Nun geht’s weiter mit meiner These: Kirche und Diakonie sollten sich stärker als Beteiliger verstehen und sich nicht ausschließlich auf ihre Rollen als Anbieter oder Dienstleister beschränken. Im letzten Beitrag ging es um Kirchengemeinden, nun stehen die diakonischen Einrichtungen im Vordergrund. Da diese beiden Organisationen doch recht unterschiedlich sind – gerade was Teilhabe und Beteiligung betrifft – kann man beide nicht in über einen Kamm scheren.
Wenn ich betone, dass die Diakonie die Beteiligungsdimension stärken soll, heißt das natürlich nicht, dass dies bisher in der Diakonie nicht vorkäme. Es geht mir einfach darum, diesen Aspekt deutlicher in den Vordergrund zu rücken. Denn die Rolle des Dienstleistungsanbieters oder Maßnahmendurchführers ist aufgrund der öffentlichen Refinanzierung doch wesentlich dominanter als die des Beteiligungsermöglicher. Und gerade die Finanzierungsfrage führt ja auch zu dem springenden Punkt: Haben diakonischen Träger überhaupt entsprechende Handlungsmöglichkeiten?
Das lässt sich pauschal kaum beantworten, aber nicht vergessen werden sollte: Wenn die Diakonie bei der Beteiligungsdimension zur Ideenlosigkeit neigt, wird dies über kurz oder lang zur Identitätslosigkeit führen. Im Folgenden will ich drei ganz verschiedene Ansätze anreißen, was Beteiligung in der Diakonie bedeuten kann:
Beteiligung von vorne bis hinten: Co-Design diakonischer Handlungsansätze
Im ersten Semester Sozialarbeit lernt man: Die Kunden (Klienten, Nutzer, Betroffene – oder welchen Begriff man auch immer wählen mag) sind bei der Erbringung der Dienstleistung (Unterstützung, Beratung, Zuwendung – oder worum es auch immer gehen mag) zu beteiligen. Die Produktion sozialer Dienstleistungen geht nur gemeinsam mit dem Gegenüber, deshalb spricht man auch von Ko-Produktion. Das ist leicht nachvollziehbar, denn wenn der Andere nicht mitmacht, geht’s einfach nicht. Auch wenn das banal erscheint, neben dem uno-actu-Prinzip zählt dies zu den Grundlagen profesionellen sozialen Handelns.
Wenn man Beteiligung allerdings weiter fasst und als eine grundsätzliche Frage der Kultur und der Haltung versteht, kommt man über kurz oder lang zu der Erkenntnis, dass sich Beteiligung auf den gesamten Unterstützungsprozes beziehen sollte, von vorne bis hinten, inklusive Zieldefinitionen. Statt von Ko-Produktion im oben erwähnten Sinne könnte man dann gar von Co-Design sprechen. Auf diesen Begriff bin ich im Blog von Brigitte Reiser gestoßen – und er bringt diesen ersten Beteiligungs-Ansatz wunderbar auf den Punkt: Das gesamte Unterstützungs“design“ wird ko-produziert. Anspruchsvoll und herausfordernd! Allerdings wird sich dies wohl nicht selten an den (gesetzlich) definierten Vorgaben zur Erbringung der Sozialleistungen stoßen.
Befähigen zur Beteiligung: Eine diakonische Querschnittaufgabe
Die zweite Möglichkeit, die Beteiligunsgdimension zu stärken, setzt ganz anders an. Ausgangspunkt ist, dass Beteiligung bei Lichte betrachtet sehr voraussetzungsreich ist. Es braucht (mindestens) dreierlei: eine Idee davon, dass Beteiligung etwas Sinnvolles ist, die Fähigkeit, sich beteiligen zu können und schließlich die Chance, sich auch tatsächlich konkret einbringen zu können. Andersrum gesagt: Ich beteilige mich nicht, wenn ich überhaupt nicht weiß, was (mir) das bringen soll; ich beteilige mich nicht, wenn ich das Gefühl habe, es nicht zu können; ich beteilige mich nicht, wenn es keine Gelegenheiten gibt, dies zu tun.
Bei allem drei können diakonische Einrichtungen Unterstützung leisten: die Motivation zur Beteiligung wecken, Möglichkeiten bieten, Beteiligung zu „üben“ und helfen, die eigene Beteiligungsform (oder manchmal auch -nische) zu entdecken. Dies wäre die Querschnittaufgabe in sämtlichen diakonischen Handlungsfeldern, sie ist – mehr oder weniger – unabhängig von der „eigentlichen“ Maßnahme selbst.
Die Reflexion der Beteiligungsdimension als standardisiertes Verfahren: Beteiligungs-Mainstreaming
Und schließlich möchte ich noch einen dritten Ansatz nennen, wie mit der Beteiligungsfrage aus der Sicht der Organisation konstruktiv umgegangen werden kann. Die Idee ist simpel, aber gut (wenn sie konsequent umgesetzt wird): Diakonische Träger können eine Art „Beteiligungs-Mainstreaming“ in ihrer Organisation einzuführen. Wie beim Gender-Mainstreaming könnte man bei allem, was man tut, immer die Frage stellen: Welche Konsequenzen hat dies in puncto Beteiligungsmöglichkeiten?
Okay, vielleicht nicht bei allem, was man tut, aber an den entscheidenden Stellen: Bei der Reflexion der Unternehmensstrategie, bei der Entwicklung neuer Unterstützungsmaßnahmen, in Supervision und Teambesprechung. Der Knackpunkt ist also, dass man Beteiligungsprinzipien nicht einfach im Leitbild behauptet, sondern jede einzelne Maßnahme diakonischer Einrichtungen tatsächlich daraufhin überprüft, wie sehr sie Mitgestaltung und Mitentscheidung ermöglichen – oder auch verunmöglichen.
Worum es inhaltlich beim Beteiligungs-Mainstreaming geht, hängt einerseits vom Arbeitsfeld ab und andererseits – freilich – vom eigenen Verständnis, was Beteiligung meint, wie weit sie reicht und wie ernst man sie nimmt. Entscheidend ist nur, hieraus wirklich ein standardisiertes Verfahren in der Organisation zu machen.
Drei sehr unterschiedliche Ansätze, diakonische Einrichtungen stärker als Beteiliger zu entwickeln. Vielleicht ist ja etwas dabei…
tl;dr
Teilhabebefähigung, Beteiligungsmainstreaming und Co-Design – die Diakonie hat viele Möglichkeiten, die Beteiligung zu stärken
Die „Reflexion der Beteiligungsdimension als standardisiertes Verfahren“, wie Sie es nennen, sollte unbedingt in Nonprofits eingeführt werden. In der Fachliteratur werden darunter die demokratischen Implikationen von Programmen – ob staatlich, gemeinnützig oder privatwirtschaftlich – verstanden.
Auch Evaluationen schließen in der Regel diese Perspektive nicht mit ein: „the shift to outcome measurement has been narrowly defined and has excluded what we refer to as ‚citizenship outcomes‘, measures of the impact of a policy on the individual’s role as a citizen“ (Wichowsky/Moynihan: Measuring How Administration Shapes Citizenship, 2008, 908).
Danke für die Ergänzung. Bei mir stehen wohl grundsätzlich etwas stärker die pädagogischen Implikationen der Beteiligung im Vordergrund. Deshalb nehme ich gerne den Gedanken noch einmal explizit auf, dass Beteiligung eine deutlich demokratische Dimension hat. Das ist natürlich klar, aber beim Dranweiterdenken werde ich es künftig stärker berücksichtigen!
Hallo,
ein wirklich sehr gelungener Artikel, den ich mit großem Interesse gelesen habe.
Ich denke, es wäre passend bei den drei vorgestellten Ansätzen gar nicht von verschiedenen „Möglichkeiten“ zu sprechen, die sozusagen ausgewählt werden können. Sondern sie vielmehr als Teile eines Gesamtprozesses zu sehen, Am Anfang dieses Prozesses steht die Reflexion. Auf die Reflexion baut die Befähigung auf. Und auf die Befähigung schließlich die Produktion (Co-Design).
Ich stimme Brigitte Reiser zu, dass diese Dimensionen in Nonprofits (aber auch in der Privatwirtschaft) bislang sehr vernachlässigt werden. Es sind klassische Felder der Organisationskulturforschung, die hierzu eine Vielzahl an Impulsen, Modellen und Theorien entwickelt hat (siehe z.B. Edgar Schein).
Gruß, Julia
Jau, völlig richtig, die drei Hinweise können auch als Gesamtprozess verstanden werden. Ich habe es hier aus rein pragmatischen Gründen mehr als Bausteine dargestellt – einfach um darauf hinzuweisen, dass man auch mit Stückwerk anfangen kann. Um Ausreden zu vermeiden á la „Für einen Gesamtprozess haben wir gerade überhaupt gar keine Zeit…“