„Jetzt also auch noch Inklusion?“

Für einen Vortrag auf der Inklusionstagung der Evangelischen Akademie Baden habe ich mich noch einmal mit der Frage kirchengemeindlicher Inklusionspraxis beschäftigt. Ich habe das als Diakoniker mit einem möglichst undiakonischen Blick gemacht. Das mag vielleicht merkwürdig formuliert sein, aber wer diesen Blogbeitrag von mir kennt, wird wissen, was ich meine. Ich habe zudem eine weites Inklusionsverständnis, ich verenge es nicht auf die Inklusion von Menschen mit Behinderungen.

Ein Thema wie „Inklusion“, mit dem sich eine Gemeinde beschäftigt, wird schnell zu einem zusätzlichen Thema für die Gemeinde: „Jetzt also auch noch Inklusion!“ Dabei geht es erst einmal darum, zu fragen: Grenzen wir mit unserer Gemeindepraxis Menschen aus – offen oder verdeckt? Erschweren wir Teilhabemöglichkeiten – bewusst oder unbewusst?

Ein Grundproblem von Inklusionsprozessen ist mir noch einmal deutlich geworden: Wenn ich an der einen Stelle Inklusion fördern will, werde ich mich zwangsläufig für Exklusionen an anderer Stelle entscheiden müssen. Oder besser auf den Punkt: Teilhabeförderung ist immer auch Teilhabebehinderung. Das, was Teilhabe für die einen erleichtert, kann für andere die Teilhabe erschweren.

Aber ich will mich nicht in Paradoxien ergehen. Im Gegenteil, ich möchte, dass die Idee einer inklusiven Gemeinde möglichst leichtfüßig und ausstrahlend daherkommt. Daher lauten meine zwei wichtigsten Leitfragen: Wie kann Inklusion möglichst pragmatisch gelingen? Was kann eine Kirchengemeinde dabei auch wirklich leisten?

Den Vortrag kann man hier nachlesen (PDF). Hier eine Kurzversion meiner sieben Impulse:

Kirchliche Inklusionspraxis ist keine Frage der Diakonik, sondern der Kybernetik

Das ist der zentrale Grundsatz für mich. Inklusion ist nicht ein Projekt einer diakonischen Gemeinde, Inklusion ist auch nicht das Hoheitsgebiet der Diakonin oder des Diakonie-Presbyters. Inklusion ist ein Leitmotiv für die Gemeindepraxis an sich – und damit ist es ein Thema der Gemeindeentwicklung und des Gemeindeaufbaus.

Nichts Zusätzliches machen, sondern Bestehendes anders machen

Auf gar keinen Fall ein zusätzliches Angebot machen! Denn de facto ist das meist ein Spezialangebot für eine bestimmte Betroffenengruppe – also exakt das Gegenteil von Inklusion. Einfaches Beispiel: Bitte kein Demenz-Café in der Gemeinde machen – sondern das Gemeinde-Café so machen, dass auch Menschen mit Demenz ohne große Schwierigkeiten daran teilnehmen können!

Inklusionspraxis braucht ein „gemeinsames Drittes“

Im Mittelpunkt der Bemühungen muss etwas Identitätsstiftendes stehen, das die Inklusionsbarrieren überbrückt. Das können gemeinsame Aufgaben, Interessen, Bedürfnissen oder Rollen sein. Nur wenn diese auch tatsächlich (und nicht bloß rhetorisch!) Identität stiften, ist Inklusion möglich. „Begegnung“ alleine reicht nicht.

Inklusionspraxis gelingt leichter, wenn sie einen attraktiven Zusatznutzen (für alle) bietet

Der Klassiker ist hier natürlich die Rampe, die nicht nur dem Rollifahrer sondern auch dem Kinderwagenschieber nützt. Das ist eine gute Denkrichtung für die gesamte Gemeindepraxis: „Wie kann die Beseitigung eines Teilhabehindernisses nicht nur für den unmittelbar Betroffenen, sondern für alle einen Nutzen haben?“ Dann kann Inklusion auch zu einem Selbstläufer werden.

Nicht bei der Haltung beginnen, sondern bei der Praxis

In erster Linie ist Inklusion eine Frage der Praxis. Das was zählt, ist, ob es gelingt, nicht, ob es gut gemeint ist. Zudem ändert Praxis die Haltung, und nicht (wie oft angenommen) umgekehrt. Indem ich eine Praxis ändere und sie einübe ändert sich nach und nach meine Haltung dazu.

Der Versuchung einer unnötigen moralischen Aufladung wiederstehen

Gute Ideen sollten nicht mit moralischen Appellen gefördert werden, denn das löst meist (und in derRegel unterschwellig) Widerstand aus. Weg mit der Moral, weg mit der Betroffenheitsheischerei. Her mit den guten Ideen, die aus sich selbst heraus lebensfähig sind.

Gute Gemeinde-Bilder suchen

Kümmere dich nicht zu sehr um die Idee von Inklusion, sondern vor allem um die Idee von Gemeinde: Was ist, kann und will Gemeinde? Der Ansatz für eine inklusive Gemeinde liegt für mich darin, ob die Gemeinde ein schönes, angemessenes und überzeugendes Bild von christlicher Gemeinschaft hat. Das kann ganz schlicht sein. Aber es muss gut sein.

tl;dr
Inklusion in der Kirchengemeinde ist weder ein zusätzliches Thema noch ein diakonisches Projekt, sondern eine Grundaufgabe der Gemeindeentwicklung.

Noch zwei Hinweise: In der badischen Landeskirche läuft das Projekt „Teilhabe und Inklusion“, das die Inklusion innerhalb der eigenen kirchlichen Strukturen voranbringen will. Die rheinische Landeskirche hat die viel beachtete Orientierungshilfe „Da kann ja jeder kommmen“ veröffentlicht.

 

 

4 Kommentare zu „„Jetzt also auch noch Inklusion?““

  1. Die These im dritten Absatz verstehe ich nicht:“Wenn ich an der einen Stelle Inklusion fördern will, werde ich mich zwangsläufig für Exklusionen an anderer Stelle entscheiden müssen“ – ist dieses nicht ein Denken in Verteilungskonflikten (wir müssen einen begrenzten Kuchen aufteilen), obwohl man den Kuchen durch Inklusion für alle größer machen kann? Diese Möglichkeit kommt ja dann auch in Deiner 4. These zum Ausdruck („Wie kann Inklusion für alle einen Nutzen haben?“) und in Deinem Appell, das Bild von Gemeinde weiterzuentwickeln. Es geht also um die Ausweitung von Handlungsmöglichkeiten und des Miteinanders für alle.

    Dass man für Inklusion nichts Zusätzliches braucht, nur Bestehendes anders machen muss, beschwichtigt die Gemüter, trifft m.E. aber nicht ganz zu: es sind sehr wohl Investitionen zu tätigen, es sind auch zusätzlich Informationen in leichter Sprache zu erstellen und viele andere Hürden im Alltag der Gemeindearbeit und auf der Gemeindewebseite abzubauen. Das nehmen die Verantwortlichen vor Ort schon als „zusätzliche“ Aufgaben wahr, – die aber – siehe oben – einen Nutzen für alle bringen.

  2. Vielen Dank für die beiden guten Hinwiese!

    Zunächst mal zu dem „Zusätzlichen“ bzw. „nicht Zusätzlichem“. Natürlich erfordert eine inklusive Gemeindepraxis etliches an zusätzlichen Anstrengungen! Ich will aber darauf hinaus, dass es eben keiner zusätzlichen Angebote bedarf. Siehe das Demenz-Café-Beispiel, Ich finde es (nicht nur aus Inklusionsgesichtspunkten) völlig falsch, ein zusätzliches Kirchencafé-Angebot zu machen, also noch ein Extra-Demenzcafé einzurichten. Wenn es bereits eine Kirchenkaffee gibt, sollte man überlegen, ob es hier Demenz-Barrieren gibt und diese dann abbauen. Das führt zu zusätzlichen Anstrengungen (die ich nicht erwähne, das stimmt), aber eben nicht zu zusätzlichen Angeboetn (ein Extra-Café). Dieses Beispiel ist auf Vieles in der Gemeinde übertragbar.

    Zu deinem ersten Einwand: Ich habe erst jetzt gemerkt, dass dier Absatz in dieser Kurzform unverständlich ist. Im Vortrag ist es etwas klarer (hoffentlich!). Ich will sagen: Das, was für den einen die Teilhabe an einem bestimmten Gemeindeangebot erleichtert (bzw. überhaupt erst ermöglicht), kann gerade für andere dazu führen, dass sie sich unerwünscht bis hin zu abgestoßen fühlen. Nehmen wir einmal die Leichte Sprache. Ich finde diese Idee sehr gut – und an sehr vielen Stellen täte es gut, „leichter“ zu sprechen. Natürlich kann man auch eine Predigt in leichter Sprache halten. In evangelische Gottesdienste kommt auch viel Bildungsbürgertum, weil sie dort dort eine intellektuelle (und wortgewaltige) Predigt erwarten. Wenn dann „leicht“ gepredigt wird, fühlen sich diese Menschen von der Teilhabe an dem, was sie wünschen, ausgeschlossen. Auch hier gibt es zahlreiche Beispiele.

    Ich muss allerdings eingestehen, dass es mir hierbei tatsächlich um das Phänoemn „Teilhabe“ geht, was nicht deckungsgleich mit „Inklusion“ ist. Hier muss ich in der Tat nochmal nachjustieren.Es kann sein, dass bei mir Teilhabe und Inklusion manchmal zu sehr verschwimmen. Danke!

  3. Zum Thema Demenz-Cafe:
    Hier ist in meinen Augen zu unterscheiden: Natürlich ist es wünschenswert, dass ein „allgemeines Kirchencafe“ grundsätzlich demenzfreundlich gestaltet wird. Spezielle „Demenz-Cafes“ haben aber häufig den Charakter von niederschwelligen Beratungs- und Entlastungsangeboten, in denen Betroffene und Angehörige spezifische Themen miteinander bewegen können.
    Und diese exemplarische Unterscheidung illustriert vielleicht zugleich die nicht letztlich zu bewältigende Problematik der Öffnungs- und Schließungsmechanismen im Hinblick auf allgemeine und spezifische (kirchliche) Angebote: Berechtigterweise wollen nicht alle sich zu jeder Zeit mit spezifischen Fragen des Lebens mit Demenz beschäftigen!

    1. Liebe Ellen Eidt, danke für den Kommentar! Urlaubsbedingt kommt meine Antwort leider nicht ganz zeitnah…

      Natürlich haben spezielle Angebote (egal welcher Art) auch ihre Berechtigung. Allerdings hat das dann wenig mit Inklusion zu tun. Und darum ging es mir ja. Mir ging es nicht um Demenzcafé im Allgemeinen, sondern um ein Beispiel für inklusive Gemeindearbeit. Und wenn sich eine Gemeinde inklusiv ausrichten will, dann ist es in meinen Augen am besten, alle (!) bestehenden (!) Angebote (und ein Kirchencafé ist ja oft schon ein bestehender „Standard“) inklusiv zu gestalten. Ansders macht es ja wenig Sinn. Und wenn eine Gemeinde ein spezifisches Hilfsangebot (für was und wen auch immer) machen will, so soll sie das auf jeden Fall tun, da will ich gar nicht gegenreden. Nur ist das dann halt kein Bestandteil der inklusiven Gemeindearbeit. Muss ja aber auch nicht.

      Ihren zweiten Hinweis finde ich allerdings bedenklich. Natürlich will ich mich nicht immer mit allen schwierigen Aspekten des Lebenes befassen (bzw. mich darauf stoßen lasse), diese Einstellung kann ich gut verstehen. Allerdings ist die Kirche/die Kirchengemeinde für mich der Ort, der gerade keine bewusste Ausschließung betreibt, um andere vor solch Auseinandersetzungen zu bewahren! Denn wenn man sich auf diese Logik einlässt, kann man genausogut sagen: Wir möchten im Kirchencafé nicht so gerne Menschen mit Behinderung haben, weil sich nicht jeder ständig mit körperlichen Versehrtheit auseinandersetzen will; keine Ausländer, weil sich nicht jeder ständig mit Fremdheit auseinandersetzen will; keine Hochbetagten, weil einem dannb das Thema Tod so nahe kommt; keine Haartzer, weil das Thema Marginalisierung so schmerzt… Das kann’s nicht sein! Kirche ist grundsätzlicb für all sinners & saints – all!

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