aufzubauen und Zugehörigkeiten zu ermöglichen. Es geht um angemessene und gelingende Formen von Vergemeinschaftung, es geht darum, „Communities“ (mit) zu ermöglichen, (mit) zu pflegen, und (mit) zu entwickeln. Die Zugehörigkeiten zu „Communities“ und das Eingebundensein in ihnen ist eben nicht nur ein Mittel zum Zweck, sondern hat einen Wert in sich – sowohl für den Einzelnen, wie für die Gesellschaft im Ganzen.

Interessant finde ich, dass ich auf die Funktion des Communty-Buildungs ja bereits in der Bratislava-Erklärung gestoßen bin (…wenn ich es recht sehe, ist diese auf osteuropäischen Erfahrungen aufbauende Erklärung bei uns völlig unbekannt – was schade ist!). Und in einem Blogbeitrag von Brigitte Reiser habe ich den Hinweis auf eine etwas anders formulierte Funktionen-Trias von Nonprofitorganisationen gefunden, die ebenfalls die Community-Dimension als grundlegend ansieht. Auch in Reisers erweitertem Modell (sie führt Beteiligung/Partizipation als vierte Dimension ein), bleibt die Community-Funktion selbstverständlich bestehen.

Gerade für die Diakonie ist die Gemeinschaftsfunktion im Grunde nicht neu (man denke nur an die Anstalten, Häuser und Wohngruppen, an Kommunitäten, Basisgemeinschaften und diakonische Gemeinschaften, aber auch an das (zaghafte) Experimentieren mit Genossenschaften. Als das war schon immer nicht nur ein Mittel zum Zweck, sondern ein Grundanliegen der Diakonie, deshalb erstaunt es mich ein wenig, dass ein Community-Buildung bisher nicht als eigenständige Grundfunktion von Diakonie diskutiert wird.

Man könnte auch einmal darüber nachdenken, ob nicht gerade die konfessionellen Wohlfartsverbände ein besonderes Interesse an der Community-Funktion haben müssten. Zum einen ist das Christentum keine individuelle Erlösungsreligion, sondern eine auf Gemeinschaft angelegte Religion, und zum anderen ist die ganze Kirchen- und Diakoniegeschichte ja voll von Erfahrungen und Experimenten mit Sozialformen – erfolgreichen und gescheiterten.

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Diakonie ist nicht nur Dienstleister, Anwalt und (nicht zu vergessen!) Solidaritätsstifter, sondern auch Gemeinschaftsbilder.

„Neue Gemeindeformen“ und ihre Bedeutung für die Diakonie

Die aktuelle Ausgabe 1/2013 der Zeitschrift “Praktische Theologie” hat den Schwerpunkt “Neue Formen von Gemeinde”. Ich zähle nun nicht zu den Insidern der Gemeinde-Entwicklung, aber mir scheint es doch gegenwärtig ein gewisses Interesse daran zu geben, wie und was Gemeinde sein kann. Also ein sehr aktuelles Thema. Und – ist das nun erstaunlich oder ist es das nicht? – ein äußerst ergiebiges Thema für diakonische Entdeckungen.

Lange Zeit schien das Thema “Gemeinde” vom Tisch zu sein. Kirche organisiert sich halt in Gemeinden, aber wer innovativ sein will, der sollte sich dann doch lieber von der Gemeinde fernhalten. Innovation ist woanders. Das fordert natürlich auch eine Gegenbewegung heraus, bei der alles daran gesetzt wird, dass Gemeinde so innovativ wie möglich daherkommt. Bevorzugte Vokal ist dabei “frisch” (und weil das so altbacken klingt, nennt man es lieber “fresh”).

Das Positive an dem Schwerpunktheft der Praktischen Theologie ist in meinen Augen, dass man sich nicht von den euphemistischen, aber letztlich doch inhaltlich unbestimmten Schlagworten “alternativer” oder “fresh”er Ansätze leiten lässt. Sondern es geht um die nüchtern klingende, aber äußerst spannende Grundfrage: Wie funktioniert eigentliche (christliche) Vergemeinschaftung? Dazu werden sieben Gemeinden vorgestellt. Diese sind:

Die Schilderungen der Gemeinde(forme)n sind anregend zu lesen und es lohnt sich, über die anschließenden systematisierenden Überlegungen von Ralph Kunz und Uta Pohl-Patalong nachzusinnen. Zwei Gedanken gingen mir dabei immer wieder durch den Kopf:

Die Frage nach der diakonischen Dimension der (neuen) Gemeindeformen

Kunz und Pohl-Patalong betonen, dass die vorgestellten Gemeinden deutliche diakonische Bezüge haben – seien sie explizit oder implizit:

“Auffallend häufig finden sich bei den vorgestellten Gemeindemodellen ein gesellschaftliches Engagement in Solidarität mit benachteiligten Menschen. Die St. Lukas-Kirche in Gelsenkirchen und die Mitenand-Arbeit in Basel leben von diesem Motiv, aber es findet sich bei allen anderen in unterschiedlicher Weise, sei es als sozialdiakonisches Arbeitsfeld ‘Haltestelle LUX’, das sozial benachteiligte Jugendliche fördert, sei es als Auseinandersetung mit gesellschaftlichen Fragen wie in der Stadtkirche Dortmund oder als Forum für die aktuellen Fragen im Stadtteil wie im Ökumenischen Forum HafenCity, sei es als konkrete diakonische Arbeit im Quartier in der Gellertkirche Basel” (Kunz/Pohl-Patalong, S. 34).

Für Kunz und Pohl-Patalong weisen diese neuen Gemeindeformen “neue Mischungen von Sozialität, Spiritualität und Solidarität” auf (S. 35). Das Mischungsverhältnis der sozialen, spirituellen und solidarischen Dimension macht dann den Charakter der Gemeinde aus. Und ich mag mich täuschen, aber mir scheint, dass sich bei den Diskursen rund um das Diakonische der Kirche im Laufe der Jahre der Klang geändert hat. Ein gewisses Pathos, das oft mit diakonischer Arbeit einherging (etwa: Diakonie als Gerechtigkeitsarbeit, die nicht nur gegen den Kapitalismus, sondern auch noch gegen die Kirche kämpfen muss), verebbt zunehmend. Ein neues Interesse an Spiritualität, Kontemplation oder Liturgie scheint gerade nicht – wie in der diakonischen Szene oft befürchtet – die Diakonie zu verdrängen. Sie wird im Gegenteil neu entdeckt; etwas unaufgeregter, aber mit durchaus radikalem Potenzial.

Vielleicht ist das aber auch eine etwas überschießende Interpretation von mir, mag sein…

Und andersrum: Die Frage nach der Gemeinschaftsdimension in der Diakonie

Es ging mir aber noch etwas Zweites durch den Kopf. Die Frage nach angemessenen Sozialformen und die Erkenntnisse der beschriebenen Vergemeinschaftungsprozesse sind auch für die Diakonie in ihrer institutionalisierten Variante spannend.

Meine These – die ich in Vorträgen schon gelegentlich betont, aber hier im Blog noch nicht dargestellt habe (wird nachgeholt!) – ist, dass Diakonie vier Grundfunktionen hat. Und damit eine mehr als das gängige Dreier-Modell mit Dienstleistung, Interessensvertretung (oft als „Anwaltschaftlichkeit“ bezeichnet) und Solidaritätsstiftung. Die vierte Funktion ist die der Gemeinschaftsbildung. Für mich ist auch die Pflege von Sozialkapital, die Beheimatung in kleineren und größeren Kollektiven, das Bemühen ums Dazuzugehören oder das Aufbauen von Netzwerken eine Grundfunktion der Diakonie.

Dazu gehört auch das Suchen und Ausprobieren von immer wieder neuen, angemessenen Sozialformen und das Wahrnehmen und Reflektieren von Vergemeinschaftungsprozessen. Auch deshalb sind die 7 + 1 Artikel dieser PrTh-Ausgabeauch für die Diakonie interessant.

Um die Dortmunder Stadtkirche St. Petri bildet sich eine eigene Szene, in der es immer wieder zur der überraschend-irritierenden Erkenntnis kommt, dass man in St. Petri gar nicht eintreten kann – denn rechtlich ist sie eben gar keine eigenständige Gemeinde. Weil man aber gerne irgendwo eintreten möchte, gründet man halt einen Förderverein. Auch um die Hamburger Kirche der Stille gruppiert sich eine Szene. Gemeinschaft wird gesucht, aber der Begriff „Gemeinde“ wird vermieden – zu viele negative Konnotationen schwingen mit. Die Alternative lautet dann „spirituelles Zuhause“. Bei der Jugendkirche LUX geht es um Beziehungen in Teams und Kleingruppen, die zusammen ein Netzwerk bilden. Dies führt zur Nutzung des „Community“-Begriffs, der sowohl das soziale Phänomen als auch dessen theologische Deutung aufnimmt. Die gemeinwesendiakonisch ausgerichtete Lukas-Gemeinde in Gelsenkirchen orientiert sich an „gelebter Nachbarschaft“; das Verhältnis der Sozialformen „Gemeinde“ und „Gemeinwesen“ wird mit „Nachbarschaft“ auf den Punkt gebracht. Auch das Ökumenische Forum HafenCity knüpft an die Idee eines Nachbarschafts- bzw. Begegnungsortes an, gemeinschaftliche Dynamik entfaltet sich zudem durch eine Kommunität und eine Hausgemeinschaft. Die missionarisch ausgerichtet und von Willow Creek geprägte Gellertkirche in Basel besteht aus einem Geflecht von über hundert (!) verschiedenen Kleingruppen; die zwei zentralen Gottesdiensten haben für landeskirchliche Verhältnisse Großveranstaltungscharakter. Und wiederum ganz andere Sozialformen bilden sich in der vor allem von Migrant/innen getragenen Mitenand-Bewegung in Basel. Eine Arbeit, die entdeckt hat, dass inklusive Ideen unter erschwerten Bedingungen möglich werden können, wo integrative Ansätze eben nicht möglich sind. Besondere Formate sind ein babel-artiger Gottesdienst ohne gemeinsame Sprache, ein sonntäglicher Begegnungsraum und eine eigene Art von Gemeindefreizeit.

Diakonie war immer wieder dann innovativ, wenn sie das Potenzial bestimmter Community-Arten entdeckt hat und zum wesentlichen Bestandteil ihrer Arbeit gemacht hat: Kommunität, Verein, Anstalt, Haus(-Familie), Wohngruppe, vereinzelt auch die Genossenschaft oder die Hausgemeinschaft, neuerdings die Nachbarschaft. Unter diesem Gesichtsprunkt birgt eine Debatte um neue Gemeindeformen durchaus auch noch Einiges an Potenzial für die Diakonie.

Gemeinwensenorientierte Ansätze werden hierbei eine wichtige Rolle spielen, das liegt ja bereits auf der Hand. Das Geflecht aus Zellen, Clustern und Netzen (wie in missionarischen oder in jugendkulturellen Gemeinden) könnte gerade für das Gelingen von Teilhabeprozesse eine entscheidende Bedeutung haben (wird meines Wissens aber unter „diakonischer“ Perspektive noch nicht bedacht). Das Phänomen, dass sich sogar in eher losen Szenen Wünsche nach formaler Zugehörigkeit entwickeln, ist vor allem für diakonische Gemeinschaften interessant. Die meines Erachtens wichtigste Brutstätte diakonisch relevanter Sozialformen sind die Migrantengemeinden. Nicht aus einer falsch verstandenen naiven Romantik heraus, sondern weil sie Integrations- und Inklusionsbemühungen noch einmal gegen den Strich bürsten.

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Neue Gemeindeformen haben deutlich diakonische Dimensionen. Und die Diakonie braucht als Gemeinschafts-Bilder den Diskurs um neue Sozialformen.

Diakonisches Profil: Neues Dossier und einige Notizen

So, das dritte Dossier auf diakonisch.de ist online. Es dreht sich rund um das Thema „diakonisches Profil“. Dazu ist natürlich schon sehr viel publiziert worden, deshalb steht bei diesem Dossier eine qualitative Reduktion im Vordergrund. Es ist eine kleine, aber umso feinere Auswahl geworden. Damit man nicht alles lesen muss, sondern nur das Gute.

Zur Einstimmung hier noch vier Punkte, die mir bei der Beschäftigung mit dem Thema über die Jahre hinweg wichtig geworden sind. Wenn man diesen Ausführungen folgt, umgeht man die gängigsten Kurzschlüsse der Profil-Debatte (zumindest meiner Meinung nach…).

Diakonie ist nicht gleich Diakonie – diakonisches Profil ist immer kontextabhängig

Die verschiedenen diakonischen Akteure unterscheiden sich sehr deutlich. Ein regionales Diakonisches Werk auf Kirchenkreisebene und ein Krankenhaus eines diakonischen Trägers haben auf den ersten Blick – und auch noch auf den zweiten und dritten – nicht viel gemeinsam, wenn man einmal von der Tatsache absieht, dass beide formaljuristisch Mitglied der Diakonie sind. Von Kirchengemeinden und anderen diakonischen Akteuren ganz zu schwiegen. Doch nicht nur die Akteure in der Diakonie-Landschaft unterscheiden sich, auch die Arbeitsfelder sind von völlig verschiedenen Rahmenbedingungen und inhaltlichen Dynamiken geprägt.

Man kann nun nicht einfach für die verschiedenen Akteure und für die verschiedenen Bereiche ein allgemeingültiges diakonisches Profil formulieren. Es gibt kein diakonisches Profil an und für sich. Oder aber man bleibt äußerst allgemein und abstrakt, dann aber um den Preis, dass das diakonische Profil wenig Berührung zum diakonischen Alltag und zu den konkreten Tätigkeiten hat. Und genau das sollte vermieden werden!

Diakonie entsteht im Handeln und im Deuten. Diakonie ergibt sich nicht aus einer Diakonie-Theorie

Der erste Satz klingt vielleicht unspektakulär, führt aber zu der wichtigen Konsequenz, dass diakonisches Profil nicht aus einer Theorie „abgeleitet“ werden kann. Deduktion ist kaum möglich, oder treffender gesagt: wenig sinnvoll. Diakonische Identität gibt es nicht an und für sich. Erst im Tätigsein, in der Auseinandersetzung und der Vergewisserung kann sich das zeigen, was Diakonie ist. Für das diakonische Profil bedeutet dies: Es geht nicht um eine deduktive Profilableitung sondern um eine induktive Profilvergewisserung (vgl. H.-G. Ziebertz, Sozialarbeit und Diakonie, Weinheim 1993, 152). Diakonische Bildung hat daher nicht die Aufgabe, zuvor definierte Profilaussagen zu vermitteln, die dann im diakonischen Alltag nur noch umgesetzt werden müssten, sondern immer wieder neu zum Prozess eigener Profilvergewisserung anzuregen. Diakonische Identitätsentwicklung und Profilbildung ist keine einmalige, abgeschlossene Aufgabe. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass beispielsweise der Bildungswert eines formulierten Einrichtungsleitbildes äußerst gering ist. Unter Nachhaltigkeits-Gesichtspunkten ist ein „fertig“ formuliertes Leitbild nicht viel mehr als dies: nice to have. Etwas ganz anderes ist die gemeinsame Erarbeitung eines Leitbilds.

Wichtig für diakonisches Profil ist das Konstitutive, nicht das Spezifische

Wenn man nach dem Wesentlichen der Diakonie sucht, ist die Unterscheidung von Konstitutivem und Spezifischem sehr hilfreich. Man kann auch von inklusiven und exklusiven Merkmalen des diakonischen Profils sprechen, das meint in etwa das Gleiche.

Es geht um Folgendes: Das Eigentliche der Diakonie darf nicht mit dem Einzigartigen der Diakonie verwechselt werden. Es ist fraglich, ob mit einem Bündel von Besonderheiten das Wesen der Diakonie zutreffend beschrieben werden kann. Das Spezifische fragt nach dem Besonderen, dem Einzigartigen; es entsteht aus der Abgrenzung gegenüber Anderem. Das Konstitutive fragt nach dem Wesentlichen, dem Bedeutsamen – egal, wie und ob dies auch bei Anderen so ist.

Ein hilfreiches Beispiel diesbezüglich stammt von Herbert Haslinger: Wenn man fragt, was das Spezifische am Katholizismus ist, würden sicherlich Papsttum oder Marienfrömmigkeit als erstes genannt werden. Würde man nun eine Liste mit all diesen Spezifika aufstellen, hätte man damit trotzdem in keinster Weise das Wesen des Katholizismus erfasst. Denn dazu zählen ganz besonders auch Elemente, die es in anderen Konfessionen (der Glaube an Jesus Christus), teilweise auch in anderen Religionen (Gebet, religiöse Gesänge, etc.) gibt. Dieses Beispiel ist leicht zu übertragen auf die Frage nach dem spezifischen bzw. konstitutiven Profil der Diakonie.

Das Spezifische beschreibt damit also gerade nicht das Eigentliche, sondern nur Sonder- und Spezialaspekte – und lenkt dadurch von der Sache ab. Eine Gegenprofilierung ist „keine gute Möglichkeit der diakonischen Profilentwicklung“ (H.-St. Haas, Diakoie Profil, Gütersloh 2004, 240), sie ist auch kaum in der Lage, überhaupt zum Wesentlichen vorzudringen, da sie sich immer an Spezifika verausgaben wird. Die Frage nach den Spezifika muss dabei nicht völlig aufgegeben werden: Sie kann nützlich sein, wenn man sie als Prüf-Kriterium einsetzt (um zu schauen, ob man nicht bestimmte Aspekte völlig übersehen hat), aber eben nicht als Such-Kriterium.

Diakonisches Profil meint weder etwas „Zusätzliches“ noch eine eigene „diakonische Fachlichkeit“

Diakonisches Profil wird oft als etwas „Zusätzliches“ wahrgenommen. Viele Mitarbeitende empfinden, dass das Diakonische etwas Zusätzliches ist, dass ein irgendwie geartetes „Mehr“ erwartet wird – und dass dieses „Mehr“ gerade an ihnen hängt: „Jetzt müssen wir nicht nur fachlich gut sein und den Alltag hier irgendwie überstehen – jetzt müssen wir auch noch besonders diakonisch sein!“ Oft ist es auch ein unterschwelliger Druck, was die Sache nur noch subtiler macht. Natürlich gibt es auch „zusätzliche“ Aspekte rund um das Thema „diakonisches Profil“. Aber meiner Meinung nach liegen diese dann eher auf Seiten des Trägers und nicht beim Mitarbeitenden. Beispielsweise eine Vernetzung mit anderen kirchlichen Institutionen, ein Augenmerk auf eine besondere Ästhetik in der Einrichtung oder die Einrichtung eines Andachtsraums – dies sind alles Sachen, die für den Träger etwas Zusätzliches bedeuten, aber nicht für das Handeln der Mitarbeitenden.

Es geht in der Diakonie wie in der Sozialen Arbeit allgemein um eine gute Fachlichkeit und um eine möglichst hohe Professionalität. Deshalb stellt sich die Frage, wie sich denn nun die Fachlichkeit und das Diakonische zueinander verhalten. Es taucht immer mal wieder der Begriff einer „diakonischen Fachlichkeit“ auf. Dies ist in meinen Augen aber ein problematischer Begriff, denn er suggeriert, dass es neben pädagogischer, sozialarbeiterischer, therapeutischer oder pflegerischer Fachlichkeit eben auch noch eine eigene diakonische Fachlichkeit gäbe. Man kann dem kurz und prägnant entgegenhalten: „Es gibt kein evangelisches Poabwischen“ (E. Hauschildt: Wider die Identifikation von Diakonie und Kiche, PTh 89 (2000), 415). Es bringt daher wenig, von einem diakonischen Handeln auszugehen, dem eine andere Fachlichkeit innewohne. Es lohnt sich nicht, sich an dieser Front zu verkämpfen. Stattdessen geht es um eine gute Fachlichkeit. Heinz Rüegger und Christoph Sigrist, die eine äußerst empfehlenswerte Einführung in die Diakonie vorgelegt haben, betonen: „Wollen sich diakonische Dienstleistungsangebote profilieren, können sie es nur, indem sie nach allgemeingültigen Standards möglichst exzellent werden: fachlich qualifiziert, sozial und kommunikativ kompetent, innovativ, ethisch sensibel, kostenbewusst und kundenfreundlich“. (Rüegger/Sigrist: Diakonie – eine Einführung, Zürich 2011, 145).

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Diakonisches Profil gibt es nur konkret, nicht an und für sich. Es entsteht im Handeln und Deuten. Das Eigentliche muss nicht einzigartig sein

Inklusionslust

Das Thema Inklusion ist nicht nur in der Diakonie seit einigen Jahren ein Dauerbrenner, es ist mittlerweile auch in der Kirche „in“. Man muss nur einen Blick in die praktisch-theologische Literatur werfen: Johannes Eurich und Andreas Lob-Hüdepohl geben seit 2011 die Reihe Behinderung – Theologie – Kirche bei Kohlhammer heraus, als erster Band erschien Inklusive Kirche. Die Pastoraltheologie hat im März 2012 ein Heft zur Inklusion veröffentlicht, ebenso die Praktische Theologie mit ihrer Ausgabe 03/2012. Jüngst hat Chrismon Rheinland das Themenheft Debatte veröffentlicht, sozusagen als „Futter“ für die rheinische Synode 2013, die hier ihren inhaltlichen Schwerpunkt setzt. Es gibt noch etliche weitere Beispiele, die genannt werden können.

Aber nicht nur Theologie und Kirchenleitung beschäftigen sich mit Inklusion. Auch in den Kirchengemeinden kommt die Inklusionsdebatte an. Ich hatte in letzter Zeit öfter Kontakt mit Menschen aus sehr verschiedenen Gemeinden und ich habe immer wieder gestaunt, dort auf dieses Thema angesprochen zu werden. Meine subjektiven Beobachungen sind zwar nicht verallgemeinerbar, aber allein dass das der Begriff „Inklusion“ überhaupt bekannt ist (man muss sich klar machen, dass es nach wie vor ein Fachwort ist) und es als wichtiges kirchliches Thema identifiziert wird, hat mich positiv überrascht. Denn man muss realistischer Weise bedenken, dass viele Debatten, von denen man meint, dass sie für Kirchengemeinden wichtig seien, nicht unbedingt bis dorthin vordringen. Vieles, was Kirchenleitung, akademische Theologie oder Sozialwissenschaften gerne in den Gemeinden diskutiert sehen würden, findet dort keinen Widerhall. Daher sollte man hier einfach einmal anerkennend feststellen: Inklusion ist ein Thema, das in irgendeiner Art und Weise in Gemeinden resonanzfähig ist.

Woran mag das liegen? Vor circa 30 Jahren hat der Theologe Ulrich Bach für diese Ideen gekämpft, damals noch nicht unter dem Begriff Inklusion und auch mit einem sehr deutlichen Fokus auf der Integration von Menschen mit Behinderung in das Gemeindeleben. Und traurig, aber wahr: Ulrich Bach ist damit gescheitert. Seine Ideen fielen bei Kirchenleitungen und in Kirchengemeinden nicht auf fruchtbaren Boden – auch wenn ihm immer wieder bestätigt wurde, wie recht er damit doch habe. Schaut man sich Bachs Veröffentlichungstitel an, merkt man, dass er zunehmend verbitterter wurde.

Nun ist das Thema nicht kleiner und konkreter geworden (und damit leichter zu packen und besser umzusetzen) – im Gegenteil, es ist umfassender und zum Teil auch diffuser geworden. Und trotzdem setzt auf einmal eine Inklusionslust ein.

Was ist passiert? Einige Jahrzehnte sind vergangen: Die Gesellschaft hat sich verändert, der Fachdiskurs ist weitergegangen, die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen wurde veröffentlicht, und die Inklusionsidee konnte auf Vorläuferkonzepten aufbauen und diese weiterentwickeln. Ohne Normalisierungs- und Integrationsbestrebungen wäre die Inklusions-Idee vielleicht nicht da, wo sie jetzt ist. (Deshalb finde ich es auch immer sehr befremdlich, wenn auf vorausgehende pädagogische Konzepte draufgehauen wird, um so Inklusion im besseren Licht erscheinen zu lassen. Die aus heutiger Perspektive oft als defizitär erscheinenden Ansätze haben viel geleistet: nämlich den Boden beackert und das Feld bestellt. Wenn daher in der Anzeigenkampagne der Aktion Mensch Integration und Exklusion zu Illustrationszwecken auf dieselbe Stufe gestellt werden, um Inklusion von beidem abzuheben, dann finde ich das eine bodenlose Frechheit. Exkurs Ende).

Und was wohl auch zutrifft: Die Gesellschaft ist politisch korrekter geworden. Man kann einfach nicht gegen Inklusion sein. An dieser Stelle befremdet mich die Debatte um Inklusion aber auch immer wieder. Denn der Diskurs ist in meinen Augen äußerst euphemistisch angelegt, kritische Töne hört man selten. Die Angst, sich durch etwas Kritisches ins moralische Unrecht zu setzen, ist anscheinend groß.

Anders gesagt: Dafür sein kostet mich erst einmal nichts und ich zeige außerdem noch, dass ich einer von den Guten bin. Das ist aber leider wenig hilfreich. Wenn man nach der Rolle von Kirchengemeinden fragt, ist es daher vielleicht ganz sinnvoll, drei Ebenen zu unterscheiden: Die Ebene der Inklusions-Idee, die Ebene der Inklusions-Praxis und die des Inklusions-Diskurses.

Was können Kirchengemeinden nun tun?

Gemeinden haben zweierlei zu bieten: Die Kirche kann das Evangelium und die Inklusions-Idee miteinander in Beziehung bringen. Das liegt zum einen natürlich nahe, zum anderen sind da sicherlich auch noch Entdeckungen zu erwarten. Und die Kirchengemeinden können bei der Inklusions-Praxis herum experimentieren. Sie sind zu nichts verpflichtet, sondern können aus ihrem eigenen Antrieb Dinge ausprobieren, etwas besser machen, Erfahrungen sammeln. Das muss nicht gleich flächendeckend sein und es müssen auch keine Leuchtturmprojekte sein. Sondern einfach hier und da eine Idee gut umsetzen.

Beides ist sehr viel wert. Sich in der Inklusions-Debatte zu verausgaben ist hingegen nicht nötig. Kirchliche Resolutionen oder Bekenntnisse zur Inklusion verändern nichts. Und hat irgendjemand überhaupt noch den Überblick, wozu oder wogegen sich die Kirche in den letzten 50 Jahren alles bekannt hat!?

Zurück zur Praxis. Was sollte man bedenken, wenn man das Thema anpacken will? Vier kurze Hinweise:

  • Die Inklusionsidee sollte nicht auf das Thema Behinderung begrenzt werden. In diakonischen Einrichtugen ist dies hingegen oft der Fall, Kirchengemeinden sollten sich meiner Meinung nach an einem weiten Inklusionsverständnis orientieren.
  • Man sollte sich den Tendenzen verwehren, einer political correctness anheim zu fallen. Sobald p.c. um sich greift, ist die gute Idee verloren. Denn dann setzen Denkverbote ein. Wenn beispielsweise Kirchengemeinden bei dem Thema unbehaglich zu Mute ist (warum auch immer), dann sollen sie das sagen dürfen. Vielleicht haben sie etwas Wichtiges mitzuteilen.
  • Inklusion ist etwas Strukturelles bzw. eine Haltung, eine Kultur. Inklusion bedeutet nicht, Hilfsangebote für andere zu machen. Die Wahrnehmung muss entdiakonisiert werden.
  • Und das bedeutet schließlich: Nichts für andere machen, sondern füreinander machen. Und das geht nur miteinander. Will sagen: Inklusion bedeutet, mit der Beteiligung ernst zu machen.

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Die Inklusionsidee kommt in den Kirchengemeinden an und löst Resonanz aus. Jetzt sind gute Ideen gefragt, keine Resolutionen oder Denkverbote