Auf Augenhöhe

Während beim gestrigen Wahlabend in Baden-Württemberg „historisch“ das Wort der Stunde war (zu recht!), erobert nun ein weiterer Begriff den politischen Diskurs: „auf Augenhöhe“. Grüne und SPD wollen sich auf Augenhöhe begegnen und künftig das Ländle zusammen auf eben derselben führen.

In den diakonischen Arbeitsfeldern ist „auf Augenhöhe“ bzw. „auf gleicher Augenhöhe“ längst eine gängige Vokabel. Die Begegnung zwischen Betreuenden und Betreuten auf Augenhöhe ist zu einem unverzichtbaren Standard(spruch) geworden. Kombiniert mit dem Stichwort „Diakonie“ ergeben beide Formulierungen zusammen etwa 150.000 Fundstellen bei Google. Die Idee einer Begegnung auf (gleicher) Augenhöhe ist gut, ist und wünschens- und lobenswert. Nur: Stimmt denn die Behauptung überhaupt, dass sich im Hilfeprozess Betreunde und Betreute auf Augenhöhe begegnen?

Die Rollen von Betreuten und Betreuenden unterscheiden sich, das Verhältnis beider Rolleninhaber zueinander ist ein asymmetrisches. Der überschuldete Familenvater und der Schuldnerberater, der Jugendliche mit Unterstützungsbedarf und der Sozialpädagoge, der Mitarbeiter einer Werkstatt für behinderte Menschen und der dort tätige Heilerziehungspfleger kommen in dem institutionellen Hilfesetting doch nur deshalb zusammen, weil es einen den Unterstützungsprozess konstituierenden Unterschied gibt. Sie begegnen sich eben nicht, weil sie beide in der selben Stadt leben, weil sie dieselbe Musik mögen oder weil irgendeine andere Symmetrie besteht, nein, sie kommen zusammen, weil ein Unterschied zwischen ihnen besteht. Professionelle Hilfesetting im sozialen Bereich (und nur um diese geht es mir hier) sind asymmetrische Hilfesettings. Natürlich gibt es auch symmetrische Unterstützungssettings, wie genossenschaftliche oder gewerkschaftliche, aber die sind gänzlich anders gelagert.

Aber wenn schon die Voraussetzungen asymmetrisch sind, sollte doch wenigsten der Unterstützungsprozess „auf gleicher Augenhöhe“ stattfinden, so die gängige Forderung. Gerade deshalb ist es doch wichtig, dass wenigstens die Begegnung augenhöhengleich stattfindet! Diesen Gedanken teile ich voll und ganz – und muss dann aber selbst eingestehen, dass ich nicht weiß, ob es sich hierbei eher um Romantik oder um Ideologie handelt (und welche Variante weniger schlimm ist). Wie gelingt denn eine Begegnung auf Augenhöhe, wenn man von der Voraussetzungen her nicht auf einer solchen ist? Ganz einfach: Man beugt sich herab, dann ist man auf der gleichen Höhe. Das Wesentliche beim Herstellen gleicher Augenhöhe ist ja gerade das Herabbeugen (oder Hochheben, was aufs Gleiche hinausläuft). Konstitutive Voraussetzung der Auf-Augenhöhe-Rhetorik ist doch gerade das, was vermieden werden soll. Der barmherzige Samariter hat sich herabgebeugt zu dem Überfallenen und ihn dann hochgehoben und auf den Esel gepackt. Asymmetrie at its best.

Mich macht es stutzig, dass eine Metapher Einzug in die Diakonie erhält (und das mit einem ziemlichen Drive!), die eigentlich gar nicht so recht passt, die eher verklärt als klärt. Der Auf-Augenhöhe-Gedanke ist gut. Aber dafür gibt es schon ein gutes Wort: Respekt.

Auch wenn die Begegnung nicht symmetrisch ist, auch wenn sie nicht gleichberechtigt ist, auch wenn sie von unterschiedlichen Voraussetzungen ausgeht, die bestehen bleiben werden, auch wenn sie nie „wirklich“ auf Augenhöhe stattfinden wird – sie kann sich trotzdem mit Respekt vollziehen. Nein, sie kann es nicht nur, sie sollte es! Das ist die gleichermaßen professionelle wie menschliche Herausforderung.

Und Respekt kann es in allen Arten von Begegnungen und Beziehungen geben, in symmetrischen wie asymmetrischen.

Ein Gedanke zu „Auf Augenhöhe“

  1. Lieber Herr Horstmann,
    sehr richtig: selbst „Hinunterbeugen“ oder „Hochheben“ ist ein Akt, der die Assymmetrie des Handelns anzeigt! Zu- und Hinwendung jeder Art ist assymmetrisch, da sie von einer Ungleichkeit von Möglichkeiten ausgeht.
    Beratendes/helfendes/befreiendes Handeln ist per se assymmetrisch; es schließt andererseits inkludierende oder integrierende Handlungsweisen nicht aus.
    Mit „auf Augenhöhe“ soll etwas beschrieben werden, was sich auch hinter dem Begriff „Arbeiten auf Basis des chistlichen Menschenbilds“ verbirgt: Dass der/die andere nicht als mit Mängeln behaftet gesehen wird, sondern als jemand, der nicht mehr und nicht weniger wert zu schätzen ist als ich es für mich in Anspruch nehme.
    Übrigens: wenn ich das auf die Politik in BaWü anwende – es wäre ein neuer Politikstil, ein Schritt in Richtung demokratischer Diskurs, der weggeht von bayerischen Aschermittwochsstammtischen.
    Ihr
    Peter Nietzer

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