Singen ist identitätsstiftend. In bestimmten Gruppen und Szenen wird ein ganz bestimmtes Liedgut gesungen (oder eben auch nicht). Das schafft während des Singens ein Gefühl von Zugehörigkeit, und es verursacht oft Jahre oder Jahrzehnte später noch einen Schauer, wenn man das eine oder andere Lied wieder hört. Philipp Greifenstein hat vor einiger Zeit seine „Hitparade“ neuer geistlicher Lieder zusammengestellt. Da sind ja ein paar Schätzchen dabei, Mann… Manche sprechen in dem Zusammenhang auch gern von „neuem geistlosen Liedgut“ – stimmt in vielen Fällen ja (leider) auch.
Wie sieht es denn eigentlich mit dem Singen in der Diakonie aus? Ist die Diakonie ein Sangesnährboden? Hmm, das kann man nicht wirklich beantworten. Das liegt vor allem daran, dass die Diakonie zu „groß“ und damit zu unspeziell ist. Ein „typisches“ Liedgut gibt es immer nur in thematisch begrenzten Szenen – und wohl kaum in einer ganzen Branche. Deshalb gibt es auch keine „Diakonie-Hymne“. Und Lieder über die Diakonie finde ich recht bemüht, um es einmal vorsichtig auszudrücken… Siehe zum Beispiel hier oder hier.
Anstatt über die Diakonie zu singen, kann man natürlich auch singend dem Ausdruck verleihen, was sich im diakonischen Handeln spirituell vollzieht.
Gibt es Lieder, die in besonderem Maße eine „diakonische Spiritualität“ ausdrücken? Das ist natürlich Geschmackssache. Und Glaubenssache. An dieser Stelle möchte ich daher einfach einmal meine drei Favoriten gesungener diakonischer Spiritualität vorstellen.
Bleibet hier, und wachet mit mir
Das erste Lied ist ein Taizé-Lied: Bleibet hier, und wachet mit mir.
Eines der großen Missverständnisse in der Diakonie ist es, Diakonie vorschnell mit Aktion gleichzusetzen: Da, wo zupackend geholfen und getan wird, ist Diakonie. Diakonie als helfende Aktion ist oft das Selbstbild der Engagierten. Diakonie kann sich aber (gerade!) auch in purer Präsenz zeigen. Einfach gegenwärtig sein, da sein, da bleiben. Mein Diakonik-Lehrer hat die Trias bleiben – wachen – beten (Mk 14, 34+38), die in diesem Lied vertont wird, immer als den eigentlichen diakonischen Dreiklang bezeichnet. Er hat wohl recht.
Wechselnde Pfade
Das nächste Lied, das ich in besonderer Weise mit einer diakonischer Spiritualität verbinde, ist Wechselnde Pfade. Ich selbst kenne das Lied erst seit drei, vier Jahren. Es ist ein Pilgerlied, fester Bestandteil ist es zudem in der Schöpfungsspiritualitäts-Szene. Ein Video oder Audio habe ich nicht gefunden, aber immerhin die Noten.
Ich finde es einfach (und) schön. Wenige Worte und eine steile theologische Aussage: Alles ist Gnade. Ist es das? Ich singe es zumindest gern. Und seine Wirkung entfaltet es, wenn es – wie das Taizé-Lied Bleibet hier – immer und immer wieder gesungen wird, also mantrisch.
UPDATE 2014-12-20 Na, da habe ich jetzt doch ein Audio gefunden. Und zwar bei Jan Frerichs franziskanischer Lebensschule:
The Servant Song (Brother, Sister Let Me Serve You)
Und schließlich noch ein Lied, das das Dienen aufgreift. Dabei ist Dienen so eine Sache, mit vielen Missverständnissen verbunden – gerade in der Diakonie. „The Servant Song“ hebt das gegenseitige Dienen hervor, um einander christusförmig zu werden. Es hat etwas folkig Leichtes an sich und ist doch eine Hymne. Das Lied hat es mir angetan.
Komponiert hat es der neuseeländische Songwriter Richard Gillard Mitte der 1970er Jahre. Im anglikanischen Kontext ist der Song wohl bekannt, bei uns so gut wie unbekannt. Den Text findet man in den Anmerkungen zu dem YouTube-Video. Ich meine mich an eine Übertragung ins Deutsche von Yotin Tiewtrakul erinnern zu können, in seinem Blog ist sie aber leider nicht mehr.
Nachweise: Bleibet hier, und wachet mit mir: Jacques Berthier, Verlag Ateliers et Presses de Taizé; Wechselnde Pfade: Pilgerlied, Quelle unbekannt Text baltischer Hausspruch, Musik Gerhard Kronberg; The Servant Song (Brother, Sister Let Me Serve You): Richard Gillard, Verlag Marantha Music Inc.
tl;dr
Diese drei Lieder verdichten für mich diakonische Spiritualität auf wunderbare Weise: „Bleibet hier, und wachet mit mir“, „Wechselnde Pfade“ und „The Servant Song (Brother, Sister let me serve you)“. Singen!
weitere „diakonische“ Liedvorschläge:
„Brich mit den Hungrigen dein Brot“ (EG 420)
„Komm in unsre stolze Welt“ (EG 428)
„Kommt herbei, singt dem Herrn (EG 577)
„Meine engen Grenzen“ (EG 600)
„Herr wir bitten komm und segne uns“ (EG 607)
An „Brich mit den Hungrgen dein Brot“ hatte ich auch gleich gedacht. „Komm in unsre stolze Welt“ war für mich – ich muss es eingestehen – neu. Merci!
Und hier noch ein Link zur Diakonie Hannovers, die einmal alles Material rund um dieses fürchterliche Diakonie-heißt-jetzt-oder-nie-schalalalala zusammengestellt haben: http://archiv.diakonie-hannovers.de/aktuelles/4735.htm (Danke, Dennis!)