Ein kompliziert klingendes Wort für eine einfache Sache: Fureai Kippu ist ein japanisches Unterstützungssystem auf Tauschbasis. Menschen, die andere Menschen pflegen oder betreuen, bekommen eine Gutschrift über den Umfang dieser Betreuungsleistung, die sie dann später wieder in eine Betreuungsleistung zurücktauschen können. Die Idee hierzu hatte Anfang der 1990er Jahre Tsutomu Hotta, ein ehemaliger Minister und Staatsanwalt, vor dem Hintergrund der immer älter werdenden japanischen Gesellschaft.
„Das bestechend Einfache daran: Eine Stunde ist eine Stunde ist eine Stunde – ein völlig inflationssicheres Geld also. Interessant ist, dass die Japaner sich mittlerweile lieber für einen der freiwilligen „Stundenkräfte“ als für professionelle Dienstleister entscheiden, weil Erstere eine größere Motivation mitbringen.“ (Margrit Kennedy in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung)
Die Idee des Fureai Kippu kann man unter drei verschiedenen Perspektiven diskutieren: Als Beispiel für eine Komplementärwährung, als Beispiel für die Monetarisierung im Ehrenamt und als Beispiel für einen innovativen Ansatz bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen:
- Die Idee von Komplementärwährungen übt immer wieder eine Faszination aus. Im Unterschied zu den zahlreichen Regionalwährungen ist der Fureai Kippu hingegen eine Sektoralwährung.
- Im Zusammenhang mit der steigenden Bedeutung von bürgerschaftlichem/ freiwilligem/ehrenamtlichem Engagement wird zunehmend – und äußerst kontrovers – diskutiert, ob solch ein Engagement finanziell vergolten werden sollte. Das Zentrum für Zivilgesellschaftliche Entwicklung (zze) hat eine Studie zu den Monetarisierungstendenzen vorgelegt, in der fünf Monetarisierungsformen unterschieden werden, eben auch Zeitkonten (hier gibt es auf S. 7 eine hilfreiche Überblicksgrafik).
- In den Debatten zur Zukunfts- und Leistungsfähigkeit des Sozialstaats wird immer wieder nach hoffnugsvollen „sozialen Innovationen“ gesucht. Gemeint sind weniger neue Geschäftsfelder als viel mehr innovative Ansätze, das Soziale neu zu denken. Hoffnungen werden auf die Zivilgesellschaft gesetzt – mal sind sie überzogen, mal ideologisch überfrachtet. Aber grundsätzlich liegt hier ein großes Potenzial.
Hier nun die Details zum Fureai Kippu-System, die im Netz verfügbar sind (und nicht auf japanisch):
- Die Fureai Kippu-Gutschriften werden angespart und können zu einem späteren Zeitpunkt wieder eingelöst werden. Die Gutschriften können aber auch verschenkt bzw. auf andere übertragen werden. Dies ist vor allem interessant, wenn Menschen entfernt lebenden Angehörigen diese Leistungen zugute kommen lassen wollen.
- Träger dieses Systems sind mittlerweile knapp 400 NPOs, die sich dem System anschließen, es steht also keine Zentralorganisation im Mittelpunkt. Wohl aber gibt es zwei Rechnungstellen, die wie Banken funktionieren.
- Währungseinheit ist eine Stunde Service. „There are different rates applied to different services (e.g. one hour of shopping or reading is credited with one Fureai Kippu, but help in body care is valued at two Fureai Kippu for each hour of service)“ (Lietaer/Hallsmith: Community Currency Guide, S. 3). Anscheinend können Gutschriften aber auch zu einem bestimmten Kurs käuflich erworben werden.
- Beim Fureai Kippu scheint es weniger darum zu gehen, staatliche oder professionelle Systeme zu ersetzen, sondern die Menschen stärker zu motivieren, einander zu helfen. Dafür spricht auch schon der Begriff selbst: „Fureai“ bedeutet wohl in etwa „gegenseitiger Kontakt“, Kontakt im Sinne von „Berührung“. („Kippu“ heißt übrigens Gutschrift.)
- In der englischsprachigen Wikipedia finde ich noch die Information interessant, dass das Fureai Kippu-System auch in China eingeführt wird/werden soll (allerdings mit dem Hinweis, dass diese Aussage nicht belegt ist). Aus dem polnischen Wikipedia-Eintrag geht leider nicht hervor, ob es ein spezielles Interesse in Polen am Fureai Kippu gibt (Danke, Katrin).
Auf die Idee des Fureai Kippu-Systems hat mich Stefan Wiesbrock aufmerksam gemacht durch einen Beitrag im Forum der Fachhochschule der Diakonie (FHdD). Entdeckt hat er sie in einer 3sat-Reportage. Die Informationen habe ich neben den drei Wikipedia-Einträgern (deutsch, englisch, polnisch) von diesen drei Quellen: hier, hier (recht weit unten) und und hier (S. 3).
Welches Interesse könnte die Diakonie an solchen Modellen haben? Wenn sich die Diakonie als Vorantreiber sozialer Innovationen versteht (und nicht nur als Anbieter sozialer Dienstleistungen), sind hier spannende Gedankenexperimente möglich. Wie wäre es, wenn diakonische Träger eine Verrechnungseinheit schaffen, mit der bundesweit Dienstleistungen und Engagement erbracht und eingelöst werden können, von der Kita bis zum Altenheim? Der Aspekt der Komplementärwährung wäre hier bloß ein Nebeneffekt. Im Mittelpunkt stünde die Förderung einer Kultur der Gegenseitigkeit. Die Auswertung des Erfahrungswissen mit dem Fureai Kippu und ähnlichen Systemen kann daher Gold wert sein.
Abschließend nun die 3sat-Reportage (zum Fureai Kippu nur ganz kurz von 1’19“30 – 1’20“30). Hier geht es allerdings ausschließlich um die erste der drei genannten Diskussionsperspektiven, um die der Komplemantärwährungen.
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