Ersetzen Ehrenamtliche Hauptamtliche?

Eurodiaconia hat eine sozialpolitische Stellungnahme zum Ehrenamt (englisch) verfasst. Das Papier ist kurz und knackig (nur 2 Seiten), ein gutes Briefing. Vier Punkte werden bennnt:

  • Ehrenamtliche sind kein Ersatz für Hauptamtliche
  • Ehrenamt gibt es nicht umsonst
  • Ehrenamt ist freiwillig
  • Wir müssen das europäische Sozialmodell schützen

Stimmt alles, und ich stimme durch und durch zu. Aber bei der ersten Aussage komme ich immer wieder ins Nachdenken. So richtig es ist, dass Hauptamtliche nicht durch Ehrenamtliche ersetzt werden sollten, so komplex (und vertrackt!) ist dieses Thema auch. Vier Beobachtungen dazu…

(1) Zunächst einmal ist es sehr wichtig, dass Sozialorganisationen – gerade auch diakonische Einrichtungen – für eine solide Finanzierung ihrer Angebote kämpfen, um so gar nicht erst in die Lage zu kommen, hauptamtliche Kräfte durch ehrenamtliche ersetzen zu müssen. Um so befremdlicher ist es, dass Einrichtungen im Sozialbereich – und wieder: gerade auch diakonische Einrichtungen – selbst mit am Sozialabbau beteiligt sind. Man schaue sich nur einmal diesen Panorama-Bericht an: Manche Träger vergüten einen Teil der Arbeit der Hauptamtlichen (!) über die so genannte „Übungsleiterpauschale“ für Ehrenamtlichkeit. Damit sparen sie Sozialabgaben – und tragen mit dazu bei, dass der Sozialstaat weniger Geld in der Kasse hat. Ob das juristisch astrein ist, kann ich nicht beurteilen, aber es bringt auf jedenfall Punktabzug bei der Karma-Bilanz. Vielleicht ist dieses Vorgehen ja quantitativ nur eine Randerscheinung (hoffen wir es!), aber auch dies ist eine Facette des Hauptamtlichen-Ehrenamtlichen-Themas.

(2) Aber auch ohne diesen „Graubereich“ ist die Frage, ob und ggf. wie Ehrenamtliche Hauptamtliche ersetzen, vielschichtig. Denn was genau meint das eigentlich: Ehrenamtliche ersetzen Hauptamtliche? Es wird wohl kein Sozialarbeiter fürchten müssen, dass er morgen die Kündigung erhält und übermorgen zu 100% durch einen Ehrenamtlichen ersetzt wird. Es ist vielmehr ein schleichender, kaum merklicher Prozess. Es wird immer nur um kleine (und kleinste) Stellenanteile gehen, Stellen werden umgeschichtet, Aufgaben neu zugeorndet usw. Und auf einmal wird dann ein Teil dieser Aufgaben – möglicherweise – nicht mehr von den Hauptamtlichen gemacht, sondern von dem ein oder anderen Ehrenamtlichen. Wurde dieser Stellenanteil nun „ersetzt“, oder ist dies bei einer Umorganisation – die ja durchaus auch fachliche Gründe haben kann – einfach so „passiert“? So ganz klar wird man das nicht sagen können. Und genau das ist das Problem dabei.

(3) Eine weitere Facette: Bisher habe ich immer von „Hauptamtlichen“ und „Ehrenamtlichen“ gesprochen. Bei dem Substitutions-Diskurs ist dies ja auch die entsprechende Terminologie. Aus Sicht einer (diakonischen) Einrichtung ist diese Gegenübertsellung allerdings viel zu schlicht – und deshalb trifft sie auch kaum den Kern der Sache. Bei einem „ganz normalen“ diakonischen Träger arbeiten nämlich in der Regel sehr unterschiedliche „Typen“: unbefristete Angestellte der Stammbelegschaft, befristete Mitarbeiter, Projektstelleninhaber – das ganze dann nocheinmal von Vollzeit bis Teilzeit und mit den unterschiedlichsten Tarifverträgen – Honorkräfte, Freiberufler (Supervisioren, Berater,…), Praktikanten, Zivis-Bufdis-FSJler, „ausgeliehene“ Pfarrer (als Beamte ihrer jeweiligen Landeskirche), Leiharbeiter (darf man das sagen?), Auszubildende… – und Ehrenamtliche. Ein Einrichtungs-, Haus- oder Wohnbereichsleiter muss dieses Konglomerat an Beschäftigungsverhältnissen managen. Und in diesem Konglomerat erscheint mir das Phänomen, Hauptamtliche durch Ehrenamtliche zu ersetzen, nicht ganz so „gefährlich“ zu sein, wie es manchmal erscheinen mag. So manchen Einsatz von FSJlern, um einige Dienste überhaupt aufrecht erhalten zu können, und die Zunahme an Honorartätigkeiten (teilweise hart an der Grenze zur Scheinselbständigkeit) finde ich bedenklicher.

(4) Und noch ein Gedanke: Wenn Ehrenamtliche in sozialen/diakonischen Einrichtungen arbeiten, heißt es oft: Sie dürfen/sollen nur „zusätzliche“ Aufgaben übernehmen. Genau damit will man dem Verdacht der Substitution entkräften: Ehrenamtliche machen ja nicht die „eigentliche“ Arbeit, sondern die „zusätzliche“. Aber was ist „eigentlich“ und was ist „zusätzlich“? Das ist doch wohl eher ein Taschenspielertrick. Man versetze sich nur einmal kurz in die Lage eines Ehrenamtlichen, der „nur“ etwas „Zusätzliches“ macht. Dieser Ehrenamtliche würde doch denken: „Entweder mache ich hier was Richtiges und Wichtiges (!), oder ich mache hier gar nix. Auf ein bisschen zusätzlichen Schnickschnack habe ich keine Lust – dann engagiere ich mich woanders, dort, wo ich tatsächlich gebraucht werde!“ Das heißt aber doch: Wer als Einrichtungsleiter Ehrenamtliche sucht, muss ihnen eine „richtige“ Aufgabe geben, also eine, die nicht rein „zusätzlich“ ist. Und in genau diesem Sinne wird immer mehr der Begriff des „qualifizierten Ehrenamts“ gebraucht. Man kann es dann drehen und wenden wie man will: diese Aufgaben werden nie etwas rein „Zusätzliches“ sein. Jeder, der ernsthaft Ehrenamtlichkeit fördert, muss dann auch den Mut haben und sagen: „Ja, in letzter Konsequenz kann es sein, dass damit auch Aufagben übernommen werden, die eigentlich Hauptamtlichen vorbehalten sind.“ Oder man nimmt die Ehrenamtlichen für nicht ganz voll.

Vier Facetten zum Ehrenamtlichen-Hauptamtlichen-Diskurs. Vier von… noch etlichen weiteren Facetten. Fazit: Das Thema ist vielschichtiger als es erscheint. Meine Hochachtung vor den Leitenden, Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen, die trotz all dieser politischen und ethischen Ambivalenzen eine gute Arbeit machen!

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