Der Vorstand der von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel hat die Vision Bethels überarbeitet. Es ist eine kleine sprachliche Änderung, aber eine bedeutsame. In den bisherigen Versionen der Bethel-Vision gab es einen kleinen Abschnitt mit der Überschrift „Orte zum Leben gestalten“. Darin wurde beschrieben, dass Bethel als Modell verstanden wird. Mit dem Modell ist die geschützte Ortschaft gemeint. Dieser Satz ist nun gestrichen. Bethel ist kein Modell mehr.
In einem Artikel der Betheler Monatszeitschrift DER RING erklärt Vorstandsmitglied Günther Wienberg:
„In Zeiten der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung könnten besondere Ortschaften als solche aber kein Modell mehr sein“ (DER RING, April 2011, S. 13).
Bethels Vision lautet: Gemeinschaft verwirklichen. Konkretisiert wird dies mit drei Aussagen, die ersten beiden lauten:
- Qualifiziert helfen
- Orientierung geben
Der dritte Punkt wurde in der aktuellen Version der Bethel-Vision umformuliert. Er lautet nun:
Orte zum Leben gestaltenLebensräume gestalten
Es gibt etliche diakonische Einrichtungen, die diesen Schritt längst vollzogen haben. Ich bin nun kein Freund von Parallelwelten und romantisch verklärter Dorfgemeinschaft, aber ich muss zugeben, das berührt mich schon ein bisschen.
Die Entwicklung – und die Streichung des Aussage „Bethel als Modell“ in der Vision – ist konsequent. Es gibt daran Gutes und auch nicht so Gutes. Jeder mag das selbst beurteilen. Dies ist aber – für jede diakonische Einrichtung, die diesen Weg geht – ein historischer Akt. Und das sollte man zur Kenntnis nehmen.
Diakonie als Ortschaft zu organisieren ist eine der ganz großen, bedeutenden Ideen in der Diakoniegeschichte. Dies ist Teil des Gründungsmythos der Inneren Mission. Und Bethel hat sich wie viele andere diakonische Einrichtungen, die bis in die Gründerzeit der Inneren Mission zurückreichen, immer als Modell verstanden. Dies war quasi Bestandteil der Bethel-DNA. Das wurde dann auch gerne mal theologisch überhöht, das „Reich Gottes“ lag da natürlich nahe. Manchmal fehlte dann auch ein bisschen die Demut, dass die Diakonie (bzw. die Innere Mission) nicht nur ein Zeichen für das Anbrechen des Reiches Gottes war, sondern eigentlich schon die Manifestation des Reiches Gottes auf Erden. So war halt die Frömmigkeit in der Inneren Mission.
Von dem frömmelnden Über- oder Unterbau hat man sich dann in den 70er Jahren befreit, die „fachliche Wende“ brach an. Und immer noch – oder gerade deshalb: Bethel war nicht nur irgendein Modell, Bethel war das Modell. Nach den Berichten älterer Kollegen zu urteilen (ich wurde zu der Zeit ja erst geboren) war das wirklich ein Aufbruch. Und im Grunde dachte jeder, der dabei war: Schaut her, das Reich Gottes ist mitten unter uns. Hier. Das Modell.
Dann kamen die End-80er und Mitt-90er Jahre. „Häuser“, diese in steingehauenen Identifikationspunkte, waren dann auf einmal keine „Häuser“ mehr, sondern „Einrichtungsverbünde“ oder dergleichen. Der Schritt war dann nicht weit, um zu Beginn der Nuller-Jahre die Ortschaften aufzulösen oder zumindest ausfransen zu lassen. Es wurde ambulantisiert und dezentralisiert in großem Stil. Einige Zeit später diskutierte man dann auch ein neues Fachkonzept: Inklusion.
Es gibt fortlaufend „Paradigemnwechsel“ in der sozialen Arbeit, nicht immer sind es wirklich welche. Dies ist einer. Denn der Selbstanspruch hat sich geändert: Bethel (ich könnte auch etwas anmaßend formulieren: die Diakonie) will nicht mehr Orte gestalten, sondern Lebensräume. Das ist in großen Teilen gut, wirklich gut. Aber auch geschützte Orte haben ihren Wert. Und so ist es ein einschneidender Schritt. Es mag sein, dass man in zehn, zwanzig Jahren wieder einen neuen Weg geht: zurück zu den Ortschaften. Es kann ebenso sein, dass man dann sagt: Gut, dass wir damals diesen Schritt gegangen sind, diesen Schnitt gemacht haben.
Mal schauen, was die Zehner-Jahre so bringen werden.
P.S.: Die Betheler Monatsschrift DER RING ist wirklich lesenswert, leider gibt es keine PDF-Ausgaben auf der Bethel-Homepage. Auch sind die ersten beiden Versionen der Bethel-Vision nicht mehr auf der Homepage zu finden (was schade ist), soeben wurde die dritte Version online gestellt.
Ein Gedanke zu „Kein Modell mehr“