Es gibt gerade einen interessanten Diskurs im Netz zur Frage nach dem Verhältnis von Social Media und dem Selbstverständnis der Wohlfahrstverbände – dabei geht es hauptsächlich um die Caritas, aber der gesamte Diskurs ist gut auf die Diakonie übertragbar. Markus Lahrmann, Chefredakteur der Zeitschrift „Caritas in NRW“ hat einen Beitrag verfasst mit dem Titel: „Social Media verändern Struktur und Selbstverständnis von Verbänden“. Ein wichtiger Aspekt in dem Artikel ist die geringe Followerpower der Caritas. Darauf reagierte Robert Schedding – Social Media- und Caritas-Insider – mit einer Replik und beschreibt, dass es um die Followerpower der Caritas gar nicht so schlecht bestellt ist.
Ich empfehle diese lesenswerten Artikel jetzt nicht den Social-Media-Experten bei der Diakonie oder den anderen Wohlfahrstverbänden, denn die wissen das ja schon. Die Debatte greift meines Erachtens tiefer, sie macht etwas deutlich, was über digitale Vernetzung hinausgeht: Es geht um die Identifikation der Mitarbeitenden mit den großen Verbänden. Und es geht um die Frage, wie man Macht aufbauen, pflegen und nutzen kann. Das, was ich in diesen Texten lese und worüber immer wieder nachdenke – jenseits von Social Media – will ich hier kurz skizzieren.
Mir fällt schon seit längerer Zeit auf – ich spreche jetzt nur für den diakonischen Bereich, aber ich bin mir sicher, dass meine Überlegungen auch auf andere Verbände übertragbar sind – dass es wenig Identifikation der Mitarbeitenden mit „der Diakonie“ gibt. Man ist Mitarbeiter in der Diakonie, aber nicht Diakonie-Mitarbeiter. Gleichzeitig kann man diesen Mitarbeitern aber gerade nicht fehlende Identifikation mit der Sache, ihrer Arbeit oder ihrem Beruf vorwerfen. Und ich kenne viele Mitarbeitende, die eine hohe Identifikation mit „ihrer“ Einrichtung haben. Etliche würden sich auch für ihren Chef/ihre Chefin teeren und federn lassen. Auch wenn meine Einschätzungen recht verallgemeinernd sind, sind sie glaube ich nicht ganz falsch. Kurz gesagt: Es mangelt nicht an Identifikation mit der diakonischen Arbeit oder Einrichtung, sondern mit „der Diakonie an sich“.
Streng genommen kann das „der Diakonie“ (und hier meine ich jetzt die Diakonie als Verband – also Bundesverband, Landes- und Fachverbände) auch egal sind, denn die Diakonie ist eben kein klassischer Mitgliederverband, so wie beispielsweise der ADAC. Die Diakonie ist der Dachverband und die Lobbyorganisation der Einrichtungen – das sind ihre Mitglieder. Die Mitarbeitenden sind in dieser Logik ja „nur“ die „Mitgliedsmitglieder“ (und selbst das ist ja nicht ganz richtig…).
Aber genau das ist das Problem.
Wie gewinnt man gesellschaftlichen Einfluss und Macht? Mittels dreier Dinge: Masse, Geld, Know How. Am besten ist natürlich, wenn man über alles drei gleichermaßen verfügt, aber das ist unrealistisch. Jedes dieser drei Elemente ist (zumindest theoretisch) in der Lage, die anderen zu kompensieren. Man kann aber auch zwei kombinieren, also Standbein hier, Spielbein dort.
Das, was die Diakonie ausmacht und ihr auch zu politischem Gewicht verhilft, ist ihr Know How (Expertise, Fachlichkkeit) und ihre Masse (28.000 selbständige diakonische Einrichtungen, 988.000 Plätze/Betten; siehe Einrichtungsstatistik 2012). Aber gerade der Faktor „Masse“ ist meines Erachtens noch erheblich ausbaufähig. Nämlich in dem aus Mitarbeitenden in der Diakonie Diakonie-Mitarbeitende werden.
Ein einfaches Beispiel, das die Größenordnung und damit die mögliche Power der Mitarbeitenden deutlich macht: Die drei erfolgreichsten Petitionen beim Deutschen Bundestag waren „Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten“ (134.015 Unterzeichner), die Petition gegen die steigenden Haftpflichtprämien von Hebammen (186.356 Unterzeichner) und die Petition gegen die geplante Tarifreform der GEMA (305.117 Unterzeichner) [Quelle hier]. Die Gesamtmitarbeitendenzahl der diakonischen Beschäftigten liegt bei round about 450.000. Hinzu kommt noch einmal eine Masse an Ehrenamtlichen (Hier gehen die Zahlen auseinander. Die Diakonie-Erhebung geht von 700.000 Ehrenamtlichen aus, die Sonderauswertung des 3. Freiwilligensurveys von 200.000).
Solch eine Masse wird sich niemals auf Knopfdruck ativieren lassen, das ist völlig klar. Mir geht es nur darum, festzustellen, was hier eigentlich für ein unglaubliches Potenzial an purer Masse steckt – und zwar ausschließlich als eigener Homebase! Vielleicht müssten sich die Diakonie-Verbände nicht nur als Vertreter ihrer Mitgliedseinrichtungen verstehen, sondern als Organisationen, die über eine gewaltige Basis verfügen. Und diese Basis muss gepflegt werden.
Deshalb einfach einmal drei Ideen, die dazu beitragen können, die eigene Homebase stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Alle Ideen sind bewusst aus dem „analogen“ Bereich, um zu zeigen, dass es hier nicht ausschließlich um eine digitale Community geht:
- Der Diakoniepräsident/die Diakoniepräsidentin wird künftig nicht vom Funktionärsproporz (Einrichtungsdiakonie vs. Landesverbandsdiakonie) bestimmt, sondern von den Diakonie-Mitarbeitenden gewählt. Die Wahlbeteiligung wird sicherlich nicht sehr hoch sein, das ist mir auch klar, aber es wäre ein guter symbolischer Schritt, ein neues Selbstverständnis zu kommunizieren.
- Die Fachverbände wandeln sich zu Mitgliederverbänden. Diakonie-Mitarbeitende können dann in „ihren“ Fachverband eintreten. Der jeweilige Verband vertritt ja die Anliegen des eigenen Arbeitsfeldes, eine gegenseitige Identifikation wäre also durchaus gegeben. Außerdem würde dies die Fachverbände stärken – die momentan eher einen schwierigen Stand im Diakonie-Gefüge haben, die aber meiner Meinung nach die tragende Identifikations- und KnowHow-Macht darstellen (könnten)!
- Es gibt eine journalistisch hochwertige Zeitschrift, die automatisch alle Diakonie-Mitarbeitende zugestellt bekommen. Eine (neue) Zeitschrift zu lancieren ist sicherlich das Verrückteste, was man machen kann, das weiß ich auch. Aber es hatte ja auch niemand mit dem Erfolg von LandLust gerechnet. Warum also nicht?
Weiterhin geht es natürlich darum, die Social-Media- Kanäle und –Ansätze auszubauen und digitale Community-Pflege zu betreiben. Aber ich glaube nicht, dass das alleine ausreichen wird.
tl;dr
Die Diakonie hat eine gewaltige Homebase: ihre Mitarbeitenden. Die Mitarbeitenden in der Diakonie müssen stärker in den Mittelpunkt der Verbandsselbstverständnisse gerückt werden. Dann kann es auch gelingen, dass sie zu Diakonie-Mitarbeitenden werden und die Followerpower zunimmt. Und die wird mehr denn je gebraucht.
Ersetze Diakonie durch Caritas und dieser Beitrag könnte 1:1 auf http://blog.Caritas-Webfamilie.de erscheinen. Gerne möchte ich eine Beobachtung meinerseits hinzulegen: Je jünger die Mitarbeitenden sind, desto mehr stehen sie auch in sozialen Netzwerken dazu, bei wem sie (gerne) arbeiten. Vielleicht aktiviert sich somit ein Teil der Followerpower für Diakonie und Caritas bald von selbst – als Fans unserer Facebookseiten, als Follower bei Twitter oder Fürsprecher unserer sozialpolitischen Ideen bei Campact….