Der Diakonie-Workshop auf dem EKD-Zukunftsforum

Vom 15. bis 17. Mai tagte das EKD-Zukunftsforum in Wuppertal und dem halben Ruhrgebiet. Es richtete sich an die mittlere kirchliche Leitungsebene (also die Superintendent/innen). Es war ein Beitrag zur Vorbereitung des Reformationsjubiläums 2017, sollte ein bisschen Incentive sein und außerdem wollte das EKD-Reformbüro auch gerne mal einen Kirchentag organisieren.

Zusammen mit Klaus-Joachim Börnke vom Diakonischen Werk Leverkusen, Stabstelle Gemeinde- und Gemeinwesendiakonie, und Cornelia Coenen-Marx vom EKD-Kirchenamt, habe ich einen der 28 Workshops am Freitag geleitet. Es war natürlich kein „Diakonie“-Workshop, wie es in der Blogüberschrift heißt, sondern ein „Kirchengemeinden & diakonische Einrichtungen“-Workshop.

Anstelle eines Recaps über das Zukunftsforum oder über unseren Workshop möchte ich einfach vier kleine Beobachtungen beisteuern, an denen ich hängengeblieben bin.

Der Gemeinwesendiakonie-Diskurs fördert den Gemeindediakonie-Diskurs

Der Workshop hatte seinen Ausgangspunkt bei der Gemeinwesendiakonie-Debatte. Deshalb wurde ich ja auch als Referent angefragt. Im Vorfeld haben wir dann den Workshop auf ein zentrales Thema der Gemeinwesendiakonie zugespitzt, nämlich der Kooperation von Kirchengemeinden und diakonischen Einrichtungen. Und das war eine gute Entscheidung, denn das Thema stieß auf Interesse.

Mir fällt aber eine grundsätzliche Sache auf: Die Debatte zur Gemeinwesendiakonie – egal wie intensiv und wie flächendeckend sie geführt wird – fördert erstmal die Debatte um Gemeindediakonie. Nicht alles, was sich Gemeinwesendiakonie nennt, ist es auch. Bei nicht wenigen Projekten, bei denen eine Gemeinwesenorientierung behauptet wird, gibt es de facto keine solche. Aber das muss auch gar nicht sein, es ist ja nur eine Debatten-Angebot. Dass diese Debatte dazu führt, dass Gemeinden ihre diakonischen Position um Gemeinwesen klären (das allein ist noch nichts Gemeinwesendiakonisches!), ist sehr gut.  Hervorragend sogar.

Nach dem echten Alleinstellungsmerkmal in der Gemeindediakonie suchen!

Bleiben wir bei Thema Gemeindediakonie. Ich habe in den letzten Jahren zunehmend von tollen diakonische Ideen und Initiativen in Gemeinden gehört. Wer Lust hat, diakonisch gestalterisch tätig zu werden, kann hier wirklich einiges machen. Was mich dann aber immer wieder überrascht, ist, dass sich die Gemeindediakonie oft an der Einrichtungsdiakonie („Unternehmensdiakonie“, „organisierte Diakonie“ etc.) abarbeitet – und sich dann selbst als defizitär erlebt. Um es einmal ganz klar zu sagen: An Refinanzierungen oder sozialberufliche Fachstandards, wie sie in der Einrichtungsdiakonie üblich sind, kommt die Gemeindediakonie nicht heran. Punkt. Deshalb darf man das aber auch gerade nicht vergleichen! Die Gemeindediakonie muss viel selbstbewusster ihre möglichen Alleinstellungsmerkmale ausspielen. Okay, dazu muss man sie natürlich erst einmal kennen.

Welches Alleinstellungsmerkmal bieten gemeindediakonische Initiativen und Projekte? Jetzt bitte nicht sagen, dass in der Gemeinde alles empathischer, näher, wärmer oder zuwendender (kurz: nächstenliebenderer) sei. Das ist Quatsch. Das Besondere an der Gemeindediakonie ist auch nicht das ehrenamtliche Element. Denn wenn man das betont, begibt man sich schnell wieder auf die schiefe Ebene der Abgrenzung zur „hauptamtlichen“ Einrichtungsdiakonie – und definiert sich schon wieder über bzw. gegen diese.

Das, was die Gemeindediakonie meines Erachtens wirklich ausmacht, ist ihre (potenzielle) Subversivität. Kirchengemeinden sind (mit einigen landeskirchlichen Unterschieden) unglaublich autonom. Kirchengemeinden können machen was sie wollen – zumindest in einem gewissen Rahmen. Und dieser Rahmen ist viel größer, als es den meisten Kirchenvorstehern bewusst ist (das ist zumindest meine Beobachtung). Gemeinden können anbieten, wozu anderen Organisationen der Mut fehlt. Sie sind schließlich nicht von Fördermitteln abhängig.

Doch wenn ich ehrlich bin, fällt mir beim Stichwort „Subversivität in der Kirchengemeinde“ nur das mancherorts wirklich mutige Auftreten in Sachen Kirchenasyl ein. Aber sonst? Die Gemeindediakonie sollte eine subversive Diakonie sein. Denn genau das ist ihr Alleinstellungsmerkmal.

„Nicht Häuser erhalten, sondern füllen!“

Kommen wir nun – leider – zu einem recht unsubverisven Thema: die kirchliche Gebäudenutzung. „Nicht Häuser erhalten, sondern füllen!“ Das sagte eine Teilnehmerin und mir gefiel diese Parole. Der Hintergrund ist altbekannt. Es ging darum, dass bestimmte diakonische Angebote nur nach hartem Kampf (oder gar nicht) im Gemeindehaus (bzw. in der Kirche) gemacht werden können, weil die Kerntruppe, die sich im Gemeindehaus eingerichtet hat, das Haus und die Einrichtung verteidigt, als wäre es ihr Eigentum. Ja, leider immer wieder ein Dauerbrenner. Im weiteren Verlauf wurde noch einmal darauf hingewiesen, dass sämtliche gemeindliche Ressourcen (von den Häusern bis zur Bestuhlung) aus Kirchensteuermitteln stammen und sie damit im Grunde allen Kirchenmitgliedern gehören.

Mir fiel wieder ein, dass das Wort „Parochie“ eigentlich Aufenthalt in der Fremde ohne Bürgerrechte (!) bedeutet. Man hat Gastrecht, aber kein Heimrecht. Das Grundthema der Gemeinde müsste daher Gastfreundschaft sein – und nicht Beheimatung. Gemeindehäuser – oder überhaupt kirchliche Häuser – sollten nicht heimelich gemacht werden sondern gastfreundlich. Und das bedeutet: multifunktional, barrierefrei, zielgruppenübergreifend (im besten Falle zielgruppenverbindend, aber wir wollen ja nicht gleich mit dem schwierigsten anfangen…).

Vielleicht sollte man eine Art Nichtbelegungsabgabe einführen: Für jede Stunde Leerstand eines Gemeindehauses muss die Gemeinde eine Zwangsabgabe an die Landeskirche zahlen. Das Geld kommt dann den Gemeinden zugute, die Geld für innovative Nutzungsformen benötigen.

„Das Ganze mal systemisch betrachten!“

Ein letzter Gedanke, etwas ganz anderes: Ein weiteres Statement, an dem ich hängengeblieben bin, war der Hinweis, dass man das Verhältnis von Kirche und Diakonie (im weitesten Sinne) systemisch betrachten müsste. Stimmt. In der Diskussion war damit eine ganzheitliche Sicht gemeint (was jetzt noch nicht sehr spannend ist), aber das löste bei mir folgende Frage aus (die ich durchaus sehr spannend finde):

Warum nutzt man in der Kirche nicht viel stärker System-Aufstellungen? Warum stellt man Gebäudenutzungen, kirchlich-diakonische Verhältnisbestimmungen, Alleinstellunsgmerkmale, Konflikte, Ideen und Inspirationen nicht auf? In vielen Bereichen gehören System-Aufstellungen zum Standard, in der Kirche nicht. Stattdessen clustern wir in der Gemeindeberatung immer noch Moderatorenkärtchen, bitte!

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Hintergründe von bestimmten systemischen Schulen/Traditionen durchaus mit christlicher Theologie vereinbar sind. Und ich kenne da eine gute Systemaufstellerin mit theologischem Background. Wer etwas damit anfangen kann: Anfragen gerne an mich!

 

5 Kommentare zu „Der Diakonie-Workshop auf dem EKD-Zukunftsforum“

  1. Zum Stichwort subversive Gemeinde: Ich kenne eine Gemeinde, die mit ihren Diakoniemitteln aus der Kollekte Menschen regelmäßig unterstützt. Das ist für das Sozialamt oder die Agentur für Arbeit ein zusätzliches Einkommen und darum eigentlich anzeigepflichtig. Die Gemeinde will damit aber eigene Gemeindemitglieder ohne ausreichendes Einkommen unterstützen.
    Meine Empfindungen dazu sind sehr ambivalent.

    Was Ihre Ideen der systemischen Betrachtung von Kirche und Diakonie angeht bitte zwei Dinge zu bedenken zu geben: worauf sie anspielen sind Theorien von Systemen von Individuen (Familienaufstellung etc.), das wäre m.M.der falsche Ansatz. Aber soziologisch mit einer systemtheoretischen Brille (Luhmann) auf die Sache zu schauen ist hilfreich. Das hat Starnitzke (Wittekindshof) in einer lesenswerten Dissertation getan.

    1. Lieber Ulrich Christenn, vielen Dank für die Hinweise. Ein paar Gedanken von mir dazu:

      Ob man Gemeindemitglieder mit wenig Geld finanziell unterstützt, kann man so oder so beurteilen (auch Sie benennen ja Ihre Ambivalenz, dem schließe ich mich an). Völlig unabhängig davon, ob man das positiv oder negativ bewertert: Für mich ist es auf jeden Fall nicht subverisv! Es ist sogar eher das Gegenteil. Subversiv wäre es, eine als ungerecht empfundene (aber evtl. doch rechtmäßige) Situation zu unterlaufen, zu unterbrechen, bloß zu stellen, ins Leere laufen zu lassen. Ich habe mal gehört, dass es Gemeinden/Gemeindemitglieder gibt, die Menschen Lebensmittelgutscheine abkaufen, so dass die Betroffenen „echtes“ Geld haben und frei sind, das zu kaufen, was sie möchten – und die Betuchteren nun mit dem Gutschein einkaufen und diese Praxis damit anprangern. Das ist subversiv. Und genau das kann der diakonische Beitrag einer Gemeinde sein – und nur einer Gemeinde, weil die diakonischen Dienste/Werke mit den Sozialbehördern kooperieren udnd daher nicht die Möglichkeite bzw. das Standing dazu haben. Einfach Geld auszuzahlen ist nicht subversiv – selbst wenn es in der konkreten Situation gut ist.

      Zum Systemischen: Richgtig, es gibt sehr verschiedene Systemtheorien, die man nicht verwechseln sollte! Ich habe Dierk Starnitzkes Diss gelesen und es war für mich an vielen Stellen ein absoluter Augenöffner! Es ist eins der wichtigsten diakoniewissenschaftlichen Bücher überhaupt. Wunderbar für die Analyse geeignet, allerdings auch nur dafür. Es geht immer darum, wie Systeme (oder auch die ganze Gesellschaft) funktionieren – nicht wie man sie ändern, verbessern, gestalten kann – so etwas wäre Luhmann ja auch völlig fern gewesen! „Kirche“, „Theologie“ und „Diakonie“ (in Anfühungszeichen, weil die Begriffe etwas anderes meinen, als wir langläufig damit verbinden) sind sehr pfiffig definiert. Aber so, wie sie definiert sind, sind sie halt (weil das eben zu den Grundbausteinen dieser Theorie gehört). Punkt, Ende, aus die Maus. Daher ist der Luhmann’sche Systemansatz zwar hochspannend für die Refelxion über „die Diakonie“ – aber es führt leider nicht weiter.

      Ich meine in der Tat die systemische Aufstellungsarbeit. Sie ist ja gerade nicht (!) auf Individuen begrenzt (wie Sie es andeuten). Sie können auch Organisationen aufstellen, sogar Themen, Anliegen, Probleme etc. Ich glaube, dass die Systemaufstellungen eins der wirkmächtigsten Werkzeuge ist, das uns gegenwärtig zur Verfügung steht. Und der theoretische Background hat für mich unglaublich viele Analogien zu christlicher Weisheit, dass es mich immer aus den Socken haut. Gerade wenn in Kirche/Diakonie viele unterscheidliche Menschen mit unterschiedlichen Absichten und unterschiedlichem Gewordensein zusammen etwas tun, finde ich es sehr erleichternd, wenn man eine tiefere Sicht auf die entstehenden Konflikte erhalten kann – urteilsfrei, ohne moralische Appelle, als Angebot.

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