Der Church Urban Fund, eine von der Anglikanischen Kirche gegründete Organisation zur Armutsbekämpfung in Großbritannien (siehe auch hier), hat ein Tool entwickelt, mit dem man den Wert einer Kirchengemeinde für das Gemeinwesen bemessen kann: das Church Community Value Toolkit. Es geht also um den Mehrwert (den Nutzen, die Ausstrahlung,…) für die „Community“ (das deutsche Wort Gemeinwesen wirkt neben dem englischen Community immer etwas dröge, finde ich).
Das Tool ist wirklich interessant und gut gemacht. Vier Dimensionen werden sehr detailliert abgefragt: Menschen, Aktivitäten, Geld, Gebäude. Das Ganze wird – klar strukturiert – miteinander verrechnet, so dass man darstellen kann, wie sich der Wert der Kirchengemeinde für die Community beläuft. Eine Excel-Tabelle wird auch gleich noch mitgeliefert. (Die Angelsachsen sind halt so pragmatisch… eine deutsche Organisation würde da erstmal lange debattieren, ob der Wert einer Kirchengemeinde überhaupt berechenbar ist. Who cares.)
Neben der Rechnerei gibt es noch einen zweiten Teil des Tools. Dort geht es darum, die Besonderheiten der Kirchengemeinde zu entdecken und zu bewerten. Dabei gilt auch hier: immer bezogen auf die Wirkung der gemeindlichen Arbeit. Den Besonderheiten der Gemeinde kann man auf die Spur kommen, wenn man sich fragt, welche Aufgaben die Kirchengemeinde in welchem Maße leistet. Im Abschnitt Identifying and valuing your distinctivness werden 22 potenzielle Aufgaben von Kirchengemeinden genannt. Diese Aufgaben soll man nun der Reihe nach durchgehen und sich dabei fragen, inwiefern die Kirchengemeinde diesen Aufgaben nachkommt. Dazu gibt es jeweils eine fünfstufige Skala, von „nicht sehr viel“ bis „sehr“. Dies allein ist schon gut. Aber bei jeder Aufagbe soll man zusätzlich noch die Frage beantworten:
- „Welche lokale Organisation leistet dies Ihrer Meinung nach besser als Ihre Kirchengemeinde?“
Eine sehr pfiffige Frage. Erstens kann solch ein Vergleich die eigenen Einschätzungen realistischer machen, zweitens reflektiert man automatisch mit, wen es noch so alles im Stadtteil gibt.
Hier nun die Aufgaben:
- Menschen mit unterschiedlichen Lebenserfahrungen aktivieren, sich kennen zu lernen
- Menschen, die oft ausgeschlossen sind, willkommen heißen
- Menschen helfen, Sinnvolles in den gesellschaftlichen Veränderungen zu entdecken
- Menschen helfen zu entdecken, wie die Wohngegend verbessert werden kann
- Menschen helfen, besser Kontrolle über ihr Leben zu bekommen
- Trauende Menschen unterstützen
- Menschen ermutigen oder befähigen, sich im Gemeinwesen ehrenamtlich zu engagieren
- Menschen helfen, zuversichtlich im Beginn ihrer Ehe zu sein
- Einen Raum/Platz anzubieten, in dem Menschen ihrer Spiritualität Ausdruck verleihen können
- Menschen helfen, die Werte zu reflektieren, die ihr Leben stützen
- Menschen helfen, eine Absicht in ihrem Leben zu entdecken („sense of purpose“??)
- Menschen in persönlichen Krisen beistehen
- Menschen helfen, einander zu vergeben
- Menschen helfen, eine breitere Erfahrung des Lebens zu bekommen
- Menschen helfen, einander so wahrzunehmen, wie sie sind
- Unterstützung leisten in emotional aufgeladenen Situationen (wie nationale oder lokale Krisen)
- Menschen aktivieren, ihr Leadership-Potenzial zu entdecken
- Menschen helfen, spezifische Fähigkeiten auszubilden (wie z.B. öffentliches Reden)
- Menschen helfen, Dinge zu bearbeiten, die sie herunterziehen
- Kindern und Jugendlichen helfen, ihren eigenen Glauben zu erforschen und zu entwickeln
- Kindern und Jugendlichen helfen, ein Gefühl von Verantwortung und Achtsamkeit gegenüber anderen zu entwickeln
- Freigiebig, fröhlich und hoffnungsvoll sein, dass es eine Wirkung auf andere hat.
Man kann nun sicherlich noch viele andere Aufgaben formulieren (oder die vorgeschlagen neu arrangieren, zusammenfassen, differenzieren). Die fünfstufige Skala würde ich etwas anders übertragen, denn es sollte meiner Meinung nach auch die Möglichkeit geben, „gar nicht“ anzugeben (die niedrigste Stufe in dem Tool ist „nicht sehr viel“ – vielleicht ist das aber auch britisches Understatement und meint im Deutschen „gar nicht“). Also, ich schlage vor: „gar nicht“ – „kaum“ – „etwas“ – „ziemlich“ – „sehr“.
Sich einmal klar zu machen, was eine Kirchengemeinde an diakonischem Impact leistet, ist wirklich lohnenswert. Wenn darüber hinaus entdeckt wird, ob oder dass die Gemeinde ein faktisches Alleinstellungsmerkmal hat (bzw. wo eine Gemeinde etwas minderbemittelt ist), ist das ausgesprochen wertvoll.
By the way: Auf der Seite des Church Urban Funds gibt es noch eine Menge mehr an Nützlichem zu entdecken. Stöbern lohnt sich!