Die Pastoraltheologie hat eine ganze Ausgabe dem Thema Inklusion gewidmet (Pastoraltheologie, 101. Jg., H. 3, 2012). Und an einer Stelle bin ich hängen geblieben: Erst habe ich mich ein bisschen darüber geärgert, dann habe ich es verstanden – um es dann richtig gut zu finden!
Es geht um Folgendes: Ulf Liedke widmet sich der Frage, wie Menschen mit Behinderungen im Gemeindeleben vorkommen können – und zwar als Gemeindeglieder, nicht als „Behinderte“. Seine These: Es bedarf in den Kirchengemeinden einer dringenden Entdiakonisierung der Wahrnehmung behinderter Menschen (und ich ergänze: aller Menschen, die in irgendeiner Weise als „benachteiligt“, „marginalisiert“ oder „arm“ gelten):
Mein Plädoyer für die Entdiakonisierung der Wahrnehmung behinderter Menschen bedeutet deshalb nicht, die diakonische Dimension gemeindlichen Handelns zu verabschieden. Vielmehr geht es darum, nicht in die Wahrnehmungsfalle zu tappen, bei der ‚Behinderung‘ beinahe zwangsläufig mit ‚Diakonie‘ assoziiert wird. (…) Menschen mit Behinderung (…) sind Glieder und nicht Klienten der Gemeinde. Die ungeteilte Teilhabe am kirchengemeindlichen Leben ist keine Einbahnstraße, die nur für Hilfstransporte zugelassen wäre“ (Ulf Liedke 2012: 82).
Entdiakonisierung. Ein neues Wort. Ich habe mich erst darüber geärgert, weil Diakonie natürlich mein Anliegen ist. Ich möchte ja, dass Gemeinden diakonischer werden. Da ist so ein Wort kontraproduktiv – als wenn eine Diakonisierung etwas Schlechtes wäre. Ist sie nicht! Inhaltlich fand ich die Gedanken durchaus gut, auch die Formulierung mit der Hilfstransporte-Einbahnstraße gefiel mir. Erst beim mehrmaligen Lesen fiel mir dann das Entscheidende auf: Liedke spricht von einer Entdiakonisierung der Wahrnehmung! Augen auf beim Lesen hilft.
Entdiakonisierung der Wahrnehmung. Von der Sache her ist diese Forderung nicht neu. Genau das war es, wofür sich Ulrich Bach bereits vor dreißig Jahren vehement eingesetzt hat. Aber die Formulierung Entdiakonisierung der Wahrnehmung von Ulf Liedke wird in den nächsten Jahren in der Diakonie noch Karriere machen. Hoffen wir es!
Ulf Liedke: Menschen. Leben. Vielfalt. Inklusion als Gabe und Aufgabe für Kirchengemeinden, Pastoraltheologie 101 (2012), 71-86.
Ein Gedanke zu „Die Wahrnehmung entdiakonisieren“